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Des II Theiles
II. Abschnitt.

Von Gedichten, die in neuern Zeiten erfunden worden.

Das 1. Hauptstück.

Von allerley kleinen Liedern, als Madrigalen, Sonnetten und Rondeaux, oder Kling- und Ringelgedichten

I. §.

Lenn ich hier von den neuerfundenen Liedern und Gefangen der europäischen Völker handeln will:- so ist

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es meine Meynung nicht, von allen Arten derselben zu reden, die entweder von den Provenzaldichtern, oder wålschen Poeten, in unsäglicher Menge ausgehecket worden, und die man im Crescimbeni und dem Muratori della perfetta Poesia, imgleichen in des Ancon Minturní Arte Poetica, die 1725. zu Neapel in 4. herausgekommen ist, beschrieben lesen kann. Meine Absicht ist nur von denen wenigen Arten zu handeln, die auch bis nach Deutschland gekommen sind, und einigen Beyfall gefunden haben. Auch ist es meine Meynung nicht, alle Erfindungen unserer Meistersänger in ihren verschiedenen ja unzähligen Weisen, oder Tonen zu erzählen; wovon Wagenfeil einen ziemlichen Theil, in seinem Buche von ihrer Kunst, namhaft gemacher und beschrieben hat. Ich könnte diese seine Nachrichten freylich um ein großes vermehren, wenn ich aus den 25. bis 30. Bånden alter geschriebener Meistersånger Lieder, die ich

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aus des sel. Gottfried Thomasius zu Nürnberg, Ver lafsenschaft, käuflich an mich gebracht, Auszüge machen wollte. Allein da diese Arbeit für Anfänger keinen Nugen haben würde: so verspare ich sie in mein größeres Werk von der Geschichte der deutschen Sprache und Poesie; dahin soldhe historische Nachrichten mit besserm Rechte gehören.

2. §. Das kürzeste und kleinste Stück, der neuern lyrischen Poesie ist sonder Zweifel das Madrigal; dessen Namen und Art wir Deutschen von den Wälschen, diese aber, ihrem eigenen Geständnisse nach, von den Provenzalpoeten bekommen haben. Die erste Frage ist, was das Wort Madrigal eigentlich bedeute? Und davon sind verschiedene Meynungen. Bembus (Prof. L. 2.) führet zwo an, deren er feine der andern vorzieht. Die erste ist, Madrigal hieße gleichsam Material; weil nåmlich die ersten Lieder dieser Art, von groben, schlechten, niedrigen und verächtlichen Sachen verfertiget worden: und dieser Meynung giebt Joh. Bapt. Doni, (Comp. del Tratt. de Modi della Muf. p. 113.) Beyfall. Die zweyte ist, daß Madrigal von Mandre, d.i. einen Schäfer in der Provenzalsprache herkomme: weil es anfänglich lauter Schäfer- oder Hirtenlieder, von Wåldern und Heerden, und andern verliebten Schäferbegebenheiten gewesen. Und da bemerket Joh. Bapt. Strozzi, in seinen Lectionen über das Madrigal, p. 195. daß Petrarcha, Boccaccio, u. a. m. in ihren Madrigalen, von nichts, als Flüssen, Thälern, Pflanzen, und andern båurischen Sachen geredet haben: ja selbst Triffino, Dolce, Mintur no und Menage, sind dieser Meynung. Crescimbeni pflichtet ihr gleichfalls bey: aber alle diese Herren sagen uns nicht, wo sie die Sylbe gal herbekommen? Sie können es auch, ohne die Kenntniß des Deutschen, nicht thun. Ich habe oben schon erinnert, daß der erste Provenzaldichter, Gottfried Rudel, ein Deutscher gewesen seyn muß, von dem die übrigen die Kunst zu reimen gelernet. Dieser Deutsche hat nun sonderzweifel auch das Wort Gall, oder Hall, Schall aus seiner Muttersprache gewußt, welches

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wir noch in Nachtigall, in gållen u. d. gl. haben. Dieses hat er nun mit dem Worte Nandre, ein Schäfer, welches wohl gar aus dem Deutschen, Mann, seinen Ursprung haben mag, zusammengeseßet, so daß es ein Männergall, oder Schäferlied hat heißen sollen. Denn daß andre es von Madre della gala, Madre galante, oder della gaya, oder, wie Ferrarius (in Orig. Lingu. Ital.) von dem Spanischen Madrugar, früh aufstehen, herleiten wollen; das find bloße Anspielungen, die keine Aufmerksamkeit verDienen.

3. §. Die ersten Madrigale sind nicht unter sechs, und niemals über eilf Verse lang gemachet worden; und also die kleinste Art von Liedern gewesen. Doch hat man sie da mals aus lauter gleich langen eilffylbigten Versen gemacht: wie Crescimbeni bezeuget. Allmählich aber ist man so wohl von der Zahl der Zeilen, als von ihrer gleichen Länge abgewichen, und diesen Erempeln der Neuern sind auch unsere Deutschen gefolget. Nur diese Unbequemlichkeit ent= 1 stund daraus, daß bey der unendlichen Abwechselung, die sich nunmehr in den Madrigalen fand, die alten Melodien fich nicht mehr darauf schicketen: daher denn so zu reden =jedes neue Madrigal, eine eigene Singweise foderte. Weil nun nicht alle Dichter Tonkünstler waren, sich selbst neue Melodien zu machen: so wurden eine Menge ihrer Madri gale gar nicht in Noten gefeßet, und folglich auch nichts gefungen. Und so ist es sonderlich in Deutschland gegangen. Italienische Madrigale in Noten gesezt, habe ich selber im Drucke.* Allein in einer großen Menge deutscher in Noten geseßter und gedruckter Lieder, die ich besiße, finde ich kein einziges Madrigal. Ja in allen unfern Anweisun gen zur Dichtkunst, habe ich es noch nirgends erwähnet gefunden, daß Madrigale eigentlich zum Singen erfunden worden. Invessen ist es nicht anders: und ich glaube gar, daß

3. E. Eins führt den Titel: Libro I. de Madrigali, a cinque voci, col baffo continuo, & fuoi numeri, del Signor Gio. Girolamo

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Kapfperger, nobile Allemanno. Raccolti dal Sign. Cavallier Marcantonio Stradella. In Roma. 1608 in fl, fol.

daß die kleinen Chanfons der Franzosen, die nur Lieder von einer Strophe sind, und aus ungleich langen Zeilen beste= hen, nichts anders als Madrigale sind, und billig so heißen follten. Caspar Ziegler hat bey uns ein ganzes Büchlein von Madrigalen 1653 herausgegeben, welches auch 1685 wieder gedrucket worden. Martin Kempe und Ernst Stockmann haben auch gute Madrigale geschrieben: und auch ben andern unserer Dichter kommen derer eine Menge vor.

4. §. Will man die Natur und Regeln der Madrigale wissen: so merke man kürzlich folgendes. 1) Soll ein Madrigal, nach der ersten Erfindung, mehrentheils von schäfermäßigem, oder doch verliebtem Inhalte seyn. Káme es hoch, so könnte sonst ein galanter, oder doch lustiger und scharfsinniger Einfall darinn ausgedrücket werden. Denn mir kömmt es vor, ein Madrigal sey bey den Neuern das, was die anakreontischen Oden bey den Alten gewesen. 2) Mache man das Madrigal mehrentheils in jambischen` Versen; wie alle unsere deutsche Vorgänger gethan haben. 3) Lasse man es nicht unter sechs, und nicht leicht, auch nicht viel über eilf Zeilen lang seyn; höchstens zu 13 bis 15 Zeilen hinauf steigen. Denn da es nur eine Singstrophe vorstellen soll: so möchte sonst die Weise zu lang und beschwerlich fürs Gedächtniß werden. 4) Mache man die Zeilen in der Långe nicht gar zu ungleich; das ist, keine unter sechs, und keine über eilf Sylben. Einige unserer Poeten haben dawider verstoßen, und bald viersylbige, bald wieder zwölf und dreyzehnsylbige Verse unter einander laufen lassen. Allein welch ein Uebelstand ist das nicht? 5) Lasse man die Reime zwar mit einander wechseln, aber auch nicht zu weit von einander ausschweifen: denn wenn drey, vier, oder mehr andere Zeiten, darzwischen kommen, so hat man sie vergessen; und merket es nicht mehr, ob sie sich reimen, oder nicht. 6) Ist es erlaubt, zuweilen, eine, oder zwo Zeilen ungereint mit unterlaufen zu lassen; als ob es aus Versehen geschehen wäre. Und 7) muß man den zehn und eilffylbig

ten

ten Versen nach der vierten Sylbe einen Abschnitt machen.
Ein Exempel aus Zieglern mag die Sache klar machen:

Ich frage nichts, nach allen Låsterkaken,
Sie speyen auf mich los,
Und dichten was sie wollen:

Ich werde dennoch groß.
Ihr Geifer kann nicht haften,

Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften,
Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn,
Daß ihnen noch die Augen wässern sollen:
Und das soll bald geschehn!

Derm wenn mich erst die Låsterzungen stechen,
Fang ich erst an, mich recht hervorzubrechen.

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3. §. Man wird wohl ohne mein Erinnern wahrnehmen, daß dergestalt in dieser Art von Liedern eine große Freyheit herrschet: und eben diese Freyheit ist einigen Dichtern so reizend vorgekommen, daß sie sich der madrigalischen Verse auch in viel långern Gedichten, und die gar nicht zum Sine gen bestimmet waren, bedienet haben. So hat im Franzófischen Herr von Fontenelle feine Schäfergedichte, und der Abt Genest seine Philosophie in dieser ungebundenen Art geschrieben. Die Engländer haben sich darein gleichfalls verliebet, und theils große Oden oder Singgedichte in ungleichen madrigalischen Strophen, theils andere kleinere Stücke, in dieser wilden Versart abgefasset. Bey uns hat sich schon im vorigen Jahrhunderte Wagner die Freyheit genommen, sein Ter Tria, aus dem Englischen des Teate so regellos zu verdeutschen; und endlich hat sich auch der sel.. Brockes in dieselbe so sehr verliebet, daß er ganze Bånde voll solcher Gedichte drucken lassen; ja wohl gar Werke der Ausländer, die in richtigen gleichlangen Versen waren, als Thomsons vier Jahreszeiten, und Popens Versuch vom Menschen, in diese Poesie der Faulen, die lang und kurz durch einander laufen läßt, übersehet hat. Wie indessen nicht leicht eine Neuerung ohne Nachfolger bleibt, sie sey so schlecht, als sie wolle: so hat es auch Brocksen nicht daran gefehlet. Ich kann es aber nicht leugnen, daß Er 4

mir

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