anfänglich die Bezeichnung Messias (Christus) für Jesus beansprucht wurde, so daß er seinen Jüngern selbst verbot, davon zu reden (Matth. 16, 20), so blieb sie doch die dauerndste und die neue Religion selbst erhielt den Namen davon. Aber schon dieser Prozeß an sich läßt voraussehen, daß mit dem Namen nicht auch der Begriff überging. Man nimmt gewöhnlich an, der Unterschied sei: das Christenthum sage, „der Messias sei gekommen“, das Judenthum, „der Messias werde kommen“. Aber so oberflächlich dies erscheint, so sezt es doch nicht blos eine Verschiedenheit betreffs der Zeit, sondern auch im eigentlichsten Inhalte voraus. Denn jene Aussprüche bedeuten doch das Christenthum sieht die Verwirklichung der Messiasidee bereits als eingetreten, das Judenthum erst als in der Zukunft eintretend an. Wenn nun das Judenthum nach den Wirkungen der erfüllten Messiasidee fragt, wenn es aus der Geschichte ersieht, daß die achtzehn Jahrhunderte nach dem vorausgesezten Eintritt des Messias und der messianischen Zeit durchaus keinen besseren sittlichen Anblick bieten als die achtzehn vorhergegangenen, wenn sich in jenen ebenso viel Krieg, Gewaltthat, Unrecht, Haß und Herrschaft aller bösen Leidenschaften zeigen wie in diesen, wenn noch heute die Erde das Blut ihrer Kinder trinkt wie früher, das Christenthum aber dennoch die Wahrheit jenes seines Ausspruches aufrecht erhält: so beweist dies, daß eben eine Grundverschiedenheit in dem besteht, was die eine und was die andere Religion unter dem Messias versteht, also eine Grundverschiedenheit in der Messiasidee der beiden Religionen. Worin besteht diese nun? Es ist zwar bedeutsam, daß, während das Judenthum nach dem Vorgange der Propheten ebenso sehr die Messiasidee an sich wie an einen persönlichen Messias geknüpft aufstellt und festhält, ohne eben in der letzteren Anschauung mehr als die Vorstellung von der Art der Verwirklichung der ersteren zu finden, das Christenthum sich lediglich an den persönlichen Messias hält und diese Persönlichkeit zum wesentlichen Mittelpunkt seiner ganzen Glaubenslehre macht; ferner daß, während das Judenthum selbst den Messias niemals anders als einen inspirirten und von Gott mit besonderen Eigenschaften zu seiner Mission ausgerüsteten Menschen machte, dem es seine bestimmte Abstammung aus der davidischen Familie zuweist, das Christenthum in seinem Messias ein göttliches Wesen, Gott selbst findet dennoch sind dies nur Symptome der in der Tiefe der beiden Ideen liegenden Verschiedenheit. Diese Verschiedenheit finden wir nämlich in Folgendem. Das Judenthum erkennt in der Messiasidee die dereinstige Anerkenntniß und Anbetung des einzigen, unkörperlichen Gottes, des Schöpfers der Welt, von allen Völkern der Erde, die unbedingte Erfüllung seines Willens von allen Menschen, darum die allgemeine Geltung und Uebung des Rechtes unter Recht im höheren Sinne versteht das Judenthum auch die Liebe und darum die allgemeine Herrschaft des Friedens. Das Christenthum hingegen sieht in der Messiasidee die Vergebung der Sünden, die Versöhnung des schon fündig geborenen Menschen mit Gott durch den Glauben. Das Judenthum faßt die Messiasidee als die Erlösung der Menschheit von Irrthum, Unrecht und Kampf durch Erkenntniß Gottes, Recht und Frieden; das Christenthum die Erlösung von der Sündhaftigkeit durch den Tod des Messias und Erlösers und durch den Glauben an diese Erlösung und die Art, wie sie vollführt worden. Dies ist in einfachster und klarster Weise die wahre und ganze Verschiedenheit zwischen den Messiaslehren beider Religionen, aber diese ist groß und wesentlich genug, um eine Vermittelung zwischen beiden nicht stattfinden zu lassen. Sie erklärt aber auch die oben angeführten Momente in ihrer äußerlichen Erscheinung. Ein Kerngedanke des Judenthums ist, daß, wenn auch die nothwendigen Folgen der Sünden der Väter von den Kindern und andern mitgetragen werden, doch die Versöhnung der Schuld, die Vergebung der Sünde nur von jedem für sich durch sich allein und die Allbarmherzigkeit Gottes durch Reue, Buße, Umkehr und guten Wandel erlangt werden kann, daß hierin außer Mahnung und Beispiel niemand etwas für den andern thun könne, daß eine jede Seele nur durch sich selbst geläutert, gefühnt und geheiligt werden könne. Dies ist die bestimmteste Lehre Moses, der Propheten und des ganzen Judenthums. Vergebens weist man auf den Versöhnungstag und die an demselben gebrachten Sündopfer. Die letzteren betreffen, wie wir oben nachgewiesen haben, lediglich das Verhältniß der ganzen Nation, der ganzen Priesterschaft und des Hohenpriesters zu Gott und dem Heiligthume, während jedem einzelnen Israeliten. die Kasteiung (Down yr 3. Moj. 23, 27. 29. 32.) b. i. die Demüthigung und Bereuung der Seele, getragen und gefördert durch das leibliche Fasten, geboten wird, wie denn auch jeder einzelne Israelit bei jeder einzelnen Sünde, sobald er sie bekannt hatte und bereute, ein Sündopfer zu bringen hatte (3. Mos. 4, 27 ff.). Es giebt unseres Wissens keine Stelle in der heil. Schrift, worin als die Wirkung des Messias die Sündenvergebung hervorgehoben wird, sondern überall die Erkenntniß Gottes, die Befreiung von jedem Irrthum und Wahn, von jedem Joche und Unrecht, die Erfüllung des göttlichen Willens, die Gerechtigkeit und der Frieden. So lebt die Messiasidee, in welcher Art sie concret auch aufgefaßt werde, im ganzen Judenthume. Wir wollen dafür nur noch ein Beispiel anführen. Es ist bekannt, daß durch die Untersuchungen Bleek's, Möhler's, Alexander's und Friedlieb's es außer allem Zweifel gebracht ist, daß das dritte Buch der Sibylltnen einen jüdischen Verfasser hat und daß dieser zur Zeit der Triumvirn Antonius, Octavian und Lepidus schrieb.) In diesem Buche kommt der Verfasser wiederholt auf die Messiaslehre und schildert das messianische Reich folgendermaßen: „Dann wird die Erde die herrlichsten Früchte hervorbringen an Weizen, Wein und Oliven, Milch und Honig werden fließen und die Städte gefüllt sein mit mannigfachen Gütern. Nicht wird mehr Krieg sein auf Erden, nicht wird Trockenheit den Boden verderben, nicht wird Hunger mehr sein und nicht zerstörender Hagel; - ein tiefer Frieden lagert folgenreich auf dem weiten Erdenrunde, ein König ist dem andern Freund für ewige Zeiten; die ganze Menschheit wird nach einem und demselben Gesetze regiert von dem unsterblichen Gotte: denn er ist ein ewiger Gott und außer Ihm keiner. „Dann wird Gott ein ewiges Reich errichten für alle Menschen der Erde, was Er verheißen, gewähren den Frommen und Gerechten: die Erde und die Welt, das Heil und die Freude in unbegrenztem Maße; von der ganzen Erbe wird man Geschenke bringen und Weihrauch zu dem einen Tempel, der hienieden nimmermehr seines Gleichen wird haben. Das hohe Gebirg ist wiederum fahrbar, eine Heerstraße die brausenden Wogen des Meeres: denn die Propheten des großen Gottes haben als ge 1) Vgl. auch Grätz's Geschichte der Juden Bd. III. S. 492 und die Broschüre, ,,Die jüdische Sibylle. Vortrag von Dr. Samuel Mühsam. Wien, 1864. 19 rechte Richter der Menschen das Schwert vom Erdenballe verbannt; sicher durchschreitet man das Land, das tiefen Frieden athmet zum Heile der ganzen Menschheit." Das Christenthum lehrt also mit seiner Messiaslehre etwas ganz Anderes, als das Judenthum mit der seinigen, und in der Tiefe ist zwischen dem Messias der heil. Schrift und dem Christus der neuen Lehre keine Aehnlichkeit mehr als der Name; wohl aber mußte das Christenthum den persönlichen Messias festhalten, während das Judenthum hieran durchaus nicht gebunden war; ohne die Persönlichkeit Jesu fällt die ganze Christologie; die messianische Idee bleibt dem Judenthume integrirend auch ohne den persönlichen Messias, und das Judenthum bleibt integrirend, auch wenn kein Jude mehr an einen persönlichen Messias glauben sollte. XV. Der Islam und sein Verhältniß zum Judenthum und Christenthum. Lange Zeit herrschte die Ansicht vor, daß die Kultur in den verschiedenen Epochen der historischen Menschheit einen verschiedenen Schauplatz eingenommen und daß daher die. Geschichte der Kultur fortschreitend nur die hervorragenden Kulturvölker oder -Völkerfamilien zu beachten habe. Die übrige Menschheit war für diese Anschauung nur gleichsam ein Ausfüllsel, das eben nur die Neugierde anrege, ohne daß ihr Studium für die Weltgeschichte wirklichen Werth und besondere Ergebnisse besize. So schritt man vom alten Egypten und Indien nach Assyrien, Chaldäa und Persien, von dort nach Griechenland und Rom und hielt sich von da ab an die christlichen Völker, unter denen wiederum im Lauf der Zeiten eines nach dem auderen in den Vordergrund trat, um nach kürzerer oder längerer Periode wieder zurückzuweichen. Die umfassenden und tiefeingehenden Forschungen der neueren Zeit haben eine andere Anschauung herbeigeführt, die jeden Tag durch neue, großartige Resultate befestigt wird. Wie man einst einsah, daß es eine fast kindische Meinung gewesen, diese kaum mittelgroße Erde sei der Mittelpunkt des ganzen Universums, um den die Sonne wie alle Gestirne sich drehen und um deretwillen das Universum da sei: so kommt es jezt immer mehr zum Bewußt= sein, daß in der Menschheit nur die kleine Zahl mittlerer Völker, welche für die bisherige Geschichtsanschauung die Träger der Zivilisation in den verschiedenen Zeitaltern gewesen, gegen die gesammte Menschheit gehalten, in ähnlicher Weise nur einen kleinen Bruchtheil als Zweck des großen Ganzen aufstelle. Denn selbst in der |