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Tag, welche faktische Gewalt dieses Dogma auch auf das bürgerliche Leben geübt hat, und wie es zu Verbannung, Unterdrückung und Ausrottung ganzer Völkerstämme geführt. Aus ihm heraus floß das Motiv, die Verbreitung der Religion auch mit dem Schwerte zu bewirken, eine Folge, die sich aus gleichem Dogma und in noch erweitertem Maße auch im Islam gezeigt hat. - Die bedeutendste Inkonsequenz lag aber darin, daß das Christenthum sich lediglich als eine Religion des Individuums ankündigte, die deshalb mit der Gesellschaft, ihrer Verfassung, ihren Geseßen, dem in ihr geltenden Rechte, also auch mit ihren Zuständen nichts zu schaffen habe. Es war dies allerdings folgerichtig, insofern das Christenthum den Schwerpunkt des individuellen Lebens in das jenseitige Leben verlegte, ihm die Vorbereitung des Individiums für das Jenseits als das Hauptmoment des religiösen Lebens des Individuums erschien so daß der von der Welt sich völlig zurückziehende Mensch, der die bürgerlichen Verhältnisse völlig von sich abstreift, sich dem Himmel am nächsten dünkte. Aber es ist dies inkonsequent, und zwar von den nachhaltigsten Wirkungen, weil das Individuum, in eine den Grundsägen und Lehren der Religion völlig entgegengeseßte bürgerliche Welt versett, durchaus nicht umhin kann, bei tausendfachen Gelegenheiten jenen Lehren und Grundfäßen zuwider zu handeln, die so geartete Gesellschaft zahllose Individuen von Religion und Sittlichkeit abwenden, und die Gesammtheit der Individuen als Staat verüben wird, was den Individuen als Sünde und Frevel von der Religion verboten wird. Müssen wir die Gesellschaft als die eigentliche Pflanz- und Erziehungsstätte der Individuen ansehen, so ist es die größte Inkonsequenz, das Judividuum religiös-sittlich erziehen zu wollen, jene ei gentliche Pflanz- und Erziehungsstätte aber dem Heidenthume zu überlassen. Die jezt fast zweitausendjährige Geschichte zeigt denn auch, welche traurige Folgen diese Lehre, daß die Religion mit der bürgerlichen Gesellschaft nichts zu schaffen habe, gehabt, und daß es erst einer, von der Religion unabhängigen, selbstständigen civilisatorischen Entwickelung bedurfte und bedarf, um die offenbarsten heidnischen Einrichtungen und Grundsäße aus dem Staatsleben, und zwar immer noch in unvollkommener Weise herauszuschaffen. Nur so war es möglich, daß nach der Verbreitung des Christenthums wieder eine Zeit der rohesten Barbarei, ein tausendjähriges Mittelalter eintreten konnte, ja daß die Kirche selbst mit

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heidnischen Einrichtungen wie dem Sklaventhum sich unmittelbar vertrug. Aber auch selbst in der Religion des Individuums erblicken wir darin eine Inkonsequenz, daß die Liebe und das Recht veneinander völlig unterschieden wurden, und der Liebe allein die Eigenschaft des religiösen Lebens beigelegt wurde. Das Judenthum betrachtet Liebe und Recht zwar nicht als identisch, aber als aus einheitlicher Wurzel entspringend, so daß im höheren Sinne die Liebe zum höchsten Rechte, und das Recht zum integrirenden Wesen der Liebe wird, wie etwa Denken und Fühlen verschiedene Thätigkeiten des Geistes sind, dieser aber in seiner Einheitlichkeit eins mit dem anderen verbindet, eins ohne das andere nicht sein läßt. Die christliche Lehre aber läßt die Liebe weit über das Recht hinausgehen, so daß jene dieses beeinträchtigt und verlegt, ja, dem Rechte vor der Liebe die Existenz abgesprochen wird. Wenn das Christenthum die aus der Liebe entspringende Duldung so weit verlangt, daß dem Räuber und Gewaltthätigen auch noch das gegeben werde, was er nicht geraubt, so heißt dies nichts Anderes, als dem Unrechte und der Gewaltthätigkeit freien Spielraum gewähren, dem Rechte vor dem religiösen Tribunal das Recht absprechen, abgesehen davon, daß dadurch dem Sünder die Gelegenheit und Veranlassung zu immer größerer Sünde gegeben wird.

Daß durch diese Verschiedenheit des innersten Wesens zwischen Judenthum und Christenthum der Gegensatz ein vollendeter wurde, ist leicht einsichtlich, und man wird hieraus erkennen, daß es sich bei der Differenz der beiden Religionen durchaus nicht allein um die Glaubenssäte handelt, sondern um alle Konsequenzen derselben bis in die letzten Ausströmungen innerhalb des Lebens. Der Mosaismus hatte die Identität der Idee und des Lebens aufgestellt, begründet und durchgeführt; er konnte sich das Leben nicht ohne die durchgreifende und erfüllende Herrschaft der Idee, und die Idee nicht ohne die Realisirung im realen Leben denken; ihm war die Idee ohne Realität, und die Realität ohne die Idee nichts: sie verhielten sich ihm nicht etwa wie Schale und Kern, sondern wie ein Erzeugniß desselben Geistes, wie dasselbe Wesen. Das Judenthum hat dies festgehalten, so weit ihm nur Raum dazu gegeben war. Das Christenthum trennte Idee und Leben, bildete jene als Ideal aus und überließ das lettere sich selbst.

Können wir dies hier noch nicht weiter verfolgen, so ist es doch nöthig, einige Blicke auf die Wirkung dieser entgegengesezten Prinzipien und Anschauungen zu werfen. Es läßt sich nicht verkennen, daß das Christenthum allein durch diese Gestaltung seines Inhalts befähigt ward, in die heidnische Welt einzubringen und große Massen sich zuzuwenden. Abgesehen von der Annäherung an die heidnische Anschauungswelt, sowohl prinzipiell auf dem Boden des unbedingten Glaubens, d. h. des Phantasielebens, als auch in den Dogmen, würde das Christenthum, wenn es den Staat und die ganze bürgerliche Gesellschaft hätte nach bestimmten Grundfäßen ergreifen, umkehren und umgestalten wollen, wenn es sich den Rechten und Sitten der heidnischen Völker nicht anschmiegen gekonnt, von vornherein auf solche Schwierigkeiten gestoßen und einem so erbitterten Kampfe auf Tod und Leben gegenüber gestanden haben, daß an einen Sieg nicht zu denken gewesen wäre. Sollte also das Ehristenthum seine weltgeschichtliche Mission haben übernehmen können, so mußte es gerade in der Weise vorgehen, wie es geschehen ist: es mußte lediglich die Individuen beanspruchen und die staatlichen Zustände sich selbst überlassen, so daß alle herrschenden Parteien sich ohne Beschädigung ihrer Macht zu ihm bekennen konnten. Je vollständiger wir aber dies würdigen, desto weniger wird man es uns verargen dürfen, wenn wir das so gestaltete Christenthum eben darum nur als für eine, wenn auch noch so große Phase der menschengeschlechtlichen Geschichte bestimmt und geeignet ansehen. Im Gegentheil war das Judenthum durch seine Konsequeuz, durch seine Identificirung der Lehre und des Lebens um so geeigneter, die bestimmte Nation, welche es zu seinem Gefäße und Träger gemacht, festzuhalten und mitten in dem Wandel der Zeiten und in dem furchtbarsten Drange der Verhältnisse unbedingt an sich zu fesseln. So realisirte sich die providenzielle Absicht mit beiden: durch das Christenthum einen Theil der Gotteslehre in die heidnische Welt auszuströmen, in der israelitischen Nation aber die Gotteslehre in ihrer vollendeten Konsequenz zu bewahren.

Aber auch nachtheilige Folgen mußten sich an beide Erscheinungen knüpfen. Wie wir schon berührt haben, konnte das Christenthum vermöge der von uns geschilderten Konstruction jenen weltumgestaltenden, reformatorischen Einfluß nicht üben, den man ihm freilich oft genug nachrühmt. Es blieb im großen Ganzen nur der passive

Zeuge, wie das absterbende Alterthum mit seiner ganzen Kultur eingefargt wurde, und sich auf dessen Gräbern eine neue Zeit der dunkelsten Unkultur, der traurigsten Barbarei und Rohheit, der Unwissenheit und Gewaltthätigkeit erhob, aus welcher eine Anzahl Nationen nur theils vermittelst der selbständigen Entwickelung ihres Genius, theils vermittelst des wieder belebten Einflusses der antiken Wissenschaft und Kunst sich retten konnte. Im Gegensatz aber mußte in den späteren Geschlechtern die Konsequenz im Judenthume zu einer Konsequenzmacherei ausarten, welche den Geist erdrückte und den Buchstaben vergötterte; welche das Prinzip und den Gedanken verkannte und den Ausdruck und die Form als unveränderlichen Grundsa ansah. Wenn der Mosaismus seine allgemeine Prinzipien, indem er sie im Leben realisiren wollte, im Spezialgeset oft nach Zeit und Ort, nach den gegebenen Lebensverhältnissen innerhalb der ihn aufnehmenden Nation zum Ausdruck bringen mußte, so kommt es den späteren Geschlechtern zu, diese allgemeinen Prinzipien aus den Spezialgesehen zu ziehen und nach den veränderten Lebensverhältnissen in veränderten Formen zur Verwirklichung zu führen. Geben wir nur ein erläuterndes Beispiel, das wir absichtlich aus den lezten Fäden des Systems entnehmen. In 5 Mos. Kap. 25 V. 2. u. 3. heißt es; Und es geschehe, wenn Schläge verdient der Schuldige, so lasse ihn der Richter hinlegen, und man schlage ihn vor seinem Angesicht; nach dem Maße seiner Schuld an Zahl: vierzig Schläge lasse er ihm geben, nicht mehr, daß er nicht mehr als diese ihn schlagen lasse, zu viel Schläge, und dein Bruder entwürdigt werde vor deinen Augen". Den wahren Sinn des Gesetzes enthalten offenbar die lezten der citirten Worte. Wenn es der Zeit und dem Orte gemäß die Geißelung als strafrechtliches Mittel zur Anwendung zuließ, aber auch zur Sicherung des Verurtheilten die Gegenwart des Richters und die Beschränkung der Geißelhiebe auf das Maximum von vierzig (nach der Tradition 39) verordnete: so ist ihm doch die Aufrechterhaltung der menschlichen Würde auch im Verbrecher die Hauptsache, und es hat hiermit constatirt, daß zu einer Zeit, wo überhaupt die Geißelung als eine Herabwürdigung des Menschen angesehen wird, die Geißelung abzuschaffen sei. Für uns enthält daher dieses Gesez den großen Grundsaß, daß der Adel des Charakters des Menschen auch in allem strafrechtlichen Verfahren gewahrt und geschont werden müsse, und daß vor diesem Grundsaße die Modificationen der

Strafmittel einzutreten haben. Statt dessen hat aber die Konsequenzmacherei im Judenthume die nach Verhältniß von Zeit und Ori gegebene specielle Bestimmung für das unveränderliche Moment gehalten und erklärt, den Gedanken und Grundsay aber, der in jener leben sollte, verkannt und unberücksichtigt gelassen. Hierin liegt eine der bedeutendsten Aufgaben für das Zudenthum des neunzehnten Jahrhunderts, das freilich vor dem entgegengesetzten Irrthum zu hüten ist, der beides, den Gedanken und die alte Norm, weil lettere ihm nicht mehr zu passen scheint, aufgiebt, und hiermit dem Wesen des Judenthums und der Religion der Konsequenz unendlichen Schaden zufügt.

10. Die jüdische und die christliche Weltanschauung.

Wie man dem Judenthume so gern Alles abzusprechen sucht, was eine höhere geistige Bedeutung hat, so hörte und hört man auch öfter den Ausspruch: ein Jude könnte keine Weltgeschichte schreiben; nur auf der Basis der christlichen Weltanschauung vermöge man die Weltgeschichte zu begreifen und darzustellen. Wir geben in diesen Betrachtungen nichts auf solche gegnerische Aburtheilungen und gehen nicht näher darauf ein. Aber von vornherein muß es uns doch fraglich sein, ob das wirklich die christliche Weltanschauung sei, welche man dafür ausgiebt, und ob es keine jüdische Weltanschauung gebe, die einer nachhaltigen Geltung würdig sei? Untersuchen wir daher den hochwichtigen Gegenstand etwas näher.

Wenn man die Begriffe der heidnischen Welt von einer Weltordnung in Betracht zieht, so erkennt man auch hier die schwankenden, widersprechenden und sich aufhebenden Vorstellungen, welche überall das Heidenthum charakterisiren. Die indische Ansicht von dem ewigen Kreislauf, der ebenso physisch im Werden, Sein und Vergehen, wie psychisch in der beständigen Seelenwanderung besteht; der persische Glaube von dem immerwährenden Kampfe des Lichts und der Finsterniß, dessen endliche Entscheidung ungewiß ist; die Meinungen der europäischen Völkerstämme, der Griechen, Römer, wie der Germanen und Skandinavier, welche den herrschenden Gottheiten keine Ewigkeit und keine Unabhängigkeit zuschrieben, sondern sie von der höheren Macht eines Fatums abhängig dachten,

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