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Im 5. Bande der Hempelschen Ausgabe von Goethes Werken S. 269-275 theilte Herr von Loeper zum ersten Male ein prosaisches Fragment 'Der Hausball. Eine deutsche Nationalgeschichte' mit, welche im 6. und 9. Stücke des von der Herzogin Anna Amalia unter Mitarbeitung der meisten Mitglieder des Weimarer Musenhofes herausgegebenen handschriftlichen "Tiefurter Journals' im October 1781 er

schienen war. Burkhardts Nachforschungen war es auch gelungen, das Concept dazu aufzufinden, aus welchem ersichtlich ist, dass Goethe diese Arbeit seinem Schreiber in die Feder dictirte, schliesslich sie eigenhändig durchcorrigirte und nicht allein mit wesentlichen Aenderungen versah, sondern auch Bemerkungen für die Abschreiber des Journals einfliessen liess'. (Grenzboten 1871 No. 34 S. 287 f.) Wurde so das Bruchstück mit Recht in Goethes Werke aufgenommen, so erkannte der Herausgeber zugleich mit voller Sicherheit, dass Goethe 'nur als Nacherzähler, nicht als Erfinder der Geschichte gelten könne. 'Diese hat ein so ächt Wienerisches Gepräge, dass Goethe's Angabe in den einleitenden Worten, sie sei ihm aus Wien zugekommen, nicht als blosse Einkleidung anzusehen ist. Er, der nie Wien gesehen, damals auch noch nicht den Kaiserstaat betreten hatte, kann die

so charakteristischen Details der Erzählung nur aus einer österreichischen Quelle geschöpft haben.' (Loeper S. 270). Diese Vermutung wird jetzt durch das vorliegende Schriftchen: 'Der Hausball. Eine Erzählung von V***. Wien 1781' (86 S. 12°) bestätigt, mit welcher wir Goethes Umarbeitung vergleichen können.

Die Einleitung, die nur die Überschrift der Vorlage beibehält, gehört, wie ebenfalls Herr von Loeper schon bemerkte, Goethen allein an, sie ist ein schönes Denkmal von Goethes Verehrung für Joseph II., Goethes Hymnus auf den Regierungsantritt des Kaisers, in der glänzenden Prosa wertvoller als manches. Gedicht auf den vielbesungenen Monarchen; sie darf auch in diesem Zusammenhange nicht fehlen:

'Die neusten literarischen Nachrichten aus der Hauptstadt unseres Vaterlandes versichern alle einmüthiglich, dass daselbst die Morgenröthe des schönsten Tages einzubrechen anfange, und ob wir gleich uns ziemlich entfernt von jenen Gegenden befinden, so sind wir doch auch geneigt, ebendasselbe zu glauben. Denn gewiss, es kann eine Schaar von wilden Sonnenverehrern nicht mit einer grösseren Inbrunst, mit einem gewaltsameren Jauchzen und durch alle Glieder laufenden Entzücken die Ankunft der Himmelskönigin begrüssen, als unsre Wiener, freilich auf eine gleichfalls rohe Art, die ersten Strahlen einer gesegneten Regierung Joseph des II. verehren. Wir wünschen ihm und ihnen den schönsten Tag; die gegenwärtigen Augenblicke aber gleichen jenen Stunden des Morgens, wo aus allen Tiefen und von allen Bächen aufsteigende Nebel die nächste Ankunft der Sonne verkündigen. Unter vielen unlesbaren fliegenden Schriftchen haben wir eine, gleichfalls unlesbare, vorgefunden,

deren Inhalt dennoch lustig und unterhaltend genug scheint, um unsern Lesern im Auszuge mitgetheilt zu werden'.

Was Goethe auf den wenigen Blättern bietet, ist in der That ein stark verkürzter Auszug aus den ersten 28 Seiten des Originals, dessen weitschweifige, mehr als behagliche Breite einer frischeren Darstellungsweise gewichen ist. Die lang ausgesponnenen Dialoge und Monologe fallen weg, oder werden nur dem Inhalte nach mitgetheilt; ganze Scenen fasst Goethe in ein paar Sätze zusammen, einmal direct mit der Motivirung: 'Da wir vermuthen können, dass alle unsre Leser sich einen solchen Vorfall vergegenwärtigen können.... so begeben wir uns des rühmlichen Vortheils der Darstellung', wodurch das Gespräch zwischen dem Ballgeber und dem Profosen S. 9 f. wegfällt. Darum bleiben uns auch die Verhaltungsmassregeln S. 5 f. in extenso erspart. Die genaueren Detailangaben, wie lang und breit die Wohnung sei S. 4, wie viel die Uhr wert sei S. 7, bleiben weg. Der parodistische Ton, den das Original mit Vorliebe anschlägt, ist meist aufgegeben; es fehlt der Vergleich mit König Lear S. 9, mit Cicero S. 26, mit Job S. 28, das lateinische Citat S. 20, der parodistische Selbstmordversuch S. 12. Heisst es S. 18: 'Die Effecten aber, die ihr im fallen entsunken, verwahrten indessen einige christliche Personen', so sagt Goethe blos: 'Sie waren der Unglücklichen im Schreck aus den Händen gefallen und nicht mehr zu finden'; S. 7 macht der Schuldner dem Wucherer ein Präsent 'vorläufig das Herz seines Gläubigers zur Nächstenliebe zu bewegen', bei Goethe nur: 'welches er ihm vorher abgereicht hatte'; S. 27 'er bestellte sich einen Klosterwein' lässt er den Zu

satz: 'weil er wohl wusste, dass man in Klöstern kein schlechtes Getränk liebt' weg. 'Der vazirende krumme Hofkoch, der wegen zu stark versalzener Suppe einst vom Hofe weggejagt worden' ist bei Goethe nur ein 'alter abgedankter Hofkoch' S. 27; der reiche fein nach allen Grundsätzen voll Theorie und Praktik im Wucher und Geldausleihen erfahrne vierschrötige Schleicher S. 7 nur 'ein ausgelernter Wucherer.' Statt der 11 Kinder des Doctors S. 25 erscheinen bei Goethe nur 7. Einiges, was auf spezifisch wienerische Verhältnisse zurückgeht, ist geändert, aus der 'Hausmeisterin' S. 17 ist die 'Magd', aus der 'Versetzerin' ein 'diensthilflicher Mann', aus dem 'Profosen' S. 8 f. der 'Gerichtsdiener' geworden. Der 'Doctor' ist bei Goethe ein 'Prokurator'. Des Erzählers eigene Wortbildungen, wie 'allwollenswissend' S. 18 oder 'gravitätstragischmässig' S. 21 mussten Goethes Sprachgefühl verletzen; das einförmige 'unser Domine' ersetzt er durch unser Patron', Ballmeister, Meister etc. Dialectische Ausdrücke sind beseitigt, wie 'Leggeld' S. 5; statt 'spinspeckicht'*) S. 7 schreibt Goethe einfach 'pinschbecken'. Einen Hör- oder Schreibfehler möchte ich vermuthen, wenn es bei Hempel S. 273 heisst 'zwei lustige junge Bürschchen' wo im Original steht 14 f. 'zwei lüftige Bürschchen'.

Goethes lebhafte realistische Darstellungsweise, welche v. Loeper in dem Fragmente zu erkennen meinte, verrathen kleine Zusätze des Bearbeiters,

*) Zu spinspeckicht, das für spintspeckicht steht, kann ich nur auf Schmeller III, 572 und Lexer II, 1098 verweisen. Zu S. 12 Z. 8 'Birkelgesänge' vgl. Deutsches Wörterbuch II, 39; zu S. 17 Z. 24 'Bierleutgeberin' Schmeller II, 521.

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