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schmußige Straße des Alltagslebens nicht wandern. Wir sollen daher denjenigen der von der gangbaren, geraden Landstraße abweicht, und den Haufen verläßt, nicht gleich als einen Abtrünnigen ausschreien, sondern vielmehr seine Herzhaftigkeit bewundern, durch die er, zur Seite ausweichend, vielleicht unbekanntes Land entdeckt, was entweder noch nie gesehen ward, oder lange wieder verloren gegangen ist.

Hätte sich kein Columbo von den Küsten auf den hohen Ocean hinausgewagt, wir würden die neue Welt, unsere andere Erdhälfte, noch gar nicht kennen. Und so verhält es sich gerade mit den philosophischen Wahrheiten. „Auch in der Welt des Denkens brauchen wir Helden und ruhige Weise, sagt v. Brinckmann (Philosophische Ansichten 1. Theil). Wem seine angeerbte Hütte ges nügt, entsage der Speculation, die ihn herauslockt auf den Ocean, um neue Länder zu entdecken. Wer aber dort sich nach Erobe-= rungen sehnt, habe auch den Muth, am jenseitigen Ufer sogleich die Schiffe hinter sich zu verbrennen." Ursprünglich schiffen aber die Meinungen meist auf leicht gezimmerten Brettern, und ohne leitenden Compaß umher. So sagt Sulzer (über die Unsterblich, feit der Seele in Hißmanns Magazin für die Philosophie 4. B.): „Es ist bekannt, wie leicht und unbedachtsam der menschliche Geist ganz willkürliche Meinungen über Gegenstände aufnimmt, die wir nicht zur Gewißheit erheben können. Sehr oft reicht der kleinste Schein von Wahrheit, oder auch nur von Möglichkeit zu, daß der nach Erkenntniß schmachtende Geist die gewagtesten Muthmaßungen annimmt, an die er sich nachher, als an unläugbare Wahrheiten, hält." Darum ist es bei Gegenständen der Philosophie so rath sam, nicht alles sogleich für wahr zu halten, was uns dargeboten wird, sondern die Wagschale der Kritik zu benüßen, um durch ein tiefer gegründetes Urtheil zu unterscheiden, was Genie oder Scharfe finn, poetischer Tact, eine unabweisbare Erfahrung oder ein plöße licher Einfall uns anpreiset, und unter den fremdartigsten Hüllen zur Schau bringt.

Herr Profeffor Nasse hat in der angezeigten Abhandlung eine von der jeßt gangbaren völlig abweichende Ansicht geäußert, und anstatt jene gleich als ganz unstatthaft zu verwerfen, ist es räthlich, dieselbe anzuhören, das Neue neben dem Alten abzuwägen und beide Ansichten genauer zu prüfen. Ich, der ich mich laut

meiner gleichfalls dort ausgesprochenen Ansicht zu der alten oder vielmehr gewöhnlichen Meinung bekannt habe, finde mich schon um dieselbe zu rechtfertigen besonders dazu aufgefordert, noch mehr aber, weil gerade die psychische Natur des Menschen schon seit länger her der vorzüglichste Gegenstand meiner Studien ist, und ich eben in Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte des Menschen begriffen bin. Ich nehme deßhalb diesen Gegenstand jezt insbesondere ernstlich vor, wiewohl ich nicht bergen kann, daß ich eine gewisse Scheu habe, über die geheimsten und höchsten Gegenstände der menschlichen Natur offene Aussprüche zu thun. Ich würde deßwegen ohne diese Veranlassung noch lange geschwiegen haben; weil ich glaube, daß man sich nicht genug erst umsehen kann, um sich frei und unbeengt bewegen zu können, und daß man erst dann bauen soll, wenn man reich ist, und sich einen vollkommenen Plan entworfen hat. Ohne den verpfuscht man sich gewöhnlich sein eigenes Werk, bauet auf seichten oder unpas senden Grund, und vermauert sich die schönsten Aussichten nach Often zu. Nach außen fehlt es dann an ́festhaltendem - Mörtel, nach innen an einer den Bedürfnissen entsprechenden Lichtmaffe.

Da indessen dieser Gegenstand wohl als ein Theil der Ents wickelungsgeschichte angesehen werden muß, so zaudre ich auch nicht weiter, völlig ohne Furcht denselben etwas ausführlicher bearbeitet dem gelehrten Publicum vorzulegen. Ich habe deßhalb nicht bloß von der Beseelung des Kindes zu handeln, sondern diesem den Begriff des Lebens und der Seele überhaupt erst vors auszuschicken, wobei der Unterschied zwischen Menschen- und Thierseelen nicht unberührt bleiben darf. Von großem Intereffe scheint mir auch insbesondere das zu seyn, was andere von jeher von der Beseelung des Kindes gedacht und geäußert haben, und da dieses überhaupt so genau mit den Ansichten von der Zeugung zusammenhängt, so habe ich der ganzen Abhandlung eine kurze Geschichte der Zeugungstheorien vorangeseßt, theils weil diese bei einer Entwickelungsgeschichte wohl nicht unberührt bleiben dürfen, und theils weil sie diesen Gegenstand, durch die Beleuchtung aller Seiten, selbst aufhellen helfen. Das Geschichtliche habe ich größtens theils nach den Quellen bearbeitet, und wo ich die Driginale nicht bekommen konnte, habe ich Brukers, Tennemanns und Buhle's Geschichte der Philosophie benut.

Das Ganze habe ich demnach in drei Abtheilungen zusammengefaßt. 1) Geschichte der Zeugungstheorien und der Meis nungen von der Beseelung des Kindes. 2) Physiologisch-psychologische Untersuchungen über die menschliche Seele überhaupt, und über die Beseelung des Kindes insbesondere; und 3) Einwens dungen gegen des Herrn Prof. Nasse's Aufsag, von der Beseelung des Kindes. Endlich bemerke ich noch, daß diese Abhandlung ursprünglich für die Zeitschrift für die Anthropologie bestimmt war, wo sie aber der Herr Prof. Nasse wegen zu großen Umfanges nicht aufgenommen hat. Da sie nun aber einmal fertig ist, und ich glaube, daß sie der Beachtung nicht ganz unwerthe Dinge enthalte, so gehe sie für sich allein hinaus in die Welt, und erfahre nach ihrer Eigenthümlichkeit das ihr beschiedene Glück. Eine gewisse Eigenthümlichkeit wird ihr der Leser nicht absprechen, der aber in diesen psychologischen Untersuchungen eine gewöhn liche psychologische" Sylbenstecherei umsonst sucht. Denn ich be wege mich gern frei, nach meiner Natur und Organisation; daher man gewisse angeborne Kunstfertigkeiten darin vermissen kann. Indeffen hoffe ich gerade auf diese Weise den Leser in den Stand zu sehen, über den streitigen Punkt selbst sich ein Urtheil zu vers schaffen. Denn eigentlich handelt es sich doch nur um Meinungen unb Muthmaßungen, welche wir mit der reinen unfehlbaren Wahr. heit nicht verwechseln müssen, was hier um so nothwendiger zu erinnern ist, da wir das Wesen des menschlichen Geistes selbst nicht kennen, und so um so weniger eine Gewißheit von seinem Ursprunge erlangen können. Ich wenigstens nehme daher meine Betrachtungen auch bloß als von Analogie und Erfahrung abgeleitete Hypothesen an, auf die ich die Fortseßung meiner Untersuchungen stüßen werde. Ich bin daher auch stets bereit, sie wieder fahren zu lassen, sobald man mit annehmbaren Gründen darthut, daß sie unzweifelhaften Wahrheiten widersprechen.

Auf Erfahrung und Analogien beruhende Vermuthungen können indessen dem Fortgang der wahren Kenntnisse nicht schaden, sie können diesen vielmehr nur fördern.

Bonn im Mai 1824. J. E.

I.

Geschichte der Beugungs-Theorien und der Meinungen von der Beseelung des Kindes.

Sehen wir in der Geschichte der Philosophie und Seelenfunde, was die Menschen von jeher über diesen Gegenstand gedacht und bekannt haben, so finden wir die verschiedenartigsten Meinungen und Ansichten ausgesprochen, so daß man sich fast wundern muß, wie man, bei der sonst so verschiedenen Denkweise der Menschen, jezt so allgemein die Beseelung des Kindes bei der Zeugung gleichsam für ausgemacht und stillschweigend annimmt. Eine ganz neue Ansicht ist daher, wie wir sehen werden, auch die des Herrn Prof. Nasse nicht. Wie überhaupt heute wohl nicht leicht mehr etwas gesagt wird, was nicht schon lange vorher gesagt wurde, so finden wir (Nihil sub sole novum) benn auch dieselbe Meinung schon in dem tiefften Alterthum.

Wiewohl es hier zunächst nur darauf ankommt, zu sehen was man über die Vereinigung der Seele mit dem Leibé gesagt hat, so ist dieses doch so genau mit den Meinungen über das Wesen und den Ursprung der Seele verbunden, daß diese nicht ganz ausgeschlossen werden dürfen. Dreierlei Fragen sind hier immer mehr oder weniger in einander verwickelt: was ist die Seele? woher ist sie? und wann mit dem Leibe vereint? Je nach dem die Menschen über die Natur überhaupt philosophirten, und entweder von einem materiellen oder geistigen Princip ausgingen, so übertrugen fie dieß auch auf die Seele, wonach sie über ihren

Ursprung und die Zeit der Vereinigung mit dem Leibe zu verschiedenen Ansichten geleitet wurden.

Im allgemeinen leitete man die Seelen entweder von einem unendlichen Wesen her, indem man einen Ausfluß der Seelen aus Gottes Wesen behauptete, wie die alten Vertheidiger des Emanationssystems; oder man legte den Seelen einen Ursprung von endlichen Dingen bei, wo dann die Seelen entweder von geistigen Substanzen oder von körperlichen Dingen abgeleitet wurden. (Spiritualisten, oder Materialisten). Hiebei war es noch immer eine wichtige Frage, ob die Seelen der Menschen alle gleich bei der Schöpfung der Welt erschaffen wurden, oder ob täglich neue Seelen entständen; und hiedurch theilen sich wieder die Vertheidiger der Präeristenz, und die der neuen Schöpfung Crea tions-Theorie.

Die alte Lehre des Emanationssystems der Brahmanen im Orient, der Aegypter und mehrerer griechischen Philosophen be, hauptete ein geistiges Urseyn der Seele.

Die erste Ansicht der Morgenländer scheint wohl die gewesen. zu seyn, daß die Seelen als reine Geister mit Gott ursprünglich vereinigt waren. Durch den Eigenwillen den Abfall, oder die Sünde, wurden sie von Gott verstoßen; statt des reinen Lichts fanden ste jezt nur die schwere Materie, in die sie eingehend sich einen endlichen Leib bilden mußten, durch den sie sich wieder läutern, und die alte Schuld abbüßend — zu neuer Vollkommenheit und Reinheit gelangen können. Hiemit stimmt offenbar Adams Sündenfall in der mosaischen Schöpfungsgeschichte überein.

Aus dieser ersten Ansicht entstanden bald andere davon ab geleitete Meinungen. Die kurze Zeit eines Menschen Lebens reicht nicht hin, die große Schuld seines Vergehens zu bezahlen; darum müssen die Seelen mehrere folcher Verwandlungen und Reinigungen durchgehen. Bei dem Tode eines Menschen wandert seine Seele in einen andern. Dadurch entstand, die Lehre von der Seelenwanderung (Metempsychosis), die bald eine verschiedenartige Gestalt annahm. Hatte die Seele während ihrer Vereinigung mit dem Körper sich nicht genug gereinigt und gebüßt, so mußten die Seelen nach Verschiedenheit ihres geführten Lebenswandels in verschiedene Thiere, ja sogar Pflanzen, wandern. Herodot (Lib. II. C. 123.) erzählt: die Aegypter hätten zuerst an die Un

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