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Theologie Albrecht Ritschls, als dessen Anhänger er sich bekennt, für den katechetischen Unterricht sehr geeignet sei. Dadurch hat er den durchaus falschen Schein erzeugt, als ob die genetische Methode ein Ergebnis Ritschlscher Theologie wäre, und der Wirkung des trefflichen Buches auf ernste und gewissenhafte Traditionarier ist dadurch von vornherein ein undurchbrechbarer Riegel vorgeschoben. So ist von seiner Seite her dem Bemühen Mancher, diese rein sachliche Angelegenheit unter die beliebte Kezerrubrik unserer Tage zu bringen und mit Keulen des Pathos oder dem Gifte der Verdächtigung sie zu beseitigen, Vorschub geleistet. Zu diesem Gifte der Verdächtigung rechne ich ausdrücklich nicht die heftige Polemik des katechetisch verdienstvollen Karl Buch rucker in seinem Werk: „Der Schriftbeweis im Katechismusunterricht", Gotha 1893. Betrübend ist daraus zu ersehen, wie sich bereits eine an Mythen reiche Tradition über die Lehre von A. Ritschl gebildet hat und ganz unbesehen alles Nichtkonvenierende dieser Theologie in die Schuhe geschoben wird; zu einem guten Teil ficht unser Verfasser gegen Windmühlen, die er kraft der Brille von Mißverständnissen und Mißdeutungen für Ungeheuer hält. Der Betrübnis fehlt jedoch nicht ein Trost; es ist die Hoffnung, daß die Brille abfällt und eine weitgehende Verständigung, zu der auch bei Buch rucker schöne Ansätze vorliegen, nach und nach playgreifen wird. Auch auf katechetischem Gebiete, und hier vielleicht in erster Linie, haben wir es in unserer parteisüchtigen Zeit zu lernen, und wir werden es lernen, in Unbefangenheit des Sinnes und in Erfülltsein von dem hohen Zweck unsere Arbeit zu thun. Der Wahrheit, nur der Wahrheit haben wir zu dienen, der von Gott geoffenbarten Wahrheit nicht weniger als der aus dem Wesen des christlichen Glaubens an die Wahrheit Gottes sich ergebenden methodischen Wahrheit. Die Wahrheit wird und muß das Feld behalten, und das Gähren widerstreitender Meinungen wird, bei dem ernsten und zweckerfüllten Bemühen, nicht das lehte Abendrot eines untergehenden Tages sein, sondern der Kampf der Morgensonne gegen die Nebel der Nacht, der Morgensonne, die den neuen besseren Tag heraufführt.

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Die Stellung des evangelischen Theologen zur heutigen psychiatrischen Wissenschaft'.

Von

Pfarrer Teichmann

in Frankfurt a. M.

„Die Stellung des evangelischen Theologen zur heutigen psychiatrischen Wissenschaft“ - was ist darüber zu sagen? Man könnte ebenso gut über die Stellung des evangelischen Theologen zur heutigen Astronomie oder zu irgend einem anderen Zweige der menschlichen Wissenschaft reden. Wissenschaft ist etwas in sich Selbständiges, an und für sich geht das von ihr Umfaßte die Religion nichts an. Diese hat es nicht mit Wissenschaft zu thun, sondern vielmehr mit der sittlichen Beurteilung des Weltganzen und des menschlichen Lebens. Das aber berührt die Wissenschaft als solche nicht, es müßte denn sein, daß diese Elemente in sich aufgenommen hat, welche ihr — streng genommen — garnicht zugehören, so wie ja bekanntlich die christliche Religion im Laufe der geschichtlichen Entwickelung eine Menge Elemente aufgenommen hat, welche der Erkenntnis der Wissenschaft, nicht aber ihr zugehören. Allein dieses lettere leitet eben dazu an, bei der Beurteilung des Themas

1) Der Aufsatz wurde von dem Verfasser auf der lezten „Theologischen Konferenz zu Gießen“ vorgetragen. Er hat einiges von dem mündlich Vorgetragenen weggelassen und einiges hinzugefügt. Vergl. dazu den Aufsatz des Verfassers in der Zeitschrift für praktische Theologie, Jahrg. 16, Heft 1, S. 40 „Psychiatrie und Theologie“, aus welchem er das Hauptsächlichste herübergenommen hat.

eine gewisse Milde walten zu lassen. Einerseits ist nämlich die Psychiatrie ein verhältnismäßig sehr junger Zweig der Wissenschaft, so daß sie sich bei manchen unserer Zeitgenossen noch das Recht, als Wissenschaft betrachtet zu werden, erstreiten muß. Andererseits giebt es in der Theologie noch manche Anklänge, welche aus der Welt erkenntnis früherer Zeiten herrühren und dagegen opponieren, die Psychiatrie als eine wirkliche und selb= ständige Wissenschaft anzusehen, die von der Theologie durchaus keinen Einspruch hinzunehmen hat. Es steht daher durchaus nicht so, daß auf theologischer Seite überall das volle Recht der Psychiatrie anerkannt würde und der religiöse Glaube von wissenschaftlichen Fragen derselben frei erhalten bliebe, sondern entweder betrachtet man die heutige Psychiatrie mit einer gewissen Skepsis und bleibt bei jener naiven Anschauung, die aus der früheren Scholastik herstammt, stehen; oder aber man meint vermitteln und die Resultate der heutigen psychiatrischen Wissenschaft mit den feststehenden biblischen Anschauungen in Uebereinstimmung bringen zu müssen. Diesem Stande der Dinge gegenüber ist es gewiß von Wert, sich prinzipiell darüber klar zu werden, wie die Stellung des evangelischen Theologen zur Wissenschaft der Psychiatrie sein muß, die Hindernisse wegzuräumen, welche manchen von der richtigen Stellungnahme zurückhalten, und die Folgerungen zu ziehen, die man einfach anzuerkennen hat.

Die psychiatrische Wissenschaft ist noch nicht alt, sie hat sich erst in dem lezten Jahrhundert als solche hindurch gerungen und geltend gemacht, und doch müssen ihre Resultate mit zu den bedeutenden und folgeschweren Errungenschaften des menschlichen Geistes gerechnet werden. In alten Zeiten schrieb man abnorme Geisteszustände dem besonderen Einfluß übernatürlicher Mächte, entweder dem der Götter oder dem der Dämonen, zu. Noch zur Zeit Jesu war, um einen Ausdruck Philos zu gebrauchen, die Luft gleichsam voll von Geistern und Dämonen. Unter Dämonen verstand man Mittelkräfte zwischen Gottheit und Menschheit. Man dachte sie sich entweder als vergottete Menschenseelen oder als böse Geister, welche überall in der Natur und in der Menschheit Verderben hervorrufen. Auch die Geisteskrankheit schrieb man ihnen

zu; man suchte dieselbe deshalb zu heilen durch Beschwörungen, Zaubermittel und religiöse Zeremonien. Wie allgemein gültig diese Vorstellungen waren, sieht man z. B. aus den Mitteilungen des Flavius Josephus, welcher Antiquitates 8 2-5 Folgendes erzählt: „Salomo hat Beschwörungsformeln hinterlassen, durch welche Dämonen ausgetrieben werden, so daß sie nie zurückkehren; welche Art der Heilung auch jezt noch viel bei uns gilt. Wie ich denn selbst gesehen habe, daß einer meiner Landsleute Eleazar in Gegenwart des Kaisers Vespasian, seiner Söhne, Kriegsobersten und Soldaten Besessene aus der Gewalt der Dämonen befreite. Die Art aber der Heilung war diese. Er brachte unter die Nase des Dämonischen einen Ring, unter dessen Kapsel eine der von Salomo bezeichneten Wurzeln verborgen war. Durch den Geruch derselben zog er den Dämon aus der Nase und beschwor ihn, als der Mensch sogleich hinstürzte, nie wieder in denselben zurückzukehren, indem er den Namen Salomos nannte und von diesem verfaßte Zaubersprüche aussprach. Da nun Eleazar die Anwesenden davon überzeugen wollte, daß er diese Gewalt besize, stellte er ein kleines Gefäß voll Wasser in die Nähe und befahl dem Dämon, wenn er aus dem Menschen fahre, dieses Gefäß umzuwerfen und dadurch den Zuschauern zu beweisen, daß er den Menschen wirklich verlassen habe. Da dieses nun wirklich geschah, wurde die Weisheit und Einsicht Salomo 3 offenbar." Die Dämonenvorstellungen (die Dämonen wurden mit dem Diminutiv dapova bezeichnet) sind erst später in das Judentum eingedrungen; dann aber finden sie sich dort in derselben Weise vor wie im Heidentum, nur daß sie durch den Monotheismus Modifikationen erlitten. Die Dämonen erregen Krankheiten, zerstören die Gesundheit, beunruhigen den Menschen, schrecken ihn durch böse Träume und durch alle möglichen Gestalten des Unglücks. Das war die allgemeine Volksvorstellung im ganzen Altertum; da — wenn auch nicht alle Krankheiten doch die meisten von Dämonen verursacht wurden, so redete man von einem „Geiste der Krankheit"; die Eigentümlichkeiten, welche bei der Krankheit zu Tage traten, übertrug man auf den Dämon, der sie hervorrief. Diese populäre Vorstellung

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welche sich auch im N. T. vorfindet, wir kommen darauf später zurück — wurde allerdings eine Zeit lang durchbrochen von einer Art richtigerer Anschauung. Diese war durch den berühmten Arzt Hippocrates wenigstens in höhere und gebildetere Kreise eingeführt. Dieser bedeutende Mann, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte, erkannte ganz richtig, daß das Gehirn ebenso wie alle anderen Organe des menschlichen Leibes Krankheitsursachen ausgesetzt sei. Geisteskrankheit schrieb er einer Abnormität des Gehirns zu, und diese ließ er durch Veränderungen in den von ihm angenommenen vier Kardinalsäften (Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle) entstehen. Er behandelte demgemäß die Geisteskranken somatisch und arzneilich; dagegen ließ er die Dämonen und ihre Austreibung ganz außer Spiel. Seine Schüler verfolgten diesen Weg weiter. Unter ihnen erwarb sich namentlich Caelius Aurelianus, ein Zeitgenosse Trajans und Hadrians, viel Ansehen und Ruhm; er emanzipierte sich auch von der Theorie der Kardinalsäfte des Meisters. Aber mit ihm verlor sich unter den Wirren der späteren Römerzeit, der Völkerwanderung und des Untergangs des weströmischen Reiches diese bessere Erkenntnis. Die Medizin fristete von da an ein kümmerliches Dasein in den christlichen Klöstern, bei den Arabisten und in zunftmäßigen Schulen wie in Salerno. Begreiflicherweise machte sich dieser Rückschlag am meisten auf ihrem dunkelsten Gebiete, dem der Psychiatrie, geltend.

Mystizismus und krasser Aberglaube trieben ihre schönsten Blüten, der Teufels- und Herenwahn fand seine besondere Bestätigung bei den Frren. Die Behandlung derselben fiel den Priestern zu, deren Terapie in Kasteiungen und Exorzismen bestand. Das Loos der Geisteskranken war ein furchtbares, sie lieferten ein großes Kontingent für die Herenverbrennungen. Tobsüchtige wurden in Kerkern wie wilde Tiere gefesselt gehalten, bis sie in Schmutz und Elend umkamen. Nur solche Irrsinnige, deren Wahn für die Kirche nichts Anstößiges hatte, fanden hier und dort in Stiftungshäusern eine Zuflucht. Mit der Reformation begann für die Medizin im allgemeinen der Anbruch einer besseren Zeit; aber die Psychiatrie nahm daran zunächst keinen Teil. Der

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