allegorischen Interpretation, die Verwerfung der Mosaischen Bücher doch zuletzt mit zwingender Nothwendigkeit auf. Dazu kam später noch der Gebrauch des apokryphischen Buches „Gedächtniss der Apostel“, welches Christum die ganze Mosaische Gesetzgebung und überhaupt den Inhalt der Mosaischen Bücher geradezu verwerfen liess. Dieses Buches bedienten sich die Priscillianisten um das J. 450 als einer Hauptautorität zur Erweisung ihrer Lehre,') was offenbar voraussetzt, dass sie damals bereits von der Ansicht Priscillians hinsichtlich des Alten Testamentes abgewichen waren und mindestens den historischen Theil desselben, wie eben auch die Katharer, verwarfen. Endlich spricht auch für einen Zusammenhang der Priscillianisten und der Katharer die Thatsache, dass die apokryphe Schrift „Himmelfahrt des Jesaias“ von den einen wie von den anderen ?) gebraucht und hochgehalten wurde, die letzteren sie also wahrscheinlich von jenen empfangen hatten. Gewiss ist, dass die Sekte der Priscillianisten sich in Spanien und wohl auch im südlichen Gallien sehr lange erhielt; sie konnte sich um so leichter im Stillen fortpflanzen, als ihre Glieder sich, nach Augustins Bemerkung, von Anbeginn an durch listige Verschlagenheit und die Künste gewandter Täuschung vor allen anderen Häretikern auszeichneten und die Lüge und Verstellung, zur Geheimhaltung ihrer Doctrin, zum Grundsatz erhoben hatten. Die Apokryphen, welche in der Form von Evangelien, von prophetischen und apostolischen Visionen die Hauptpunkte ihrer Lehren enthielten, dienten dabei als wirksames Mittel zur Erhaltung der Sekte und zur Fortpflanzung ihrer Dogmen; daher noch im J. 561 die Synode Gott des alten Gesetzes ein anderer sei als der Gott der Evangelien. Lübkert, De haeresi Priscill. Havniae 1840, p. 29. 1) Turibius bei Leo M. Opp. ed. Ballerin. I, 714. 2) Hieron. in Is. Opp. ed. Martianay III, 473. Moneta, Adv. Catharos et Waldenses II. V, ed. Ricchini, Rom 1743, p. 218. zu Braga in Portugal die Irreleitung der Christen durch diese Apokryphen als ein häufig vorkommendes Ereigniss erwähnte,) und neuerdings das ganze Priscillianistische System mit dem Anathema belegte. Auch hatte noch im J. 531 der Bischof Montanus in einem Schreiben an die Einwohner des Gebiets von Palencia geklagt, dass die nichtswürdige Sekte der Priscillianisten dem Namen wie der That nach von ihnen geehrt und hochgehalten werde,?) und einige Jahre später hatte der Bischof Eucherius dem Papste Vigilius über die fortdauernde Sitte dieser Sektirer, sich alles Fleisches zu enthalten, berichtet. Jene anstössigen, ganz die gnostische Anschauungsweise athmenden Stellen, welche um das J. 830 der Erzbischof Agobard von Lyon in dem Antiphonarium seiner Kirche fand, sind wahrscheinlich auch durch Priscillianistischen Einfluss oder durch den Gebrauch der von dieser Sekte empfohlenen und in Umlauf gesetzten Apokryphen hineingekommen. So hiess es hier im Officium des Weihnachtsfestes: „Gesandt aus der festen Burg des Vaters (dem Pleroma), ist er herabgestiegen vom Himmel; das Licht und die Zierde des ganzen Weltbaues, angethan mit purpurnem Gewande, ist durch das Ohr der Jungfrau eingegangen in unsere Region und ausgegangen durch die goldene Pforte.“ 3) Diess war offenbar aus der doketischen Lehre geflossen, welche die Priscillianisten mit den meisten älteren Gnostikern, wie auch mit den Paulicianern, den Bogomilen und den Katharern gemein hatten: der Lieblingsausdruck aller dieser Häretiker war, dass Christus durch die Jungfrau nur wie durch eine Röhre oder einen Kanal, ohne etwas von ihr anzunehmen, hindurchgegangen sei; die Bogomilen lehrten völlig übereinstimmend, er sei durch das Ohr der Jungfrau eingegangen; unter dem purpurnen Gewande aber ist der ätherische Leib, den Christus nach dieser Doctrin aus dem Himmel mit herabbrachte, gemeint. -) Nequis ... aliquibus, ut assolet, scripturis apocryphis aliqua adhuc ipsius ertoris pestilentia sit infectus. Harduin III, 347. 2) Harduin II, 1143. 8) Agobardi 1. de correctione antiphonarii in der Biblioth. PP. Lugd. XIV, 322. Er rügt auch die Worte: Dum ortus fuerit sol de coelo, videbitis regem regum procedentem a Patre tanquam sponsum de thalamo suo. Diese Antiphone mag allerdings auch aus gnostischer Quelle geflossen sein; da sie aber auch eine gute, katholische Deutung zuliess, wurde sie beibehalten. Ein bemerkenswerthes Zeugniss von dem frühen Vorhandensein der gnostisch - manichäischen Lehren in Frankreich bietet das Glaubensbekenntniss dar, welches Gerbert bei seiner Erwählung zum Erzbischof von Rheims im J. 991 ablegte. Es ist durchaus antithetisch gegen die auffallendsten Irrthümer des Gnosticismus gerichtet. Gerbert erklärt darin, dass er an den Mensch gewordenen Sohn glaube, der von seiner Mutter einen wahren menschlichen Leib angenommen, wahrhaft in demselben gelitten habe, gestorben und auferstanden sei; dass er einen und denselben Herrn und Gott für den Urheber des Alten wie des Neuen Testamentes halte, dass der Satan nicht ein ursprünglich böses, sondern ein böse gewordenes Wesen sei, dass dieser jetzige und nicht ein anderer Leib auferstehen werde und dass die Ehe sowohl als der Fleischgenuss erlaubt sei.") Damals hatten bereits die Einwirkungen der orientalischen Sekten, besonders der Paulicianer, auf den Occident begonnen; durch sie wurden die noch vorhandenen Reste des älteren Gnosticismus und Manichäismus gesammelt und neu belebt, das Bewusstsein der alten Lehre und ihres inneren Zusammenhanges wieder geweckt und ein kräftiger Impuls, diese Lehre weithin zu verbreiten, mitgetheilt. Die Paulicianer waren durch ihre Ansiedeo lungen in Thracien den Bewohnern des Westens so nahe gerückt und der Verkehr, der damals zwischen den westlichen Provinzen des griechischen Reiches und dem Abendlande stattfand, war so lebhaft, dass eine solche Einwirkung und Übertragung der Lehre in jeglicher Weise erleichtert war. In den Annalen von Bari') wird berichtet: im J. 1041 seien Paulikani mit den Macedoniern, nach einer gegen die Normannen verlorenen Schlacht, nach Unteritalien hinübergekommen; der Protospatharius Michael oder der griechische Statthalter Dulciano habe sie aus Sicilien kommen lassen. Auch von Armenien scheinen Sendboten der gnostischen Häresie nach Italien gekommen zu sein ; jedenfalls aber war dieses Land als ein Hauptsitz der Irrlehre dort so bekannt, dass im Anfange des elften Jahrhunderts die blosse Herkunft aus Armenien schon hinreichte, einen Fremdling verdächtig zu machen. Diess erfuhr im J. 1016 der armenische Anachoret Simeon, der, als er nach Rom kam, bloss seiner äusseren Erscheinung und seines Vaterlandes wegen, von einem Geistlichen für einen Häretiker, den man steinigen oder verbrennen müsse, also für einen Manichäer erklärt wurde und fast ein Opfer der dadurch aufgeregten Volkswuth geworden wäre. ) 1) Harduin VI, I, 726. In Italien sowohl als in Frankreich waren seit dem Beginne des elften Jahrhunderts häretische Ansichten sehr verbreitet, welche, wenn sie auch im Einzelnen unförmlich und alles inneren Zusammenhangs entbehrend sich darstellen mochten, doch immer aus einer und derselben gnostisch-manichäischen Quelle entsprungen waren. Auch war den Katholischen der eigenthümliche Ideengang des Gnosticismus anfänglich noch so fremd, die Kenntniss der älteren derartigen Sekten so völlig bei ihnen erloschen, dass Missverständnisse in der Auffassung des Gehörten fast unvermeidlich waren. Glaber Radulph berichtet in seiner vagen, ungenauen Weise,3) dass ein ) Mon. Germ. Script. VII, 55. Grammatiker Vilgard zu Ravenna um das J. 1000 viel der katholischen Lehre Widersprechendes gelehrt und unbedingten Glauben für die Aussprüche der alten Dichter, des Virgilius und anderer gefordert habe, wesshalb ihn der Erzbischof Petrus verdammt habe. Diess könnte man nun als ein einzelnes zusammenhangsloses Phänomen, als die seltsame Geistesverwirrung eines damit alleinstehenden Mannes auf sich beruhen lassen; allein Glaber's Zusatz, dass damals in Italien noch mehrere andere Anhänger derselben giftigen Irrlehre gefunden worden, die durch Feuer oder Schwert umgekommen seien, zeigt deutlich, dass es sich hier nicht bloss um eine unerklärbare religiöse Überschätzung der alten Dichter gehandelt haben könne, und macht es wahrscheinlich, dass jene Häresie, die man theils mit dem Schwerte, theils mit dem Scheiterhaufen bestrafte, nichts anderes als die aus Thracien herübergewanderte gnostisch-manichäische Irrlehre war. Jener Vilgard mochte dann wohl, in Folge seiner steten Beschäftigung mit den Poeten, gewisse Stellen derselben, namentlich des Virgilius, zur Bestätigung dieser Lehre gebrauchen. Nach Glaber's Bericht kamen damals auch aus Sardinien, einer, wie er sagt, an solchen Häretikern sehr fruchtbaren Insel, mehrere nach Spanien, verführten dort das Volk, wurden aber von den Katholischen ausgerottet. Verbinden wir hiemit die Angabe des gleichzeitigen Ademar von Chabanois ') zum J. 1022, dass nicht nur in Orleans und Toulouse, sondern auch in mehreren anderen Gegenden des Occidents Mani 2) Recueil X, 158: Apud Tolosam inventi sunt Manichaei, et ipsi destructi, et per diversas occidentis partes nuntii Antichristi exorti, per latibula sese occultare curabant et quoscunque poterant viros et mulieres subvertebant. - Statt ,nuntii Antichristi' haben andere Codices ,Manichaei'. Jedenfalls sind keine anderen als diese unter den Boten oder Vorläufern des Antichrist zu verstehen. Die letztere Bezeichnung bezog sich darauf, dass der Apostel Paulus das Auftreten einer solchen Sekte in den letzten Zeiten“ angekündigt hatte. |