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und verbarg darunter nüchterne Anschauung und oberflächliches Gefühl. Nur da war man tief und wahr, wo man sich in den Schmerz der Nation versenkte, und wo das unerschütterliche Vertrauen auf die Erlöserkraft Gottes ausgesprochen wurde. So der Inhalt, so die Form; und schon daß man das Alphabet und einen monotonen Reimfluß, der durch die Suffixa im Hebräischen so leicht, aber auch so bedeutungslos ist, als die äußeren Formen der Poesie anwandte, ist charakteristisch. Von Grammatik, Correctheit oder gar Classizität der Sprache keine Spur, außer bei den Spaniern. Für manche Stücke ging man noch weiter und wählte die aramäische Sprache, obschon diese längst dem Volke viel fremder geworden als die hebräische; viele erlauben sich ein buntes Gemisch beider Sprachen 1).

Der Genius der Menschheit steht in seiner Arbeit nie still. Ob er sich auf der Höhe oder in der Niederung befindet, er ist fort und fort thätig im Schaffen und Arbeiten. Er copirt nie, aber er wiederholt seine Processe mit immer neuen Elementen. Ist ihm etwas verloren gegangen, beginnt er seine Arbeit von neuem, aber in anderer Weise. Ist er zurück geschritten, dringt er wieder vorwärts, aber auf einem neuen Wege. Hat er sich eine Zeit lang der Oberherrschaft einer Geistesthätigkeit und Geistesrichtung vorwiegend ergeben, so wacht in ihm das Verlangen nach einer andern, nach der, welche er vernachlässigt hat, auf. Nur in kurzen Zeiträumen ersteigt er die Höhe, auf welcher er die harmonische Vereinigung aller Geisteskräfte in classischen Erzeugnissen zu Stande bringt. Bald darauf wird eine derselben wieder vorwiegend werden, und die Zeit der Epigonen beginnt.

Jede Erscheinung in der Menschenwelt, die eine lange Vergangenheit hinter sich hat, gibt uns für diesen Entwickelungsgang die vielfachsten Beweise. Eine, solche Erscheinung hat aus all den Zeit

1) Wenn man in neuerer Zeit versucht hat, das Urtheil über die Piutim, die sowohl von religiöser und cultueller als von ästhetischer und linguistischer Seite zu verdammen sind, irre zu leiten und einige nicht Orthodoxe für sie schwärmten darunter Männer, die seit 30 Jahren sie nicht beten: so berufen wir uns auf die Aussprüche der frömmsten Gelehrten, z. B. des eifernden Jakob Emden (Jabez, 1750). Wir empfehlen auch hier das Schriftchen des Dr. A. A. Wolff „über die Piutim“, das vor einigen Jahren das Institut zur Förderung der israelitischen Literatur herausgab und welches eine (noch sehr zu vermehrende) Zusammenstellung der Urtheile der bedeutendsten älteren jüdischen Autoritäten gegen die Piutim enthält.

räumen, die sie durchschritten, etwas mit sich genommen. Auf dem religiösen Gebiete kommt aber noch hinzu, daß die Ueberlieferungen der Vergangenheit den Charakter der Heiligkeit besizen, daß die Kritik fern gehalten und das Verlangen gestellt wird, alle Arbeiten der füheren Zeiten für unveränderlich, unantastbar, von unbegrenzter Autorität zu halten. Und dennoch geschieht es auch hier, daß dem Geiste und Bedürfniß jederzeit Rechnung getragen wird, daß bewußt und unbewußt die veränderten Zustände, Verhältnisse und Geistesthätigkeiten ihren Einfluß üben und innerlich und äußerlich der Religion eine veränderte Gestalt verleihen. Aber gerade auf diesem Gebiete treibt die Richtung des Geisteslebens unwiderstehlich an, und so treffen sich hier Widerstand und Treibkraft mit außerordentlicher Gewalt. Der Trieb des Erhaltens und der Trieb neuen Schaffens nach neuem Bedürfen begegnen sich zu hartem Kampf. Wer mitten in diesem sich befindet, dem verwirrt sich leicht Einsicht und Aussicht, und nur erst dann ist eine richtige Umschau möglich, wenn sich der Charakter der Zeit ausgebildet und entschieden hat. Hierzu beizutragen ist eine schwere, eine unermüdliche Ausdauer erfordernde Arbeit.

Eine jede bedeutende Zeit hat also auch auf dem religiösen Gebiete eine Tendenz, einen bestimmten Charakter, "benen sich Niemand entziehen kann, die auch auf den Widerstrebendsten ihren Einfluß üben. Dieser Charakter und diese Tendenz, kein Einzelner hat sie gemacht, kein Einzelner hervorgerufen, kein Einzelner kann sie verhindern und abschneiden. Sie sprechen sich zwar zuerst durch Einzelne aus, an die sich fortan die Geschichte der neuen Richtung anlehnt, die aber durchaus nicht als die Schöpfer dieser neuen Richtung, sondern als deren erste Kinder und Träger anzusehen sind. Kann Jemand glauben, daß ohne Mendelssohn Juden und Judenthum noch heute in Ghettis stäken? daß ohne Voltaire und Rousseau die Franzosen noch heute unter dem Scepter der Bourbonen ständen? daß ohne Luther niemals eine Reformation gekommen? daß ohne Cäsar die römische Republik niemals gefallen wäre? Und wie viele Beispiele derart könnten wir noch anführen. Wir deuten hierauf hin, nicht um aufzufordern, daß die Gegner endlich einmal aufhören mögen, die einzelnen Männer für die neuen Erscheinungen und Richtungen, die sie für verderblich halten, verantwortlich zu machen --das wird niemals aufhören - sondern um endlich zum Bewußtsein

zu bringen, daß jede neue Richtung aus der vorhergehenden Zeit eine Entwickelung, daß die Vergangenheit selbst die Mutter der neuen Zeit ist, daß in jener die ursächlichen Momente für diese liegen und daß dieser Entwickelungstrieb etwas Unwiderstehliches in sich trägt, das man hemmen und verlangsamen, aber niemals erdrücken kann.

Und was ist nun die Tendenz der neuen Zeit auf dem religiösen, insonders auf dem Gebiete des Judenthums? Wir wollen es einfach und schlagend sagen: sie ist, den Monotheismus, d. i. die Religion des einzigen Gottes, zur reinen Religion des Verstandes und des Herzens, die er von Beginn an gewesen, wieder zurückzuführen und von allen Gebilden der überwuchernden Phantasie, mit denen ihn die vergangenen Zeiten bekleidet haben, zu befreien.

VII.

Weber religiöses Denken und Wiffen.

Die wahrhafte Religion beruht auf der harmonischen Entwickelung und Thätigkeit aller Seelenkräfte. So die Religion als Ganzes, so die Religion im einzelnen Menschen. So wie eine richtige Wahrnehmung nur aus einem übereinstimmenden Maß und Verhältniß der Sinne hervorgeht, jede Schärfe eines Sinnes auf Kosten der anderen nur einseitige und darum zum größeren Theil unrichtige oder verkehrte Wahrnehmungen bewirkt: so auch das Vorherrschen einer Seelenthätigkeit in der Auffassung und Beantwortung der höchsten, d. i.' der religiösen Fragen. Sobald Jemand in seinem religiösen Wesen die Denkkraft zum alleinigen Factor macht, geräth er in spitsindige Metaphysik, deren Ergebniß sehr zweifelhaft, oder verliert sich in das Formenwesen und wandelt die Religion zu einem Rechtskoder. Wo aber die Religion als eine bloße Gefühlssache genommen wird, wo alles Religiöse nicht gedacht, sondern nur empfunden werden soll, da ist ein Verschwimmen aller religiösen Gedanken unausbleiblich, bei aller Gefühlsseligkeit doch jede innere Haltung und Festigkeit, jeder wahre Gewinn an Inhalt und That verloren. Das Vorherrschen der Einbildungskraft endlich auf dem religiösen Gebiete gebiert alle möglichen Arten von Phantastereien und Aberglauben. Sie chloroformirt geradezu den Geist, und zwar immer von Neuem, daß er sich nicht wieder daraus zur Wahrheit retten kann. Verbinden sich aber gar Gefühl und Einbildung in der Religion unter hartnäckiger Zurückweisung und Verkeßerung der Denkkraft, so sind Schwärmerei und Fanatismus wie von selbst gegeben mit ihrem ganzen unheilvollen Reiche. Nein, die Religion will durchdacht, durchfühlt und vom Schwunge der Einbildungskraft

belebt sein. Eine jebe dieser Seelenthätigkeiten giebt für die beiden anderen das beste Correctiv; durch eine jede wirkt die Religion in eigenthümlicher Weise, vollendet sich aber nur durch die harmonische Zusammenwirkung aller Drei. Es ist ein Vorzug der Religion Israels, von ihrem Ursprunge an sich auf diese richtige Geltung aller drei Seelenkräfte gestellt, sie sämmtlich in Anspruch genommen zu haben, und ein gütiges Geschick hat dafür gesorgt, daß diesem ihren Charakter der ursächliche Stoff niemals gefehlt. Wenn die H. Schrift unsrer Einbildungskraft die großartige Scenerie in der arabischen Wüste mit dem versammelten Volke am Fuße des Sinai, den erbebenden, rauchenden Berg, die dunkle Gewitterwolfe mit den zuckenden Blizen, den Schall des Donners und der Drommeten vorführt, so läßt sie aus all' diesem die einfachen Worte des Gesetzes ertönen, welche nichts als die klarste Vernünftigkeit athmen und in ihrem bündigen Ausdruck sich an den denkenden Menschen richten. Dennoch breitet sie auch hier den Hauch tiefer Empfindung darüber; bei der Erkenntniß des einzigen Gottes erinnert sie an die Rettung und Erlösung, die wir erfahren, bei der Anbetung des unkörperlichen Gottes an die strafende und lohnende Vergeltung, die sich an den Haß und an die Liebe knüpft, bei dem Sabbath an das göttliche Vorbild der Schöpfung, bei der Verehrung der Eltern an das Glück, das aus treuer Pflichterfüllung ersprießt. So vereinigen sich schon in dieser einen Partie der h. Schrift Einbildungskraft, Vernunft und Gefühl, um ein harmonisches· Ganzes für den Menschen zu schaffen, das darum den Stempel der Ewigkeit an sich trägt. Verfolgen wir aber diesen Gedanken durch die ganze h. Schrift, so werden wir ihn aber- und abermals verwirklicht sehen. Nirgends blos die nackte Logik, nirgends blos ein blödes Gefühlswesen, nirgends blos die wüste Einbildungskraft. Um nur noch ein prägnantes Beispiel anzuführen. Charakteristisch für unsren Gedanken ist das Buch Hiob. So metaphysisch der Gegenstand ist, der in diesem Buche behandelt wird, die göttliche Weltordnung, wie sie sich in der Menschheit als Vorsehung und Vergeltung manifestirt, und so denkgemäß er durchgeführt ist, indem Theorie und Praxis befragt und die göttliche Weltordnung in der Natur zu Hülfe genommen wird; so ist doch zugleich eine solche Fülle der Poesie, ein so reiches Leben dichterischer Phantasie über das Ganze und alles Einzelne ausgebreitet, daß dem Dichter des Hiob die Stelle neben

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