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Für das Allgemeine wird ihm durch das ihm unentbehrliche Dogma der Erbsünde ein ganz anderer Boden bereitet. Hierdurch sind also die Menschen von Geburt an der Sünde und dem Verderbniß verfallen, und erlangen die Erlösung von diesen erst durch den Ölauben an das Faktum der durch den Tod des Stifters der christlichen Religion für den Gläubigen erwirkten Erlösung. Hiermit ist für den ganzen Theil der Menschheit, in welchem dieser Glaube nicht vorhanden oder nicht zum Durchbruch kam, das Heil unerreichbar. In den Jahrtausenden, die diesem Faktum vorangingen, so wie in den zahllosen Geschlechtern der Menschheit, die diesen Glauben nicht besigen, ist alles Geistesleben nur verderbt, dem Heile abgewandt, der Verdammniß geweiht; ja, je größer die Geistesgaben in einzelnen Völkern und in Individuen sind, desto verderblicher wirkt ihre Thätigkeit ohne diesen Glauben. Der Grundsatz der Entwickelung fehlt hier also gänzlich, oder dieselbe wird nur als auf verkehrte Wege und zum Unheile führend angesehen. Dies hat sich denn auch faktisch genugsam erwiesen, da die Kirche der freien Entwickelung der Wissenschaft und Kunst stets entgegentrat, und wo sie auf sie traf, ihre Umkehr“ verlangte, ihre engste Begrenzung von der Staatsgewalt forderte. Die einzige Entwickelung besteht dem dogmatischen Christenthume daher nur in der Verbreitung dieses Glaubens, und so lange die lettere in der Menschenwelt nicht fortschreitet, ja, da diese in den letzten Jahrhunderten eher Rückschritte gemacht und in zahllosen Geistern der zivilisirten Welt an Boden verloren hat, ist ihm die Entwickelung nur zum Bösen und zum Verderbniß gewandt. Betrachten wir nun die andere, die ideale Seite, so besteht sie wesentlich in einer unbegrenzten Entfaltung der Liebe, sie dringt nicht blos auf Versöhnlichkeit gegen die Feinde, auf die thatkräftige Barmherzigkeit auch gegen die Feinde - denn diese lehrt und befiehlt auch das Zudenthum — sondern auch darauf, daß wir unsere Feinde auch segnen; daß wir ihrer Gewaltthat durch die freiwillige Hingabe dessen, was sie uns ge= lassen, entgegenkommen; daß wir das Unrecht dulden und demselben nicht durch Abwehr und Hinwegschaffung entgegentreten sollen. Sie besteht ferner in der dem jenseitigen Leben vorzugsweise zugewandten Betrachtung, in der Gleichgültigkeit gegen das reale Leben auf der Erde, in der Zurückgezogenheit vom weltlichen Verkehr, in der Ertödtung des sinnlichen Lebens, in der Rückkehr zu dem unmittel

baren Leben der kindlichen Unschuld. Diese ideale Seite des Christenthums befaßt daher lediglich das Leben des Individuums, löst das ganze Menschengeschlecht in die bloße Masse der Individuen auf, erkennt die Gesellschaft als solche nicht an und überläßt sie sich selbst. Während das Heidenthum das Individuum gar nicht kannte, sondern nur den Staat, das Individuum nur als Glied der Staatsgemeinde faßte; während das Judenthum Idee und Realität nicht trennte, sondern den von der Idee erfüllten, durchbrungenen und beherrschten Realismus, oder anders gesagt, die von dem realen Leben erfaßte und verwirklichte Idee wollte: weiß das ideale Christenthum nur vom Individuum, das dem Ideale eines jenseitigen Lebens zustrebt, und setzt ihm darum Bedingungen, welche über die Natur des Menschen weit hinaus reichen und ein gesellschaftliches Leben entweder unmöglich machen oder in ihm unbeachtet lassen. Es geht hieraus hervor, daß die aus dem Christenthume erfließende Weltanschauung keine einheitliche ist, sondern aus dem dogmatischen Christenthume in die extensive und intensive Verbreitung des Glaubens an die christlichen Dogmen, aus dem idealen Christenthume in die Vernichtung des Realismus durch das der jenseitigen Existenz zugewandte Leben des Individuums gesezt wird.

Es ist nicht unsere Sache, den Zwiespalt und Widerspruch zwischen diesen beiden Anschauungen hervorzuheben oder auszugleichen. Das Kirchenthum, das selbstverständlich das Hauptgewicht auf die erstere legte, hat das ideale Moment immer durch das dogmatische beschränken, den Kreis der Wirksamkeit jenes auf die Anhänger dieses abgrenzen wollen, und die konsequenteste Ausschließung aller Andersgläubigen nicht blos aus dem Himmel sondern auch von allen gesellschaftlichen Beziehungen vorgeschrieben. Wir überlassen es dem Urtheile des unparteiischen Forschers, welche von diesen beiden Weltanschauungen der Wahrheit am nächsten komme; welche von ihnen dem Begriffe der göttlichen Vorsehung, der göttlichen Gerechtigkeit und Liebe am meisten entspreche; welche von ihnen ein klares Licht in das große Konvolut des geschichtlichen Stoffes bringe oder das Wirrsal in demselben noch mehr verwirre; welcher von ihnen das aus der geschichtlichen Entwickelung sich ergebende allgemeine Bewußtsein am meisten gleiche; und ob daher die jüdische oder die christliche Weltanschauung einer allgemeineren Anerkennung fähig sei?

11. Die Zehn- Worte und die Bergpredigt.

Jedermann weiß, daß die Zehn-Worte (Zehngebote) die feierlich verkündeten Grundgesetze des Judenthums sind, und daß ebenso zu aller Zeit die vom Evang. Matthäi (IV, 23 ff.) mitgetheilte Bergpredigt als die Grundlage der christlichen Sittenlehre angesehen wurde und wird. Dies ist Motiv genug, beide mit einander zu vergleichen, wozu wir schon dadurch aufgefordert werden, daß die Bergpredigt in mehrfachen Punkten an die Zehn-Worte anknüpft und sie kommentirk, und daß die äußere Scenerie bei der Bergpredigt eine Nachahmung der der Zehn-Worte ist.

Es heißt Matth. 4, 25): „Und es folgte ihm viel Volkes aus Galiläa und den Zehnstädten und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordans. Da er aber das Volk sah, stieg er auf den Berg; und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er that seinen Mund auf, und lehrete sie und sagte". Man sieht, daß alle Theile des damaligen jüdischen Landes genannt werden, um die Vorstellung zu wecken, daß das gesammte jüdische Volk dabei vertreten gewesen, wie einst das ganze Israel, Männer und Frauen, Greise und Kinder, am Fuße des Sinai versammelt war, und daß von der Höhe des Berges herab die Belehrung kam, wie einstens vom Sinai. So schwach nun auch diese Nachahmung ist gegen die großartige Scenerie am Sinai, so liegt es doch zu Tage, daß der Evangelist die Analogie beabsichtigte. Dies wird auch dadurch be stätigt, daß das Evangelium des Lukas (VI, 17 ff.) die Scenerie anders beschreibt, und die „Bergpredigt" zu einer „Feldpredigt" macht. Er berichtet: „Und er stieg herab mit ihnen, und trat auf einen ebenen Plaß, und (mit ihm) der Hause seiner Jünger, und eine große Menge Volkes aus ganz Judäa und Jerusalem und der Meerküste von Thrus und Sidon, welches gekommen, ihn zu hören und geheilet zu werden von seinen Krankheiten, und solche, welche geplagt waren von unreinen Geistern; und sie wurden geheilet. Und alles Volk begehrte ihn anzurühren; denn eine Kraft ging von ihm aus, und heilete Alle. Und er erhob seine Augen auf seine Jünger, und sagte".

1) Der Unparteilichkeit wegen citiren wir nach der Ueberseßung de Wette's.

Auch die Zehn-Worte sind uns in zwei Recensionen (im 2. und 5. B. M.) überliefert. Während aber zwischen diesen beiden nur sehr kleine Wortverschiedenheiten stattfinden, die an sich von keiner Bedeutung sind, und daher rühren, daß die Zehn-Worte im 2. B. Moses ausgesprochen, im 5. B. ihre Verkündigung nur erzählt wird: so bieten die Bergpredigt des Matthäus und die Feldpredigt des Lukas in Ausdruck, Folge und Umfang die größten und wichtigsten Verschiedenheiten dar 1).

Doch bevor wir in das Einzelne eingehen, sind noch einige allgemeine Bemerkungen nothwendig. Das Judenthum, auf dem Grunde des Mosaismus, kennt keine Trennung der Glaubenslehre und Sittenlehre. Ihm sind beide identisch, oder besser, die eine so sehr die Konsequenz der andern, daß sie ihm gar nicht zu trennen jind. Das Sittengeset folgt dem Judenthume aus der Lehre von Gott so unmittelbar, daß jenes ohne diese unverständlich, diese ohne jenes ein unzulängliches Bruchstück wäre. Denn die Lehre von Gott wäre ohne den Begriff der Vorsehung und Vergeltung unvollständig, und das Sittengeset, welches seinen Fundamentalsaß in: „Ihr sollt euch heiligen, denn ich, der Ewige, euer Gott, bin heilig,“ und sein Axiom in: „Gott schuf den Menschen in seinem Ebenbilde“ hat, ist in seinen Einzelheiten immer nur Folgerung aus. den Eigenschaften, die dem göttlichen Wesen beigelegt werden. Gott ist dem Judenthume die wahre Quelle der menschlichen Pflichten, und die eigentlichen Motive zu deren Erfüllung liegen ihm wiederum in Gott. Dies ist selbst äußerlich der Fall, indem vielen Geboten das Wort „ich bin der Ewige" hinzugefügt wird. Anders ist es im Christenthume. Hier, wo die Glaubenslehre eine Reihe von Dogmen aufstellt, die, ohne auf Erkenntniß und Verständniß sich zu stüßen, für sich ein abgeschlossenes Ganzes bilden und die das Glauben zu ihrer Grundlage haben, ergiebt sich mit diesen auch kein wirklicher und innerlicher, faktischer und logischer Zusammen

1) Wir setzen voraus, daß es hinlänglich bekannt ist, wie bereits wiederholt nachgewiesen worden, daß die Bergpredigt in allen ihren Säßen Anklänge, sogar wörtliche, in dem A. T. und in den Talmuden und Midraschim hat und daher nicht als Original angesehen werden kann. Dies haben wir aber hier nicht zu berücksichtigen, da jene Stellen eben nur zerstreut sind und die gesammte Anschauung als schon vorhanden erweisen, aber in der Bergpredigt die Grundlage eines ganzen Systems gegeben und gesehen wird.

hang mit der Sittenlehre, welche hingegen einen für sich selbständigen Theil der Religionslehre bildet. Es ist daher durchaus unrichtig, wenn man so oft behauptete, daß die jüdische und christliche Sittenlehre dieselbe seien. Allerdings werden, praktisch genommen, sie dieselben Resultate haben und Beider Vorschriften auf ein gerechtes, liebevolles, barmherziges und friedliches Handeln hinauslaufen, und dies bewog wohl auch, sie für gleichartig anzusehen; in der Grundlage und Ausführung aber sind sie äußerst verschieden.

Die Zehn-Worte treten von ihrer Verkündigung an als die Grundsätze der mosaischen Religion auf; als solche werden sie von Gott selbst dem Volke verkündet, als solche in zwei steinerne Tafeln gegraben und in der heiligen Lade aufbewahrt. Ganz in der Grundidee des Mosaismus umfassen nun die Zehn-Worte in ihrem Lapidarstyle alle Bezüge des Menschen in ihrem inneren Zusammenhange, in ihrer natürlichen Aufeinanderfolge. Obenan die Erkenntniß des wahren Gottes, alsdann die Anbetung des einzigen Gottes im Geiste, ohne Bilder und Symbole, hierauf die Heilighaltung Gottes innerhalb der Menschenwelt (Eid) und die Heiligung des Menschen in Gott (Sabbath); die Verehrung der Eltern, die Heiligkeit des Lebens, der Ehe und des Eigenthums schließen sich daran; die Wahrhaftigkeit und die Unterdrückung aller bösen Begierden machen den Schluß. So sind hier Gott, Gesellschaft und Persönlichkeit des Menschen miteinander unlöslich verbunden und das Verhältniß des Menschen zu Gott, zur Menschenwelt und zu sich selbst in großen Zügen charakterisirt und ausgefüllt. Die Erkenntniß und Anbetung Gottes und die Heiligung des Menschen in Gott können in ihnen voneinander nicht geschieden werden, aber ebensowenig von ihnen das Leben des Menschen in der Gesellschaft und in sich selbst. Der prägnante und kurze Ausdruck machte nun diese Zehn-Worte fähig, zugleich als bestimmt formulirte Gesetze zu gelten und die Grundlage alles religiös-sittlichen Lebens zu werden In ihrer Tiefe enthalten sie die höchste Verständigkeit und die Befriedigung des ganzen Herzens und sind dabei so einfach und klar, daß über sie und ihre Bedeutung auch dem einfältigsten und ungebildetsten Geiste Zweifel nicht möglich sind.

Prüfen wir nun diesem gegenüber, die Bergpredigt. Dieselbe zerfällt in mehrere Absätze. Im ersten (5, 3-16) wird die „Seligkeit“ und das „Himmelreich“ verheißen: „den Armen im Geiste

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