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ten solle, welche sie nach ihrem innern Werthe, nach dem Bedürfniß und der Nothwendigkeit besitzt. Aus dieser vorherrschenden Richtung ergab es sich, daß sowohl jedes einzelne Gebiet so außerordentlich angebaut wird, daß es alle Geisteskräfte des Individuums für sich concentrirt und beansprucht, als auch die Strömung des Geistes immer nach dem Allgemeinen, Kosmopolitischen gewendet ist. Das politische, industrielle und wissenschaftliche Leben occupiren den Fachmann fast ganz und werfen wiederum große Elemente in das Leben aller. Hierdurch werden aber die Geister wie von der Einkehr in sich selbst überhaupt, so vom Religiösen überaus abgezogen; die Aufmerksamkeit ist vorzugsweise auf jene Felder der Thätigkeit gerichtet und läßt dem innerlichen und dem religiösen Wesen wenig Raum; mit der großen extensiven Spannung hat die Seele an der intensiven Spannung verloren, und, so vereinigt sich die Richtung ins Allgemeine, welche den besonderen Erscheinungen keinen Raum gönnen will und ihnen ihr Dasein bestreitet, mit der Mächtigkeit des Aufschwunges und der Entfaltung auf den einzelnen Gebieten, um dem religiösen Leben den vielfältigsten Eintrag zu thun. Dies sind die zerstreuenden und zersetzenden Wirkungen des Lebens, von denen so oft gesprochen wird, ohne daß man sich deutlich macht, worin sie eigentlich bestehen.

Dasselbe gilt also auch von der Wissenschaft. Auch sie fesselt, gleich z. B. der Industrie, und beschäftigt den Geist des Individuums so sehr, daß er für anderes wenig Raum mehr hat. Welchen einzelnen Zweig jener der Einzelne auch erwählt hat, er gehört ihm und muß ihm so sehr angehören, daß alle Thätigkeit und alles Interesse des Geistes darin absorbirt werden. In der Wissenschaft kommt aber noch ein anderes hinzu: daß sie nämlich in ihren Resultaten so viel Befriedigendes bietet, daß das Bedürfniß nach anderem wenig in der Seele des Individuums aufsteigt, ein Umstand, der bei anderen Beschäftigungen bei weitem weniger der Fall ist Außer dieser abziehenden Eigenschaft hat aber die Wissenschaft auch Elemente in sich, welche der Religion geradezu feindlich sind. Die inductive Methode der jetzigen Wissenschaft leitet die Geister dazu an, nichts gelten zu lassen, was ihnen nicht durch die Induction faß und erweisbar erscheint, und macht sie zugleich so stolz und gesteift auf diese Methode und ihre Resultate, daß ihnen alles andere nichtig vorkommt. Es läßt sich erwarten, daß dies nicht immer so

bleiben wird, sondern einmal wieder die Grenzen und Schranken, die auch dieser Methode gesezt sind, ja die sie für den Geist enger aufstellt, als solche überhaupt dem menschlichen Geiste gesezt sind, erkannt werden. In der Gegenwart aber ist es so, und wir finden gerade darum die Mehrzahl der wissenschaftlichen Männer gleichgiltig, ja abgeneigt für die Religion, weil diese allerdings über die inductive Methode hinausreicht. Ferner liefern einige Wissenschaften Resultate, welche gewissen Angaben und Auffassungen der bisherigen Theologie widersprechen, ohne daß die lettere ihr bisheriges Verständniß irgendwie aufgeben will. Eine Vermittelung ist bis jetzt noch wenig angestrebt worden, wird vielmehr von beiden Seiten noch immer zurückgewiesen, und da die Verwechslung der Religion und der Theologie noch immer allgemein ist, so widerstreben einander die Männer der Wissenschaft und der Theologie aufs heftigste. Endlich ist es nicht zu verkennen, daß insbesondere die Naturwissenschaften eine vorwiegende Richtung zum Materialismus genommen haben. Diese Erscheinung ist nicht neu in der Menschenwelt und tritt nach der Erfahrung immer ein, wenn großartige Entdeckungen auf diesem Gebiete gemacht worden sind und die Forschung im Detail in die innersten Werkstätten der Natur eingeführt zu haben scheint. Demjenigen, welcher über den Details sich zu halten vermag, wird es immer klar sein, daß wir stets in den Außenkammern verbleiben und die Natur uns doch nur bis zu den eigentlichen Incidenzpunkten kommen läßt, wo die Forschung die Fragestellung immer deutlicher macht, ohne jedoch die Antwort finden zu können. Diese Erkenntniß ist aber nicht die Sache aller, und darum verfallen so viele glückliche und sonst so geistreiche Forscher dem Materialismus.

Wie nun das Leben und die Wissenschaft in der obengezeichneten Weise der Religion überhaupt und den positiven Religionen insbesondere großen Abbruch thun, so muß sich dies auch für das Judenthum fühlbar machen, und um so mehr, weil dieses seiner Natur und seinen Verhältnissen nach eine stärkere Bethätigung in Anspruch nehmen muß. Nach außen wie für die Erhaltung und Belebung seiner Institutionen bedarf es einer größeren Opferfähigkeit. Die Symptome dieser Umstände liegen in dem so oft beklagten Wachsthume des religiösen Indifferentismus, der einerseits das religiöse Leben schwächt, andererseits manchen Individuen den Abfall von der Religion leicht macht, weil für diese in ihrem Herzen nichts

mehr pulsirt. Darin ist daher der gegenwärtige Kampf um das Judenthum enthalten. Wenn wir hiermit aussprachen, daß dieser Kampf größere Schwierigkeiten für das Judenthum hat, so wollten wir doch nur sagen, daß diese in den äußeren Momenten als für eine Religion der Minorität bestehen. Andererseits ist dieser Kampf dem Judenthume wieder leichter, weil die Vernunftmäßigkeit seiner Lehre und die ihm gegebene Freiheit, welche dem Individuum keinen Zwang auferlegt, der Richtung unserer Zeit lange nicht so schroff entgegentreten, wie es für die anderen Kirchen der Fall ist, und es sich daher viel leichter mit der Zeitströmung und ihren Resultaten ausgleichen kann, als dies den anderen wird. Darum eben ist es ein glücklicher Umstand, daß gerade vor und mit dem Eintritt seiner Bekenner in das allgemeine Culturleben auch in seinem Innern eine neue Geistesentwickelung begann, welche eine neue Belebung seines Lehr- und Gedankeninhalts, eine wissenschaftliche Durcharbeitung seiner Geschichte und seines Inhalts, eine Umgestaltung seines Ceremonialwesens und eine frischere Auffassung seiner weltgeschichtlichen Mission begonnen und somit für sich selbst den regsten Antheil an der Entwickelung und Richtung des modernen Geistes errungen hat. Fragen wir also schließlich, welche unsere Mittel in dem neueren Kampfe um das Judenthum sind: so liegen sie nicht in einem feindseligen Auftreten gegen das Leben und die Wissenschaft, nicht in der Forderung einer Umkehr“ des Lebens und der Wissenschaft, sondern darin, daß wir den lebendigen und schöpferischen Geist des Judenthums zu einer neuen Entfaltung bringen und vermittelst seiner die Ausgleichung und Versöhnung mit dem Leben und der Wissenschaft anstreben. Je reicher wir den Inhalt des Judenthums entwickeln, die Schäße der Vergangenheit ans Tageslicht heben, die Fülle des modernen Geistes aus Leben und Wissenschaft für das Judenthum verwenden, das Veraltete und Mißbräuchliche beseitigen und das Judenthum in Wesen und Form klären: desto leichter werden wir Lauigkeit und Gleichgiltigkeit beseitigen, Anhänglichkeit, Treue und Beeiferung wieder erwecken und die Feindseligkeit der Extremen überwinden. Wie viel hierin, obgleich wir erst am Anfang stehen, schon geschehen ist, erkennt der, welcher nicht blos an einzelnen Personen und Kreisen mit seinem Blicke hängt, sondern das große Ganze zu überschauen vermag. Gerade das Judenthum enthält trog seiner ausgeprägten Besonderheit viele Momente, welche mit

dem Geiste unserer Zeit zusammentreffen, und je kräftiger diese er faßt werden, desto erreichbarer ist die Ausgleichung.

Der Kampf ist also da. Ihn eingestehen ist besser als ihn ignoriren. Krisen bleiben nicht aus. Aber auch die Mittel und das Ziel sind vorhanden. Jene liegen in den ewigen Wahrheiten und dem dauernden Bedürfniß, die keine Zeit und keine Richtung, feine Entwickelung und kein Erfolg zu verbrängen vermögen; dieses, das Ziel, ist dem Judenthume von seinem Beginne an auf sein Panier und seine Standarte geschrieben. Daß aber dem Judenthume die rechten Geister zur rechten Zeit niemals fehlen werden, dafür stehen die Bürgschaften ein, welche uns die göttliche Vorsehung in unserer langen Geschichte gegeben hat.

XVII.

Das Verhältniß des Judenthums

zur katholischen Kirche.

Das Judenthum verlangt keine Abrechnung mit der katholischen Kirche, es fordert nicht, daß für die lange Reihe von Leiden, Verfolgungen, Martyrien, die seinen Bekennern im Namen der katholischen Kirche bereitet worden, eine Vergeltung, oder ihm, dem Judenthume, eine Entschädigung werde. Niemals hat das Judenthum, sei es durch Profelytenmacherei, sei es durch heftige polemische Angriffe der katholischen Kirche eine Schädigung verursachen wollen, oder zu verursachen versucht. Allerdings haben sämmtliche aus dem Judenthume hervorgegangenen Religionen und Kirchen gegen dasselbe sofort einen heftigen Krieg unternommen, indem sie in der Fortexistenz des Judenthums eine stillschweigende Opposition gegen sich erblickten; aber sie alle haben nach und nach ihren Frieden mit dem Judenthume geschlossen, selbst der Islam durch die bekannten Hattischerifs der letzten Sultane; ausgenommen die katholische Kirche. Sie alle haben ihre Ausschließlichkeit aufgegeben, den Grundsaß der Gewissensfreiheit anerkannt, und daher dem Judenthume die Berechtigung seiner Existenz zugestanden, ausgenommen die katholische Kirche. In der Wirklichkeit haben sogenannte katholische Staaten, d. h. Staaten, in denen die Mehrheit ihrer Bürger der katholischen Kirche angehört, den Juden die volle Gleichberechtigung und dem Judenthume die völlige Gleichstellung, zum Theilfrüher und in vollerem Maße als protestantische Staaten gewährt. Frankreich und Belgien sind hierin allen festländischen Staaten vorangegangen, und noch jetzt ist

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