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Bedeutung. Denn eben darum kann eine dauernde Spaltung und Sectenbildung im Judenthume nicht Plat greifen.

Um was handelt es sich aber dann in den im Judenthume stattfindenden Kämpfen? Diese gehen allerdings aus einer Grundanlage des Judenthums hervor. Das Judenthum hat sich niemals auf den Ausspruch abstracter Principien beschränkt. Von seinem Beginne an hat es stets dahin gestrebt, diese Prinzipien ganz concret im Leben sowohl der Gesellschaft wie der Einzelnen zu verwirklichen und zu verkörpern, darum jene Principien zu bestimmten Geseßen zu gestalten, von welchen das Leben der Gesellschaft wie der Einzelnen beherrscht und erfüllt werde. Hieraus folgte naturgemäß im großen Entwickelungsgange durch die Jahrtausende die Frage, inwiefern die überlieferten Geseze nach den großen Veränderungen der Lebensverhältnisse eine unveränderliche Geltung haben müssen oder eine Umgestaltung zulassen? Um diese Frage, also um die unbedingte Verpflichtung zu den einmal überkommenen Gesetzen drehten sich alle Streitfragen im Judenthume. Diese Frage trat an die Juden besonders dreimal heran. Zuerst zu Esra's Zeiten, als das Heidenthum innerhalb der israelitischen Nation gänzlich überwunden war und es nun galt, auch das mosaische Gesetz bei doch so veränderten Verhältnissen zur unumschränkten Herrschaft zu bringen. Alsdann vor und nach der zweiten Zerstörung Jerusalems, als zuerst ein großer Theil, dann alle Juden aus Palästina unter die Völker der Erde zerstreut worden, dadurch ein großer Theil der mosaischen Geseze seine Anwendung verlor und der andere Theil unter den völlig verschiedenen Verhältnissen einer Verarbeitung bedurfte, welche innerhalb der theils beabsichtigten theils von außen aufgedrängten Isolirung der Juden ihre Geltung habe. Endlich in der Gegenwart, wo bei dem Eintritt in das allgemeine Culturleben, bei der Uebernahme aller staatsbürgerlichen und nationalen Rechte und Pflichten dieselbe Frage betreffs der talmudischen und rabbinischen Umgestaltung des Gesetzes hervortreten mußte. Die Frage über die Autorität, aus welcher die Geseße geflossen, ist hierbei nur eine secundäre. Die Geseze sind da, sie wurden viele Jahrhunderte geübt, und die wesentliche Frage ist daher nicht über den Ursprung derselben als vielmehr darüber, ob und wie weit sie auch unter diesen völlig geänderten Verhältnissen eine Verpflichtung haben könnten und müßten?

Machen wir uns dies noch etwas deutlicher. Zu und nach der Zeit Esra's mußte es sich darum handeln, wie die mosaischen Gesetze im Detail der entwickelten Zustände und in Uebereinstimmung mit den Volkssitten auszuführen seien. Die Beantwortung und der Erfolg liegen in den Urbestandtheilen der Mischna vor. Mit der Auswanderung und endlich mit der Austreibung nach allen Gegenden der Erde wurden der ganze Opfercultus und die meisten damit zusammenhängenden Reinigkeitsgeseße, die ganze Agrargesetzgebung und die auf diese gerichtete staatliche und bürgerliche Verfassung und ein großer Theil des Criminalrechts aufgehoben, weil in der Ausführung unmöglich, wozu dann im Laufe der Zeit die ganze Gerichtsbarkeit, das Erbrecht u. s. w. traten. Der übrige Theil des Gesetzes nahm daher einen lediglich cultuellen Charakter an und erfuhr durch die Talmudisten und Rabbinen eine wesentlich casuistische Verarbeitung. Jetzt nun, wo mit der bürgerlichen Emancipation, mit der factischen Aufhebung jener Isolirung, mit der Theilnahme an aller geistigen Bildung und mit der Umgestaltung und dem Aufschwung der modernen Industrie gänzlich veränderte Lebensbedingungen für die Juden eingetreten sind, mußte dieselbe Frage hinsichtlich der rabbinisch-cultuellen Geseze im Judenthume abermals erstehen. Wir sagen, sie mußte, denn sie hatte nicht etwa einen blos theoretischen Ursprung. Vielmehr brachte das Leben täglich Conflicte, namentlich hinsichtlich des Sabbathgesetzes und der Speisegeseze herbei, die zu einer Lösung drängten; aus der veränderten Geistesrichtung aber entsprang noch die Frage um die Beschaffenheit des Gottesdienstes, da dieser in den letzten Jahrhunderten dem Verfall und der Veraltung anheimgefallen war. Dies sind die wesentlichen Fragen, welche die Gegenwart im Judenthume aufwarf und worüber Parteiung und Kämpfe nicht ausbleiben konnten. Während die ersteren mehr dem Individuum zur persönlichen Auffassung und Entscheidung gegeben waren, mußten die gottesdienstlichen Fragen die Gesammtheit berühren.

Daß dies eine richtige Auffassung und Darstellung der wesentlichen Streitpunkte im Judenthume ist, geht aus der ganzen Geschichte derselben sowie aus den Resultaten, in welche zu den verschiedenen Zeiten die Parteiungen ausliefen, unzweideutig hervor. Bei den Pharisäern und Sadducäern, bei den Hilleliten und Schammaiten, bei den Karäern und Rabbaniten handelt es sich

immer um die Verpflichtung zu den überlieferten Gesezen oder eine selbständige Auslegung des gesetzlichen Theiles der heil. Schrift. Darüber hinaus gingen sie alle nicht und weder die Lehre noch die allgemeinen Principien waren Objecte ihres Streites oder wurden von ihnen angetastet. Hier aber müssen wir eine Eigenthümlichkeit hervorheben, welche allerdings doch nur eine Consequenz dieses Verhältnisses ist. Wie diese ganze Streitfrage immer nur aus den wirklichen Lebensverhältnissen, aus deren Entwickelung und Conflicten hervorging, so kam es auch, daß das wirkliche Leben viel eher über sie entschied und sie allmählich zum Austrag brachte, als die Theorie. Die theologische Theorie ließ sich immer erst auf diese Frage ein, wenn ihr gar nicht mehr aus dem Wege zu gehen war, und so kamen die theologischen Parteien immer erst zu Stande, wenn in der Masse selbst von einem großen Theile schon Entscheidung getroffen war. Dies konnte den Parteien ihre Heftigkeit, dem Kampf sein Feuer für einen gewissen Zeitraum nicht nehmen - aber die Ausgleichung war dann immer schon so weit vorgerückt, daß auch die Theorie doch bald zur Entscheidung und Ausgleichung kommen mußte und hiermit die Parteien verschwanden. Wie heftig auch der Streit der Sadducäer gegen die Pharisäer war und welche traurigen Folgen er für den Bestand der ganzen Nation hatte, so war doch das Volk schon längst auf Seiten der letteren und die Parteien verschwanden so gänzlich, daß die Kunde von ihrer Existenz nur eine sehr dürftige geblieben. Wenn der kleine Bruchtheil der Karäer bestehen geblieben, so fand dies nur in der gänzlichen Entfernung von allen Lebensmittelpunkten des Judenthums seine Ursache.

Wir unterschätzen nun die Bedeutung dieses Streitobjectes im Judenthume durchaus nicht. Wir sagen nicht, daß es sich hier blos um Formen handle und daß der Streit um die formale Seite des Judenthums sich drehe. Vielmehr haben wir ja hervorgehoben, daß es ein wesentliches Charakteristikum des Judenthums ist, sich auf die Lehre und Prinzipien nicht zu beschränken, sondern die concrete Verkörperung im Leben zu fordern. Der Streit hat daher in der Tiefe auch die Bedeutung, ob wiederum ein Theil dieser Principien seine Verkörperung verlieren und die Natur abstracter Principien annehmen dürfe. Demungeachtet liegt es in der Natur der Sache, wie wir sie oben geschildert, daß die Kämpfe im Judenthume, da sie die Lehrfäße und Principien an sich durchaus nicht

berühren, da sie durch das Leben mehr als durch die Theorie zur Entscheidung gebracht werden, daher vielmehr den Individuen als der Gesammtheit zufallen, daß sie daher den eigentlichen Bestand des Judenthums nicht antasten und die Zerspaltung viel weniger hervorrufen und den Frieden in der Gesammtheit, der von der Freiheit des Individuums, von der Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden und von der Lage und Entwickelung der Gesammtheit getragen wird, auf die Länge nicht erschüttern können. Mag daher in den einzelnen großen Länderstrichen die eine oder die andere Richtung im Judenthume die Oberhand haben, mögen in einzelnen Gegenden und Orten die Altorthodoxen, die Neuorthodoxen, die gemäßigten und die radicalen Reformer sich um den Einfluß in Gemeinde, Synagoge und Schule bekämpfen, mögen endlich in der viteratur diese verschiedenen Richtungen ihren lauteren oder stilleren, ihren gründlicheren oder oberflächlicheren Ausdruck finden; in der Consequenz der Geschichte und Entwickelung werden sie ihre Ausgleichung finden, ohne das Judenthum wesentlich zu erschüttern.

Dies betrifft die Kämpfe im Judenthume, wobei wir ebenso objectiv wie bei der Schilderung der Kämpfe im Christenthume zu bleiben suchten. Wir müssen aber, um unser Gemälde vollständig zu machen, nun noch einen Blick auf die Kämpfe um das Judenthum werfen.

c. Die Kämpfe um das Judenthum.

Es ist merkwürdig, daß das Judenthum, so lange es besteht, niemals angegriffen hat und doch zu aller Zeit angegriffen worden, daß es niemals zur Offensive überging und es doch zu aller Zeit offensiv behandelt worden.

Mit dem Augenblicke seines Entstehens begann der Kampf um seine Existenz. Aber in seiner ersten langen Periode von Moses bis Esra ging dieser Kampf im Innern der israelitischen Nation vor, während es sich in den Kämpfen nach außen nur um die nationale und politische Existenz handelte. So wenig ging die Religion Israels selbst bei der Eroberung Kanaans offensiv zu Werke, daß, während das mosaische Geset den Individuen aller Nationen (mit wenigen Ausnahmen, 5. Mos. 23, 4-9.) den Eintritt in „die

Gemeinde des Ewigen" gestattete, nur durch Hinterlist die Gibeoniten als eine Gesammtheit (Jos. 9) in den Bund eintreten konnten. Aber das Heidenthum drang von außen immer wieder in Israel ein und so mußte die Religion des Einzigen mit ihm um ihre Existenz ringen. Das Beispiel, welches bezeichnend genug durch die Aufstellung des ägyptischen Kalbes am Fuße des Sinai gegeben worden, wurde bis zur Zerstörung des ersten Tempels immer wiederholt. Aber es war stets ein von außen hereingebrachtes Heidenthum, denn das israelitsche Volk hat kein solches aus sich selbst geschaffen: es waren immer ägyptische, syrische und phönizische Gößen, deren Altäre in Israel aufgerichtet wurden. Der Kampf um die Religion im Innern Israels nahm unter den Königen bisweilen auch einen politischen Charakter an und die Volkspartei mit den Propheten an der Spitze stand der imonarchischen und aristokratischen gegenüber. Das Königthum zerbrach, das Volk blieb und verbannte mit der Herstellung des zweiten Tempels das Heidenthum aus seiner Mitte. Von da ab begann der Kampf um die Existenz des Judenthums gegen außen. Vorspiele zu diesem hatten sich schon während des babylonischen Exils ereignet und so viel oder so wenig Geschichtliches an der goldenen Bildsäule des Baal mit dem Martyrium im feurigen Ofen und an der Löwengrube des Daniel sein mag, so viel geht sicherlich daraus hervor, daß hiermit gewaltsame Angriffe auf die Religion der Exulanten verbunden waren, welche aber glücklich zurückgewiesen wurden. Es erfolgten als erstes Beispiel eines echten Religionskrieges die makkabäischen Kämpfe, in denen es nichts anderes als die Existenz des Judenthums galt, da der Shrerkönig, die politische Herrschaft schon vorher besaß. Jedermann weiß, wie glücklich Juda damals die Waffen für seine Religion führte. Später geschah auch die einzige Ausnahme einer religiösen Offensive, nämlich gegen die Idumäer, welche unter Johann Hyrkan zum Judenthumë gezwungen wurden. Sie schenkten ihm dafür die Herodianer, welche die hasmonäische Familie entthronten und den Untergang Judas vorbereiteten. In den Römerkriegen bildete die nationale Existenz und Freiheit den Schwerpunkt, wenn auch religiöse Motive durch die römische Zwingherrschaft genugsam eingemischt wurden. Auch ließen die Römer die zerstreuten Juden in ihrer Religion und ihren Sitten gewähren, besonders nachdem die Aufstände der Juden aufgehört hatten. Sie verliehen

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