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dieses Griechenvolk unter demselben Himmel zu dem erbärmlichsten Schemen seiner selbst verschrumpft? Warum beugten diese Römer in demselben Rom ihren Nacken den Füßen der schändlichsten, schwächlichsten Imperatoren, und verflogen wie Spreu mit all' ihrer Kriegskunst vor den regellosen Haufen der germanischen Horden? Warum' löste sich der slavische Vorkämpfer, der Wien, d. i. Europa vor den Türken gerettet, dieses Polen in Splitter auf? Die Antwort ist: weil die sittliche Kraft allein den Bestand der Nationen regelt und bewirkt. Dieser Sat, den auszusprechen in unserer Zeit ein gewisser Heroismus gehört, weil er als großväterisch verhöhnt wird, klingt seinen Verhöhnern höhnisch aus ältester und neuester Zeit entgegen. Es hat noch kein Volk, dem die sittliche Kraft ausgegangen, einen Höhepunkt in der Menschheit erreicht, und noch hat kein Volk in seiner sittlichen Blüthe unterlegen. Hat ein Volk seine sittliche Würde und Kraft verloren, so helfen auch keine Revolutionen, keine künstlichen Spannungen und galvanischen Reize - der Ausgang dieser wird die Herrschaft des energischesten oder des pfiffigsten Abenteurers sein, weil die sittliche Entnervung des Volkes nichts Anderes erträgt und zuläßt. Dies ist der Schlüssel zu allen großen Erscheinungen der Weltgeschichte in Babel und Susa, wie in Memphis und Jerusalem, in Athen und Rom, wie in Warschau und Paris. Es existirt keine einzige Ausnahme davon.

Sehen wir aber, wie es Ziel und Zweck der großen Individualitäten in den Geschlechtern, Racen und Völkern ist, ihre Besonderheit zur höchsten Entfaltung zu bringen, so kann dies nur um desto sicherer von allen Individuen ausgesagt werden, da in diesen das nie rastende Ich von selbst darauf dringt, da dieser persönliche Wille, diese nie zu erbrückende Schaffkraft, so wie ihr Gegensatz die immerfortige Bildsamkeit innerhalb gegebener Verhältnisse es gebieterisch fordern. Um so irriger und verwerflicher waren jene nunmehr begrabenen Versuche in kommunistischen und sozialistischen Gesellschaften das Individuum auszurotten, wie im Gegensah nicht minder zu aller Zeit dem absoluten Despotismus der Mensch widerstand, wenn er zu Millionen gleichförmiger Nullen hinter der Eins des Despoten werden sollte.

Aber indem es das unaufhörliche Streben des menschlichen Geschlechts ist, sich in zahllosen größeren und fleineren Individuali

täten zur besondern Entfaltung zu bringen; wird die gesammte Menschheit von der Idee beherrscht und getrieben, eine immer größere und innigere und vollständigere Einheit zu bilden. Wilhelm von Humboldt sagt: „Wenn wir eine Idee be* zeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher mißverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechts beweist, so ist es die Idee der Menschlichkeit! das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes, der freien Entwickelung innerlicher Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln." Es ist dies wahr, aber noch einseitig, wir müssen es vollständiger fassen. Ich erinnere von der einen Seite an die äußerlich und innerlich seit ältester Zeit immerfort wachsende Verbindung unter allen, Gliedern der Mensch. heit, in allen Gegenden der Erde, und die in der neuesten Zeit durch Dampfkraft, Telegraphie und Schnellpresse eine so große Entwickelung erreicht hat; ich erinnere, wie durch die wachsende Verbindung, Verästelung und Verwickelung der Verhältnisse, namentlich durch das Ineinanderleben der Industrie- und Geldverhältnisse immer mehr ein Organismus aus der Menschheit wird, in welchem alle Theile berührt werden durch den Schlag, der ein Glied trifft; ich hebe besonders hervor, wie, abseitens aller individuellen und nationalen Tendenzen und Strebungen, die Menschheit sich seit ältester Zeit einen immerfort wachsenden allgemeinen Schat an Kunst und Wissenschaft, an allgemeiner Ueberzeugung und Bewußtsein, an Rechts- und Sittlichkeitsbegriffen angelegt hat, einen Schat, der immerfort durch alle Nationen und Individuen wächst, und doch der Allgemeinheit, also der Einheit der Menschheit angehört; denn weder die Mathematik, noch die Malerei gehört dem Individuum oder der Nation, durch wen sie auch am Meisten oder am Wenigsten gefördert werde; die großen Ideen des Glaubens und des Rechts, wie sehr sie auch noch im Kampfe liegen, sind längst allgemein worden; und selbst was die nationale Literatur hervor bringt, wird durch Sprachkunde und Uebertragung schnell allgemeines Gut, sobald es dessen werth ist. Immerhin mögen einzelne Länder

sich vor dieser Einheit absperren, indem sie es thun, erkennen sie diese und ihre Macht an, und über kurz oder lang zerfällt die chinesische Mauer, und die Hand, die sie gebaut, diese selbige muß sie abtragen.

Und so steht als das höchste Ziel des Menschengeschlechts vor uns: jedem Individuum die möglichste Entfaltung seiner Individua lität zu gewähren und zu fördern, und aus der Gesammtheit der Individuen eine immer innigere und vollständigere Einheit zu entwickeln.

Dies ist der Geist in der Menschheit. Während als Stoff die Individuen, Völker, Racen, Geschlechter faktisch in ihren Verschiedenheiten getrennt, in ihren Aehnlichkeiten vereinigt sich darstellen; treibt der Geist, diese Verschiedenheiten zu einer bestimmten, höhern Entfaltung zu bringen, diese Aehnlichkeiten aber in eine immer höhere Einheit aufgehen zu machen; treibt der Geist, das gesammte individuelle Leben zu einem allgemeinen zu vereinen; treibt der Geist jedes Individuum, sich möglichst individuell zu entwickeln, aber zugleich am Allgemeinen mitzuleben, diesem zu dienen und seinen Theil abzugeben. Dies ist die Idee, die die 1000 Millionen Menschen von Geschlecht zu Geschlecht, jedes seine 30 Jahre, treibt, leitet, beherrscht; alle Resultate des Menschen, große und kleine, beweisen dies; die ganze Geschichte ist nur ihr Wiederhall; und das Dasein dieser Idee erweiset das Dasein des Geistes in der Menschheit. So lange wir uns die 1000 Millionen Menschen als Stoff des Menschendaseins denken, lebt jeder derselben sein Leben für sich, wie es körperlich und geistig einmal ist; sobald wir aber erkennen, daß sie mehr thun, daß sie alle sich entwickeln, um eine höhere Einheit zu bilden, daß sie auf tausend Wegen zu diesem Ziele hinarbeiten, daß sie geboren werden, leben und sterben an diesem Streben: so haben wir das Dasein eines allgemeinen Geistes in dieser Menschenmasse erkannt.

Zweiter Abschnitt.

Zur vergleichenden Religionswissenschaft.

X.

Der Unitarismus.

Der Unitarismus hat in Nordamerika, in England und ganz besonders in Belgien einen großen Boden gewonnen, und ist in Frankreich zum Tagesgespräch geworden. Während er auf der einen Seite sich allen Einwendungen gegenüber für eine christliche Lehre ausgiebt, sucht er auf der anderen sich dem Judenthume zu nähern, und giebt zu verstehen, daß er mit diesem identisch sei. In der That haben in England wie in Nordamerika sich manche unfrer Glaubensgenossen dem Unitarismus angeschlossen. Er ist allerdings nichts Neues; nur eine Modification einer alten Erscheinung. In den ersten Jahrhunderten des Christenthums schon entstanden Sekten mit ähnlichen Lehrmeinungen, Sekten, welche eine Zeit lang sogar die Oberhand in der Christenheit zu erlangen schienen, welche in Rom und Byzanz in blutigen Kämpfen um die Macht rangen, und nur durch die gewaltigsten und gewaltthätigsten Anstrengungen der katholischen Kirche erdrückt wurden.

Der Unitarismus hat zwei Hauptlehren: 1) die unbedingte Einigkeit des göttlichen Wesens, 2) die Sendung Jesu als Messias, wie er durch die Propheten des alten Bundes verkündet worden sei, als Erlöser, der den Weg des Lebens und der Wahrheit lehre. Es bedarf keines großen Scharfsinnes, um zu erkennen, daß der Unitarismus auf diese Weise kein Christenthum ist; denn mit der Läugnung der Göttlichkeit Jesu, mit der Läugnung, daß derselbe durch seinen Tod die unmittelbare Erlösung von der Sünde für die, welche an ihn glauben, bewirkt habe, mit der Läugnung der Rechtfertigung im Glauben ist die ganze Glaubenslehre, die ganze Glaubensanschauung des Christenthums abgeläugnet. Man spricht

zwar von einem Urchristenthum, welches diese Dogmen noch nicht gehabt haben soll, aber wo ist dies zu finden? wo hat dies bestanden? Man kann zwar, wie wir es in unsren Vorlesungen versucht, nachweisen, wo und wie das Christenthum aus dem Judenthume mündete, aber sobald es als jenes erscheint, steht es auf der oben, gezeichneten Basis. Es bedarf ebenso keines großen Scharffinns, um zu erkennen, daß der Unitarismus mit jenen Lehren fein Judenthum sei. Denn dieses giebt nicht zu, und kann nicht zugeben, daß der von den Propheten verkündete Messias gekommen sei; denn, werden jene Weissagungen wörtlich genommen, so fehlen der Erscheinung Jesu alle diejenigen Zeichen und Ergebnisse, welche die Propheten dem Messias zusprechen: Zion ist durch ihn nicht verherrlicht, Israel nicht wieder hergestellt worden, sondern kurz nach ihm trat gerade die Zerstörung und Zerstreuung ein; oder versteht man jene Weissagungen spiritualistisch als Verkündigung einer messianischen Zeit, wo das Lamm neben dem Wolfe lagert, und die Völker ihre Schwerter zu Sicheln, ihre Lanzen zu Winzermessern schmieden (Jesaias), wo Friede, Gerechtigkeit und Erkenntniß auf der ganzen Erde wohnen, und die ganze Menschheit den EinzigEinen Gott bekennt, so lehrt die Geschichte das gerade Gegentheil, denn mit dem Verfall des römischen Reiches wurde der Kampf der Völker und Staaten ein größerer, blutigerer und ununterbrochenerer, als er früher jemals gewesen. Vergebens sagt man, daß das Erstere, der traurige Fall Judas, die Folge seines Unglaubens an den gekommenen Messias gewesen sei; denn die Weissagungen der Propheteu sehen einen solchen Unglauben nicht voraus, und lassen noch weniger einen Untergang der Nation zu. Ja, das Zudenthum giebt nicht einmal zu, daß der prophetische Geist, der mit Maleachi erloschen, noch einmal über einen Sterblichen gekommen, und daß dem Worte Mose's und der Propheten noch ein neues" hinzugefügt werden fönne; es räumt Beides weder dem Christenthume, noch dem Islam, noch der großen neuen Religionserhebung in China, noch irgend einer kleinen Sekte ein; wie seine Lehre eine einfache, bestimmte, abgeschlossene ist, will es nach dem Worte Mose's weder etwas hinzugefügt noch davon genommen wissen. - Es bedarf eben so wenig des Scharfsinns, um einzusehen, daß der Unitarismus auch kein Deismus ist; denn allerdings nimmt er die positive Religion, die Offenbarung zu seiner Grundlage an und entlehnt seine Lehre aus

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