ungesäuertes Brot und enthielt sich während sieben Tagen aller knechtlichen Arbeit. Darin bestand die Paffah- oder Osterfeier des israelitischen Volkes. Diese Gottestaten waren eine Weissagung, ein Schattenriß dessen, was Gottes Weisheit an der ganzen Menschheit und an jedem Menschenkinde zu tun beschloffen hatte. Eine andere, unendlich vollkommenere Befreiung, nämlich die Befreiung vom Sklavenjoche der Sünde und der Hölle, eine gnadenvollere Erhebung, nämlich die Erhebung in das übernatürliche Reich des Neuen und ewigen Bundes, sollte bewerkstelligt werden. Die Zeit, welche den Vollzug dieses großen Rat= schlusses sehen sollte, fiel gerade in die Tage der jüdischen Passahoder Osterfeier. Diesmal war das makellose, sanfte und demütige Lamm, welches geschlachtet wurde, kein geringeres als der Gottessohn und Menschensohn Jesus Christus. „Unser Osterlamm ist geopfert worden, Christus“, so schrieb deshalb St Paulus den Christen zu Korinth 1. Unter den Myriaden von Menschennaturen, welche Gottes Weisheit und Allmacht schaffen konnte, wurde die zarteste, reinste und heiligste ausgewählt und mit der unveränderlichen Wesenheit des Sohnes Gottes zur Einheit einer Person verbunden. So erhielt die neue Opfergabe in Wahrheit unendlichen Wert, und das Opfer des Messias und der Messias selbst wurden zum allerheiligsten Gotteslamme. Ecce Agnus Dei „Siehe das Lamm Gottes, siehe, der die Sünde der Welt hinwegnimmt“, jubelte der Täufer Johannes, als er Jesus seine öffentliche Wirksamkeit antreten sah. Nicht irdisch materielles Feuer, sondern das Geistesfeuer unendlicher Gottes- und Menschenliebe durchglühte und versengte dieses Opferlamm auf Golgathas Höhen. Da ward Jesus geopfert, weil er selbst es wollte, und obwohl „ein Mann der Schmerzen, vertraut mit Schmach. . . tat er dennoch seinen Mund nicht auf, gleich einem Lamm, das zur Schlachtbank ge= führt wird" 2. Wiederum waren es zwei übereinandergelegte Hölzer, welche unser Osterlamm in der Feuersglut der Liebe und der Todesschmerzen trugen. Das Kreuz ward zum Hochaltar des Messiasopfers. Wiederum durfte kein Gebein des neuen Opferlammes gebrochen werden. So bleibt die heilige Gabe unversehrt für alle Geschlechter und Zeiten; ein ewiges Opfer und darum auch ein ewiges Priestertum werden begründet, wie der Prophet es vom Messias voraus verkündet hatte: Du bist Priester auf ewig nach Melchisedechs Ordnung." 1 Welches aber sind in dieser irdisch menschlichen Zeitlichkeit die Erscheinungsformen dieses einen, ungeteilten Osteropfers Jesu Chrifti? Der Gründonnerstag hat uns bereits die Opfergabe in der Eucharistie und die menschlichen Gehilfen und Teilnehmer an dem einen, ungeteilten Priestertume des Herrn in den Aposteln Jesu vor unsere Augen gestellt. Und so wird denn möglich, daß Priester ausgewählt und berufen werden aus allen Familien, nicht bloß eines einzigen Volkes, sondern aller Völker der Erde. Es wird eine Opferfeier möglich auf allen Punkten der Welt. Da geht das Herrnwort beim Propheten Mala= chias in Erfüllung: „Vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Niedergange wird mein Name groß werden unter den Völkern, und an allen Orten wird meinem Namen ein reines Speiseopfer dargebracht werden. " 2 Jezt werden nicht mehr bloß äußerlich die Oberschwellen und Türpfosten der Häuser mit dem Opferblut des neuen Gotteslammes bestrichen. Von nun an beginnen die unsterblichen Seelen selbst, in purpurnem Glanze zu leuchten und zu strahlen, weil sie mit dem Blute des neuen Gotteslammes benezt sind. Der Würgengel aber, der den Leib und die Seele zugleich ins ewige Verderben des Höllentodes zu stürzen vermag 3, er wird an diesen Seelen vorübergehen müssen. „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage." 4 So hat der Herr selbst verheißen. Die bittern Kräuter der Leiden, der Versuchungen, des leiblichen Todes verbleiben uns allerdings; sie werden nicht verschwinden, so= lange unsere Pilgerfahrt währt in diesem Tale der Zähren. Im Schweiße des Angesichtes werden wir unser Brot essen." 5 Allein zu unserem Troste hat der hl. Johannes, der Seher auf Patmos, in seiner geheimnisvollen Offenbarung die Herrlichkeiten unseres göttlichen Osterlammes und seiner Getreuen im himmlischen 1 Ps 109, 4. 2 Mal 1, 11. 3 Mt 10, 28. Sion geschildert. Da ruht das Lamm, das einst geschlachtet ward, auf seinem Throne 1; die Auserwählten singen ihm in Vereinigung mit dem Chor der himmlischen Geister ein Loblied der Verherrlichung 2. Sie sind jezt gerettet, weil sie ihre Gewänder weiß gewaschen haben in seinem Blute 3. Durch seine Kraft sind sie siegreich 4. So folgen sie dem Lamme, wohin es gehen mag 5, und nehmen teil an dem Festmahle seiner Hochzeit mit der Kirche, seiner Braut 6. Ja das Lamm ist der Tempel des Himmels und sein Licht7, und niemand kann dort eingehen, ohne eingeschrieben zu sein in seinem Lebensbuche 8. Da macht denn der Herr „alles neu; es ist ein neuer Himmel und eine neue Erde, worin die Gerechtigkeit wohnt" 9. Zur Strafe für die Sünde war einst Schmerz und Tod, harte Arbeit und Mühsal über die Menschheit gekommen. „Die Erde sei verflucht um deinet= willen: Dornen und Disteln soll sie dir tragen“, so hatte Gott nach dem Zeugnisse des ersten Buches der Heiligen Schrift zu unsern Stammeltern gesprochen 10. Doch jezt versichern uns die legten Blätter des heiligen Gottesbuches, daß durch das Lamm Gottes alles wieder hergestellt wird: Der Lebensbaum, von dem Adam weggewiesen worden, „dient nun zur Gesundheit der Völker" 11, unter den Menschen „wird nichts Verfluchtes mehr sein" 12. „Alle Trauer wird Gott von ihren Augen wischen; da wird kein Tod und keine Trauer, keine Klage und kein Schmerz mehr sein, denn das erste ist vergangen." " 13 Das sind die weitentlegenen Quellgebiete, das die tiefen Wurzeln der Karfreitags- und der Osterfeier; das sind aber auch die entzückenden Einblicke ins Hochland der seligen Ewigkeit, welche an diesen Tagen uns eröffnet werden durch unser Osterlamm Jesus Christus. Im Lichte dieser Rückblicke und Ausblicke wachsen die Ereignisse des Karfreitags und der Ostern zu ungeahnter, riesiger Größe. Ecce Agnus Dei „Siehe das Lamm Gottes, siehe, der die Sünden der Welt hinwegnimmt." Unser Passahlamm, Christus, ist geopfert worden!" 1 1 Offb 7, 17. 2 Offb 15, 3. 3 Offb 7, 14. 5 Offb 14, 1-4. 7 Offb 21, 22 24. Petr 3, 13. 12 Offb 22, 3. 13 Offb 21, 4. 10 On 3, 17-19. 3. Der Karfreitagsgottesdienst. a) Eingang und Aufbau. Das Gotteshaus ist heute noch so schmucklos und öde, wie wir es gestern nach der Fußwaschung und nach den Metten verlassen haben. Und doch soll der heilige Dienst des Allerhöchsten in wenigen Augenblicken beginnen. Allein es handelt sich heute um einen Trauergottesdienst von so erschütterndem, tiefem Ernste, wie ihn das ganze Jahr sonst niemals kennt. Kein Glockenton ruft zum frohen Feste; kein Licht flackert auf dem kahlen Altare; kein Leuchter und kein Psalmengefang des Sängerchors begleiten die Priester zur gottesdienstlichen Feier. Die Diener des Heiligtums selbst find angetan mit schwarzen Gewändern und werfen sich vor den Stufen des Altars auf ihr Angesicht in den Staub der Erde. In dieser Stellung verharren sie einige Augenblicke still im Gebete. Die Kirche findet kein Wort, um die Größe des Geheimnisses auszudrücken, das sich heute entfaltet. Sie kann nur staunen über die Tiefe der Herablassung Gottes, deffen eingeborner Sohn in den Staub sich erniedrigt hat und zum Wurm geworden ist, um sich in seinem Leiden und Tode zertreten zu lassen. Die Kirche kann nur stumm anbeten die unendliche Majestät Gottes, der so tief zu uns herabgestiegen ist, um uns zu seiner göttlichen Höhe emporzuheben. Die Kirche kann durch ihre eigene, ungewöhnlich tiefe Selbstverdemütigung nur ihre unbegrenzte Gegenliebe um solcher Gottesliebe willen zu erkennen geben und sich bereit erklären, alle ihre Kräfte voll und ganz in den Dienst desjenigen zu stellen, der sich voll und ganz für sie geopfert hat. Diese erste stumme Huldigung vor dem leidenden und sterbenden Heiland läßt sich bis ins 11. Jahrhundert hinauf nachweisen. Sie bildet die Einleitung und Vorbereitung auf die folgende Totenfeier, welche in vier Teile zerfällt. Wie ein kunstvolles Tonwerk ein und dieselbe Melodie mit wechselnder Tonfülle und mit gesteigerter Kraftentfaltung immer wieder variiert, so bringt die Kirche das große, erschütternde Ereignis viermal in verschiedener Form, doch jedesmal mit erhöhter Eindringlichkeit zur Darstellung. Müller, Das Kirchenjahr. 19 Zuerst betrachten wir nämlich den Tod des Gottmenschen im Dämmerscheine der alttestamentlichen Weissagungen, dann im Morgenlichte der evangelischen Geschichte, hierauf in dramatisch sinnfälliger Vergegenwärtigung, zuleht in der Mittagshelle lebensvoller, realer Vorführung. Jede dieser Darstellungsweisen ist mit einer Hindeutung auf die Heilsfrucht des Leidens Jesu Christi und mit einer stets reichlicheren Zuwendung derselben an die Seelen verbunden. Gerade dadurch wird die erhabene Darstellung um so ergreifender, weil alle, welche dem Gottesdienste beiwohnen, zur wachsenden, innerlichen Anteilnahme und zur fruchtbaren Verwertung des Dargestellten vor Gott angeregt und angeleitet werden. b) Verhüllt im Schleier der Weissagung. Im ersten, prophetischen Teile des Karfreitagsgottesdienstes erheben sich vier ehrwürdige Prophetengestalten, Osee, Habakuk, Moses und David, und schildern in kurzen, kraftvollen Zügen das Todesleiden des Messiastönigs. Der ersten und dritten Weissagung hat die Kirche die Form einfacher Lesungen, der zweiten und vierten dagegen die bewegtere Gestalt von Trauergesängen (Traktus) gegeben. Da= zwischen fügt sie selbst ein Flehegebet ein. Kaum hat sich nämlich die Kirche aus ihrer tiefen Verdemütigung bis in den Staub der Erde erhoben, so greift sie nach dem heiligen Prophetenbuche des Osee, um daraus Erleuchtung, Trost und Erbauung in ihrer Trauer zu suchen. Der heilige Gottesmann stärkt uns im Hinblick auf den Opfertod Christi mit ernsten Worten in der reumütigen und vertrauensvollen Gesinnung; er belebt unsere Hoffnung, er warnt aber auch vor Oberflächlichkeit und Halbheit1: Kommet, lasset uns zurückkehren zum Herrn!" so spricht er, Christus, der jezt dem Tode entgegengeht, erlöst und heilt uns und wird uns durch seine Auferstehung erfreuen. Er wird uns beleben nach zwei Tagen und am dritten Tage uns erwecken, damit wir vor ihm leben." Nur von der Unbeständigkeit in der reumütigen, frommen Gesinnung, nur vom Mangel an Gotteserkenntnis und Gottesliebe find göttliche Strafgerichte, statt göttlicher Gnade und Erbarmung, zu befürchten! " Oj 6, 1-6. " |