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XI

Man möge auch meinen theologischen Standpunct be streiten. Das Individuelle hat auch hierin sein Recht. Ich werde aber allezeit zur Verantwortung bereit seyn. Aber man streite eben nur über das, was als Thatsache im Buche selbst offen vorliegt. Woher und wozu aber jest so oft das Richten über den ganzen persön= lichen Charakter und die innersten sittlichen Motive, die man doch nicht mit ins Buch schreibt, nicht einmahl zwischen die Zeilen? Gewiß ist auch Dir und jedem Besonnenen dergleichen eben so ungerechtes, als ungründliches Richten årgerlich. Es hat mir Jemand, der mich besser kennen sollte, bey der zweyten Auflage neben vielem Lobe, wofür ich ihm dankbar bin, vor= geworfen, ich håtte darin auf die Stimme der Gelehrten, der Tonangeber der Zeit, zu viel Vertrauen gesezt und in das Wort der Offenbarung etwas zu wenig." Ich weiß nicht, welche Tonangeber der Zeit gemeint sind, denn die Zeit spielt aus sehr verschiede= nen Tonarten. Ein so bedeutender Vorwurf, der das theologische Herz trifft, und wie eine Gewissensrüge lautet, sollte wenigstens genauer bestimmt, und in unzweydeutigen Thatsachen nachgewiesen seyn. Wenn er den Sinn hat, als wenn ich in der Aenderung früherer Ansichten, besonders bey kritischen Fragen, auf diesen oder jenen Recensenten, den ich etwa håtte vermuthen können, vornehmlich wohl auf diesen oder jenen stimmführenden Rationalisten, an dessen Lobe mir etwas gelegen gewesen wäre, mehr geachtet, als auf die Wahrheit und ihre Gründe, also aus eitler Menschengefälligkeit und Furcht vor scheltenden Recensionen,

Aber im Verstehen

ich weiß nicht, ob das ewige Wort der Wahrheit selbst, oder eben nur meine Ueberzeugung aufgegeben håtte, so ist dieß das Schlimmste, was man einem Christlichen Theologen vorwerfen kann. Aber mein Gewissen entscheidet scharf und rein gegen solches ungerechte und unbefugte Urtheil. Das Wort der Offenbarung ist mir eben so theuer, als Jedem, der es bekennt: je mehr ich es verstehe, desto mehr wird es meines Lebens einzige Leuchte. desselben, wo ich von Andern zu lernen habe, suche ich die Wahrheit und nehme sie, wenn sie mir einleuchtet, von Jedem, unbekümmert, ob der Mann, bey dem ich sie finde, ein Rationalist oder ein Pietist oder sonst etwas ist, mein Freund oder mein Feind. Dieß ist meine Orthodorie. Es steht mir nicht an zu vergelten, weil eben das Wort der Offenbarung spricht: Du aber, warum richtest Du Deinen Bruder? Aber ich werde nach wie vor in freyer Forschung fortfahren, ohne alles wissentliche Partheymachen und Partheydienen, nach bester Ueberzeugung der Wahrheit die Ehre zu geben, wo ich sie finde, und meine jedesmahlige Ueberzeugung nach dem Grade ihrer Gewißheit ehrlich auszudrücken. Bey Dir bedarf ich dieser Apologie nicht, und wohl bey keinem Unpartheyischen. Aber den Parthenischen und den Richterlichen in der Zeit kann nicht genug gesagt werden, was sich von selbst versteht, ob sie es endlich lernen, daß das Erste und Lehte im Gericht die Gerechtigkeit ist.

Ich will zum Schlusse weder Dich, geliebter Freund, noch Andere, die dieß lesen, weich und nach

XIII

fichtig stimmen, aber zur Steuer der Wahrheit sey es gesagt, daß ich dieses Werk unter einem sehr trüben Himmel und unter harten Bedrängnissen gearbeitet und vollendet habe. Glückliche Werke gedeihen nur in heiterer Stimmung und unter heiterem Himmel. Du weißt, ich liebe die gelehrte Einsamkeit und Stille, das wahre otium honestum, über alles. Allein ich bin auch nicht verschlossen für das öffentliche Wohl und Wehe des Vaterlandes, insbesondere der Universitåt, der ich über ein Jahrzehend mit treuer Liebe und ich denke auch nicht ohne gesegnetes Wirken angehört habe. Jedermann aber weiß, wie trübe der Himmel bey uns ist, was für Herzeleid die edle Georgia Augusta in den letzten Jahren erlebt, wie viel edles Blut und Gut sie verloren hat. Mein Herz blutet, wenn ich das alles überdenke, und mir ist bange für die Zukunft. Dazu aber hat mir Gott in dieser Zeit eine schwere Prüfung aufgelegt, tägliches, ja stündliches Sorgen und Bangen seit einem halben Jahre für das Leben einer geliebten Tochter, die durch keine Kunst gerettet werden konnte, und so eben, da ich dieses schreibe, in rosiger Jugendblüthe dahingeschieden ist. Und über dem allen, nachdem aus dem edelsten rüstigsten Freundeskreise, worin ich meine Freude und meinen Stolz hatte, zuerst durch den Tod zwey noch unter den verhallenden Klängen des Jubiläums, bald darnach aber durch eine viel mehr zerstörende Katastrophe anderer Art auf einmahl Viele hinweggerissen worden waren, zuleht noch die erschütternde Todeskunde von unserm geliebten K. O. Müller, den

wir so eben aus dem classischen Lande mit neuen Geistesschätzen bereichert zurückerwarteten, um uns an ihm, an seiner edlen, liebenswürdigen Persönlichkeit, (Du kanntest ihn ja auch,) und an seinem neuen Ruhme zu erfrischen und zu erheben! Unter solchen Schlägen, geliebter Freund, auch wenn man weiß, daß es Gottes Prüfungen sind, ists schwer, kräftig und frisch bei der Arbeit zu bleiben. Mögest Du und mögen andere billige Leser in diesem Werke aus trüber, schwerer Zeit nicht zu viel Spuren der oft fast erliegenden Kraft finden, die aber, welche sich finden, mild entschuldigen. Ich weiß nicht, wie viel es von mir gilt und wie viel ich es verdiene, was St. Paulus erfahren hat, daß Gottes Kraft auch in der Schwachheit mächtig sey. Aber ganz ohne diese apostolische Erfahrung, hoffe ich, wird das Werk nicht seyn. Lebe wohl!

Göttingen, den 15. Sept. 1840.

Ich halte mich für verpflichtet, meinem lieben Freunde, Herrn Licentiaten Klener hieselbst, für die treue Sorgfalt, womit er mich bey der Correctur dieses Buches und schon früher bey der Correctur der zweyten Auflage des ganzen Werkes unterstüßt hat, so wie für manche rechtzeitige Erinnerungen und nüßliche Mittheilungen hiermit öffentlich meinen besten Dank zu sagen. Dr. Lücke.

Einleitung,

oder

allgemeine Untersuchungen.

Lücke Commentar. Thl. I.

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