Obrazy na stronie
PDF
ePub

zurück. Die evangelische Kirche bekennt selbst, daß sie nicht fertig sei, und räumt so ihren Gegnern die größten Zugeständnisse ein; sie verweist auf die Zukunft; da sie aber bereits viertehalb Jahrhundert hinter sich hat, fragt die Gegenwart, was diese Vergangenheit geschafft habe?

Eine ähnliche Erscheinung zeigte sich in England. Von jeher waren hier die Naturwissenschaften in hohem Grade geehrt und gefördert. Die praktischen Resultate derselben kamen der Nation und der ganzen Menschheit für Schifffahrt, Fabrik und Handel allzusehr zugute, als daß sie nicht allseitig anerkannt und unterstüt werden sollten. Nun stimmen diese Erfolge der Naturwissenschaften nicht immer mit den herkömmlichen und kirchlich adoptirten Auslegungen des mißverstandenen Buchstabens der Bibel überein, woran die Buchstabengläubigkeit der Engländer von jeher großen Anstoß nahm. Um dies zu verdecken, versuchte man jüngst eine Erklärung bei den bedeutendsten Gelehrten zur Unterschrift zu bringen, worin es heißt: Wir, die unterzeichneten Jünger der Naturwissenschaften, wünschen unser aufrichtiges Bedauern darüber auszusprechen, daß die Forschung nach wissenschaftlicher Wahrheit heutzutage von manchen dazu mißbraucht wird, die Wahrheit und Echtheit der heiligen Schrift anzuzweifeln. Wir denken, daß das im Buch der Natur geschriebene Wort Gottes, und Gottes Wort, wie es in der heiligen Schrift enthalten ist, wie sehr sie von einander abweichen mögen, doch unmöglich einander widersprechen können. —

„Wir glauben, es ist die Pflicht jedes Jüngers der Wissenschaft, die Natur einfach znr Aufhellung der Wahrheit zu erforschen; und wenn er findet, daß einige seiner Resultate dem geschriebenen Wort oder vielmehr seiner eigenen, möglicherweise irrigen Auslegung desselben widersprechen, sollte er nicht anmaßlich behaupten, daß seine eigenen Schlüsse richtig und die Angaben der Schrift unrichtig sein müssen; er sollte lieber die beiden nebeneinanderstehen lassen, bis es Gott gefällt, uns die Art, wie sie miteinander in Einklang gebracht werden können, einsehen zu lassen: und anstatt auf den anscheinenden Abweichungen zwischen Wissenschaft und Bibel zu bestehen, wäre es besser, sich im Glauben auf die Punkte zu stüßen, in denen sie übereinstimmen.“

Biele unterschrieben; aber desto wirkungsvoller waren die Ablehnungsschreiben, welche einige der hervorragendsten Männer Eng

lands gegen diese Erklärung erließen und dadurch die Kluft zwischen der kirchlichen Buchstabengläubigkeit und der wissenschaftlichen Forschung erst recht bloßlegten. Sie erklärten sich durchaus nicht gegen die Bibel, wohl aber gegen jede Beschränkung in der Auffassung der Bibel, gegen jede unveränderliche dogmatische Fesselung des Verständnisses derselben sowie gegen jeden Zwang in den naturwissenschaftlichen Vestrebungen und Veröffentlichungen. Sir John Herschel schreibt u. a.:

„Aber ich halte diese Bewegung für geradezu schädlich, weil sie die direkte Tendenz hat (durch Aufstellung eines neuen Schibolet, eines neuen Eides religiöser Parteigängerschaft), in die schon allzusehr gespaltenen Beziehungen der christlichen Welt ein neues Element der Zwietracht zu bringen.“

[ocr errors]

Sir John Bowring: „Aber es scheint mir, der Zeitpunkt ist gekommen, wo wir bemüht sein müssen, uns von jedem dogmatisirenden Glauben allen erzwungenen Bekenntnissen, allen vorgefaßten Schlüssen, allen vertuschenden Erklärungen zu emancipiren; unsere Forschungen und Ueberzeugungen mit Ausdauer bis zu ihrer nothwendigen Consequenz zu verfolgen und andere zur Uebung des= selben Rechtes und zur Erfüllung derselben Pflicht aufzumuntern. Ich weiß nicht, wie man dem Gang der Wahrheit und den Interessen der Religion besser dienen kann, als indem man der Forschung den größten Spielraum gestattet. Es ist nicht möglich, noch, wäre es möglich, wünschenswerth, Vergleiche zwischen den geschichtlichen Offenbarungen der Vergangenheit und den wissenschaftlichen Entdeckungen der Gegenwart zu verhindern. Die Bibel muß ins offene Tageslicht gebracht muß aus der Finsterniß, zu der die ehemalige Autorität sie verdammt hat, hervorgeholt, muß mit kundiger Forschung geprüft und aus der Haft streitender Unwissenheit erlöst, von ihren Spinngeweben gesäubert und ihren Verfälschungen (corruptions) gereinigt werden. Nichts Geringeres sollte vernünftiger Weise denjenigen genügen, die da glauben; mehr können, die da zweifeln, billiger Weise nicht verlangen; aber im Interesse aller darf man so viel fordern. Es ist keine „Anmaßung“, die Schlüsse, zu denen man durch nüchternes, ernstes und ehrfürchtiges Studium gelangt ist, der Welt mitzutheilen, mögen die Schlüsse sein wie sie wollen. Die beste Hoffnung für „Glauben,“ Hoffnung oder Trost wird am Ende gefunden werden, wenn man den geistigen Fähig

feiten, mit denen Gott uns gesegnet hat, im ganzen Reich des Gedankens ihren größten Einfluß und ihre weiteste Wirksamkeit gönnt. Indem wir alles prüfen", werden wir im Stande sein das Beste zu behalten, und wir können vollkommen sicher sein, daß die großen Wahrheiten, die den Stürmen und Stößen wildbewegter Jahrhunderte getrost haben, kommende Zeitalter hindurch ungebrochen fortbestehen werden."

Man erkennt also auch hier, daß die auf evangelischem Boden gemachten Versuche, die Wissenschaft an die bisherige christliche Dogmatik zu fesseln, gescheitert sind und das Band noch mehr gelockert haben. An die großen Erschütterungen, die durch den Bischof Colenso, der jetzt freilich retirirt hat, durch die Essays und Reviews in England hervorgebracht wurden, und wie daraus theilweise eine Hinneigung zum Katholicismus, ja selbst jüngst die Gründung neuer Klöster sich herleitet, daran brauchen wir nur zu erinnern.

Daß der Kampf zwischen der katholischen und evangelischen Kirche hierbei auch nicht ruht, ist bekannt. In der jüngsten Zeit (1864) hat in dieser Beziehung eine Schrift des Dr. Martin zu Paderborn eine außerordentliche Erregung und Erbitterung hervorgerufen. Der Bischof spricht darin einfach aus, daß er die Protestanten immer noch als seine, ihm von Gott zugetheilten Pfarrkinder ansche, freilich als abgefallene, die er mit aller Macht zurückzuführen berechtigt und verpflichtet sei. Er stößt also die durch den westphälischen Frieden und insonders durch die preußische Verfassung erwirkte Parität der beiden Kirchen um. Daß er in dieser Schrift nebenbei auch den Raub des Mortara und Coen als völlig gerechtfertigt ansieht, kann uns nicht verwundern. Ob er hiermit den Gesezen des Landes, in welchem er fungirt, Hohn spricht, wird sein Gewissen nicht sehr belasten. Es ist natürlich, daß es an Gegenschriften und Erklärungen von evangelischer Seite nicht fehlt. Als eine jüngste Folge kann betrachtet werden, daß gleich nach einem Besuche jenes Bischofs ein Herr von Düster, 80 Jahre alt und Haupt einer altkatholischen Familie, zur evangelischen Kirche übergetreten ist.

Aber auch innerhalb der katholischen Kirche, so fest gegliedert und streng organisirt sie ist, findet gegenwärtig ein großes Schisma statt. Es handelt sich hier um die weltliche Herrschaft des Papstes,

die doch so tief in das katholische Dogma eingewachsen ist, daß deren Existenz keineswegs blos als ein äußeres Faktum anzusehen ist. Das evangelische Europa verhält sich dabei ganz passiv. Das katholische Italien ist es, welches diese weltliche Herrschaft beseitigen will, und Tausende von italienischen katholischen Geistlichen haben sich gegen diese weltliche Herrschaft ausgesprochen. Neu angefacht wurde dieser Streit durch die jüngste französisch-italienische Convention, und so verschiedenartige Auslegung diese auch erfährt, so gibt doch z. B. eine bald darauf erflossene Erklärung der französischen Kirchenfürsten zu erkennen, daß man diese Convention als einen weiteren Schritt gegen die päpstliche Herrschaft ansieht.

Wir geben hiermit nur eine sehr skizzenartige Darstellung, gewissermaßen nur die Rubriken, in welche tausendfache kleinere Vorgänge zu bringen sind. Wir verfahren dabei ganz objektiv und geben kein Wort des Urtheils. Es ist nur ein Blick auf die Zerfahrenheit rings um uns her, in welcher ein großes Ningen des Menschengeistes mit sich selbst, mit den Ergebnissen der Vergangenheit und der Gegenwart, ein Ringen der mannigfaltigen Kräfte, die im Menschengeiste thätig sind, ein Ringen der Phantasie und der Vernunft, des Erkennens und des Glaubens zu Tage tritt, dessen Resultat und Ziel allerdings im Schooße der großen menschengeschlechtlichen Zukunft ruht.

b. Die Kämpfe im Judenthum.

Wir haben einen Blick auf die Kämpfe und Zerwürfnisse geworfen, welche gegenwärtig im Christenthume vorhanden sind und mit großer Erbitterung von allen gegnerischen Seiten fortgeführt werden. Wir sahen sie gegen das ganze Fundament des Christenthums gerichtet, sahen sie ebenso zwischen den einzelnen Kirchen mit neuer Leidenschaft entbrannt, sahen sie endlich innerhalb jeder einzelnen Kirche schroff gesonderte Parteien einander gegenüberstellen. Jeder Tag bringt hierüber neue Thatsachen, neue Kundgebungen. Wer, unbekannt mit der Entwickelungsgeschichte dieser Zerrüttungen, an den Anblick heranträte, den diese Zustände, wenn man sie mit einem Male überschaut, bieten, der würde kaum noch ein Band erkennen, das alle diese Parteien mit irgend einer Gemeinsamkeit umschlösse.

Uns Juden aber muß doch die Sicherheit auffällig sein, mit welcher die Missionäre der verschiedenen Kirchen zu uns kommen und uns auffordern, das Heil aus ihren Händen entgegenzunehmen, während über dieses bei ihnen selbst so viel Streit, so viele Verschiedenheit, so viele Gegensätzlichkeit obwaltet. Hier ist es nun, wo man uns entgegnet: finden nicht auch im Judenthume Parteien, Streitigkeiten und Kämpfe statt? Wird nicht auch dieses sehr verschieden aufgefaßt und in der Wirklichkeit dargestellt? Allerdings; wir verkennen dies nicht. Darum ist es billig, ja nothwendig, auch hierauf einen prüfenden Blick zu werfen.

Die erste Frage, die sich hier uns aufdrängt, ist: worin besteht das Object der Parteiung im Judenthume? und wie unterscheidet es sich von dem Streitobject im Christenthume? Der wesentliche Charakter des Christenthums, darüber werden wohl alle Parteien einig sein, beruht in seinen Dogmen, die sich als nothwendige Ergebnisse eines aus dem andern aufbauen, so daß kein Glied aus dieser Kette gerissen werden darf, ohne das Ganze zum Falle zu bringen, wenn auch in den verschiedenen Kirchen auf die Fundamentalbogmen immer neue und verschiedene aufgestellt werden. Daß diese Behauptung, der wesentliche Charakter des Christenthums sei in seinen Dogmen begriffen, wahr ist, erweist sich daraus, daß um den andern Theil, um die Principien seines Sittengesetzes, kein Streit stattfindet, wohingegen die christlichen Cultusfragen, namentlich was die Symbole betrifft, wiederum aus den Dogmen erfließen. Im Judenthume hingegen findet kein Streit, keine Parteiung um die Dogmen statt. Allerdings hat auch das Judenthum Dogmen, über welche aber alle Juden, soweit sie innerhalb des Judenthums stehen einig sind. Die unbedingte Einheit Gottes, die göttliche Vorsehung und die göttliche Vergeltung; die Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geistes und dessen Bestimmung zu Erkenntniß, Recht und Liebe, so wie die Versöhnung durch die Reue und Umkehr des Menschen und die Barmherzigkeit Gottes sind die eigentlichen Dogmen des Judenthums, und über diese war und ist kein Streit vorhanden. Es gab keine Epoche im Judenthume, in welcher über diese Lehrfäße irgend eine Verschiedenheit ausgebrochen, und ebenso wenig sind sie ein Gegenstand der streitigen Discussion in der Gegenwart. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zwischen den Kämpfen in den beiden Religionen und die Consequenzen aus dieser Verschiedenartigkeit sind von der höchsten

« PoprzedniaDalej »