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Individuum betrafen, stand diesem die Wahl des Priesters, welchen es fungiren lassen wollte, frei. Unter den Rabbinen war von Seiten des Judenthums selbst keine Gliederung vorhanden; was von einer solchen vorkommt, war von außen aufgenöthigt; jeder Rabbiner verdankte seine Autorität zuerst sich selbst, dann der Bedeutung seiner Gemeinde. Das Verhältniß zwischen Rabbiner und Gemeinde war stets ein contractliches; schon die Priester waren in ihren Einkünften vom Volke, die Rabbinen ganz und gar von der Gemeinde abhängig. Und wenn nun dahin gestrebt werden muß, daß diese Abhängigkeit niemals in eine Unterwürfigkeit ausarte und, wie die Gemeinde vor allen hierarchischen Uebergriffen, so die Cultusbeamten vor Willkür und Laune, vor Beschränkung in ihrer freien Wirksamkeit gesichert werden müssen: so dürfen doch jene beiden Principien in dem Verhältniß zwischen Gemeinde und Cultusbeamten nicht verlegt werden, ohne der Sache des Judenthums großen Nachtheil zu bringen. Allerdings wird dadurch den Gemeinden eine sehr große Last auferlegt. Es ist aber erfahrungsmäßig, daß die Theilnahme der Menschen für eine Sache mit dem Maße der Opfer, die sie für dieselbe zu bringen haben, wächst und hingegen erschlafft, jobald ihnen alle Beschwernisse erspart werden. Die Bequemlichkeit macht gleichgültig. Wenn also die jüdischen Gemeinden der Gleichheit wegen und um aus ihren Leistungen auch einen Vortheil zu schöpfen, auf Subsidien von Staatsseiten Anspruch machen, so sollte dies stets nur auf Unterstützung allgemeiner Anstalten für sämmtliche Gemeinden, wie der Seminare, allgemeinen Wohlthätigfeitsanstalten für die Juden des ganzen Staates oder der Provinzen beschränken, damit das religiöse Leben der einzelnen Gemeinden von oben herab unbeeinflußt bleibe. Wir haben die nachtheiligen Wirkungen der staatlichen Einmischung in die jüdischen Gemeinden genugsam erfahren; wir sahen bald Reformen, bald die orthodoxen Einrichtungen von Gensdarmen und Polizei eingeführt und aufrecht erhalten, und mußten gegen beides protestiren.

Wir sehen also, daß das Zudenthum weder einen Kirchenstaat und eine Staatskirche, noch eine hierarchische Gliederung und Trennung der Cultusbeamten von der Gemeinde will und beansprucht, daß diese vielmehr theoretisch und praktisch ihm widersprechen, daß es vielmehr seinen Bestand und seine Kraft der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und inneren Freiheit verdankt, daß es jene Institu

tionen den Kirchen überläßt, die darin ihre Wesenheit und ihr Heil finden, und daß die jüdischen Enkel berufen sind, das Erbe ihrer Väter innerhalb der Gemeinde unangetastet von außen zu erhalten.

6. Englisch und Deutsch in jüdisch-religiösen Dingen.

Man spöttelt sehr oft in Deutschland über die Kirchlichkeit der Engländer, die strenge Sonntagsfeier, das tägliche Bibellesen und den anhänglichen kirchlichen Sinn derselben. Aber wer die Engländer, ihre Sitten und Literatur kennt, muß eingestehen, daß auch in ihrem religiösen Verhalten Ernst, Würde, Aufrichtigkeit, Wahrheit enthalten sind, ein Geständniß, das, wir sagen es, so leid es uns thut, offen, den Deutschen auf diesem Gebiete nicht gemacht werden kann. In Deutschland werden alle religiösen Fragen und Ansichten sofort zu theologischem Gezänk, zu geifernder Parteisucht, zu Schmähung, Verfolgung, womöglich Unterdrückung. Gerade dieses aber ist dem Menschenkenner ein Beweis von geringerer innerer Ueberzeugung, von Mangel an wahrer Gläubigkeit an die Meinung, die man vertheidigt, für die fehlende Wahrheitsliebe. Wer seinen Meinungsgegner mit Hohn und Schimpf zu überschütten, wer ihn zu verderben und zu vernichten strebt, wer ihm alles Recht und alle Wahrheit abspricht, und ihn, wenn nicht mit Schlägen, doch mit Worten todtzuprügeln sucht, der ist wenig von dem Rechte und der Wahrheit seiner eignen Ansicht durchdrungen, der fürchtet, daß die gegnerische Meinung Raum und Anhänger gewinnen werde, und darum will er seinen Gegner aus der Welt schaffen.

Diese Beobachtung hat sich insonders Seitens der christlichen Schriftsteller, ob von Fach oder Laien, dem Judenthume und den Juden gegenüber allzu oft uns aufgedrängt. Man weiß, daß die Juden in der Regel nur passive Zuschauer bei den Kämpfen und Zersetzungsprozessen innerhalb der christlichen Kirchen abgeben, daß sie eine Beurtheilung derselben nicht vornehmen, und weder ein besprechendes, noch entscheidendes Wort darüber verlauten lassen. Ob sie recht daran thun und ob es immer so bleiben wird, wollen wir hier nicht untersuchen. Jedenfalls aber hätte diese bescheidene Zurückhaltung, wenn nicht ein gleiches, doch ein würdiges Benehmen christlicherseits verdient. Nun, in England finden wir es, in Deutschland das Gegentheil. Dazu kommt, daß die Juden tausendfach

mehr Gelegenheit haben, das Christenthum kennen zu lernen, als die Christen das Judenthum. Denn ein Jude kann keine Schule und Universität besuchen, kein Buch öffnen und keinen Schritt in's Leben hinein thun, ohne auf chriftliche Momente zu stoßen, während jeine Literatur und sein Leben nur wenigen Christen einen Gegenstand, wenn auch nur flüchtiger Prüfung und Forschung bilden.

Vor einiger Zeit kam uns das Januar-Heft (1863) der „Edinburgh Review" zu, in welchem von S. 180-208 ein Artikel Moderne Judaisme" unsere Aufmerksamkeit auf sich zog; und zu gleicher Zeit erhielten wir 6 und 7 eines in halben Bogen im Städtchen Werden erscheinenden Pietistenblättchens „Neues Zeitblatt für die Angelegenheiten der lutherischen Kirche“, welche einen Auffah Blicke in die Kämpfe und Aussichten des Judenthums" enthalten. Allerdings muß der wissenschaftlich kritische Engländer es uns verzeihen, daß wir dieses deutsche Machwerk nur neben ihm nennen. Aber es geschieht auch nur, um den Gegensaz hervorzuheben, einen Gegensaß, der unserer deutschen Selbstüberschätzung wohl schmerzlich, aber auch heilsam ist. Und dann, wo finden wir im Deutschen etwas Besseres über das Zudenthum? Begegnet uns nicht dasselbe, wenn wir Hengstenberg's evangelische oder Krause's protestantische Kirchenzeitung oder gar die Wiener aufschlagen? Es ist überall dasselbe unwissenschaftliche, unkritische, hohle Gewäsch nach einem und demselben hergebrachten Schema. Man lobt Alles, was am Judenthum des 17. Jahrhunderts unverrückt festhält, man verwirft Alles, was die Verjüngung und Klärung des Judenthums und das Kulturleben der Juden fördert und erzeugt hat, man verhöhnt dies als Abfall und Sünde, als fade und flach; man findet schließlich aber auch das orthodoxe Judenthum lebensunfähig und weiß kein anderes Heil, als daß die Juden sammt und sonders den lutherischen Katechismus beschwören! Freilich, daß auch alsdann 5% der Christenheit sie immer noch als Kezer betrachten würden, und daß % der Protestanten selbst diesen lutherischen Katechismus verleugnen, lassen die Herren außer Acht. In diesem Sinne verlaufen alle diese Expektorationen pietistischer Schulfuchser über das Judenthum, von dessen Schriften sie keine Notiz nehmen und von dessen eigentlichem Inhalte sie keine Ahnung haben. Noch ein weiteres Wort über diese armselige Schaar zu verlieren, die weder einen Begriff von der geschichtlichen Vergangenheit, noch einen Einblick in den Geist,

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die Bewegung und die Aufgabe der Gegenwart besitt, doch aber über Leben und Tod großer welthistorischer Erscheinungen zu Gericht sizen will, während sie selbst der Verwesung schon längst anheimgefallen, das halten wir für überflüssig, wenden uns vielmehr mit Vergnügen dem ernst und würdig arbeitenden Engländer zu, von dessen Artikel wir folgende Analyse geben wollen.

Er beginnt mit folgenden Bemerkungen: „Es ist noch jetzt die gewöhnliche Meinung unter uns, daß nichts unveränderlicher ist als der jüdische Geist nichts unbefähigter für Gründe und Fortschritt. Wir denken uns ein Volk, welches in abergläubischen Vorurtheilen aufgewachsen ist und einem traditionellen Glauben anhängt, welchen viele Christen als ein Strafgericht ansehen; ein Glaube, der nur theilweise auf ihre eigenen Schriften basirt ist, und mit jenen Schriften in vielen Dingen ebenso wenig übereinstimmt als mit unserm christlichen Glauben; ein Glaube, der jedenfalls dazu bestimmt ist, unverändert zu bleiben, bis eine höhere Hand als die eines Menschen ihn ändern wird. Aber wenn wir den wahren Verhalt der Dinge prüfen, so finden wir, daß dieser Glaube immer in Gährung und Fluß war: neue Lehren wurden vorherrschend, neue Formen erhoben sich, neue Berührungspunkte mit anderen Religionen, neues Verlangen nach Glaubensannäherung oder nach Lauterem Gedankenaustausch mit ihren Mitbrüdern unter den Völfern. Dies brauchte uns nicht zu überraschen; es war eben nur das, was wir erwarten mußten. Es war nur die alte Geschichte von dem Sturme und dem Sonnenscheine in der Fabel. Der Mantel, welcher unter den Windstößen der Verfolgung und Verachtung fester angezogen wurde, ist jetzt gelockert, wenn nicht gänzlich unter dem freundlichen Einfluß von Sympathie und Achtung bei Seite gelegt."

Was aber der Verfasser als eine für die Christen so überraschende Erscheinung in der Gegenwart ansieht, erkennt er auch bei Durchforschung der Geschichte in früheren Epochen des Judenthums, und er wirft deshalb einen schärferen Blick auf die Vergangenheit. Die Entstehungsgeschichte des Talmuds giebt ihm zu der Bemerkung Veranlassung, daß auch unter den Juden selbst die Autorität des Talmuds sehr verschieden angesehen wurde und wird, und die Quelle von Spaltungen im Schooße der Juden gewesen und noch sei; doch sehen die Juden im Talmud, auch wenn sie für dessen Schwächen

ein offenes Auge hätten, immer eine reiche Quelle der Erläuterung für die Bibel. Nachdem der Verf. einen Blick auf die Verfolgungen der Juden durch die christliche Kirche geworfen hat, erinnert er an die Verdienste der Juden um die Wissenschaften während des Mittelalters, deren Erwerbung ihnen durch die milde Behandlung Seitens der Mohammedaner ermöglicht war. Er sagt: „Dies ist ein Capitel der Geschichte, welches die Christen mit Scham lesen müssen. Zu einer Zeit, wo jede Art von Verachtung und Ungerechtigkeit und Grausamkeit durch die christliche Morallehre gerechtfertigt wurde, wenn auch nur in Hinsicht auf die Juden, haben die Anhänger Mohammeds, obgleich sie die Juden auch als schuldig der Verwerfung der offenbarten Wahrheit ansahen, sie dennoch sich selbst in der Pflege der Wissenschaften zugefellt. Durch die Juden wurden die Werke von Aristoteles und andere Productionen des griechischen Geistes ins Arabische übersetzt, und später gaben diese Arbeiten die Veranlassung zur scholastischen Philosophie des Westens. Durch die Juden wurde die medicinische Wissenschaft wieder erweckt, — welche nicht blos auf der Lehre der Griechen beruhte, sondern auch auf den traditionellen Vorschriften des Talmuds: und die medicinischen Schulen eröffneten bekanntermaßen den Anfang und die weitere Pflege der Physik.“ Nicht minder weiß der Verfasser die Verdienste der Juden um Handel und Politik hervorzuheben. Hierauf geht er näher auf die Stellung und genialen Schöpfungen des Maimonides ein, und vergleicht dann die Einwirkung auf die allgemeine Cultur, welche aus der Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal und deren Zerstreuung im westlichen Europa floß, mit der Vertreibung der Griechen aus Konstantinopel. Denn wie durch diese die Kenntntß der griechischen Sprache und also der classischen Literatur in Europa verbreitet wurde, so förderten die vertriebenen Juden die Kenntniß der hebräischen Sprache und gehörten so zu den wesentlichsten Vorbereitern der Reformation. Verschaffte doch nach der Ansicht unsres Verfassers gerade das Alte Testament und die Kenntniß seines Urtextes den Reformatoren die schärfsten Waffen gegen die Herrschaft des Papstes. Der Uebergang zu Spinoza war hiermit gegeben und der Verf., der es verstand, einen bedeutsamen Schlüssel zur Doctrin Spinoza's in dessen Charakter zu finden, erkennt dessen Philosophem als die Grundlage aller modernen Philosophie, und weißt nicht minder die unmittelbare Einwirkung der=

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