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ALFRED HÖLDER,

K. K. HOF UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER,

ROTHENTHURMSTRASSE 16.

HA1173
A23

Alle Rechte vorbehalten.

Abhandlungen.

Die Volkszählungen des Jahres 1880.

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Von Dr. F. X. v. Neumann-Spallart.

Das erste Mal seit Menschengedenken werden im Jahre 1880 die Einwohner der Culturstaaten des Abendlandes nach gleichartigen Gesichtspunkten gezählt und wenigstens in Bezug auf ihre wichtigeren Eigenschaften demographisch verzeichnet werden. Die sämmtlichen Volkszählungen, von denen eine historische Kunde auf uns gelangt ist, mit Einschluss derjenigen, die in neuester Zeit in Europa und America, in den Colonial-Ländern von Asien und Australien und in einzelnen Theilen Africa's durchgeführt wurden, erscheinen als Fragmente gegenüber dem allgemeinen Census, welcher für den 31. December des nächsten Jahres in Aussicht gestellt ist. Denn alle bisherigen Zählungen sind in den verschiedenen Staaten zu verschiedenen Zeitpunkten vorgenommen worden, so dass die Totalziffern, die aus der Summirung der einzelnen Bevölkerungen für ganze Erdtheile gewonnen wurden, bisher immer unrichtig sind. Ob man nun die rechtliche oder die factische Bevölkerung erhebt, immer veranlassen die in der Zwischenzeit zwischen der Zählung in dem einen und jener in dem anderen Staate erfolgten Wanderungen eine Fehlerquelle, die eben nur durch völligen Synchronismus vermieden werden kann. Wenn beispielsweise Behm und Wagner in ihren vorzüglichen Zusammenstellungen für das Jahr 1877 1) die Bevölkerung von Europa auf 312,398.480 Bewohner angeben, so hat diese Ziffer doch nur einen problematischen Werth, da die Grunddaten, nach welchen sie berechnet ist, für einzelne Länder, wie Portugal, aus dem Jahre 1864, für andere aus den Jahren 1869, 1870 und 1871 (so für Oesterreich-Ungarn, Russland, die Schweiz, Dänemark, Spanien, Italien, Grossbritannien uud Irland) und endlich wieder für andere erst aus den Jahren 1875 und 1876 (so für das deutsche Reich, Norwegen und Frankreich) stammen. In dem 10- bis 11jährigen Zeitraume sind gewiss solche Fluctuationen der Bevölkerung eingetreten, dass Doppelzählungen eines und desselben Individuums, beziehungsweise Auslassungen anderer als ganz unvermeidliche Folge erscheinen. Diese Irrthümer zu beseitigen, wird eine der ersten Aufgaben der gleichzeitig vorzunehmenden Volkszählungen des Jahres 1880 sein. Hätten die internationalen statistischen Congresse gar nichts Anderes bewirkt, als den zu St. Petersburg gefassten Beschluss: dass Volkszählungen in allen Ländern mindestens alle zehn Jahre und zwar in dem mit der Zahl Null schliessenden Jahre vorzunehmen sind", so würden sie sich schon dadurch ein hohes Verdienst um die Erkenntniss der fundamentalsten Thatsache des Volkslebens erworben haben.

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1) Ergänzungsheft Nr. 55 zu Petermann's Mittheilungen. 1878. S. VII Æ.

Statistische Monatschrift. 1879.

Abgesehen von dem Synchronismus und der zu hoffenden Ausdehnung der Zählungen auf die sämmtlichen Culturstaaten in Europa und America sind aber die ebenfalls international vereinbarten Einzelheiten der Ausführung und des Inhaltes der für das Jahr 1880 und die folgenden Decennien bevorstehenden Bevölkerungs-Aufnahmen eine Gewähr dafür, dass man durch diese bedeutende statistische Operation eine tiefere Einsicht in die Demographie gewinnen wird, als je bisher erzielt wurde. Da vor Kurzem erst in der „Statistischen Monatschrift" das von dem Congresse zu St. Petersburg angenommene „internationale Programm für künftige Volkszählungen ausführlich erörtert wurde 2), so genügt die blosse Verweisung auf die dort als ,wesentlich" und als „facultativ“ bezeichneten Momente, um unsere Erwartungen in Betreff des beschreibenden Theiles zu rechtfertigen.

Wir wenden uns daher sogleich zu dem eigentlichen Zwecke dieser, das Neujahrsheft der „Monatschrift" einleitenden Betrachtungen, mit welchen wir nicht den Anspruch erheben, gelehrten Berufs-Statistikern Neues mitzutheilen, sondern lediglich die weiteren Leserkreise auf die ganze Bedeutung der bevorstehenden Volkszählungen aufmerksam machen und deren Antheilnahme an diesen im Allgemeinen anregen wollen.

Ohne Gefahr eines Widerspruches darf man behaupten, dass sich in den Volkszählungen das höchste administrative mit dem höchsten wissenschaftlichen Interesse vereint. Ein Zusammentreffen solcher Art ist bei den wenigsten statistischen Operationen wieder zu finden; sehr häufig hat die Staatsverwaltung bei ihren Erhebungen Ziele vor Augen, welche für die Theorie verhältnissmässig nebensächlich sind und umgekehrt stellt die theoretische Forschung eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung scheinbar keinen unmittelbaren praktischen Werth hat und deshalb leider oft genug bei Seite geschoben wird. Bei den Volkszählungen im neueren Sinne des Wortes ist dies glücklicher Weise nicht zu besorgen, denn jede aufgeklärte Regierung wird davon überzeugt sein, dass sie niemals zu viel, leicht aber zu wenig über jene lebenden Grundkräfte des Staates weiss, die seine Macht nach allen Richtungen bestimmen; umgekehrt hat die Wissenschaft auf der Basis einer Jahrhunderte alten Erfahrung ihre Fragepunkte so präcise formulirt, dass sie das Ueberflüssige von vorneherein auszuscheiden vermag.

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Die Staatsverwaltungen waren sich zu allen Zeiten dessen bewusst, dass Volkszählungen zu den wichtigsten Acten ihrer inneren Politik gehören, weil das richtige Urtheil über die militärische und finanzielle Leistungsfähigkeit und in Repräsentativ-Staaten auch jenes über die Art und Weise der Ausübung der Volksrechte und der Autonomie unmittelbar von dieser Kenntniss abhängt. Wir könnten hier die mustergiltigen Zählungen der ältesten Zeit, an jene der Juden vom Anbeginne ihrer Geschichte erinnern, welche Engel zum Gegenstande einer eingehenden Untersuchung gemacht hat ), oder an die Anhaltspunkte, welche uns Aegyptologen über den Census der hochentwickelten Bewohner der Nilländer in den verflossenen Jahrtausenden bieten 1), oder endlich an die Zählungen, welche zeitweilig in den altgriechischen Städte-Republiken vorgenommen wurden, um nach den lexiarchischen Registern die Kornspenden und andere Vertheilungen gerecht vorzunehmen. 5) Alle diese Vorläufer werden jedoch durch

2) Gedanken über die Durchführung der nächsten Volkszählung in Oesterreich von G. A. Schimmer. A. a. O. Jahrg. 1878. S. 156 ff.

3) Vgl. Zeitschrift des k. preuss. statist. Bureaus 3. Jahrg. 1862 (Februar-Heft). 4) Nach Herodot und Diodor ordnete schon Amasis (6. Jahrh. v. Chr.) in Aegypten jährl. Volkszählungen an.

6) Boekh, die Staatshaushaltung der Athener. I. S. 37 ff. und Hermann, griech. Privatalterthümer, bes. I. S. 3 ff.

die geradezu staunenswerthe Sorgfalt übertroffen, welche im römischen Reiche den Volkszählungen zugewendet wurde. Der Census bildete die Grundlage für den rechtlichen Organismus des Staates und für das Mass der Rechte und Pflichten jedes einzelnen Bürgers. Zum ersten Male, bekanntlich unter Servius Tullius ausgeführt und zur Zeit der Republik alle fünf Jahre wiederholt, gehörte er zu den feierlichsten Acten, welche im römischen Staate vorkamen. Er war, wie Hildebrand in einer lehrreichen Abhandlung 7) darstellt, gleichzeitig Volkszählung und Vermögensermittlung und beides in weit vollkommenerer Weise, als in vielen modernen Staaten die entsprechenden statistischen Erhebungen der Gegenwart. „Nach einer feierlichen Berufung des ganzen Volkes hatte jeder selbstständige Römer der Reihe nach in der Villa publica auf dem Marsfelde vor dem Stuhle des Censors zu erscheinen und seinen vollständigen Namen, den Namen seines Vaters, oder wenn er ein Freigelassener war, seines Patrones, sein Alter, seinen Wohnort, Namen, Geschlecht und Lebensalter, jedes Gliedes seiner Familie und die einzelnen, dem Census unterworfenen Bestandtheile seines Vermögens auf seinen Bürgereid öffentlich anzugeben. Neben dem Censor sass eine grosse Zahl von Gehilfen und Schreibern, welche sämmtliche Angaben in die Urlisten eintrugen, die dann allen für die verschiedenen Zwecke der Staatsverwaltung nothwendigen statistischen Zusammenstellungen als Quelle dienten."

Wir halten diese ausführliche Berufung für gerechtfertigt, weil sie die in der ältesten Republik beginnende, in der Blüthezeit auf die italienischen Municipalstädte ausgedehnte und während des Kaiserreiches festgehaltene statistische Praxis eines Volkes bekundet, dessen Rechts-Institutionen in unserem Zeitalter, welchem Savigny bekanntlich den Beruf zur Gesetzgebung geradezu abspricht, die höchste Beachtung verdienen; wohlbemerkt, die statistische Praxis eines Volkes, dessen nüchterne Auffassung von den Aufgaben des Staates und der Verwaltung so unbestritten zugegeben wird, dass uns, indem wir uns auf dessen Vorbild berufen, der Vorwurf einer ideologischen Uebertreibung gewiss erspart. bleibt.

In späteren Culturepochen wurden zugleich mit dem Streben nach geordnetem Staatsleben auch immer Volkszählungen als Orientirungsmittel angewendet. In Verbindung mit denselben begegnet man den Namen grosser Regenten, welche das Bedürfniss einer vollständigeren Erkenntniss ihrer Aufgabe und ihrer Macht vorzugsweise fühlen mochten, und ebenso finden sich aus den verschiedensten Zeiten dringende Empfehlungen einsichtsvoller Staatsgelehrter zur Vornahme genauer und regelmässiger Zählungen.) Um für diese beiden Wahrnehmungen nur aus der neuen Geschichte Oesterreich's Belege anzuführen, genügt es wohl, an die grosse Rührigkeit zu erinnern, mit welcher schon unter der Regierung der Kaiserin Maria Theresia in den Jahren 1754, 1761, 1771 und 1777 die „Conscription" und Seelenbeschreibung" betrieben und insbesondere mit dem Patente vom 17. December 1777 „Instructionen" und „Erklärungen" erlassen wurden, um ein ordentliches Populationsbuch" anzulegen. Und in dem seither verflossenen Jahrhunderte hat es kein österreichischer Herrscher daran fehlen lassen, die Volkszählungen mit den Fortschritten der Wissenschaft in Einklang zu bringen.")

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) „Servius censum instituit rem saluberrimam tanto futuro Imperio." (Livius IV. lib. 1.)

7) Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. VI. Bd. 1866. S. 81 ff. mit vielen Belegstellen.

8) Vgl. R. v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. III. S. 419 mit den Citaten.

") Dr. Ad. Ficker hat in zwei Vorträgen eine ausführliche Darstellung der Volkszählungen in Oesterreich vom historischen Standpunkte gegeben, auf welche wir verweisen (Statistisch-administrative Vorträge im Wintersemester 1866-1867. S. 35 ff. und ebenso im Jahre 1870. Mittheilungen a. d. Geb. der Statistik XVII, 2. S. 4 ff.)

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