selben auf die bedeutendsten Geister Deutschlands, wie Göthe, Schleiermacher ff. zu berühren. Jetzt wendet er sich zu Moses Mendelssohn, dessen Stellung und Leistungen er nicht ohne Verständniß würdigt. Die Veränderungen, die mit der französischen Revolution eintraten, das Pariser Sanhedrin und die Vollendung der Gleichstellung seit 1830 in Frankreich, sowie in den übrigen europäischen Staaten, werden an uns vorübergeführt. Er macht hier den Uebergang mit folgenden Worten: „Die natürliche und nothwendige Consequenz ist, daß in allen diesen Ländern die Vorurtheile und Absonderungsgefühle, welche die Juden von ihren Mitbürgern trennten, nach und nach verschwinden. Die vom Rabbinismus aufrecht gehaltenen Schranken, welche in den letzten Jahrhunderten in ihrer Strenge nur gewachsen waren, besonders unter dem von den Schulen Böhmens, Ungarns und Polens ausgegangenen Systeme, verloren nach und nach, aber schnell genug ihre restrictive Macht; es erstanden neue Systeme unter den Juden, welche mit der gesunden Vernunft und der heil. Schrift Israels mehr übereinstimmten, und die Stelle der alten Orthodoxie einnahmen.“ Bon dieser Grundlage aus, welche also die Ansicht des Verfassers, daß der jüdische Geist zu aller Zeit in Fluß und Gährung geblieben, genügend erhärtet hatte, zeichnet er nun die religiösen Zustände der Juden in den einzelnen Ländern, wenn auch nur in flüchtigen Skizzen. In Frankreich findet er, wie er sagt, sonderbar genug, während jene Bewegung am schnellsten vorging, den geschilderten Wechsel am langsamsten. Die französische Synagoge ist am meisten stehen geblieben. Man findet dort keinen reformirten Gottesdienst, keine getrennte oder nur in sich uneinige Gemeinde. Die politische Freiheit und die Unabhängigkeit von ihren Rabbinen scheint den französischen Israeliten genügt zu haben. Gleich den römisch- katholischen Laien in Frankreich begnügen sie sich, das alte Ceremoniale und die Dogmen ihrer ererbten Religion zu toleriren und theilweise mitzumachen, da sie sich dabei als Individuen des weitesten Latitudinarismus zu erfreuen hätten. „Der französische Jude ist principiell und vor allen Dingen Franzose. Es mag ihm ein Ehrenpunkt sein, den Glauben seiner Väter, welchem er in manchen Fällen eine tiefe Anhänglichkeit widmet, aufrecht zu erhalten, aber seine wirkliche Religion (allgemein gesprochen) ist ein liberaler und philosophischer Deismus.“ Betreffs Englands hebt der Verfasser her vor, daß in diesem seinem Vaterlande sowohl die socialen als die religiösen Unterschiede schärfer und nachhaltiger bestehen bleiben, und die englische Nation daher in nicht wenigen Beziehungen in eine mannigfaltige Gruppirung zerfällt. Hier haben die Juden sich zu der bekannten Reform in der Westend - Synagoge bewogen ge= funden, deren leitender Grundfah die Anerkennung der h. Schrift als Basis in allen Lehrfragen und religiösen Vorschriften ist, ohne dieselbe Bedeutung der talmudischen Tradition einzuräumen. Der Verf. freut sich übrigens, daß die anfängliche Feindseligkeit zwischen diesen Reformern und der alten Gemeinde gegenwärtig geschwunden sei. Aus den wenigen Worten, die der Verf. den Juden in Holland widmet, und in welchen er sie auf dem französischen Standpunkte erblickt, ersieht man, daß er diese wenig kennt. Die deutschen Juden könnten sich darüber beklagen, daß er sie wenig im Detail besprochen und gerade in die reiche und umfängliche Literatur derselben nicht eingeht. Indeß scheint er über den Charakter unserer Zustände wohl unterrichtet. Er sagt: „Es ist hierin, wie anderswo, Deutschland vorzugsweise vorbehalten, die sorgfältigst und dauerhaftest durchgearbeiteten Systeme der Theologie hervorzubringen. Unter den deutschen Juden bestehen, wenn wir es richtig erfassen, fünf religiöse Parteien, und jede derfelben ist durch eine eigene Synagoge repräsentirt und geistlich wie doctrinell unterschieden. Erstens, die talmudisch-orthodoxe Partei, streng anhängend allen Vorschriften der Tradition, obgleich auch sie in vielen Dingen z. B. in der Erziehung der Frauen und in dem weitausgedehnten Kreise des Unterrichts die Wirkung der Einflüsse, deren Canal Mendelssohn gewesen, verspürt und zeigt. Zweitens, die neu orthodoxe Partei, welche gleicherweise dem alten Ritual anhängt, aber, obgleich sie die Gültigkeit der Tradition anerkennt, doch historische Untersuchungen über deren Ursprung für berechtigt hält und solche Veränderungen zuläßt, welche die Resultate ihrer Forschungen verbürgen. Diese Schule, sagt man, unterscheide sich durch gelehrte und in ihrem Vorsaz ehrliche Männer, die aber nothwendig ungewiß und schwankend und unconsequent in ihren Schlüssen sind. Drittens, die biblischen Juden, welche im Ganzen das Alte Testament zu ihrem Führer nehmen, sich aber nicht an die Aussprüche des Talmuds gebunden erachten, weshalb sie bedeutende Reformen und Abkürzungen im alten Gebetbuche zulassen. Diese stehen den Reformjuden in England am näch sten, zeichnen sich aber durch eine tiefere Kenntniß der biblischen und jüdischen Literatur vor ihnen aus. Viertens, die älteren Reformjuden, anhangend der göttlichen Autorität des Alten Testaments und besonders des Pentateuchs, aber sich selbst meist gänzlich vom traditionellen Ritual befreiend, deutsche Gebete in ihre Synagogen einführend, und eine freiere Ansicht von Ceremonien im Allgemeinen annehmend. Endlich fünftens, die neuen Reformjuden aus dem Jahre 1845 datirend, welche das Ceremonialgesetz nicht allein des Talmuds, sondern auch des Pentateuchs verwerfen, und die Vorschriften nicht allein betreffs der verbotenen Thiere, sondern auch hinsichtlich der Beschneidung außer Augen seßen, obgleich die meisten Glieder ihrer Gemeinde diesen Ritus noch ausüben.“ Nach dieser Schilderung fügt der Verf. hinzu, daß es zu weit führen würde, diese verschiedenen Schulen im Detail zu zeichnen und beschränkt sich darauf, als zwei Charakteristica das Religionsbuch von Pleßner (1838) und das Gebetbuch der Berliner Reformgemeinde (1859) anzuführen. Es ist dem Verfasser genehmer, den vorzüglichsten Sprecher der französischen Judenheit, Salvador, kritisch zu beleuchten. Der übrige Theil des Auffages ist daher den Werken dieses Schriftstellers gewidmet. So sehr wir nun auch unsererseits die Verdienste Salvador's anerkennen, so müssen wir doch Verwahrung dagegen einlegen, ihn als den wirklichen Repräsentanten des modernen Judenthums zu betrachten. Salvador hat vom Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn an sich zu sehr insolirt gehalten, zu sehr gestrebt, der Entwickelung seires eigenen Geistes, seiner eignen Gedankenwelt sich zu widmen; er besitzt zu wenig Kenntniß der hebräischen Sprache und Literatur und weiß von den Arbeiten der deutschen Juden so gut wie gar nichts, um ihn anders als eine originelle Individualität ansehen zu können. Bei aller Achtung und Reserve, welche der Verf. des englischen Auffazes an den Tag zu legen sucht, können wir uns dennoch von der Annahme nicht trennen, daß er sich gerade Salvador ausgesucht, weil dessen Ansicht einige schwache Seiten bieten, auf welchen der Kritiker dem modernen Judenthume überhaupt beizukommen und es zurückzuweisen, den Schein annehmen konnte. Die Beurtheilung der früheren Werke Salvador's, wie der mosaischen Institutionen, des Römerkriegs ff. können wir hier übergehen und bei dem lezten „Paris, Rom und Jerusalem“, das soeben in der dritten Ausgabe erschienen ist, stehen bleiben. Wer dieses Werk kennt, weiß, daß es an Inhalt und Form nicht selten abstrus ist. Die Hauptansicht Salvador's ist, daß alle Formen der jetzt noch in der civilisirten Welt bestehenden Religionen mangelhaft und veraltet seien, daß ein neues und faßlicheres Glaubenssystem aus den Original-Elementen der Offenbarung sich entwickeln müsse; das Christenthum in seinen drei Hauptformen, der Islam, welcher das wilde Heidenthum des Ostens besiegt habe, und die jüdische Religion selbst in ihrer jezigen Entwickelung durch die Propheten und Rabbinen, enthielten einen vorwiegenden Theil der Wahrheit, aber auch seit ihrem Beginne ein Element des Irrthums. Die französische Revolution, welche die Todtenglocke des Mittelalters geläutet, sei der Anfang einer neuen Aera welche bei der unauflöslichen Verbindung zwischen Politik und Religion in einer religiösen Revolution resultiren müsse. Für diese Religion der Zukunft sei die jüdische Nation der Träger, Wächter und Darsteller. Zu diesem alten Stamm, dem Inhaber der primitiven Wahrheit, würden alle Nationen der Erde sich wenden, und Jerusalem die heilige Stadt der Welt, das religiöse Centrum aller Nationen werden. Dort, wohin schon jezt die Aufmerksamkeit Aller gerichtet sei, würden alle Menschen die Wahrheiten, welche sie in ihrem bisherigen Glauben schon besessen, zur Consolidirung des allgemeinen Glaubens beisteuern und so ihr Heiligthum in Zion, ihren geistigen Führer in Moses finden. Diese eclectische Religion Salvador's, deren eigentlichen Inhalt dieser selbst nicht angiebt, auch wohl nicht angeben konnte, bietet nach vielen Seiten hin Angriffspunkte, von denen aber unser Engländer nur einige benutt. Er richtet sein erstes Argument gegen den Einfluß der Juden überhaupt. In den früheren Zeiten wäre. es nicht ein eigenthümlicher Geist des jüdischen Stammes gewesen, der ihm einen Einfluß auf die Welt gegeben, sondern daß er Etwas gehabt hätte, was, der Welt bis dahin unbekannt, er dieser geben konnte. „Als die einzigen Anbeter eines Gottes, sagt er, als Inhaber traditioneller Weisheit, dann als Erben einer höheren Cultur und Kenner verschiedener Sprachen, endlich als Reisende, Cosmopoliten, Bürger jedes Landes, konnten die Juden dem Alterthume und dem Mittelalter so viele Dienste leisten." In allen diesen Dingen sei ihre Superiorität jezt vorüber; sie könnten auf allen Gebieten als Individuen Bedeutendes leisten, aber befäßen keine. höheren Geistesgaben als ihre Mitbürger, um einen allgemeinen Einfluß üben zu können. Dieses Raisonnement unsers Engländers leidet an einem doppelten Widerspruch. Denn zuerst zählt er die großen Gaben, welche der jüdische Stamm der Welt gebracht habe, auf, und will ihm doch alle besonderen Geistesgaben absprechen. Aber wodurch hätte denn der jüdische Stamm diese, der ganzen übrigen Welt unbekannten und verschlossenen Güter bekommen? Muß er, der allem Supernaturalismus feindlich ist, sie nicht als unmittelbare Schöpfungen des jüdischen Geistes, welche die Geister der übrigen Völkerschaften nicht hervorbringen konnten, ansehen, und so dem jüdischen Stamme besondere Gaben zusprechen? Der zweite Widerspruch liegt darin, daß er den jüdischen Geist als beständig in Fluß und Gährung begriffen anerkennt, und dennoch die Möglichkeit einer neuen Entwickelung aus ihm heraus leugnet. Wir fügen hinzu, daß es überhaupt mehr als Vermessenheit ist, einem Stamme, dessen Lebenskraft bereitwillig gerühmt wird, alle Zukunft neuer Schöpfungen abzusprechen. Wir thun dies hinsichtlich keiner lebenden Nation, und darum gestehe man es auch uns zu. Die ganze Darstellung des Verfassers hat zum eigentlichen Inhalt, den bedeutenden Entwickelungsprozeß zu zeigen, welchen das moderne Judenthum und seine Bekenner mit Ernst und Energie durchmächen, und nun will er apodictisch absprechen, daß sich Etwas daraus entwickeln könne. Zweitens leugnet er, daß das Judenthum auf das Christenthum reagiren könne und behauptet, daß vielmehr der Protestantismus dahin strebe, sich von den jüdischen Ideen frei zu machen, was er insonders durch die auf das Alte Testament und besonders den Pentateuch geübte Kritik erwirkt glaubt. Wir wollen dies zugestehen. Aber wohin wird der Protestantismus dadurch geführt? Weiß er nicht, daß dieselbe protestantische Kritik auch die Schriften des Neuen Testaments aller Autorität entkleidet und ihren Inhalt zu einer Mythe gemacht hat? Weiß er nicht, daß die protestantische Kritik es zu nichts Anderem als zu Feuerbach und zu den freien Gemeinden bringt? Daß also diese Befreiung des Christenthums von den jüdischen Ideen eben nichts Anderes als eine Zersetzung, eine Auflösung, eine Vernichtung des Christenthums bedeutet? |