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und aufrichtigen Streben gestattet, sich von allen diesen Irrungen beinah frei zu machen und aus dem Für und Wider, aus Licht und Schatten, aus Bild und Gegenbild das Richtige und Wirkliche herauszusondern.

Der andere ist: auch das Judenthum nicht als ein singuläres, völlig gesondertes Dajein zu betrachten, sondern in Verbindung und Wechselwirkung mit allen andern Erscheinungen der Menschenwelt aufzufassen. Seitdem es in seinem Ursprung, durch Moses, durch die Propheten und die H. Skribenten seine erste und wesentliche Gestaltung empfangen, hat das Judenthum stets in solcher Verbindung und Wechselwirkung mit andern Erscheinungen der Menschenwelt gestanden, und es ist dem Forscher überklar, wie es gegeben und empfangen hat, wie der Geist der Zeiten auf dasselbe gewirkt und wie es ihn beeinflußt hat, wie es den Strömungen gefolgt, und deren Richtung mitgeschaffen hat. Ja, es läßt sich deutlich nachweisen, daß das Judenthum nur dann abgeschlossen und gänzlich gesondert bestand, wenn es in sich erstarrt und vom Geistesschlafe gefesselt war, und ebenso umgekehrt. Seine höchsten Schöpfungen gingen aus Zeiten hervor, wo ein frischer Hauch der Bewegung durch die Menschenwelt wehete, und auch anderswo ein neugestaltender Geist lebendig war. Und so fand es auch in dem verflossenen Jahrhundert Statt, und seitdem die Bekenner desselben immer mehr in das allgemeine Culturleben einlenkten, wurden sie von dessen Bewegungen ergriffen, und ihre religiösen Zustände entwickeln sich analog aus denselben Motiven. Gestaltet sich daher das innere Leben des Judenthums auch spezifisch nach seiner Art, so liegen doch dessen Motive in denselben allgemeinen Ursachen, die auch auf den andern Gebieten ähnliche Erscheinungen hervorrufen.

Zu aller Zeit hat es eine Verneinung gegeben. Nicht allein bei den Völkern und in den Zeiten, wo die Religion theils als Philosophie, theils als Volksmythologie bestand, mußte sie es sich gefallen lassen, daß die freie Entfaltung des Geistes in ihren Gegensah verfiel, sondern auch da, wo sie als eine abgeschlossene Positivität herrschte. Ja, je strenger sie sich als solche aufstellte, und je drückenderes Joch ihre Diener deshalb auf den Nacken des Menschengeistes legten, desto rascher und furchtbarer bereitete sich die Verneinung vor, um unerwartet zu einem gewaltigen Kampfe hervorzutreten. Materialismus, Mechanismus, Atheismus und Pantheismus sind

nur verschiedenartige Auffassungen derselben Verneinung dessen, was von Beginn an und durch alle Jahrtausende in den Menschengeistern gelebt, was mit der Natur des menschlichen Geistes völlig verwachsen, was in seinen Gesetzen gelegen ist. Aber zwischen dem wildbewegten Ozean der Verneinung und den starren Felshöhen abgeschlossener Positivität, streng formulirt in Glaubenslehren und Sagungen, liegt die weite Ebene, die bearbeitet, durchfurcht, besäet und befruchtet sein will, um zahllosen Menschenföhnen Nahrung und Wohnstätte darzubieten. Diese weiten Gebiete wollen nicht von den Wassern der Verneinung überschwemmt sein, aber auch nicht von den dunklen Schatten versteinter Positivität bedeckt, und von den rauhen Winden, die von ihren Schneefirsten herabwehen, durchschauert sein. Je mehr das wissenschaftliche, industrielle, politische und soziale Leben an Kraft und Entschiedenheit, an Bewegung und freier Entfaltung gewann, desto nachdrücklicher verlangte es von der Religion, sich seiner Entwicklung anzuschließen, sich mit dieser auszugleichen und die Gegensätze zur Versöhnung zu bringen. Es entstand hier zuerst der Rationalismus, der mit oberflächlicher Vernünftigkeit die Erscheinungen der Welt und des Lebens so zu verstehen und zu deuten suchte, wie sie sich äußerlich darstellen und in ihrer Oberfläche erklären lassen. Von der einen Seite wies er jede tiefere philosophische Erforschung der Dinge ab, von der andern die historische Gestalt der positiven Religion. Theils versucht er alles Supernaturalistische in ihr, indem er es als Faktum bestehen ließ, vernünftig zu erklären, theils wollte er selbstschöpferisch auftreten und sich eine sogenannte Vernunftreligion bereiten, ohne zu merken, daß er nichts weiter that, als einige Lehrsäte der positiven Religion entlehnen und diese, ohne sie fundamentiren zu können, nach seinen Vorausseßungen durcharbeiten. Diese Pfade waren bald abgegangen, und hatten zwiefache Nachfolger. Bei den Einen wollte der Mystizismus das mißlungene Werk des Nationalismus ersehen, und ein willkürliches Gebilde der Phantasie, mit Elementen der Gemüthlichkeit verquickt, in die Dogmen und Satzungen der positiven Religionen hineinzwängen, um diesen ihre Herrschaft zu wahren und als Gefäße mit neuem Inhalt für weitere Zeiten zu erhalten. Andrerseits übernahm der Kritizismus das Erbe des Rationalismus, wendete sich gegen die heiligen Schriften als die Grundlagen der positiven Religion und gegen die Autorität der Satzungen als geschichtlich gewordene und darum zeitlich wandel

bare. Ihm galt die nackte Thatsache, aller Umhüllung entkleidet und von ihrem geistigen Inhalte getrennt, als das allein Giltige und Begründete. Man sieht leicht ein, daß beide wohl zu vielfacher Wirkung, aber zu keiner wirklichen Herrschaft gelangen konnten, da der Mystizismus nur bei einzelnen Schwärmern und bei uncultivirten, naiven Völkern Boden findet, der Kritizismus aber für den Menschen bedeutungslos wird, da unter seinen Händen selbst die übrig bleibende Thatsache ohne Werth und Gehalt zurückbleibt. Hierzu kam nun noch, daß die Philosophie ihren neueren Kreislauf beendet, und die exakten Wissenschaften einen noch nie dagewesenen Aufschwung errungen hatten, diese zugleich vermittelst ihrer Erfolge und Ausbreitung ihre Anschauungen und Methode tief in das allgemeine Leben einführten, und damit den positiven Glauben unterwühlten. Bei allem Dem hat jedoch alles Historische d. h. von Alters her Gewordene und durch große Epochen hindurch Bestehende eine außerordentliche Wucht, und in den Bedingungen seiner Existenz liegt es, daß, sobald es sich in seinem Bestande bedroht sieht, es sich nur um so fester in seine alten Mauern und Bollwerke zurückzieht. So lange das Leben ihm nur eine freundliche Hand bietet, um sich ihm zu nähern und neben ihm zu existiren, öffnet es unvorsichtig seine Thore und Zugänge, begiebt sich mitten in das Leben hinein, erfreut sich an ihm, und glaubt, indem es sich ihm anschmiegt, es auch fernerhin zu beherrschen. Kommt es aber von diesem Wahne zurück, fühlt es, daß die freie Bewegung gegen seine Höhen gerichtet ist, und diese ersteigen und abtragen will: so wacht es zu einer energischen Reaktion auf, stößt alle die Ausgleichungsversuche mit eiserner Faust von sich und verlangt die unbedingte Herrschaft zurück, von welcher es selbst schon so viel aufgegeben. Man erlebte dies that sächlich an der Aristokratie und Geistlichkeit, die im vorigen Jahrhundert so viel mit der Freiheit und Vernünftigkeit geliebäugelt, bis diese beide ihre realistischen Consequenzen forderten.

Daher dieses Chaos der mannigfaltigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Religion, innerhalb der Grenzen aller positiven Religionen. Da stehen sich zunächst die beiden großen Gegensäge der Verneinung, wie sie sich im Materialismus, Atheismus und Pantheismus schattirt, und der abgeschlossenen Positivität in der Gestalt der Dogmen und Satzungen, wie das Mittelalter sie uns überliefert hat, gegenüber, der eine so schroff wie der andere, der

eine so entschieden wie der andere. Aber je schroffer und entschiedener die Verneinung und je mehr sie durch Popularisirung in die Masse einzudringen sucht: desto nachdrücklicher erhebt sich eine Reaktion gegen sie in den edelsten und erleuchtetsten Geistern, in vielen Männern der Wissenschaft selbst denn die Verneinung widerspricht der innersten Natur des Menschen und allen ihren Bedürfnissen; sie ist das Nichts, aus dem die Menschheit auch Nichts machen kann; sie ist ein Kriterium und Korrektiv, aber kein Inhalt und kein Wesen. Und je schroffer und entschiedener die mittelalterliche Positivität in ihrer Unbedingtheit und Ausschließlichkeit wieder erstanden und sich erfräftigt hat; je mehr sie die locker gewordenen Zügel der Herrschaft über das Volk wieder anzieht und dem Geiste von Neuem Zaum und Geschirr anlegen will: desto nachdrücklicher erhebt sich eine Reaktion gegen sie, man sieht die theuersten schwer errungenen Güter der Entwicklung in Gefahr; die Quellen des Lebens sollen abgedämmt, und Schleusen errichtet werden, welche jedem Fahrzeug geistiger Thätigkeit nur nach Belieben die schmale Wasserstraße öffnen sollen. Man sieht ein, daß es sich hier um ein Entweder Ober handelt, weil jede Entwicklung, jede freie Entfaltung des Geistes, jede frische Bewegung des Lebens mit diesem Non possumus unvereinbar ist. Aus allen diesen Aktionen und Reaktionen, die sich nur in verschiedenster Art in den Geistern regen, sie von einer Seite zur andern, aus einer Richtung in die andere werfen, müssen selbstverständlich die vielfachsten, eigenthümlichsten und sonderbarsten, extremen und gemischten Gebilde entstehen, und so dem beschauenden Auge ein wirres Gesammtbild bieten.

Die Männer der Verneinung irrten jedoch, wenn sie glaubten, daß die Religion, ja die positive Religion unter den feindseligen und zersetzenden Elementen und unter ihren heftigen Angriffen in kurzer Zeit unterliegen und verschwinden, wenigstens in der wissenschaftlichen und gebildeten Welt zu existiren aufhören werde. An einem jonnigen warmen Tage kann man der schüßenden Wohnung entbehren, und befindet sich gern und voll Lebenslust draußen. Aber sowie das Unwetter nahet, oder die Nacht ihre dunkeln kühlen Schatten über uns breitet, suchen wir das sichernde Dach und die festen Mauern; nur daß die kalten, feuchten Gewölbe, die dunkeln Kreuzgänge uns nicht lange anmuthen und wir in unterirdischen Höhlen nur in der äußersten Gefahr uns bergen mögen. Bezeugt

doch die Mannichfaltigkeit und Verschiedenartigkeit der religiösen Erscheinungen und Parteien, wie wir sie oben kurz gezeichnet haben, bezeugt doch diese selbst bei aller Erschütterung der Religion die Energie des religiösen Bewußtseins und das Bedürfniß einer positiven Gestaltung der Religion, wenn diese auch nicht mit der Unbedingtheit und Unabänderlichkeit von Dogmen und Sagungen für ewige Zeiten zu verwechseln sei.

Aber erschütternd wirken allerdings alle jene Vorgänge auf die verschiedenen Kirchen, doch auch hier in verschiedener Weise. Die protestantische Kirche trug bekanntlich in ihrem Ursprunge selbst einen Gegensatz und Widerspruch in sich, der schwerlich auszugleichen ist. Sie entstand, indem sie die Autorität der Mutterkirche verwarf und die freie Forschung an deren Stelle sette, zugleich aber doch wieder die unbedingte Autorität des so vielfach auslegbaren neutestamentlichen Bibelwortes und einer Reihe von Dogmen, deren mehrere noch dazu aus jenem Bibelworte kaum zu erweisen stehen, aufstellte, die Rechtfertigung durch den Glauben an diese Dogmen allein und ausschließlich dekretirte. Die ganze Natur dieses Verhältnisses bot allen geistigen Bewegungen der neueren Zeit die größten Blößen und Schwächen dar; alles wissenschaftliche, rationelle und philosophische Denken kam mit ihrem Dogmengebäude, und der Kritizismus mit dem Bibelwort in vollen Widerspruch, und doch stützten sich jene dabei auf die freie Forschung, welche die protestantische Kirche anerkennen mußte, da sie ihr den Ursprung verdankte. Anders der Katholizismus, welchem zwar dieselben Dogmen zu Grunde liegen, der aber darauf ein so genau organisirtes, festgefugtes Gebäude aufgerichtet hat, daß kein Stein aus demselben genommen werden darf, ohne den Zusammensturz des ganzen Bauwerkes zu bewirken, der daher allen Gegnern die glatte Mauer einer Beste bietet. Im Innern des Katholizismus kann kein Feind erstehen, und von innen heraus die Zerstörung anbahnen; alle Versuche der Reform, der Ausgleichung, der Vereinigung mit dieser oder jener Zeittendenz werden sofort ausgeschieden, und die katholische Kirche kann wohl dadurch irgend ein Terrain ihrer Herrschaft verlieren, aber sie selbst bleibt an sich unberührt und unerschüttert. Die Folge hiervon ist, daß einerseits zwar die Zahl der unbedingten Gläubigen und Anhänger in der evangelischen Kirche sehr zusammenschmolz, doch aber die Freiheit, die ihr einmal einwohnt, die Trennung und

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