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4, 15. wieder, immerhin kann die positive Form Eigenthum der Bergpredigt gewesen sein; der Gedanke selbst war nicht neu.

Die Bergpredigt endet nunmehr mit Mahnungen in Gleichnißform (wie das Evangelium Lukas sie bezeichnet 6, 39) von der engen Pforte, den Schafen in Wolfskleidern, den Früchten der Bäume, dem Hause auf Felsengrund.

Uebersehen wir die Resultate dieser Prüfung, so zeigt sich uns, daß die Zehn-Worte ein konsequentes, abgeschlossenes Fundament eines aus der Gotteslehre gezogenen Sitten- und Rechtssystems von so allgemeiner Bedeutung und Geltung sind, daß sie eben zu fol chem Grundgesetz nicht blos für das Zudenthum, sondern auch für alle christlichen Völker wurden, daß hingegen die Bergpredigt nichts anderes als eine Volksrede mit allen Vorzügen und Nach theilen einer solchen bildet. Wir müssen uns hierbei die damalige Lage des Volkes und seine Zustände kurz vergegenwärtigen. Nad vielfachen Bruder- und Bürgerkriegen unter den Gliedern der hasmonäischen Fürstenfamilie, die sich bis in das Nationalheiligthum erstreckten, war der Römer theils mit List, theils mit Gewalt in das Land gedrungen, hatte den Staat seiner Selbständigkeit be raubt, dem Volke eine unerträgliche Last von Steuern, Expressungen und Gewaltthätigkeiten aufgebürdet, und streckte bereits seine despo tische Hand nach Heiligthum und Cultus, und das Volk stand am Vorabend eines Aufstandes, der zum blutigen Vernichtungskampje werden sollte. Dabei war es in politische und kirchliche Parteien gespalten, und die Tendenz seiner damaligen Theologen nach Erweiterung und Modifikation des Gesetzes konnte dem Volke zwar eine unerschütterliche Glaubenstreue einflößen, nach der sittlichen Seite aber nicht mildernd und beschwichtigend einwirken. Die Leis denschaften waren also in hohem Grade erregt und droheten um jo mehr zu entflammen, je mehr Ursachen in den Ereignissen jedes Tages sich dazu aufhäuften. Hier hinein tritt die Bergpredigt, um das Volk zu ergreifen, zu beschwichtigen, zu trösten und dem Sturm, welcher der Gesammtheit drohete, die Individuen möglichst zu ent ziehen. Der Zweck der Bergpredigt war also ein örtlicher und momentaner. Nun wiederholen sich zwar Zustände und Leidens schaften in der Menschheit immer von Neuem. Es kommen immer wieder Zeiten der Unterdrückung, der Verwirrung und Zersetzung, und unter deren Einfluß werden immer wieder dieselbe sittliche

Verwirrung und Verwilderung und Leidenschaftlichkeit im Volke erstehen. Die Bergpredigt wird also in jener Tendenz auch einen allgemeineren Charakter beanspruchen können, aber immet nur unter gewissen Bedingungen, welche der Zeit, dem Ort und der Individualität angehören. Sie thut ein großes Werk, indem sie zur Resignation, zur Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, zum Dulden, wo der Kampf nur Zerstörung und Barbarei hervorruft, zum stillen Bewußtsein und zum unbedingten Vertrauen auf Gott ermahnt. Aber indem sie so dem zeitweisen Bedürfniß der Individuen im Volke genügt, geräth sie selbst vom allgemeinen Gesichtspunkt aus in Extravaganzen, in Verwirrung der sittlichen Begriffe, des Rechtsgefühls, zieht die Individuen aus der Gesammtheit und deren Zusammengehörigkeit heraus und stellt sie auf sich selbst, löst die Gesellschaft auf, beseitigt deren Institute, lähmt die Thätigkeit und die Energie und vertauscht die leztern mit Sentimentalität und Passivität. Wir haben dies im Einzelnen hinreichend nachgewiesen. Sie reißt einzelne Momente aus dem Bereiche des Lebens heraus, läßt überall Lücken übrig, macht in allen Punkten Einschränkungen und Abschwächungen nothwendig, und stellt in ihrer idealen und sentimentalen Extravaganz Forderungen, die über die Natur, den Beruf und die Pflicht des Menschen hinausgehen. Sehen wir daher auf die historische Wirksamkeit der Bergpredigt, so erkennen wir, daß sie allerdings dem idealen Christenthume, wenn nicht den ersten Anstoß, doch den ersten Ausdruck seines Charakters als Religion der Individuen gab, aber sobald das Christenthum in den Kreis des Konkreten hinaustrat, von ihm völlig verlassen wurde. Ihre Wirksamkeit war daher stets individuell, örtlich und zeitlich, die geschichtliche Entwickelung der Gesellschaft, des Staates und des Lebens konnte sie nicht beeinflussen, sondern es mußte hier immerfort von ihr abstrahirt werden. Je weiter diese Entwickelung vor= schreitet, desto mehr bleibt sie dahinter zurück.

12. Versöhnung und Erlösung.

a.

Eins der wichtigsten Momente in der Religion ist die Frage über die Ausgleichung der Sündhaftigkeit, über die Rückkehr aus

4, 15. wieder, immerhin kann die positive Form Eigenthum der Bergpredigt gewesen sein; der Gedanke selbst war nicht neu.

Die Bergpredigt endet nunmehr mit Mahnungen in Gleichnißform (wie das Evangelium Lukas sie bezeichnet 6, 39) von der engen Pforte, den Schafen in Wolfskleidern, den Früchten der Bäume, dem Hause auf Felsengrund.

Uebersehen wir die Resultate dieser Prüfung, so zeigt sich uns, daß die Zehn-Worte ein konsequentes, abgeschlossenes Fundament eines aus der Gotteslehre gezogenen Sitten- und Rechtssystems von so allgemeiner Bedeutung und Geltung sind, daß sie eben zu solchem Grundgesetz nicht blos für das Judenthum, sondern auch für alle christlichen Völker wurden, daß hingegen die Bergpredigt nichts anderes als eine Volksrede mit allen Vorzügen und Nachtheilen einer solchen bildet. Wir müssen uns hierbei die damalige Lage des Volkes und seine Zustände kurz vergegenwärtigen. Nach vielfachen Bruder- und Bürgerkriegen unter den Gliedern der hasmonäischen Fürstenfamilie, die sich bis in das Nationalheiligthum erstreckten, war der Römer theils mit List, theils mit Gewalt in das Land gedrungen, hatte den Staat seiner Selbständigkeit beraubt, dem Volke eine unerträgliche Last von Steuern, Expressungen und Gewaltthätigkeiten aufgebürdet, und streckte bereits seine despo= tische Hand nach Heiligthum und Cultus, und das Volk stand am Vorabend eines Aufstandes, der zum blutigen Vernichtungskampfe werden sollte. Dabei war es in politische und kirchliche Parteien gespalten, und die Tendenz seiner damaligen Theologen nach Erweiterung und Modifikation des Gesezes konnte dem Volke zwar eine unerschütterliche Glaubenstreue einflößen, nach der sittlichen Seite aber nicht mildernd und beschwichtigend einwirken. Die Leidenschaften waren also in hohem Grade erregt und droheten um so mehr zu entflammen, je mehr Ursachen in den Ereignissen jedes Tages sich dazu aufhäuften. Hier hinein tritt die Bergpredigt, um das Volk zu ergreifen, zu beschwichtigen, zu trösten und dem Sturm, welcher der Gesammtheit drohete, die Individuen möglichst zu entziehen. Der Zweck der Bergpredigt war also ein örtlicher und momentaner. Nun wiederholen sich zwar Zustände und Leidenschaften in der Menschheit immer von Neuem. Es kommen immer wieder Zeiten der Unterdrückung, der Verwirrung und Zersetzung, und unter deren Einfluß werden immer wieder dieselbe sittliche

Verwirrung und Verwilderung und Leidenschaftlichkeit im Volke erstehen. Die Bergpredigt wird also in jener Tendenz auch einen allgemeineren Charakter beanspruchen können, aber immet nur unter gewissen Bedingungen, welche der Zeit, dem Ort und der Individualität angehören. Sie thut ein großes Werk, indem sie zur Resignation, zur Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, zum Dulden, wo der Kampf nur Zerstörung und Barbarei hervorruft, zum stillen Bewußtsein und zum unbedingten Vertrauen auf Gott ermahnt. Aber indem sie so dem zeitweisen Bedürfniß der Individuen im Volke genügt, geräth sie selbst vom allgemeinen Gesichtspunkt aus in Extravaganzen, in Verwirrung der sittlichen Begriffe, des Rechtsgefühls, zieht die Individuen aus der Gesammtheit und deren Zusammengehörigkeit heraus und stellt sie auf sich selbst, löst die Gesellschaft auf, beseitigt deren Institute, lähmt die Thätigkeit und die Energie und vertauscht die lettern mit Sentimentalität und Passivität. Wir haben dies im Einzelnen hinreichend nachgewiesen. Sie reißt einzelne Momente aus dem Bereiche des Lebens heraus, läßt überall Lücken übrig, macht in allen Punkten Einschränkungen und Abschwächungen nothwendig, und stellt in ihrer idealen und sentimentalen Extravaganz Forderungen, die über die Natur, den Beruf und die Pflicht des Menschen hinausgehen. Sehen wir daher auf die historische Wirksamkeit der Bergpredigt, so erkennen wir, daß sie allerdings dem idealen Christenthume, wenn nicht den ersten Anstoß, doch den ersten Ausdruck seines Charakters als Religion der Individuen gab, aber sobald das Christenthum in den Kreis des Konkreten hinaustrat, von ihm völlig verlassen wurde. Ihre Wirksamkeit war daher stets individuell, örtlich und zeitlich, die geschichtliche Entwickelung der Gesellschaft, des Staates und des Lebens konnte sie nicht beeinflussen, sondern es mußte hier immerfort von ihr abstrahirt werden. Je weiter diese Entwickelung vorschreitet, desto mehr bleibt sie dahinter zurück.

12. Versöhnung und Erlösung.

a.

Eins der wichtigsten Momente in der Religion ist die Frage über die Ausgleichung der Sündhaftigkeit, über die Rückkehr aus

der Verschuldung. Jeder Mensch sündigt. Aber diese allgemeine Möglichkeit, Anlage, Neigung zum Bösen, ohne welche der Mensch auch kein sittlich freies Wesen werden konnte, entschuldigt die Sünde eben nur im Allgemeinen, rechtfertigt sie aber nicht. Denn jede Sünde ist eine besondere That für sich, ein Unterliegen der Pflicht vor der Leidenschaft, eine Uebertretung eines göttlichen Gebotes, ein Abfall von unserer Bestimmung, eine Handlung wider die Absicht Gottes, eine Entfernung von Gott. Indem also jede Sünde ein besonderer Ausfluß unserer Willensthätigkeit ist und die Neigung zum Guten ebenso immer in uns vorhanden ist wie die Neigung zum Bösen, sind wir durch und für jede Sünde schuldbar. Wie werden wir nun dieser Schuldhaftigkeit ledig? Wie gelangen wir zu Gott zurück?

Judenthum und Christenthum beantworten diese Frage verschieden, und diese Verschiedenheit charakterisirt sich durch zwei Worte: das Judenthum spricht von der Versöhnung, das Christenthum von der Erlösung.

Denn das Judenthum stellt an die Spitze dieser Lehre den Sat: Der Ewige, der Ewige, Gott, barmherzig und gnädig, langmüthig und voller Huld und Wahrheit, bewahrend Huld den Tausenden, vergebend Sünde, Missethat und Schuld, läßt aber nichts unbestraft" (2. Mos. 34, 6. 7). Wenn also auch Gott an die Sünde die natürlichen Folgen, ja wenn er auch an dieselbe durch seine Fügung schmerzliche Wirkungen für den Thäter sich knüpfen läßt, so genügt dies für die Schuldhaftigkeit der Seele nicht. Das Kind, das von dem zürnenden Vater gezüchtigt worden, schnell ist der Schmerz vorübergegangen; aber so lange der Blick des Vaters noch streng auf es gerichtet, es aus seiner Nähe verbannt ist, es in seine Liebe und sein Vertrauen nicht wieder völlig eingesetzt worden, fühlt sich das Kind tief betrübt und unglücklich, und dieser Schmerz brennt mehr und länger als alle leibliche Strafe. Wehe dem Kinde, wo es nicht also ist! Da tritt die Religion Israels zu ihm und spricht: „Kehre um, bereue und bessere dich, thue das Böse nicht wieder, - schaffe das Unrecht aus deiner Hand, und dir ist vergeben, dein Gott ist versöhnt mit dir."

In der That war und ist das Judenthum die Religion der Versöhnung und ihr einfacher Lehrsaz war stets: Gott ist allbarmherzig, und wenn du von der Sünde läsfest und das Unrecht,

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