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wollen vielmehr nur fixiren und in bestimmter Weise aussprechen, was jezt bereits Zahllosen mehr oder weniger klar im Bewußtsein lebt. Die Achtung, welche gegenwärtig, troß aller Manoeuvres der Fanatiker auf beiden Seiten, die Bekenner beider Religionen vor einander hegen, und die, so abstechend gegen die Vergangenheit, ein schönes, immer wachsendes Eigenthum unserer Zeit ist, macht dies möglich und nicht allzu schwer. Gerade darum ist es aber auch an der Zeit, sich wieder einmal jüdischer Seits mit dem Christenthume gewissermaßen auseinanderzusehen, die Differenzpunkte nachzuweisen, und ohne irgend auf Verkleinerung oder gar Proselytenmacherei auszugehen, doch unverhohlen das auszusprechen, was das Judenthum immer und immer verwerfen muß. Der Weg, den wir dabei zu verfolgen gedenken, soll von außen nach innen gehen, so daß wir zuvor einige äußerliche Momente abthun, bevor wir zum inneren Kern der Sache vorbringen.

1. Majorität und Minorität.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß, während die Schrift 2. Mos. 23, 2 sagt: „Folge nicht der Menge zum Bösen; zeuge nicht in einer Rechtssache, indem du dich der Menge nachneigest, das Recht beugend" - die Tradition die Worte: non oran aus dem grammatikalischen Zusammenhange heraushebt, und „sich nach der Mehrheit zu richten“ zu einem der 613 Gesetze macht'). Während also die Schrift die Ueberzeugungstreue des Einzelnen oder der Minorität einer Mehrheit gegenüber zur strengen Pflicht macht, gebietet die Tradition, sich der Mehrheit zu unterwerfen. Man kann aber leicht erkennen, daß beide Säße ihr Recht haben und sich nicht widersprechen, sobald man den Gegenstand ins Auge faßt. Bei allen Beschlüssen eines Collegiums oder einer Versammlung muß die Mehrheit entscheiden, und es hat der Einzelne nicht

1) Unter den an das 78ste. Schon Targ. Onk. erflärt den Vers in unsrer Weise, und Mendelssohn übersetzt: „Folge der Menge nicht zum Böfen. In einer Rechtssache, wenn du deine Meinung sagst, hange der Menge nicht nach, das Recht zu beugen." Welche verschiedenartigen Vorschriften über die Abstimmung der Richter namentlich in Kriminalsachen die Talmudisten aus diesem Verse zogen, gehört nicht hierher und kann in Mess. Sanhedrin nachge lesen werden.

das Recht, sich der Beobachtung eines Gesetzes zu entziehen, weil er eine abweichende Meinung hat, oder als Mitglied des gesetzgebenden Körpers zur Minderheit gehörte. In Rechtssachen und auf dem Gebiete des Glaubens darf aber Niemand seine Meinung blos darum aufgeben, oder seine Abstimmung ändern, weil eine Mehrheit der entgegengesetzten Ansicht ist. Dem, was wir als recht und wahr anerkannt haben, müssen wir tren anhangen bis zum Tode, und wenn eine ganze Welt rings um uns sich dagegen erhebt.

Von diesem Grundsaße aus erscheint alsbald der Vorwurf oder Einwand, den man dem Judenthume entgegenhält, daß es mitten in der großen christlichen Welt nur eine so kleine Anzahl Bekenner zählt, und daß es diesen wohl anstünde, sich nach der Mehrheit zu richten und dieser sich hinzugeben, unter der doch so viele kluge uud einsichtsvolle Männer vorhanden, als völlig unbegründet und geradezu verwerflich. Bilden doch die Juden eine geringe Minorität auch in der islamitischen Welt, auch unter den Braminen und Buddhisten, ja selbst unter den Fetischanbetern Afrika's. Was würde man dazu sagen, wenn sie die lauteren und erhabenen Wahrheiten ihrer Religion in jenen Gegenden um den Aberglauben der dortigen Majoritäten aufopferten? Die Religion Israel's war vom Anfang an berufen, der großen Majorität der Menschheit gegenüber die Religion des einzig - einigen Gottes zu bekennen und aufrecht zu halten, unbeirrt von der anderweitigen Geistes- und Bildungshöhe der übrigen Menschen. Dies war der große Beruf, aber auch der Segen, der auf Abraham für seine ganze Nachkommenschaft gelegt ward, und nur dadurch erfüllen die Israeliten die höhere Pflicht gegen die ganze Menschheit, erscheinen aber als pflichtwidrig und treulos, wenn sie, blos um der Mehrheit nachzubuhlen, davon abweichen.

Prüft man aber die Dinge genauer, so erkennt man, daß in Allem, was den Geist betrifft, es durchaus nicht die Mehrheit, sondern immer nur die Minderheit ist, welche in der Menschheit herrscht und leitet. Es bewährt sich hierbei, daß die Gesetze des Geistes nicht die der Materie, sondern die gerade entgegengesetzten sind. Im Stoffe zieht die größere Masse die kleinere an; auf dem Gebiete des Geistes geht die Bewegung von Einem oder Wenigen aus und zieht die große Masse nach. Dies beweist die Geschichte,

und jede große Aktion in den Geistern fand ihren Urheber und Leiter in einem Individuum, das bald mehrere an sich zog, bis von da aus die Bewegung immer größere Maße annahm. Tritt in eine Schule, und du siehst den einen Lehrer vor zahlreichen Schülern stehen, unter denen doch nur wieder einer und der andere zum Lehrer der nachfolgenden Geschlechter geschickt sein wird. Tritt in eine gottesdienstliche oder andere Versammlung, und du hörst einen Mann von der Kanzel oder dem Rednerstuhle die Menge belehren, ermahnen, verwarnen. Oder nimm ein Buch vor dich, das in den Händen Zahlloser ist, das vielleicht schon seit Jahrtausenden zu Geist und Herz spricht, ist es nicht die Stimme eines Einzelnen, die da ertönt und mit Entzücken oder zu tiefer Belehrung von Millionen immer und immer wieder vernommen wird? So ist es theoretisch und faktisch ein Unsinn, im Glauben und in der Ueberzeugung von der Minderheit eine Nachgiebigkeit gegen die Mehrheit zu verlangen, vielmehr ist es erwiesen, daß, welche auch die geistige Potenz einer Zeit oder irgend einer Menge sei, die wahren Lehrer der Menschheit immer nur in der Minderzahl waren, daß die Wahrheit oft viele Jahrhunderte das Eigenthum nur Weniger war, welchem nur allmählig die übrige Masse zureifte. So gewährt der Umstand, daß das Christenthum Mehrheitsreligion im Abend, wie der 3slam in Vorder, Mittelasien und Nordafrika ist, diesen kein innerliches Uebergewicht, sondern beläßt den Juden ruhig den Standpunkt, daß ihre Religion zur Läuterung und Klärung der übrigen so lange diene, bis diese den ganzen Inhalt jener angenommen haben

werden.

2. Lehrer und Schüler.

Es ist von den christlichen Dogmatikern selbst anerkannt, daß das Christenthum seinen Ursprung aus dem Judenthume gezogen und wesentliche Elemente ihm entnommen habe, daß es überhaupt ohne das Judenthum, sowie das sog. Neue Testament ohne die heilige Schrift Israel's, gar nicht verstanden werden kann, wozu noch kommt, daß das Neue Testament so wenig umfassend ist, daß ihm die Bibel Israel's überall das Ergänzungsmaterial liefern muß. Es ist dies so sehr der Fall, daß die antichristlichen Kritiker und Philofophen unter den Christen das Christenthum und Zudenthum oft identificiren

und als die im Gegensatz zum Helenenthum, die Welt beherrschende jüdische, oder wie sie jetzt sagen, semitische Idee bezeichnen.

Dieser Abhängigkeit des Christenthums vom Judenthume in Etwas zu begegnen, macht man geltend, daß das Zudenthum des 19. Jahrhunderts am Christenthum, an christlicher Bildung und Wissenschaft sich aufgerichtet, sich geklärt habe, in seinem Geiste und seinen Formen sich verjünge, und also Wesentliches jenem zu danken habe.

Diesem wieder gegenüber machen wir geltend, daß das Judenthum fortwährend für das Christenthum ein wesentliches Kriterium jei, und daß dieses, selbst abgesehen von seinem dogmatischen Inhalte, noch viele Elemente, wie die ganze soziale Lehre als Consequenz der Gotteslehre und die Richtung und Versenkung ins Reale, vom Judenthume zu lernen und zu übernehmen habe.

Betrachten wir diese drei Säge noch etwas genauer. Wir gehen hier über den ersten Sat, theils weil er über alle Erörterungen hin sicher ist, theils weil er schon den eigentlichen Lehrinhalt berührt, hinweg. Ein gleiches Verhältniß, wenn auch nicht ein so unmittelbares und ursprüngliches, findet beim Islam statt, und selbst der Koran sezt die H. Schrift voraus, erklärt sie für seine Grundlage und entnimmt ihr viele Theile, wenn auch in legendenartiger und oft verfehrter Ueberarbeitung.

Bleiben wir dagegen bei dem zweiten Punkte länger stehen Im Allgemeinen versteht es sich von sich selbst, daß zwei so große weltgeschichtliche Erscheinungen bei ihrem immerfortigen Aufeinandertreffen und Nebeneinanderleben nicht ohne Wechselwirkung bleiben konnten und bleiben, und wird man auch den Juden bis auf die neueste Zeit, und in dieser am wenigsten, ihren Einfluß auf die christliche Welt nicht absprechen können. Zuvörderst aber müssen wir die Frage erörtern, inwiefern die Civilisation, die Bildung und Wissenschaft als eine specifisch christliche bezeichnet werden könne. Die Geschichte scheint dies nicht zu erhärten. Wir sehen erstens, daß das Christenthum schon fast ein Jahrtausend in Europa herrschend war, und nur zur Barbarei, Unwissenheit und dem sozialen Chaos des christlichen Mittelalters geführt hatte. Bei allem Respekte vor der Schwärmerei, Minne und Innerlichkeit des Mittelalters können wir diese lange Epoche nur als eine Krankheit, als einen geistigen, sittlichen und sozialen Verfall in dem großen Entwickelungsgange der Menschheit ansehen, deren lebendige Blüthe damals ganz

wo anders stand als in der christlichen Welt. Man muß vielmehr zweitens erkennen, daß die Civilisation in ihrem Weltgange in jeder Periode an einer anderen Völkerfamilie haftet, eine andere zu ihrem Träger und Werkzeuge hat und sich an ihr vollendet. Wir sehen sie so aus Indien und Aegypten nach Mittel- und Vorderasien wandern, von da zu den Griechen und Römern übergehen, dann nach längerer Pause am arabischen Stamme sich aufranken und endlich in den europäischen Völkerschaften Wurzel fassen. Die Gesittung, Bildung und Wissenschaft in der europäischen Welt wird von den christlichen Geschichtsschreibern selbst erst von der Vertreibung der Griechen aus Konstantinopel, von der Erfindung der Buchdruckerkunst, von der Entdeckung Amerika's und der Reformation her datirt, so daß sie erst vier Jahrhunderte die christlichen Völker zu ihren Trägern hat, Wissenschaft, Kunst und Bildung werden als durch die Ueberreste der griechischen und römischen Cultur ausgesäet, gepflegt und immer rectificirt ausgegeben, und alle feineren Studien mit dem Namen Humaniora belegt. Somit scheinen wir allerdings berechtigt, die Cultur unsrer Zeit nicht objectiv als eine christliche betrachten zu dürfen, wie sie denn auch von den Pietisten aller Kirchen als unchristlich verworfen und zur Umkehr in das wahre christliche Wesen aufgefordert wird. Wir könnten also sagen, daß das Judenthum des 19. Jahrhunders nicht vom Christenthume, sondern von der europäischen Cultur gelernt und den Anstoß zu Klärung und Bildung erhalten habe. In der That möchten die Juden in den morgenländischen Staaten von den dortigen Christen nichts profitiren können, und müssen in den osteuropäischen Ländern die Christen so gut wie die Juden erst von den west- und mitteleuropäischen Völkern Unterweisung und Anleitung erhalten. Indeß wollen wir dies nicht allzu genau nehmen und gern gestehen, daß wir Juden von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an durch die europäische Cultur aus den engen Grenzen unseres Geisteslebens befreit worden, und dadurch auch das Zudenthum zu neuer lebenskräftiger Entwicklung gedieh. Wir wollen uns dafür als zu Dank verpflichtet anerkennen, wenn nicht diese Dankbarkeit dadurch etwas geschmälert würde, daß man uns vorher mit der drückendsten Gewalt von aller Theilnahme am Geistesleben der Menschheit abgehalten hätte, einer Theilnahme, die wir überall, wo uns Raum gegönnt worden, in Alexandrien und Antiochien, in Rom und Spanien so

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