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ihre prinzipiellen Gegner, sondern auch die ganzen Mittelparteien gegen sich in Harnisch brachten, haben die Ultramontanen aller Religionsgenossenschaften nicht blos die Anhänger der religiösen Negation, sondern alle religiösen Parteien und Meinungen, die sich nicht mit ihnen in Uebereinstimmung befanden, gegen sich aufgebracht. Das Wiedererwachen des Kampfes auf kirchlichem und religiösem Gebiete ist daher sehr natürlich und giebt sich durch vielfache Erscheinungen kund. Auf literarischem Felde erhebt die Kritik ihre Stimme von neuem und richtet sich insonders gegen das kirchliche Christenthum. Ist dies in Deutschland schon fast eine alte Erscheinung zu nennen, so daß hier kaum noch viel zu sagen übrig bleibt und nur die abgespielten Themata immer wieder behandelt werden können, so ist es neu, auch im westlichen Europa den kritischen Kampf sich Bahn brechen und hier eine außerordentliche Bewegung hervorbringen zu sehen. Colenso in England, Renan in Frankreich, Miron in Belgien (Examen du Christianisme) machen dort Epoche, und wenn sie mit viel schwächeren Waffen kämpfen, als wir in Deutschland schon längst gewohnt sind, wenn sie ihr Rüstzeug zumeist aus Deutschland holen, so hallt doch das Geräusch des Kampfes genügend zu uns herüber. So rührt es sich denn auch in Deutschland wieder, und wenn hier bislang der literarische Streit noch schwächer ist, so sehen wir doch neben den katholischen (Vereinen neue protestantische sich bilden, die Freigemeindler und Deutsch-Katholiken wieder Congresse halten, eine Gebetbuchfrage einen ungewöhnlichen Umfang annehmen, die politischen Körperschaften gegen die Concordate Partei ergreifen, so daß diese bedeutsamen Luftbewegungen wohl nahende Stürme verkünden mögen.

Die Sache liegt jezt so. Wie immer muß man zwischen Religion und Kirche wohl unterscheiden, und zwar in allen Religionsgenossenschaften. Der Kampf ist nun ein zwiefacher: der Kampf gegen die Kirche und der Kampf gegen die Religion. Der erstere will den unveränderten Bestand und die unbedingte Herrschaft der Kirche mit ihrem Widerspruch gegen die moderne Bildung, gegen die freie Entwickelung des Geistes, gegen die Prinzipien der modernen Gesellschaft, des modernen Staates, mit ihrer Beschränkung der Lebensformen nicht gelten lassen, sondern auch in die Kirche Freiheit in Lehre und Form, Beseitigung des geistlichen Zwanges und der Herrschaft des überkommenen Buchstabens einführen; der leztere ist

gegen alle positive Religion, ihre Lehren und ganze 3beenwelt ge= richtet. Wenn letterer insonders von den Anhängern gewisser Philosopheme und einer Anzahl Lehrer der exakten Wissenschaften, sowie von einer Menge Menschen, welche in oberflächlicher Weise die Resultate dieser 'in sich aufgenommen, geführt wird, so ist es natürlich, daß sie sich im Kampfe gegen die Kirche mit der freisinnigen Partei der Religiösen vereinigen, sowie im Gegentheile die letzteren eine gewisse Verbindung mit den Kirchlichen unterhalten, wenn es den Kampf gegen die Antireligiösen gilt. — Diese kurze Auseinandersetzung wird den Schlüssel zu vielfachen Erscheinungen der neueren Zeit abgeben, die sonst dem Beschauer in eine regellose Verwirrung gerathen zu sein scheinen. Je nachdem einer dieser beiden Kämpfe heftiger entbrannt ist, wird die Verbindung der Parteien eine andere sein.

Es ist jetzt wieder eine der beliebtesten und am öftersten gehörten Phrasen: „Die Fluten der Wissenschaft gehen über das Christenthum und das Judenthum hinweg." Schon das Gleichniß ist schlecht gewählt. Denn Fluten, soviel sie auch zu zerstören vermögen, laufen ebenso leicht wieder ab, wie sie gekommen, und müssen das Festland, wenn auch mit Trümmern und Schlamm bedeckt, wieder verlassen. Die Geschichte aller Zeiten weist solche Springfluten der Philosophie und Naturwissenschaft als eine nicht seltene Erscheinung auf, die aber die Grenzen des Festlandes nur hier und da zu verändern vermochten. Sie haben wohl hier und da ein Stück Küste verschlungen, hier und da eine neue Sandbank gebildet; aber sie haben das Land unerschüttert gelassen und die Menschen wohnen bis dicht an die Grenze der Wogen. Die Philosophie trägt das Gesetz der Selbstauflösung in dem Abkreisen ihrer Entwickelung in sich, und sowie das Schopenhauer'sche System troz allem Glanze seiner Dialektik und trotz der Intensivität seines Denkens wieder dem Buddhaismus ganz nahe steht und nothwendig den Uebergang zu einem neuen Dogmatismus bereitet: so hat sie keine Aussicht, die Weltanschauung der positiven Religion zu vernichten, sondern wird vielmehr immer wieder zu ihr hinüberführen. Die Naturwissenschaft aber hat es nicht minder immer geliebt, sobald sie bedeutende Resultate einmal erreicht hatte, aus diesen einen Sprung auf das Gebiet der Metaphysik und der Psychologie zu machen, um ihre Deutung des fosmischen Mechanismus an die Stelle der lebendigen Erkenntniß und

des warmen Gefühles zu setzen. Es ist ihr dies aber nur immer auf kurze Zeit gelungen. Denn ebensowohl wurden ihre Resultate bald wieder von neuen überholt, so daß ihre metaphysischen Versuche mit der Gültigkeit ihrer Experimente zusammenbrachen, als auch es immer wieder klar wurde, daß sie zwar vermöge, die Prozesse der Körperwelt zu immer sicherer und einfacherer Anschauung zu bringen, aber nicht anders als dicht vor dem Problem des Geistes stehen bleiben könne. Was aber Philosophie und Naturwissenschaft nicht vermögen, das kann die wissenschaftliche Kritik noch weniger vollbringen. Sie kann noch so scharf die Urkunden der positiven Religionen verarbeiten, die Tradition über dieselben auflösen, die Widersprüche in ihnen aufdecken, den Köhlerglauben verspotten: so muß sie doch vor den ewigen Wahrheiten der Religion stehen bleiben und kann die geschichtliche Existenz der positiven Religionen nicht leugnen. Und wie? Vermögen Philosophie, Naturwissenschaft und Kritik irgend etwas, was Wirksamkeit und Dauer besitt, an die Stelle zu setzen? Wenn es ihnen gelingen könnte, die Religion völlig zu entwurzeln und aus den Geistern hinwegzuschwemmen, was würden sie der Menschheit und den Menschen als Ersatz bieten können? Weder die dialektisch begründeten Axiome einer philosophischen Schule, noch das starre Naturgesetz der Physik und Physiologie, noch die Hypothesen der Kritik sind für die Menschen, für ihr Bedürfen und Verlangen eine Befriedigung, für ihr Lebenswerk eine feste Grundlage; für ihre Leidenschaften ein Führer, für ihre Kämpfe und Mühsale ein Stab, ein Schwert und ein Schild. Allen diesen gegenüber muß immer wieder auf die Wucht des Bestehenden, des geschichtlich Gewordenen und Ausgebildeten verwiesen werden. Und fragen wir dann, woher das Bestehende und geschichtlich Gewordene diese Energie habe, so kann die Antwort nicht anders lauten als: weil es aus der Natur des Menschen selbst hervorgegangen, mit ihr verwachsen ist, sie allein befriedigt und nährt. Hierin allein liegt schon die entschiedene Verwerfung des Gegentheils! Freilich sind Philosophie, Naturwissenschaft und Kritik darum nicht minder nothwendig und Erzeugnisse der Menschennatur selbst, aber sie dürfen niemals einen andern Anspruch machen als die Corrective des Religiösen, der Erkenntniß und Sittlichkeit innerhalb des menschlichen Lebens zu sein, und darum ist ihre Existenz und sind ihre Ergebnisse von unschäß barem Werthe. Aber hierin liegen auch ihre Grenzen.

Vor diesem immer wieder ans Tageslicht tretenden Nihilismus, vor diesem immer wieder in die Strömung der Zeit eintretenden Materialismus geben nun im Gegensatz die Hyperorthodoxen die Parole aus: „Das einzige Heil ist hinter der Schuhwehr, dem Wall und den Mauern der Kirche zu finden, der Kirche in ihrem unveränderlichen, unwandelbaren Bestande." So spricht der ultramontane Katholik, der pietistische Protestant und der hyperorthodoxe Jude, das Wort Kirche in seinem Sinne auslegend. Wir wollen dieses Gleichniß in seiner Schwäche nicht näher verfolgen; man weiß, daß Schutzmittel zu verschiedenen Zeiten in sehr verschiedenen Dingen gefunden wurden und daß ein veraltetes Vertheidigungsmittel gegen neue Angriffsmittel eher verderblich als hilfreich ist. Gab es doch Leute, welche die kräftigste Abwehr nicht hinter steinernen Mauern, sondern in der muthigen Brust der Bürger fanden. Sondern wenn wir von der Wucht des Bestehenden und des geschichtlich Gewordenen sprachen, so darf man nie vergessen, daß dies eben aus den Bedürnissen und dem Geiste der Zeiten geworden und dadurch ein Bestehendes ward, daß es also der geschicht lichen Entwickelung anheim gegeben ist und nothwendig mit den sich verändernden Bedürfnissen und dem sich entfaltenden Geiste in Uebereinstimmung bleiben muß, wenn es bestehen und nicht geschichtlich veralten und absterben will. Ist der Geist entwichen, so sind die Mauern und Wälle ohne Besaßung, und dann vermögen sie nichts. Alles Bestehende hatte in seinem geschichtlichen Werden ebenso ein Bestehendes zu bekämpfen, das nicht vom Plaze weichen, sondern unverrückt seine Stelle in seiner ganzen bisherigen Weise einnehmen wollte; es bekämpfte und besiegte dies und wurde dadurch das Bestehende. Sobald es nun dem Fortgange des Menschengeistes sich gegenüberstellt und in gleicher Weise ohne lebendige Fortbildung mit unverändertem Stoff und unwandelbarer Form sich behaupten will, unterliegt es demselben Schicksale.

Mögen wir es daher niemals verkennen, daß die Gefahr auch für das Judenthum eine zweifache ist, daß es von der einen Seite vom Nihilismus und Materialismus, von der andern Seite von der Hyperorthodoxie bedroht ist, und gestehen wir es offen, daß die Gefahr von der letteren größer ist als von den ersteren. Denn diesen wehrt die gesunde Lebenskraft in der Gesammtheit der Bekenner in genügendem Maße; aber die Hyperorthodoxie, die Flucht

hinter das versteinerte Glaubens- und Formwesen, erbrückt alles gesunde und frische Leben des Geistes und führt so recht zum Nihilismus hin. Wenn man nach einem Beweise hierfür fragt, so brauchen wir leider nicht lange zu suchen. Aus der stabilen Orthodorie ist im östlichen Europa der Chassidismus hervorgegangen, und bei dem Widerstande gegen alle Bildung und Cultur, bei dem Hasse wider alles, was an eine kräftige Regeneration auf dem Wege der Entwickelung rührt, werden immer größere Massen in jenen Ländern von ihm verschlungen und in die tiefste Barbarei hinabgezogen; die Orthodoxie selbst verschwindet vor diesem aus ihrem Schoße hervorgegangenen Unholde, indem sie, gleich einer echten Mutter, sich nicht ermannen kann, wider ihn aufzustehen und ihn zu bekämpfen.

Lassen wir uns daher auf dem von uns betretenen Wege nicht beirren. Das gegenwärtige Judenthum hat die Aufgabe, seinen Gedankeninhalt in Lehre und Gesetz zu klarer Erkenntniß zu bringen, von den Schlacken des Mittelalters zu befreien, fich in Brauch und Sitte intellectuell und sozial dem Culturleben der Menschheit anzuschließen und inmitten dieser die wahrhafte Religion gegen Rechts und Links, gegen Nihilismus und Kirchenthum zu vertheidigen, zu verkünden, zu verbreiten. Dazu soll ein veredelter Gottesdienst, ein lebendiger Religionsunterricht, Musterhaftigkeit der Wohlthätigkeitsanstalten und ein geordnetes Gemeinwesen dienen. Woher also auch der Angriff komme, an diesem Streben muß er und wird er scheitern!

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