000000000000000000000000000000 Das XI. Hauptstück. Von der poetischen Schreibart. N 1. §. achdem wir nun alles Zubehör der poetischen Schreibart insbesondre nach einander erwogen haben: so müssen wir auch sehen, was aus Zusammenfügung alles dessen in der Poesie für ein Ganzes entsteht. Dieses ist die poetische Schreibart, die wir in diesem Hauptstücke abhandeln wollen. Was die Schreibart überhaupt fey, ist nach so vielen andern, auch von mir, in meiner Redekunst schon abgehandelt worden. Ich habe daselbst gewiesen, daß fie der Vortrag vieler zusammenhangenden Gedanken sey, welcher durch solche Säße und Redensarten geschieht, daraus man ihre Verknüpfung deutlich wahrnehmen kann. Diese Erklärung gab mir damals Anlaß zu folgern, daß es in der Schreibart hauptsächlich auf die Art zu denken ankomme; und daß ein Scribent in seinen Schriften, wo nicht seine Gemüthsbeschaffenheit, zum wenigsten doch die Fähigkeit feines Verstandes abschildere. Denn kein Mensch kann besser schreiben, als er vorher gedacht hat. Ein wüster und leerer Kopf kann gar nichts; ein verwirrter nichts ordentli ches; ein schläfriger nichts lebhaftes; ein finstrer Geist nicht deutlich; ein niederträchtiges Gemüth nicht edel; ein nårrischer Phantast nicht vernünftig schreiben. Es ist also eine vergebliche Sache, wenn sich viel junge Leute auf eine schöne Schreibart legen wollen; ehe sie recht denken gelernt haben. Der Kopf muß erst recht in die Falten gerücket, von Unwissenheit, Irrthümern und Vorurtheilen befreyer, mit Wissenschaften, Liebe der Wahrheit und Erkenntniß des Guten erfüllet werden: so wird hernach die Feder schon von sich selbst folgen: Verbaque prævifam rem non invita fequentur. Horat. 2. §. So deutlich dieses einem jeden in die Augen leuchtet; so sehr muß man sich wundern, daß es noch Leute giebt, die es in Zweifel ziehen, und sich bemühen zu behaupten: es Fáme blog auf die Wörter und Ausdrückungen an, wenn etwas hoch, oder sinnreich, oder niedrig klänge. Man sollte es nicht denken, daß auch Scribenten, die eine ziemliche Einsicht blicken lassen, auf folche Einfälle gerathen könnten. Man fage mir doch einen niedrigen Gedanken, mit solchen Worten, daß er hoch, nicht nur scheine, sondern in der That sey; man fage mir auch einen hohen oder scharfsinnigen Gedanken, ohne Zusah-andrer-Einfälle, mit solchen Worten, daß er niedrig herauskomme: so will ich mich gern gefangen geben. Was hatte . E. jenes genuefifchen Dogen Antwort in Paris, auf diese Frage: Was ihm daselbst am merkwürdigsten vorgekommen wäre? hohes in Worten an sich, als er schlechtweg: erwiederte: der Doge! Und wie hätte man ein kürzer Wort ersinnen können, einen so edlen Gedanken niederzuschlagen, als dieser war: daß ein genuesischer Doge, der den König in 1 Frankreich, im Namen feiner Republik um Vergebung bitten muß, die seltsamste Sache sey, die man in Paris sehen könne. Gleichwohl bleibt er unverändert; und man sage dieses, wie man will, so wird es ein edler Gedanke für denjenigen bleis ben, der ihn zuerst gehabt, und zu rechter Zeit gesagt hat. Eben das wollte ich von allen andern Erempeln des Hohen zeigen; wenn es nöthig wäre, Leute zu widerlegen, die nur aus einem Kugel, andern zu widersprechen, etwas Seltnes behaupten wollen. Man sehe indessen in den Anmerkungen zum französischen Longin, und in der gelehrten Dissertation unsers Herrn D. Wollen von Mofis Worten die Streitigkeiten nach, die Boileau über die Hoheit der mofaischen Worte: Es werde Licht, und es ward Licht; mie verschiedenen Gelehrten gehabt hat. 3. S. So viel war von der Schreibart überhaupt allhier zu wiederholen nöthig. Die poetische insbesondere anlan= gend, so ist es leicht daraus zu muthmassen, wie dieselbe von der prosaischen unterschieden seyn werde: nämlich nicht in Wor Worten allein; sondern hauptsächlich in der Art zu denken, Wåre jenes, so könnte man zur Noth aus einem poetischen Lexicon, dergleichen Bergmann, Månnling, Hamann u. a. m. geschrieben; oder im Lateinischen aus einem Gradu ad Parnaffum ein Poet werden. Man dörste nur an statt der prosaischen Redensarten poetische Blümchen darinn aufschlagen, und dieselben zusammen flicken: so würde ein Gedicht daraus werden. Aber weit gefehlt, daß dieses angehen würde; so könnte höchstens nichts anders, als eine poetische Misgeburt daraus entstehen. In einer solchen Schrift würde hernach manches entstehen, was ihr Verfasser niemals gedacht hätte: kurz, es würde gar keine gefeßte Schreibart heraus kommen; weil dieses Geflick kein Ausdruck von dem Verstande seines Meisters heißen, kein Vortrag zusammenHangender Gedanken seyn würde. Siehe des Hofrath Pierschens Dissertation von dem Unterschiede der poetischen und prosaischen Schreibart, darinn er verschiedene Regeln und Erempel, die unverwerflich sind, gegeben hat. 4. S. Will also ein Poet poetisch schreiben, so muß er auch zuvor poetisch denken lernen. Wie denken aber die Poeten, wird man vieleicht fragen? Machen sie es nicht eben fo als andere Leute, die einen gesunden Verstand und ihre fünf Sinne haben? Oder, will man ihnen etwa was Göttliches beymessen? Di Frage kann und muß mit einigem Unterschiede beantwortet werden. Fürs erste denken die guten Poeten freylich eben so, als andere vernünftige Leute. Thaten sie dieses nicht, so würden sie rasend oder närrisch seyn: und Demokritus würde Recht gehabt haben, wenn er zur Poesie nur unsinnige Köpfe erfordert hat, wie Horaz berichtet: Excludit fanos Helicone Poetas Democritus. Nein, ein wahrer Dichter muß ja so wohl, als ein ander Mensch, ja noch mehr, als alle, die sich nicht ins Schreiben mischen, eine gesunde Vernunft, richtige Begriffe von Dine gen, gen, und eine große Kenntniß von Künsten und Wissenschaf= ten haben. Nach dieser seiner Gemüthsbeschaffenheit nun müssen auch alle seine Gedichte schmecken. Jede Zeile muß, so zu reben, zeugen, daß sie einen vernünftigen Vater habe. Kein Wort, ja wenn es auch der Reim wäre, muß einen übeln Verdacht von dem Verstande, dessen erwecken, der es geschrieben hat. Daher ist auch derjenigen ihre Meynung verwerflich, die den Wein zu ihrer Hippokrene erwählen, und sich einbilden, sie könnten im Rausche die besten Gedichte machen. Flemming war ganz andrer Meynung, als er schrieb: Die trefflichen Poeten, Die Rächer der Natur, die können Tod, dich tödten; Nicht solche, welche stets mit, Rennen, Betteln, Laufen, Die finds nicht, die man sucht. Was können doch die Sinnen, Und ganz und gar verschwendt? Was Todte soll erwecken, Muß selber lebend seyn, nach Seel und Himmel schmecken. Das will auch Boileau, wenn er schreibt: Quelque Sujet qu'on traite, ou plaifant, ou fublime, Aimez donc la Raifon! Que toujours vos Ecrits 5. S. Ich will noch ein deutsches Zeugniß aus unserm Rachel anführen, der ausdrücklich in diesem Puncte die Vertheidigung der Poeten in einer Satire über sich genommen hat. Er flaget erstlich dem Tscherning seine Neth, daß man die Poesie, die doch unter funfzigen kaum fünfen glücket, ihm zum Vorwurfe gemacht habe. Hierauf seht er hinzu: Daß aber man so gar das Gute darf beschmeißen, Daß ein Poet ein Narr, ein Narr Poet muß heißen, Er giebt darauf zwar zu, daß die Poeten allezeit aufgeräumte Köpfe gewesen, und zuweilen einen lustigen Einfall nach dem andern vorgebracht hätten: doch unterscheidet er fie von den unflåtigen Possenreißern, die auch nur von dem Pöbel, der gar nicht zu urtheilen weis, und von denen, die ihm, auch wohl bey Höfen, an Sitten und Gedanken gleich find, unter die Poeten gemischet worden. Alsdann seht er hinzu, was er von einem Dichter fordert: Wer ein Poet will seyn, der sey ein solcher Mann, |