Obrazy na stronie
PDF
ePub

Also auch hier erkennen wir das Judenthum in seiner Grundanschauung und Reinheit als das wahre Correctiv gegen die Ausschreitungen auf der einen wie auf der andern Seite. Es erhebt sich gegen diejenigen positiven Religionen, welche das naturwissenschaftliche Bewußtsein als gegnerisch und feindlich ansehen, in der Naturbetrachtung den Widerspruch gegen ihre Dogmen finden und ihre ganze Anschauung gegen alles Natürliche im Menschen richten. Es erhebt sich aber nicht minder gegen die Extravaganzen des naturwissenschaftlichen Bewußtseins, gegen dessen Versinken in das blos physikalische Element, 'gegen dessen Ausartung in Atheismus und Materialismus. Bringen wir es uns immermehr zum Bewußtsein, daß das Zudenthum die vier großen Momente in sich vereinigt: das eigentlich religiöse (Gotteslehre und Verhältniß des Menschen zu Gott), das naturwissenschaftliche, das sittliche und das politisch soziale Moment, und daß in der Vereinigung und gegenseitigen Durchdringung dieser vier Momente die Religion des Judenthums besteht.

VI.

Die Phantasie in der Religion.

Die Seele ist ein einheitliches Wesen. Sie hat keine Theile und keine Glieder, sie ist nicht zusammengesezt; sie ist einheitlich und einfach. Aber ihre Thätigkeit ist eine verschiedne, und diese Thätigkeit in ihrer Verschiedenheit nennt man Kräfte oder Vermögen. Vor allen treten hier drei hervor, die sich besonders charakterisiren: die Denkkraft, das Gefühl und die Phantasie. Die anderen, wie das Willensvermögen, das Gedächtniß, liegen heute außerhalb unserer Betrachtung. Die Denkkraft, welche Vorstellungen zu Urtheilen, Urtheile zu Schlüssen verbindet; das Gefühl, diese unmittelbare Bewegung der Seele auf jede Berührung derselben; die Phantasie oder Einbildungskraft, welche gehabte Vorstellungen wieder vor die Seele führt nnd sie willkürlich mit schöpferischer Kraft zu neuen Bildern combinirt und componirt. Die Einheit der Seele bezeugt sich aber dadurch, daß keine dieser Thätigkeiten ohne die andere sich vollziehen kann. Der Verstand vermag keine Operation ohne die lebhafte Beihilfe der Phantasie zu vollbringen, welche ihm die Vorstellungen festhält, die er in seinen Urtheilen und Schlüffen logisch zu verbinden strebt, und es ist gewiß, daß der strengste Mathematiker einer sehr lebhaften Einbildung bedarf, um seiner GröBenbilder sicher zu sein. In gleichem Maße erweckt jeder Gedanke ein bestimmtes Gefühl in uns, wie jedes Gefühl sofort durch den Verstand nach Bewußtsein ringt, um über seinen Inhalt klar zu werden. Die Phantasie endlich strebt, troß ihrer Willkür in ihren Schöpfungen, doch nach dem Scheine der Vernunft, indem sie in Gebilden Ursache und Wirkung in einen Zusammenhang bringt, den fie freilich in der Wirklichkeit nicht haben.

Wir brauchen unsere Leser nur daran zu erinnern, daß darum der höchste Grundsaß für die Entwickelung des Menschengeistes ist: nach einer harmonischen Ausbildung dieser und aller Seelenkräfte zu streben, so daß sie in der verhältnißmäßigen Befähigung und Thätigkeit in uns existiren, um unsern Geist ein vernunftgemäßes und religiös-sittliches Leben führen zu lassen. Keine dieser Seelenkräfte darf unterdrückt und beseitigt, keine auf Kosten der anderen genährt, gepflegt, überwiegend werden. Wie sie in ihrer Harmonie zum Heile führen,, so bringen sie in Widerstreit gerathen oder durch einseitigen Vigor einer einzelnen zum Verderben. Der eiskalte Verstandesmensch, der absichtlich jedes aufsteigende Gefühl in sich unter drückt und nichts gelten lassen will, was er nicht aus einem einseitigen Princip begriffsfähig herleiten kann; der sentimentale Gefühlsmensch, der sich jeder Bewegung seines Herzens hingibt und sich den Wogen der Empfindungen haltlos überläßt; der Phantast, der nur in ausschweifenden Bildern lebt und die Wirklichkeit der angenehmen Schöpfungen seiner Einbildungskraft wegen von sich abhält: sie alle werden tausendfach irregehen, sich und Anderen Unheil bereiten und das erhabene Ziel des Menschengeistes weitab verfehlen.

Wenn aber irgendwo, so ist auf dem Gebiete der Religion eine einseitige Geistesbildung und Geistesthätigkeit vom größten Nachtheil. Es ist, wie wir an einem andern Orte hervorgehoben, 1) ein unschäß barer Vorzug der israelitischen Religion, daß sie den ganzen Menschen, den einheitlichen Geist beansprucht und befaßt, daß sie ihren Er weis und ihre Wirksamkeit in der Harmonie des Verstandes und des Herzens, des Denkens und des Fühlens findet, daß sie die Vernunft nicht verwirft, das Herz befriedigt und die Phantasie so weit wirken läßt, wie es mit der Erkenntniß und der lautern Empfindung übereinstimmt. Wir brauchen die Beweise hierfür heute nicht mehr zu führen. Nur darauf hindeuten wollen wir, daß die bedeutendsten Denker in Israel, ein Maimonides und Mendelssohn, ein Gabirol und Juda Halevi, die schärfste Verstandes entwickelung mit der innigsten Gläubigkeit vereinbar fanden, daß gerade in dem israelitischen Stamme ein höchst reges Gefühlsleben zur Charakteristik gehört,

1) Siehe unsere „Israelitische Religionslehre“ (Baumgärtner 1861) Band I, Seite 30 ff.

wie es sich namentlich im Familienleben und in der Wohlthätigkeit bethätigt. Und daß schon die h. Schrift die erhabensten Bilder uns vor die Seele führt, weiß Jedermann. Aber, und dies ist der Gegenstand, den wir heute vorzugsweise in Betracht ziehen wollen, das Schädlichste und Gefährlichste in der Religion ist die Ueberwucherung der Phantasie in ihr. Wo oder sobald die Phantasie in einer Religion oder in einer Phase derselben die Obherrschaft erlangt und eine fast ungezügelte Wirksamkeit übt, da geräth diese Religion in die äußersten Abwege, von denen sie nur spät und durch die mühsamsten Kämpfe zurückgebracht werden kann. Daher tritt dem alleinigen Walten der Phantasie die h. Schrift von Beginn an in entschie denster Weise entgegen, und wie sie bei ihrem Anfang uns ein großartiges, aber einfaches und von allen phantastischen Bildern freies Gemälde der Weltschöpfung entwirft, so ruft sie uns nach der Verkündigung des Gottheitsbegriffes sofort zu: „Du sollst dir fein Gößenbild machen, noch ein Abbild dessen, was im Himmel droben u. s. w.", so ruft sie dem Israeliten immer wieder in die Erinnerung: Du hast keine Gestalt gesehen am Tage, wo dir das ewige Wort der Lehre und des Gesezes verkündigt wurde.

Die Phantasie war die Mutter aller heidnischen Religionen. Indem diese von dem Grundgedanken ausgingen, alle Gewalt und Kraft in den Dingen außerhalb des Menschen als Gottheit zu begreifen, überließen sie es der Phantasie, für die Natur in ihren einzelnen Gebilden ein Verständniß sich zu schaffen. Die Schwierigkeit war ihnen stets nur, wie der Mensch aus dem Zwiespalt der guten und üblen Einflüsse auf ihn zum Begriff einer Gottheit komme, in welcher der Gedanke der Schöpfung gedacht sei. War dies vollendet, so überließ sich der Mensch seiner Phantasie, um aus der Beobachtung der natürlichen und menschlichen Dinge sich Götter und Geister zu schaffen. So sieht der Schamane wie der Chinese, der Inder wie der Perser überall gute und böse Geister, die in allen Dingen sind, wirken und verehrt werden, und der Sabäer erkannte in jedem Stern einen eigenen Gott für jede Stadt und jeden Stamm. Die Abendländer, die Griechen, Römer, Germanen identificirten die Natur und den Menschen und trugen die Empfindungen, welche die äußeren Einflüsse in dem Menschen hervorrufen, in die Natur selbst hinüber. Sie dachten in jedem natürlichen Dinge einen Gott, der von den menschlichen Leidenschaften

"

beherrscht ist, und jede menschliche Leidenschaft hat selbst einen Gott in sich 1). So ist jede heidnische Religion, abseitens von ihrem Grundgedanken, ein Geschöpf der Phantasie, der Erkenntniß entzogen, dem Gefühle aufgedrängt. Es können wohl diesem Spiele der Phantasie Beobachtungen unterliegen uud diese in den Gebilden jener zum Ausdruck kommen, und diese Beobachtungen können wir aus ihrer Schale lösen und zum Verständniß bringen. Weiter aber nicht, jeder Versuch, aus den heidnischen Religionen Philosopheme zu machen, hat sich immer als willkürlich und verkehrt erwiesen.

Die Phantasie ist aber auch die Mutter alles Aberglaubens. Sie ist es, die den Menschen in den Begriffen der Vernunft und in den Empfindungen seines Herzens keine Befriedigung finden läßt, die ihn in ein schrankenloses, übersinnliches Reich hineintreibt und hierfür ihm concrete, faßbare Gestalten und Erscheinungen auffinden will; sie ist es, die auch in den leblosen Dingen Leben, freies, willkürlich waltendes Leben schauen und fassen will. Die Phantasie zieht daher immer wieder den reinen Begriff Gottes aus den Höhen des Lichts zur Menschenwelt herab und bekleidet ihn mit menschlichem Willen, menschlichen Triebfedern, menschlichen Eigenschaften. Die Phantasie bevölkert den unermeßlichen Raum zwischen Mensch und Gott mit den mannigfaltigsten Wesen, Geistern, Engeln. Die Phantasie knüpft immer wieder geheime Beziehungen zwischen den Menschen und dieser Geisterwelt an und sucht sie in wahrnehmbaren Mitteln und Operationen verwirklicht, faßbar und der Behandlung unterworfen zu zeigen. Die Phantasie umgibt deshalb alle wichtigen Momente des menschlichen Lebens mit abergläubischen Vorstellungen und Ceremonien, theils um günstige Erfolge zu erzielen, theils um schädliche Einflüsse zu beseitigen. Da ist denn ein unermeßliches Gebiet eröffnet, das durch die mannigfaltigen Pfade durchzogen wird, auf denen der Mensch bis zur äußersten Verwirrung, bis zur verderblichsten Hingabe, bis zur Versunkenheit und Entartung gelangt. Ohnmächtig kämpfen Verstand und Gefühl dagegen an, entweder sind sie unentwickelt und überlassen ohne Abwehr der Phantasie das unerbittliche Scepter, oder jene überwuchert sie und bringt sie gewaltsam zum Schweigen. Der Molochdiener, der sein Kind auf die glühenden

1) Siehe unsere Entwickelung der religiösen Idee“, Seite 21 f.

« PoprzedniaDalej »