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V.

Das naturwissenschaftliche Bewußtsein.

Wie wir stets nachdrücklich das politische Bewußtsein als Eigenthum des Judenthums, als von dessen Beginn an ihm integrirend zugehörig erkannt und betont haben, so müssen wir auch das naturwissenschaftliche Bewußtsein ihm vindiziren.

Der Mosaismus faßte den ganzen Menschen in allen seinen Beziehungen, Verhältnissen und Interessen auf und konnte daher kein wesentliches Moment der Menschennatur übergehen. Umsoweniger war dies mit dem naturwissenschaftlichen Bewußtsein der Fall, als der Mosaismus die Schöpfung, das ganze Weltall als eine Einheit anerkannte und lehrte, in welcher also der Mensch seine bestimmte Stellung einnahm.

Was versteht man unter naturwissenschaftlichem Bewußtsein? Das Begreifen der Welt als einer Einheit und des Menschen als eines Gliedes dieser Einheit, denselben Gesetzen unterworfen wie die übrigen Wesen und in seinem Dasein aus denselben Gesichtspunkten zu betrachten. Jemehr der Mensch in sozialer und politischer Hinsicht sich entwickelte, jemehr er aus dem Leben in der Natur in einen sich abschließenden geselligen Kreis trat und durch die Cultur alles dessen, was zu seinem materiellen Leben gehört, eigenthümliche, den übrigen Geschöpfen fremde Gewohnheiten und Lebensweisen annahm, jemehr sich Intelligenz, Philosophie und Wissenschaft entjalteten und den Menschen von den anderen Geschöpfen immer mehr unterschieden, und als endlich die herrschenden Religionen den Beruf, die Bestimmung, die Zwecke des Menschen über die sichtbare Welt in eine höhere, jenseitige und göttliche immer mehr verlegten : desto stärker mußte die Scheidewand zwischen dem Menschen und

der Natur werden, desto vollständiger mußte er sich von den übrigen Wesen getrennt denken und nicht blos über sie hinausragen, sondern sich auch als völlig verschieden von ihnen anerkennen. Dies führte endlich bis zur Verachtung alles Natürlichen, bis dahin, daß der Triumph des Menschen in der Ueberwindung alles Natürlichen, in der Verschmähung desselben, in der Feindseligkeit gegen dasselbe gefunden ward. So hatte das Alterthum seinen Chnismus und seine Stoa, das Mittelalter sein Braminenthum .und seine Aszetik. Aber auch in den Sitten, in der Lebensweise und in der Erziehung auf ganz materiellem Boden macht sich dies herrschend. Nacht wurde in Tag verwandelt, die Bildung des Geistes auf Kosten des Körpers angestrebt und der letztere in der Erziehung vernachlässigt: alle leiblichen Bedürfnisse zum höchsten Raffinement gebracht und die natürlichen Triebe zu den schrankenlosesten Ausschweifungen gemißbraucht.

Mit der großen Entwickelung der Naturwissenschaften, mit der vorherrschenden Neigung für sie mußte dies anders werden. Man begriff das Weltall in seinem Zusammenhange, die enge Zusammengehörigkeit aller Wesen; man faßte den Menschen in seiner Ein gliederung in dieses große Ganze wieder, man hörte auf, ihn als einen gesonderten Mikrokosmus zu betrachten, wohl aber als untrennbares Glied des Makrokosmus; man begriff die höhere Einheit, in welche Geist und Körper, wenn auch in ihrem Wesen so verschieden, in dem Menschen aufgehen und wie sie beide miteinander durch die engsten Bande, durch die nachhaltigste Wechselwirkung verbunden sind; man begreift, daß der Geist während seines Erdendaseins der Sphäre der Erde angehört, sich innerhalb derselben zu entwickeln und seinen Beruf zu erfüllen habe. Dies ist die Grundlage des naturwissenschaftlichen Bewußtseins. Jede Forschung, jede Entdeckung verstärkt und schärft es. Diese Erde ist uns nicht mehr die ganze Welt, deren Mittelpunkt, deren Endzweck, sondern wir wissen sie nur noch als ein mittleres Glied des Sonnensystems und dieses als ein Glied des großen Weltensystems; wir wissen, daß die Erde nur eine Nüanzirung der unendlich mannigfaltigen zahllosen Weltkörper ist und daß auf sie alle kosmischen Gesetze einwirken, welche durch die ganze Schöpfung reichen. Um ein Bild zu gebrauchen: wir sehen Morgenroth, Tageshelle, Abendroth und Nacht immerfort zu gleicher Zeit um die Erde gleiten und wechsels

weise die Erdengeschöpfe darunter stehen, und verlernen immer mehr diese Erscheinungen als an den Ort gebunden zu betrachten. So erscheinen uns denn auch alle Wesen der Erde in ihrem innigsten Zusammenhange als Modifikationen eines und desselben Daseins, allesammt denselben Gefeßen unterworfen und von diesen in ihrer ganzen Existenz beherrscht. Dies ist das naturwissenschaftliche. Bewußtsein.

Aber es ist nicht zu verkennen, daß auch dieses große Errungniß zu den bedeutsamsten Ausschreitungen verleitet und, daß wir es offen sagen, zu den gefährlichsten. Es ist dies einmal das Schicksal alles Menschlichen, von einem Extreme zum andern getrieben zu werden und gewissermaßen die frühere Vernachlässigung eines Moments durch dessen nachherige Uebertreibung zu rächen. Wer weiß es nicht, daß dieses naturwissenschaftliche Bewußtsein viele Individuen zu einem trostlosen Atheismus und Materialismus führt? Die Betrachtung der Welt von ihrer physischen Seite verleitet zu der Leugnung ihres göttlichen Ursprungs, zu der Annahme eines Ansichseins des Stoffes, der Nothwendigkeit seiner Existenz, der Selbstschöpfung seiner Gebilde, Einrichtungen und Formen. Die Betrachtung der Erdenwesen in ihrem Zusammenhange verleitet zur Verkennung alles organischen Wesens, zur Zurückführung desselben auf nur mechanische und chemische Geseze. Die Betrachtung des Menschen vom naturwissenschaftlichen Standpunkte verleitet zur Identifizirung des Geistes mit dem Körper, zur Erniedrigung des ersteren als eines physikalischen Prozesses des letteren, zur Abschwächung seines selbstbewußten, freien Willens und sittlichen Werthes zu bloßen Instinkten.

So steht die Verirrung der positiven Religionen der Verirrung des naturwissenschaftlichen Bewußtseins gegenüber, und indem das lettere die erstere bekämpft, versteht es nicht, sich selbst vor der entgegengesetzten Verirrung zu hüten, und weil man in diesem naturwissenschaftlichen Bewußtsein sich von jenen Extravaganzen der positiven Religion frei macht, pocht man auf dasselbe und verliert sich in ihm ganz und gar.

Wir sagen nun nicht, daß sich das Zudenthum von jenen 3rrthümern frei erhalten habe; auch das Judenthum ist den Strömungen der Zeit, ist den vorherrschenden Richtungen der Völker, in deren Mitte es besteht, mehr oder weniger unterworfen und nahm

in den verschiedenen Epochen mehr oder weniger von ihnen an.. Auch das Judenthum bildete eine die Natur verachtende Aszetik aus und lernte den Menschen aus seinem natürlichen Zusammenhange herausreißen und über die Erde hinwegheben. Aber es ist doch ein anderes, wenn dieses Moment zu dem eigentlichen Wesen einer bestimmten Religion gehört und ihren ganzen Charakter ausmacht, oder wenn es, wie es bei dem Judenthume der Fall ist, ihr erst aufgedrungen und zugefügt ist, während nicht blos ihr Ursprung sondern ihre ganze eigentliche Anschauung, ihr Grundcharakter und ihr wesentliches Endziel ganz andere sind. Und dies ist es denn,. was wir betonen, wenn wir sagten, daß das naturwissenschaftliche Bewußtsein ebenfalls ein Element des Judenthums war und ist.

Der Mosaismus beginnt mit der Schöpfung der Welt, innerhalb derselben der Erde, der Wesen auf der Erde und unter diesen des Menschen; dann behandelt er die äußere und innere Entwickelung des ganzen Menschengeschlechts und hebt endlich aus diesem einen Stamm, eine Familie, einen Mann hervor, der zum Ausgangspunkte der Gotteserkenntniß geworden. Der Mosaismus wollte hiermit die Zusammengehörigkeit dieses Mannes und des aus ihm entsprungenen Religionsvolkes mit dem ganzen Menschengeschlechte und die Einheit dieses, die Eingliederung des Menschen in die Wesenreihe der Erde, und die Einheit der ganzen Schöpfung lehren. Allerdings betrachtete er den Menschen als das höchste der Erdengeschöpfe, das zwar seiner ganzen physischen Seite nach dem Thierreiche, ja der Erde, aus deren Elementen (y) er gebildet, eingeschlossen ist, aber durch Beseelung mit dem gottebenbildlichen Geiste auch zugleich einer höheren Welt angehört und einen höheren Beruf zu erfüllen hat; er erkennt aber diese Vereinigung des physischen und geistigen Lebens im Menschen als eine Einheit an, die während des Erdendaseins untrennbar und unlöslich ist. Ebenso ist ihm die Schöpfungsgeschichte nicht blos etwa ein erster Anknüpfungspunkt, sondern wie sie nichts anderes und nichts weiter als die großen Schöpfungsgedanken Gottes und die allgemeinen Bedingungen des physischen Daseins im ganzen Weltall und auf der Erde insbesondere 1) zeichnet, bildet sie ihm die Unterlage zur ganzen Gotteserkenntniß. Es ist eine wesentliche Eigenthümlichkeit der

1) Siehe unsern Commentar zur Schöpfungsgeschichte in unserm Bibelwerke.

israelitischen Gotteslehre, daß sie sich zu aller Zeit ebenso wohl als eine geoffenbarte, gegebene, als auch als eine aus der Natur erkannte und durch dieselbe erwiesene hinstellte. Wir brauchen den Kundigen nicht erst auf alle die Prophetenstellen, die Psalmen (namentlich den 19. Psalm), das Buch Hiob u. s. w. hinzuweisen, in welchen die Gotteslehre als auf die Natur gegründet gepriesen, und die ganze Schöpfung mit allen ihren Wesenreihen und deren Einrichtungen als der schlagende Beweis für das Dasein und die Eigenschaften Gottes, wie unsere Religion sie lehrt, erhoben wird. Nur auf solchem Grunde konnte das Buch Hiob erstehen, und wie von dem Weisesten der Nation gerade gerühmt wird, daß er zu sprechen gewußt von der Zeder des Libanon bis zum Ysop an der Felswand, so ist es nicht zu verkennen, daß dieses naturwissenschaftliche Bewußtsein selbst schon innerhalb des Judenthums einmal bis zur Ausschreitung gelangte und sich als Verkennung der „Vorzüge des Menschen vor dem Thiere" aussprach (Kohel. 3, 19.1) Nicht minder geht die Anschauung der Einheit, in welche Körper und Geist im Menschen gebracht worden, durch das ganze mosaische Gesetz und liegt ihm wesentlich zu Grunde. Das ganze Reinigkeits- und Reinigungsgesetz, insonders auch das Speisegesetz beruht auf der Ansicht, daß die körperlichen Prozesse auf den Geist nachhaltige Wirkung üben, aus der Verunreinigung, Entweihung, Verthierung des Körpers auch eine Befleckung, Entweihung, Erniedrigung des Geistes hervorgeht, so daß die Heilighaltung und Heiligung des Menschen bei dem Körper beginnen muß, um die Erfüllung im Geiste vollständig machen zu können. So haben denn auch selbst während des dunkelsten Mittelalters die bedeutendsten Männer des Judenthums keinen Widerspruch darin gefunden, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen, und niemals wurden jene deshalb als außerhalb der Synagoge stehend oder gar als Herenmeister und Zauberer angesehen. Ia, selbst die abenteuerlichen Verirrungen der Kabbalah und noch mehr des Chassidismus, der den Gebeten selbst eine Einwirkung auf die Natur zuspricht, sezt den Zusammenhang voraus, in welchem das Judenthum den Menschen mit der Natur anschaut.

1) Daß dies nicht die Ansicht des Buches Kohel selbst ist, sondern als eine damals nicht ungewöhnliche Meinung angeführt und bekämpft wird zeigten wir in unserm Commentar zu diesem Buche. S. unser Bibelwerk Th. III. S. 745,

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