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für die starke Wirkung Freidanks auf seine Zeitgenossen sprechen die schönen Verse Rudolfs von Ems (in seinem „Alexander"):

Die Torheit strafen und den Spott,
Die Welt erkennen, minnen Gott,

Des Leibes und der Seele Heil,

Weltlicher Ehren Teil

Hat in des Lebens kurzen Tagen

Kunstreich gelehret zu erjagen
Der finnreiche freigedank,

Dem ohne allen falschen Wank
Gehorsam folgt die Rede nach,
Die er in deutscher Zunge sprach.
(Übersetzung von Pannier.)

Und als Sebastian Brant Jahrhunderte später (1508) die erste gedruckte Ausgabe der „Bescheidenheit“ veranstaltete, gab er dem Büchlein die hübschen Geleitsworte mit:

Far hin, Freydank, myn guter fründ,
In aller welt dein lère verkünd,
Das menglich bey dir sehen kan,

Das man vor tziten auch hat gehan
In tütschen landen dapfer lüt,

Die Warheit reden alle tzyt,
Als du hast all dein tag gethan;

Far hin, got geb dir ewig lon.

Far hin von land, verdien den danck,
Der warheit fründt, herr Freidanck.

Lessing und Herder haben Freidank gekannt und gewürdigt, und durch eine Reihe neuer guter Übersetzungen (Simrock, Bacmeister, Pannier usw.) ist er auch heute wieder zu wohlverdienter Geltung gelangt.

Ein zweiter Sittenlehrer, Thomasin von Zirklaria, führt sich selbst mit den Versen ein:
Ich bin von Friule geborn
Und mine tiusche (deutsch) bezzert iht.
Und laze gar âne zorn
Ich heiz Thomasin von Zerclaere.

Swer âne spot min getiht Mit Zerclaere übersetzt dieser fromme, adlige, deutschgebildete Domherr aus Friaul seinen italienischen Namen „dei Cerchiari“. Er ist ein merkwürdiges Beispiel für die Ausbreitung deutscher Sprache und Literatur in damaliger Zeit über die Grenzen des eigentlichen germanischen Sprachgebietes hinaus. Seine umfangreiche Lehrdichtung Der wehlsche gast (Der welsche Gast) hat er um 1215 geschrieben und zur Unterweisung in vrümkeit, zuht und tugent für beidiu wîp unde man hat er ihn bestimmt. Er widmet ihn den deutschen Lesern mit den Versen:

Tiusche lant, enphâhe wol,

Disen dînen welhschen gast,
Der dîn êre minnet vast.

Als ein guot hûsvrouwe sol, Fünfzehntausend Verse enthält diese gar zu redselige Spruchdichtung, an der Thomasin zehn Monate in freiwilliger Abgeschlossenheit vom Morgen bis zum Abend gearbeitet hat: Tag für Tag am Schreibtisch, damit in jedem Monat 1500 Verse fertig würden. Leider glich des Schreibers Begabung nicht seinem redlichen Willen: er ist weitschweifig, ja geschwätzig, wo Freidank kurz und bündig ist, und ein Freidenker ist er durchaus nicht. Die salbungsvolle Sittenrichterei, gepaart mit Engherzigkeit, macht sich gar zu breit, und in kirchlichen Dingen versteht er keinen Spaß. So erhebt er gegen Walter von der Vogelweide schwere Anklage wegen seines Gedichtes: „Ahî wi kristliche nu der babest lachet", indem er jammerte Wie hat nun da der gute Knecht An Gott gehandelt ungerecht, Daß er da sprach in hohem Mut,

Es wollt' der Papst mit deutschem Gut
Sich füllen seinen welschen Schrein.
So mag ein Mann der Christenheit

Oft durch ein Wort mehr Schaden bringen,
Als ihm zu frommen je kann gelingen.
Ich meine drum, daß all sein Sang,
Wie süß er oft zum Himmel klang,
Gott nimmer kann so wohlgefallen,
Als ihm dies eine muß mißfallen.

Es findet sich aber bei Thomasin auch vieles edel Gedachte und fein Ausgedrückte, nur darf man bei ihm nichts von der Poesie suchen, die Freidank selbst der Verstandesdichterei einzuhauchen wußte. Daß der Friauler Domherr an der höfischen Romandichtung kein Gefallen finden konnte, leuchtet ein, denn ihm gilt nur die Wahrheit etwas; die Romane (aventiure) sind ihm nur schöner Schein oder gar Lügen und bieten reifen Männern nichts:

Die aventiure sint gekleit

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Einen besondern Haß hat er begreiflicherweise gegen die Keßer; mit ihnen wünscht er kurzen Prozeß gemacht zu sehen: „Die Lombardei, schreibt er, wäre glückselig, stände sie unter dem österreichischen Fürsten, der die Kezer sieden kann.“

Um der Frömmigkeit willen empfiehlt er den „Juncherren" (Jünglingen), sich sogar ein Beispiel zu nehmen an den Rittern der höfischen Urtur-Romane, weil jeder dieser Ritter den andern zur Frömmigkeit anhalte; auch solle man nicht vergessen Künic Karln den helt guot.

Die unter dem Gesamttitel Der Windsbeke bekannten Spruchgedichte aus der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert sollen einen ritterlichen Herrn aus Windesbach im fränkischen Bayern zum Verfasser haben, von dessen Persönlichkeit wir im übrigen nicht das Mindeste wissen. In 80 Strophen von je zehn sehr verwickelt gereimten Versen gibt darin ein ritterlicher Vater seinem Sohne weise Lehren über den Lauf der Welt. Seine Gesinnung erkennen wir aus Sprüchen wie dem über das Verhalten des Sohnes gegen schlechte Priester: Sint guot ir wort, ir werc ze krump,

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Es ist ein ehrenfester, wahrhaft weiser Mann, der hier zu seinem Sohne spricht.

Das Büchlein muß Erfolg gehabt haben, denn es wurde nachgeahmt durch ein anderes: Die Winsbekin, worin eine Mutter die Tochter unterweist, besonders im Verhalten gegen die Männer. Die Nachahmung bleibt hinter der Vorlage weit zurück, hat aber den Zeitgenossen auch gar wohl gefallen und nach Jahrhunderten noch Bodmers, des Entdeckers und Schätzers mittelhochdeutscher Dichtung, freudige Bewunderung erregt:

Wir hören noch mit Luft die edle Mutter singen,

Die für der Tochter Wohl ein Danklied Gott zu bringen

Die sanfte Laute stimmt.

Aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammt eine Sammlung lehrhafter satirischer Betrachtungen eines unbekannten, wahrscheinlich ritterbürtigen Verfassers aus Niederösterreich, der irrtümlich mit dem Namen eines von ihm erfundenen Spielmanns „Seifrid Helbling" genannt wird. Eigentlich hieß sein Werk Der kleine Lucidarius, so genannt nach einem größeren Werk unbekannten Verfassers über allerlei weltliche und religiöse Lehrgegenstände. Viel Erquickliches findet sich bei ihm nicht: Einseitigkeit und Verbitterung sprechen aus seinen Versen, dazu die Enge eines Stockösterreichers, der vom Reich nichts wissen will; wütender Judenhaß in rohester Form, der auch das Blutmärchen nicht verschmäht, und dergleichen. Don furchtbarer Schärfe sind seine Schilderungen des zu seiner Zeit straflos herrschenden Raubrittertums.

Der Verfasser eines vierten Lehrgedichts: des Renners, Hugo von Trimberg, hat sich und seine Zeit wenigstens ganz genau bezeichnet:

Der diz buoch getihtet hat,

Der pflac der schuole ze Tuestat
Wel vierzig jar vor Babenberc

Und hiez Huc von Trienberc.

Ez wart vol tihtet, daz ist war,

Da tusent und drihundert jar
Von Cristesgeburt vergangen waren.

Hugo von Trimberg war von 1260 bis 1309 Leiter einer gelehrten Schule in Theuerstadt bei Bamberg. Sein Renner ist ein Riesengedicht in 25 000 paarweis gereimten kurzen Versen. Man braucht nicht alle 25 000 gelesen zu haben, um zu wissen, daß Hugo von Trimberg ein kluger, wackrer Mann war, aber kein Dichter. Bei ihm fängt eigentlich schon die hausbackene Spießbürgerei an, die im 14. Jahrhundert übermächtig werden sollte.

Den seltsamen Titel erklärt der Verfasser durch die Verse:

Renner ist diz buoch genant,

Wan ez sol rennen durch diu lant.

Es ist eine ungeheure Sammlung von Fabeln, Märchen, Schnurren, Auszügen aus lateinischen Schriftstellern und dergleichen, überwiegend zu dem Zwecke, die Wurzel alles menschlichen Übels, nämlich die Hoffart, daneben aber noch einige Dugend andrer Laster, durch weise Lehre auszurotten. Trimberg kommt dabei aus dem Hundertsten ins Tausendste, doch liest sich sein Werk ganz unterhaltend und ist zugleich eine Fundgrube unseres Wissens von Menschen und Dingen seiner Zeit. Gleich Thomasin macht er sich nichts aus den höfischen Versromanen, verwirft sogar durchaus die Turniere, läßt aber Walter von der Vogelweide gelten. Ja von ihm rühren die berühmten Verse in dem Abschnitt „Von hoher Dichter Lobe" her, um derenwillen auch sein Name uns lieb bleiben soll: „Herr Walther von der Vogelweide Swer des vergaeze, der taet mir leide."

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Der Renner gehört zu den wenigen mittelhochdeutschen Werken, die uns auch durch einen frühen Druck (von 1549) überkommen sind.

Als ein düsterer Sittenprediger ist in diesem Zusammenhange Heinrich von Melk anzuführen, der um 1160 Laien und Geistlichen das Gewissen in zwei längeren Gedichten schärfte, in Des todes gehügede (Todeserinnerungen) und im „Pfaffenleben“. In jenem zeigt er die Nichtigkeit dieses Erdendaseins durch die Schilderung des körperlichen Zustandes nach dem Tode; in diesem donnert ein wahrhaft gläubiger Laie Heinrich wurde erst später Laienbruder, im Kloster Melk - voll frommen Ingrimms gegen das gar zu weltliche Gebaren der Geistlichen. Man versteht, wie dieser eifernde Sittenlehrer aus der Welt fliehen konnte, wenn man seine Verse aus den Todeserinnerungen liest:

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Inniger Frömmigkeit entsprungen sind auch die drei Lieder eines uns sonst unbekannten Priesters Wernher, wahrscheinlich von Augsburg, in denen er um 1170 das Leben der Jungfrau Maria samt den dazu gehörenden Wunderlegenden besang. Seine Driu liet von der maget sind nach einer lateinischen Vorlage gedichtet und von rührender Innigkeit der Auffassung des Autors.

Noch ein anderes Marienleben, von dem Kartäusermönch Philipp, ist zu erwähnen, ein Gedicht von über 3000 Reimzeilen, wahrscheinlich nach einer lateinischen Vorlage umgedichtet. Es ist eines der schönsten Stücke der mittelhochdeutschen Sagendichtung und hat sich bis ins 15. Jahrhundert großer Beliebtheit bei Geistlichen und Laien erfreut.

Achtes Kapitel.

Das Drama des Mittelalters.

ie bei fast allen Überresten ältester deutscher Dichtung stehen wir auch bei der Betrachtung des Dramas vor der Notwendigkeit, zu unterscheiden zwischen dem was uns schriftlich aufbewahrt vorliegt, und dem was aller Wahrscheinlichkeit nach spurlos untergegangen ist. Wohl besißen wir einen nicht unbeträchtlichen Vorrat dramatischer Spiele aus der Zeit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert, und emsige Forschungen verdienter Gelehrter, namentlich die Sammlertätigkeit Karl Langes, des Verfaffers der Schrift „Die lateinischen Osterfeiern“, hat uns die so seltene Möglichkeit verschafft, einen Zweig der

Dichtung bis zu seinen Uranfängen zu verfolgen. Dennoch erhebt sich die Frage: Ist das uns Erhaltene alles, was wirklich einst im Volk an dramatischen Unterhaltungen lebendig war? Ein reiches kirchliches Drama hat seit dem 10. Jahrhundert in Deutschland wie in der gesamten katholischen Christenheit bestanden. Sollte es aber nicht daneben oder gar schon vorher ein weltliches Drama gegeben haben? Erhalten ist uns davon keine Zeile; aber wie vieles von den ältesten literarischen Regungen des deutschen Volkes ist entweder niemals aufgezeichnet oder später vernichtet worden! Dürfen wir aus den zahlreichen uns aufbewahrten kirchlichen und sonstigen eifervollen Verboten gegen weltliche Schauspieler und ihre Darstellungen schließen, so hat es irgendwelche dramatische Aufführungen schon lange vor den ältesten Niederschriften des geistlichen Dramas gegeben. Sie sind durch die öffentlichen Gewalten, besonders durch die Kirche, unterdrückt worden, noch ehe sie in das Zeitalter der Aufzeichnung getreten waren.

Das geistliche, ja wir dürfen geradezu sagen: das kirchliche Drama, hat sich bei allen christlichen Völkern, so auch in Deutschland, ähnlich entwickelt wie bei den Griechen: aus dem Gottesdienst. Der griechischen Dionysosfeier, aus der das griechische Drama erblüht war, steht gegenüber die christliche Osterfeier mit dem daraus hervorgegangenen Osterspiel und der Osterpassion. Bis ins 10. Jahrhundert zurück läßt sich die Osterfeier, die erste Stufe des christlichen Dramas, verfolgen, wobei zu bemerken ist: entsprechend der Einheit der Kirche ist die form der dramatischen Osterfeier nahezu die gleiche bei allen katholischen Völkern: bei den Deutschen, Niederländern, Franzosen, Italienern, Spaniern und selbst bei den Engländern.

Um Morgen des Ostersonntages ertönte in der Kirche folgender Wechselgesang mit verteilten Rollen und Stimmen: die drei Marien, dargestellt durch drei Priester in langen Frauengewändern, schreiten feierlich zu einem Seitenaltar, vor dem ein Kreuz in weißes Linnen eingehüllt das Grab Christi bezeichnet, und singen: „Quis revolvet nobis lapidem ab hostio monumenti? Alleluia, alleluia!" (Wer wird uns den Stein von der Schwelle des Grabmals wälzen?) Der am Grabe sisende weißgekleidete Priester oder Chorknabe fragt als grabhütender Engel: „Quem quaeritis in sepulcro, o Christicolae?" (Wen suchet ihr im Grabe, Jhr Christusanbeterinnen?), worauf die drei Marien erwidern: „Jesum Nazarenum, crucifixum, o caelicola!" (Jesus den Nazarener, den Gekreuzigten, o Himmelsbewohner!) — Der Engel spricht: „Non est hic, surrexit, sicut praedixerat. Ite, nunciate, quia surrexit de sepulcro." (Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er verkündigt hatte. Gehet, meldet, daß er aus dem Grabe auferstanden ist.) — Hierauf kehren die Marien zum Hauptaltar zurück und singen: „Surrexit, sicut praedixit Dominus. Alleluia, alleluia!" - Alsdann stimmen die Priester und die ganze Gemeinde den Jubelgesang an: „Te Deum laudamus!"

Diese paar Säße, entstanden aus dem Osterevangelium bei Marcus (Kap. 16), stellen die älteste, in einer Bamberger Urkunde aus dem 10. Jahrhundert überlieferte form des geistlichen Osterspiels in Deutschland dar, zugleich die früheste nachweisbare Stufe des deutschen Dramas. Aus der kirchlichen Liturgie also ist alles hervorgegangen, was eine so beherrschende weltliche Rolle bei allen christlichen Völkern dereinst spielen sollte; am heiligsten Kirchenfeste, von allen Schauern des größten Geheimnisses der christlichen Kirche in seinen Ursprüngen umwittert, was später von derselben Kirche so unerbittlich verfolgt wurde. In Langes Sammlung von 224 Beispielen finden wir den Wortlaut der Osterfeiern übereinstimmend von Limoges bis Köln, von Navarra und Narbonne bis Prag und Utrecht, von Einsiedeln und Sankt Gallen bis Bamberg, Xanten und Nürnberg.

Daß es sich schon in den ältesten Osterfeiern nicht um reinen Gottesdienst, sondern um die Anfänge dramatischer Darstellung gehandelt hat, geht aus den urkundlich erhaltenen Spielanweisungen hervor. Da findet sich die genaue Beschreibung der Verhüllung des Kreuzes, der Kleidung der Darsteller, der Art des Vortrages. Der oder die Engel am

Grabe sollen mit demütigster Stimme und geneigten Häuptern fragen", die drei Marien sollen durch drei Diakone in weißen Meßgewändern dargestellt werden; weiß sollen auch die Kleider der Engel sein, usw.

Die Osterfeier in dieser ältesten form hat sich stellenweis bis ins 18. Jahrhundert, 3. B. in Köln, erhalten. Goethe muß davon Kenntnis gehabt haben, denn seine Osterszene im Faust enthält einiges in fast wörtlicher Wiedergabe.

Dem tiefen Eindruck der Osterfeiern auf die lauschende Gemeinde tat die lateinische Sprache keinen Abbruch: der Inhalt der paar Sähe war bekannt, und die Gebärde unterstützte das Verständnis. Gar bald aber beteiligte sich auch die deutsche Gemeinde an der dramatischen Osterfeier, indem sie, nach einer Nürnberger Liturgie, in den Schlußgesang der drei Marien: „Surrexit!" mit dem deutschen Jubelruf einstimmte: „Christ ist erstanden!“ Die Erweiterung dieser sehr einfachen Osterfeier zum Østerspiel, der zweiten Stufe des kirchlichen Dramas, geschah auf doppelte Art. Zunächst durch das Hinzutreten der sogenannten Ostersequenz „Victimae paschali“ („Dem Osterlamm“), deren dramatischer Schluß unter die drei Marien und einen Chor verteilt ist. Hierdurch trat schon eine Auflösung des gemeinsamen Gesanges der Marien, also eine größere dramatische Gliederung ein. Dann aber kam ein neuer Auftritt nach dem andern hinzu: die drei vom Grabe zurückkehrenden Frauen verkünden die Auferstehungsbotschaft den Aposteln Petrus und Johannes; diese laufen um die Wette nach dem Grabe, um sich von der Wahrheit zu überzeugen; Christus erscheint der Maria Magdalena, später auch den Aposteln, usw. Den verhängnisvollsten Schritt tat das geistliche Drama durch die Hinzufügung komischer Auftritte, und zwar schon zu jener Zeit, als die Aufführungen noch in der Kirche selbst geschahen. Es wurde eine Krämerszene aufgenommen: die drei Marien gehen zu einem Spezereihändler, um Salben und Weihrauch für Christi Leichnam einzukaufen. Dieser Auftritt wurde meist deutsch gespielt, er wurde hierdurch volkstümlich und schlug alsbald ins Derbkomische um. Der Krämer hat einen Gehilfen, der die lustige Person darstellt und seinen Spott mit den drei Marien treibt. Als sie ihren Trauergesang anstimmen: „Heu quantus est noster dolor!" (Weh, wie groß ist unser Schmerz!), verhöhnt sie der Krämerknecht Rubinus: „Was heu! was heu, was heu! Was sagit ir von Heu?" usw. Die Frau des Krämers kommt hinzu, mischt sich ebenfalls in die Spottreden, und die erste komische oder tragikomische Szene des deutschen Dramas ist entstanden.

Auf dieser Entwicklungsstufe haben wir nicht mehr von Osterfeiern, sondern von Osterspielen zu reden: von den Ludi. So, nicht Mysterien wie in Frankreich und Italien, haben die Osterspiele in Deutschland lateinisch geheißen, deutsch einfach Spiele.

Noch fanden die Aufführungen dieser Osterspiele in den Kirchen statt, noch waren die Hauptdarsteller die Geistlichen. Mehr und mehr aber drangen auch die Laien in die Gemeinschaft der Spielenden ein, da die Geistlichkeit bei der immer wachsenden Personenzahl nicht mehr ausreichte; durch die Laien aber wurde das lateinische Wesen der Osterspiele in deutsches umgewandelt. Dies alles hat sich nicht im Umsehen vollzogen, sondern dazu waren die drei Jahrhunderte vom 10. bis zum 15. nötig. Dann aber hatte die Volksprache gesiegt, mit ihr die Volksgemeinde über die Kirchensprache und die Geistlichkeit, und aus dem heiligen Frieden der Kirche zog das ursprünglich gottesdienstliche Schauspiel hinaus in die Weltlichkeit des freien Plahes vor der Kirche. Die Erhabenheit der ursprünglichen Osterfeier vertrug die große Masse der Hörer auf die Dauer nicht; sie verlangte gemäß den ewigen Trieben der Menschennatur den Gegensatz, und so entstanden die Osterspiele. Auch diese Entwicklungstufe des christlichen Theaters war allgemein-europäisch: namentlich in Frankreich und England läßt sich deutlich derselbe Gang zur Verweltlichung durch die Aufnahme der Landessprachen in die ernste lateinische Osterfeier, also durch die Umgestaltung zur Tragikomödie nachweisen.

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