und die Zerrissenheit der Völker, erfaßt er noch einmal mit der ganzen Energie seines Geistes die bereits im Bewußtsein der Zeit immer mehr zurücktretende Idee der kaiserlichen Weltmonarchie, vertieft und verklärt sie, damit die Welt in ihr den einzigen Rettungsanker erkenne und ergreife. Sein Fürst ist nicht, was der Fürst des Machiavelli, des Politikers der Lift, Lüge und Gewalt; nicht, was der „Leviathan" eines Hobbes, ein Despot, der sein eisernes Scepter über eine Heerde von Sklaven schwingt 35; nicht ein Ludwig XIV., welcher erklärt: Der Staat bin ich. Sein Kaiserideal ist nicht ein Friedrich II., dessen orientalische Lebensanschauung und Sitten den Einklang zerreißt, der die kaiserliche Auctorität mit der philosophischen verbindet 36, und dessen Streben nach einer starken Hausmacht die völlige Alleinherrschaft über die Völker bezweckt. Sein Kaiser hat kein Vorbild in der Alles aussaugenden Fiscalität, dem alle Freiheiten erdrückenden Absolutismus der altrömischen Imperatoren, was dem gesammten Mittelalter in seiner Anschauung vom Kaiserthum ferne lag; sein Kaiser ist die Incarnation der Gerechtigkeit und Liebe, von der daher, wie von einem hoch über allem Menschlichen stehenden lebendigen Mittelpunkte, die Erneuerung der Welt ausgehen sollte. Wie wir bereits gesehen, ruht die Construction der Dante': schen Weltmonarchie auf allgemeinen abstracten Principien, als deren consequente Durchführung das Bild des Kaisers sich darstellt. Es ist mehr der Philosoph, Theolog und Dichter, der hier seine Ideale entwirft, als der nüchterne Staatsmann, der an das Gegebene anknüpft und das Mögliche zu erreichen sucht. Sein Dichtergenius reißt ihn los von aller historischen Entwicklung, vom Boden der Wirklichkeit; Dante hat gefehlt dadurch, daß er bei dem Entwurfe seiner Idealpolitik mit den realen Mächten des Lebens nicht gerechnet hat, freilich in diametralem Gegensaße zu seinem Erfolg, sowie Alles, was zu diesem führt, zur höchsten und einzigen Regel der Regierungshandlungen erhebt. In Dante's Monarchie hat der christlich-ideale Gedanke, der die Völker des Mittelalters beseelte, wie die Todtenklage über eine vergangene Welt noch einmal ihren beredten Ausdryck gefunden; Machiavelli's Fürst" ist nur das Symptom einer schwer kranken, von heidnischer Hypercultur im Bunde mit Treulosigkeit und unbändiger Rohheit vergifteten Völkerlebens. Dante's Politik ist gebaut auf das Recht, ganz durchdrungen von der Idee der Gerechtigkeit; das Recht ist ihm nichts Anderes als ein Abbild des göttlichen Willens, ursprünglich darum in Gott selbst wurzelnd und Eins mit seinem Wesen 37; der Kaiser darum, der Recht spricht, in höchster Weise Gottes Organ auf Erden. Was aber dem Willen Gottes widerspricht, ist nicht Recht, kann darum nicht zu glücklichem Erfolge führen. Machiavelli's „Fürst“ kennt das Recht nur, insoweit es seinen Plänen dient und Erfolg verspricht, und er hat so die Politik alles sittlichen Gehaltes entleert. Dante's hoher Geistesflug deutet die Bahnen an, um den Völkern das Heil zu bringen; Machiavelli hat die Schlangenwege, welche nicht wenige der Dynasten seiner Zeit gegangen, in's System gebracht und zu rechtfertigen gesucht. Dante fordert Freiheit für die Völker, Machiavelli liefert sie den Tyrannen aus. Dante's Jdeen blieben resultatlos, sie waren der schöne Traum einer edeln, hochstrebenden Natur, wie Platons „Staat"; Machiavelli's Maximen dagegen, von den Mächten der Leidenschaft getragen und aus dem Geist der Zeit heraus gesprochen, drangen in weite Kreise und corrumpirten Fürsten wie Völker. Wenngleich beide die Einigung Italiens anstrebten, so waren doch die Wege, die dazu führen sollten, bei beiden verschieden. Dante, der italienischste unter den Italienern, der sein Vaterland wie kein Zweiter liebt, ruft den Deutschen in's Land; er allein soll, er allein kann Frieden stiften. Der Kosmopolitismus des Mittelalters hatte in ihm Hettinger, Dante. 23 den nationalen Egoismus überwunden; Alles, was er auffaßt und wie er es auffaßt, erblickt er unter dem Gesichtspunkt des Universalen, des allgemein Menschlichen, weil Christlichen und Göttlichen. Machiavelli denkt nur an ein einiges Italien unter der Aegide irgend eines Tyrannen, der, wie Césare Borgia, Muth und Kraft hat, es zu schaffen. Darum bewundert er diesen und klagt das Papstthum an, daß es diese Einheit Italiens verhindert habe. Als ob nicht Mailand und Florenz mit Eifersucht ihre Selbständigkeit gehütet hätten! Als ob nicht gerade diese politische Mannigfaltigkeit des italienischen Städtewesens es gewesen, welche den Reichthum der so frühen Cultur dieses Landes hervorgerufen und recht eigentlich ermöglicht hatte! Und was wäre aus Papst und Kirche geworden, hätte ein Tyrann im Sinne Machiavelli's ganz Italien beherrscht? Doch, was Machiavelli auf politischem Gebiete wollte, hatte Dante auf einem höheren, dem der Sprache und Literatur und damit des innersten und edelsten Lebens seines Volkes bereits geschaffen, die Einheit, vor welcher die politische Centralisation für ihn in den Hintergrund trat. Ganz besonders aber ist es die religiöse Weihe, mit welcher Dante sein Kaiserideal umgibt; auf ihn wendet er jene Schriftstellen an, die man in der Kirche nur auf Christus zu deuten gewöhnt war. Er ist es, „auf den die Völker warten", er ist der Erhabene aus dem Stamme Jsai", das Lamm Gottes, welches der Welt Sünden trägt" 38. In der Sphäre des Jupiter erblickt er den Sternenadler, das Symbol des Kaiserthums, und in ihm die sichtbare Erscheinung der Gerechtigkeit; so stellt vor ihm das Kaiserthum in himmlischer Verklärung sich dar, und um so größer darum ist der Frevel derer, welche „sein Licht verfümmern", hemmend und störend in diese göttliche Ordnung Sah mehr denn tausend Lichter ich von hier sich Und als nùn jedes still an seinem Ort stand, Oliebliches Gestirn, wie viel und welche Juwelen zeigten mir, daß Wirkung uns're Gerechtigkeit des Himmels, d'ran du prangst, sei! *) Und selbst, als mit dem Tode Heinrichs VII. für die nächste Zukunft jede Hoffnung auf Verwirklichung seiner Ideale entschwunden war, ist der Dichter nicht enttäuscht. Der religiöse Cultus, den er dem Kaiserthume weiht, ge= staltet sich jezt zur Prophetie von dessen zukünftiger Herrlichlichkeit, welche Beatrice verkündet 39. Nicht alle Zeit wird ohne Erben bleiben Der Adler, der die Federn ließ im Karren, In welchem ein „Fünfhundert zehn und fünfe“ Aber gerade diese, jedes Maß und alle Berechtigung überschreitende Jdealisirung der weltlichen Gewalt weist uns hin auf die Quelle, aus welcher Dante geschöpft hat, der er die Farben entnahm für sein Gemälde der Weltmonarchie, und enthüllt uns zugleich den Frrthum in seiner gesammten politischen Anschauung. Was die Zeit vor Dante für die Kirche und ihr Haupt, das Papstthum empfand, diese reli *) Parad. XVIII. 103. **) Purgator. XXXIII. 37. giöse Begeisterung suchte er für das Kaiserthum zu wecken; was der Papst als gemeinsamer Vater der Christenheit im Bewußtsein der Völker sein sollte und thatsächlich Jahrhunderte hindurch war, Hort der Gerechtigkeit, Spender des Friedens, Nächer des Bösen, Richter unter den Streitenden 40 und dieß um so mehr, je mehr die deutschen Fürsten in Parteien auseinandergingen, das sollte nun der Kaiser werden für die Christenheit. Es ist daher diese Aufgabe, die Dante dem Kaiser stellt, der religiöse Cultus, den er ihm weiht, nur die Reaction gegenüber dem von ihm verurtheilten Einflusse der Päpste auf das politische Leben der Völker. Letztere Anschauung aber ist, wie wir früher gesehen, eine verfehlte, mit der Entwicklung der Kirche, dem Gange der abendländischen Civilisation, den Bedingungen des Völkerlebens in den Jahrhunderten vor ihm völlig unvereinbar; darum konnte auch sein Kaiserideal nur eine Dichtung bleiben, da es im Bewußtsein der Völker keine Anknüpfungspunkte hatte. „Wenn," sagt Suarez 41, „dem Kaiser mit Rücksicht auf den Zweck der Schuhherrlichkeit über die Kirche vielleicht die Gewalt zusteht, die katholischen Fürsten aufzubieten und zum Auszug zu bestimmen, auch vielleicht die Befugniß zur Schlichtung der Streitigkeiten unter ihnen, so hat er sie vom Papste." Wohl führte der Kaiser allein lange Zeit hindurch den Titel „Majestät", erschien er immer als der erste unter allen Fürsten; aber diese hatten ihm gegenüber ihre Rechte immer gewahrt. 3. Bweites Buch der Monarchie. Göttlicher Ursprung des altrömischen Kaiserthums. Weniger Interesse bietet das zweite Buch der Monarchia, |