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Dritter Abschnitt.

Die Grundlagen der mosaischen Religion.

I. Charakter der mosaischen Religion im Allgemeinen.

78. Um einem sinnlich anziehenden und politisch mächtigen Heidenthum gewachsen zu sein, musste der Monotheismus der Patriachenzeit sich bestimmter ausprägen. Die Entwicklung war theils eine positive, theils eine polemische. Die Glaubensund Sittenlehre wurde bereichert und bestimmte Grundsätze der Abwehr aufgestellt. In gleichgültigen Dingen fand eine Anbequemung statt. Diese erstreckte sich in Einem Falle sogar auf etwas sehr Wichtiges, nämlich die Ehescheidung. Christus sagt: Moyses ad duritiam cordis vestri permisit vobis dimittere uxores vestras, ab initio autem non fuit sic. Matth. 19, 8. In der Patriarchenzeit tritt ferner der religiöse Zustand einzelner bevorzugter Menschen in der Bibel in den Vordergrund, im mosaischen Gesetz wird ein Zustand berücksichtigt, welcher sich auf ein ganzes Volk ausdehnen konnte. So kommt es, dass das patriarchalische Urtheil über den Eifer Levi's den Grundsätzen vollendeter Religiosität mehr conform ist, als das Urtheil Mosis. Jakob verwirft den Eifer Levi's, welcher zum Schwerte griff. (Genes. 49, 7. Maledictus furor eorum.) Moses lobt denselben Eifer. (Deuteron. 33, 9 ff.) Vor allem wurde die Grenze zwischen dem Bekenntniss der Israeliten und der Religion der Heiden aufs Schärfste markirt. Was immer mit

dem heidnischen Culte zusammenhing, wurde von den Verkündern und Vertheidigern der Religion, namentlich den Propheten, als Gegenstand der Verachtung behandelt. Im prophetischen Sprachgebrauch und in den Psalmen ist,,Scheusal, Gräuel, Nichtiges" der gewöhnliche Ausdruck für die Gottheiten der Phönizier und Aegyptier und ihre Bilder. Das mosaische Gesetz weihte nicht nur alle Gegenstände des fremden Cultus der Vernichtung (Deuteron. VII. 25 f.), sondern legte den Israeliten sogar die Pflicht auf, die canaanitischen Bekenner des Heidenthums auszurotten. (Exod. 23, 23-33 u. ö.)

Das ist im Allgemeinen der Charakter der mosaischen Glaubenslehre und Gesetzgebung. Sie ist auf eine schriftliche Urkunde gegründet, diese selbst beruht aber auf der Sicherheit der mündlichen Tradition, wie denn von Anfang an eine lebendige Autorität in Moses und nach ihm in verschiedenen Vertretern das Gesetz zu deuten und zu erweitern hatte. Wir müssen vor allem über die Art, wie diese Autorität für Erhaltung und Deutung der Lehre sorgte, ins Klare kommen.

II. Aufbewahrung und Fortbildung der Lehre.

79. Während bis auf Moses die Lehre von Gott und der Bestimmung und Aufgabe des Menschen sich an die patriarchalische Familie anschloss, - der wahre Gott heisst Gott Abrahams, Isaak und Jakobs, musste jetzt, da aus der Familie ein Volk geworden war, da auch die Offenbarung an Ausdehnung viel gewonnen hatte, für eine gehörig verbürgte Uebergabe des heiligen Depositums gesorgt werden. Früher war, so scheint es, der Erstgeborne der natürliche Zeuge und Depositär der heiligen Kunde, jedenfalls waren diess langlebende Familienhäupter. (Deut. 32, 7. Job. 8, 8 f.) Unter Moses trat der Stamm Levi in die Pflicht und das Recht ein, ein lebendiges Gefäss der sinaitischen Offenbarung zu werden; ihm wurde ganz vorzüglich das Gesetz eingehändigt (Deuter. 31, 9.), aus den Händen der Priester sollte der jeweilige König eine authentische

Urkunde davon empfangen. (Deuter. 17, 18.) Doch waren die Familienhäupter nicht aus ihrem ursprünglichen Rechte verdrängt. Schon unter Moses constituirten 70 Aelteste mit dem Hohenpriester die vom Geiste des Herrn geleitete Kirche Israels 65) (ein vollständiges Synedrium); daher werden (Deuter. 31, 9.) die Aeltesten Israels ausdrücklich als Bewahrer der heiligen Gesetzesurkunde nach den Leviten genannt. Diese Kirche (im Pentateuch adath Iisrael, συναγωγὴ τοῦ Ἰσραήλ genannt) bestand noch unter Josue (9, 15. 18. 22, 30.) und den Richtern (21, 15.); wenn gleich unter diesen in späterer Zeit die Volkesältesten vielleicht nicht so regelmässig sich zu einer Einheit zusammenfanden. In solcher Zeit blieb dann die Sorge für treue Ueberlieferung des Gesetzes ganz bei den Priestern.66) Als die Richter den Königen weichen mussten und diese die Gewalt sämmtlicher Aeltesten in Einer Person vereinigten, wurde eine neue Veranstaltung der göttlichen Oekonomie nothwendig. So lange ausser den Priestern siebenzig angesehene Männer aus den verschiedenen Gegenden Palästina's über die Reinerhaltung des ursprünglichen Gesetzes, besonders in Beziehung auf praktische Anwendung, wachten, war die Möglichkeit einer Verkehrung weit geringer, als seitdem Könige so grossen Einfluss auf die Rechtspraxis erhielten, welche ja für künftige Entscheidungen präjudiciren musste. Daher fügte es Gott, dass

65) S. Num. 11, 24 f., wo vom Geiste des Moses genommen und diesen Siebenzig mitgetheilt wird.

66) Die Rabbinen nehmen unbedenklich an, dass ein dem spätern Synedrium ähnliches Collegium unter den Königen bestanden habe. Wir sehen das unter anderem aus der Erzählung von Davids Tod. Er starb an einem Sabbath im Garten. Es fragte sich, ob man ihn (vgl. Mischnah, Sabbath c. 23, 5.) von der Stelle bringen dürfe. Salomoh sandte an das Synedrium, um hierüber ein Gutachten einzuholen. Dieses lautete dahin, man dürfe vor Sabbathschluss die Leiche nicht von der Stelle bringen. Sabbath f. 30. b., daraus En Jacob, Sabbath nr. 26. mihi f. 3. a. Jad Chasakah, Sabbath, C. 26. nr. 21. ed. Amst. f. 189. b. Orach chajim nr. 311.

neben den Königen ununterbrochen eine Reihe von unmittelbaren Gottgesandten herlief. Ein Prophet führt den ersten König ein und unterstützt ihn mit Rath und That, tritt aber auch gegen ihn als Zeuge des göttlichen Gesetzes auf. Und so geschieht's bei den folgenden Königen bis auf die Zerstörung Jerusalems. Als das Volk in die Gefangenschaft gerieth, waren sie mit dem Priestergeschlecht die Stammhalter der fortdauernden Ueberlieferung. Das Priesterthum erhielt in Esra den Beruf, die ganze geistige Uebergabe wieder zu reproduciren. Das Prophetenthum stand ihm tröstend, rathend und helfend zur Seite (Haggai, Zacharias, Malachias); unter der Mitwirkung desselben sammelte sich um ihn, wie um einen zweiten Moses, ein ähnliches Collegium, wie das unter Moses gebildete war.

80. Dieses Collegium ist die sogenannte grosse Synagoge (K'neseth haggedolah), welche unter der persischen Oberherrschaft (480-332 v. Chr.) und zum Theil noch unter dem Einflusse der Ptolemäer und Seleuciden ausser der Gerichtspflege sich besonders die doktrinelle Festhaltung und die gewissenhafte Fortpflanzung der positiven Religion vom Sinai angelegen sein liess. Simon der Gerechte (um 320) war eines der bedeutendsten Mitglieder dieses Collegiums nach der Zeit der Propheten. 67)

67) Einstimmig mit dieser Auseinandersetzung sagt die Mischnah (Pirke Aboth, Seder IV. ed. Surenh. S. 409): Moses erhielt (Kibbel, daher Kabbala παραδοχή gegenüberstehend der παράδοσις, traditio) die Offenbarung (thorah) vom Sinai und übergab sie dem Josue, Josue aber den Aeltesten, die Aeltesten den Propheten, die Propheten den Männern der grossen Synagoge. Ausser der Mischnah in Pirke Aboth C. I sprechen folgende Stellen von der grossen Synagoge": Talmud Jer. Megillah f. 74. col. 3. Quando surrexerunt viri synagogae magnae

.d. h אֶת הַגְדוּלָה) illi restituerunt magnificentiam (אנשי כנסת הגדולה)

das erhabene Gesetz) in pristinum statum (5). Joma f. 69. b. Quare vocatur nomen eorum: „Viri synagogae magnae?" Eo, quod restituerunt coronam ( d. i. das Gesetz, Pentateuch) in pristinum statum vel splendorem. Baba bathra f. 15. a. Viri synagogae magnae descripserunt librum Ezechielis, duodecim prophetarum minorum, Danielis

Die auf die eben gezeigte Art repräsentirte Synagoge hatte nicht bloss das Geschäft, die schriftliche Offenbarung, wie sie Moses niedergelegt, zu bewahren, sondern musste auch die dem geschriebenen Worte zur Seite gehende Ergänzung durch traditionelles Bewusstsein der ursprünglichen Cultusformen, sowie das nothwendig beigegebene mündliche Gesetz fortleiten und zeitgemässe Verfügungen treffen.

Ohne traditionelles Bewusstsein würde die geschriebene Offenbarung vielfacher Willkühr im Deuten ausgesetzt gewesen sein, obwohl sie wiederum der reicheren mündlichen Lehre bestimmte Anhaltspunkte darbot (ein Kanon war). Ohne mündliche, autorisirte Erklärung hätte das schriftliche Gesetz seine Bestimmung nicht erreichen können, indem es vielfach ganz dunkel ist.

81. I. So z. B. wird Levit. 21, 10.") geboten:,,Den sie

et Esther. Vgl. andere spätere Zeugnisse bei Buxtorf, Commentar. Masorethicus. p. 96 ff., wo unter anderem aus Abraham Ben David die Meinung angeführt wird, dass die Propheten Aggäus, Zacharias und Malachias der grossen Synagoge das Depositum fidei, das Gesetz, übergeben hätten, und dass Sorobabel, Jesus, Nehemias, Seraja, Reelja, Mardochäus, Bilschan, Mispar, Bigvai, Rechum und Baana die Häupter der grossen Synagoge waren (a). Nach Megillah bab. f. 17. b. hätte die „grosse Synagoge" 120 Mitglieder gezählt. Nach Jost (Geschichte des Judenthums. I. Abth. 1857. S. 42) wären vor allem die 85 Unterzeichner der bei Nehemias genannten Urkunde hieher zu rechnen. Er bemerkt, in Jer. Megillah 70. d. wird berichtet, 85 sekenim (worunter noch über 30 Propheten) hätten über die Einführung des Purimfestes lange Bedenken getragen. Offenbar sind dies die 85 des Nehemias.“ Ewald (Geschichte des Volkes Israel. II. Ausg. IV. Bd. S. 190) ist geneigt, ein Synedrium von 71 Mitgliedern anzunehmen. J. Derenbourg bespricht in dem eben erschienenen Essai sur l'histoire et la géographie de la Palestine. T. I. S. 29 ff. die grosse Synagoge". Grünebaum (die Sittenlehre des Judenthums. Mannheim 1867. S. 73) will die Wirksamkeit der grossen Synagoge auf etwa 210 Jahre ausdehnen, d. h. von Esra bis zur Entstehung des Pharisäismus.

a) Vgl. Peter Beer, Geschichte, Lehren und Meinungen der Judensekten. Th. I. S. 207 ff.

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