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bringt Rousseau des Praktischen, Tüchtigen und seither zur Anwendung Gefommenen unendlich viel vor. Wie trefflich empfiehlt er, daß sich „der Erzieher nicht auf seinen eignen Standpunkt, sondern auf den des Kindes zu sehen hat," während man gewöhnlich den Mann in dem Kinde sucht, ohne an Das zu denken, Was es ist, ehe es Mann wird. Wie richtig findet er, troß seines Vorurtheils gegen die Frauen, „daß die verständige und interessante Unterhaltung einer verdienstvollen Frau geeigneter ist, einen jungen Menschen zu bilden als die ganze pedantische Philosophie der Bücher." Die Erziehung endlich soll sich im Allgemeinen möglichst negativ verhalten, statt in allen Stücken den agirenden Polizisten zu spielen, und das Schädliche abwenden, das Gute sich ungestört entfalten lassen," weil es eine elende Vorsicht ist, ein Wesen wirklich unglücklich zu machen auf die wohl oder übel begründete Hoffnung hin, es später einmal glücklich zu sehn.“

Der Glanzpunkt des Buchs aber ist das schon erwähnte, theistisch christliche Glaubensbekenntniß des savoyardischen Pfarrers, welches von der katholischen Orthodoxie ebensoweit absteht wie von dem Deismus Voltaire's und dem Materialismus der Encyklopädisten, und von beiden Seiten ein Geschrei gegen Keßerei und

Verrath hervorrufen mußte. Dasselbe ist um so wichtiger, als sich die ganze, mehr mystisch spiritualistische als katholisch christliche Religiosität der Chateaubriand, Lamartine, Lammenna is und einiger Romantiker aus seinen und verwandten Ideen berleitet.

Rousseau ist ein Mann, der vergeblich unlösliche Gegensäge zu lösen versuchte, indem er zu gleicher Zeit mit der einen Hand niederreißen, mit der andern aufbauen wollte. So konnte der Verkünder der glaubenvollsten Ideen mit dem Staat und der Theokratie, und der Erziehungsreformator, welcher Nichts von Geburtsrecht und Autorität der Priester wissen will und nur Prüfung Alles Dessen, was uns von Jugend auf gelehrt wird, durch das Gewissen und die Vernunft" verlangt, mit der kühnsten Fortschrittsparthei, die je existirte, in die erbittertsten Konflikte kommen. Rousseau's schiefe Stellung in seiner Mitwelt begründet sich darauf, daß er, ein Feind der Geist lichkeit, fein Freund der Voltairiauer sein konnte. Denn seine Zeit war noch nicht reif für seine konstruktiven Ideen, sondern nur für die Zerstörung des Bestehenden, reif für Nichts als die Erfüllung der berühmten, donnernden Prophezeihung, die er ihr mit den Worten zuruft:

Ihr vertraut auf die gegenwärtige Ordnung der Gesellschaft, ohne zu bedenken, daß diese Ordnung unvermeidlichen Revolutionen unterworfen und es Euch unmöglich ist, diejenige vorherzusehen oder zu hindern, welche Eure Kinder treffen wird. Die Großen werden klein, die Reichen arm, die Monarchen Unterthanen. Sind die Schläge des Schicksals so selten, daß Ihr hoffen könnt, davon befreit zu sein? Wir nahen uns dem Zustand der Entscheidung und dem Zeitalter der Umwälzungen. Wer steht Euch für das was Ihr dann werdet? Alles was die Menschen gemacht haben, das können sie auch wieder zerstören!"

Die englische Schule und die Naturalisten.

Ludwig XV. 1715-1774.
Ludwig XVI. 1774-1793.

Die so deutlich prophezeihte Umwälzung kommt denn auch, während der Wirksamkeit ihrer beiden Hauptfaktoren, Voltaire und Rousseau, eilig und kaum ein Jahr nach dem Tode Beider heran und stürzt, neben Staat und Kirche, den stolzen Bau der klassisch französischen Dichtung unerbittlich) und unwiderruflich zu Boden, ohne zunächst etwas Anderes an seiner Stelle zu errichten. Wird dadurch mit der Revolution und unter dem Kaiserreich) die poetische Produktion dürftig und schwach werden, so fündigt sich dieser bevorstehende Verfall schon während der einleitenden Krisen durch die Seltenheit hervorragender Erscheinungen auf dem französischen Parnaß an. Wie schon Rousseau mehr Publicist

als Dichter, und Voltaire als Dichter immer Publicist ist, so wenden sich von ihren Zeitgenossen alle bedeutenderen Geister weniger dem poetischen als dem Gebiete zu, auf welchem die, von England aus angeregten, zunächst nur geistigen Kämpfe auszufechten waren, der schönen und wissenschaftlichen Prosa. Diese Lettere wird demnach von den Montesquieu und Buffon an bis zu den Diderot, d'Alembert und Condillac, eine Reihe glänzender Namen aufzuweisen haben, während auch die geringer vertretene Dichtung den anglomanischen und radikalen Tendenzen des Zeitalters folgt. Voltaire's Ruf nach Aufklärung in der Religion und nach geregelten Rechtsformen im Staat wird aus den Lustspielen eines Beaumarchais und Diderot und aus der Straßenmelodie des erwachenden Volksliedes, Rousseau's Schrei nach Rückkehr zur Natur aus den Romanen von Prevost und Saint Pierre, und aus den Satiren des unglücklichen Gilbert widerhallen. Originelle, gallische Talente zweiten Rangs, wie Gresset und Lesage, werden ohne tiefen Einfluß vorübergehn, und den zum höchsten berufenen Geist eines André Chénier, welcher unter allen anderen Verhältnissen Epoche machen mußte, wird das Schicksal in der Blüthe knicken und die Veröffentlichung seiner Werke

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