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Ja selbst deutsche Verse hatte der Kronprinz Friedrich gemacht, in Alexandrinern, die nicht allzu tief unter denen seiner bewunderten Zeitgenossen Besser, König und Pietsch stehen.

Von einer grundsäßlichen Feindseligkeit gegen das Aufblühen einer deutschen Literatur kann vollends keine Rede bei Friedrich sein; im Gegenteil, wiederholt spricht er von der Hoffnung, daß auch für Preußen das Zeitalter einer großen Literatur anbrechen werde, 3. B. in einem Brief an d'Alembert von 1772: „Schon dieser Gedanke einer solchen Blüte erfreut mich." für die Hebung des Unterrichts im Deutschen hat Friedrich lebhafte Teilnahme bewiesen: auf seine Verordnung von 1779 ist die amtliche Einführung des Adelungschen Werkes über deutsche Grammatik zurückzuführen, und dem Professor Garve (vgl. S. 500), den er mit der Übersetzung der Schrift Ciceros über die Pflichten betraut hatte, sprach er für seine tüchtige Arbeit lebhaften Dank aus und bewilligte ihm ein jährliches Gnadengehalt von 200 Talern. Wo ihm seine mangelhafte Kenntnis deutscher Leistungen nicht im Wege stand, da ist er dankbar für die Taten von Deutschen, und nicht vergessen werden soll ihm seine Øde „Aux Prussiens", worin er den preußischen Heldenmut verherrlicht und den tapferen Gefallenen seiner Heere die ehrende Totenklage widmet. Gewisse Äußerungen allerdings über deutsche Dinge kann man nicht anders als durch den Eigensinn des ruhmreichen Herrschers erklären, z. B. wenn er die handgreiflichsten Beweise der Fähigkeit deutscher Prosa zum Wetteifer mit der französischen in der knappen, klaren Wiedergabe eines so schwierigen Schriftstellers wie Tacitus als vereinzelte Ausnahmen hinstellt, oder wenn er Voltaire in einem Briefe vom 17. Dezember 1777 erzählt, er habe einem jungen französischen Grafen, der Deutsch lernen wollte, abgeraten: denn es lohne nicht der Mühe, „weil wir keine guten Schriftsteller haben". Oder wenn er gar hartnäckig unterläßt, die selbst bis zu ihm dringende Kunde vom Aufschwunge des deutschen Dramas durch das einfachste Mittel: die Kenntnisnahme der Werke deutscher Dichter zu prüfen, trotzdem aber an Voltaire schreibt (24. Mai 1775): „Die Deutschen glauben im Drama Erfolg zu haben, aber bis jetzt ist noch nichts Vollkommenes erschienen. In Deutschland steht es gegenwärtig wie in Frankreich zur Zeit Franz I.“ Schon in jenem Briefe findet sich fast wörtlich eine prophetische Stelle von der nahen herrlichen Zukunft der deutschen Literatur, wie in seiner Schrift von 1780: „Ich werde diese schönen Tage meines Vaterlandes nicht erleben, aber ich sehe ihre Möglichkeit voraus." Schon damals also muß er Kenntnis von einer großen literarischen Bewegung in Deutschland gehabt haben; das beweisen auch die Worte an Voltaire: „Die Deutschen bemühen sich, es Athen, Rom, Florenz und Paris gleich zu tun; aber bei aller Liebe für mein Vaterland kann ich nicht sagen, daß es ihnen bis jetzt gelingt."

Die Gerechtigkeit fordert hervorzuheben, daß Friedrich immer wieder versucht hat, sich durch Befragung von Schriftstellern über den Stand der deutschen Literatur zu unterrichten; leider ist es ihm so gegangen, wie Lessing dem fleißigen Gottsched wegen dessen Befragung schlechter Lehrmeister vorgeworfen hat: er ist nicht an die Rechten gekommen. Fünf Unterredungen hat Friedrich 1757 in Leipzig mit Gottsched gehabt, eine von nahezu vier Stunden Dauer. Auch bei Gellert hat er sich Rat über deutsche Literatur zu holen versucht, und man kann nicht leugnen, daß beide Männer kein Blatt vor den Mund genommen, sondern dem König seine Stellung gegenüber deutschen Leistungen ehrlich vorgehalten haben. Wir können heute nur schmerzlich fragen: warum hat sich Friedrich nicht an die Rechten gewandt? warum nicht an Lessing und Winckelmann?

Durch die ganze Literatur des 18. Jahrhunderts zieht sich die Klage über Friedrichs Fremdheit im Heimischen“, wie Klopstock seine Haltung genannt hatte. Ein hundertstimmiger Chor des Vorwurfs ertönte gegen den größten deutschen Sohn, und fürwahr, wenn wir noch heute nach mehr als einem Jahrhundert des Königs Schrift von der deutschen Literatur nur mit vaterländischem Kummer lesen können, wie muß sie auf die deutschen Schriftsteller jener Zeit gewirkt haben! Ihre Gefühle lassen sich zusammenfassen in das schöne, von Friedrich Vischer auf einen andern Fall geprägte Wort: Gekränkte

Liebe war ihr ganzer Zorn. Wie tief mußte die Bewunderung für Friedrichs Größe in den Herzen der von ihm mißachteten deutschen Schriftsteller wurzeln, wenn wir sehen, daß sie, trok ihrer Verzweiflung an dem Wiederhersteller deutschen Ansehens unter den Völkern, doch niemals in ihrer Verehrung für ihn gewankt haben. Mehr als einmal allerdings hat Friedrichs Bevorzugung der Franzosen selbst seine glühendsten Bewunderer empört; wird doch der durch und durch frißisch gesinnte Gleim einmal wild bei der Kunde, daß auch Lessing keine Stätte in Berlin finden konnte (März 1769):

Alle Welt sagt, Lessing geht nach Rom, an die Stelle des großen Winckelmann! Und ging' er, Papst zu werden, so wär' es meinem patriotischen Herzen so bitter wie Galle! Die Hälse möcht' ich allen unsern großen Deutschen oder deutschen Großen brechen, allen, die es nicht wissen, was an unserm Lessing uns genommen wird.

Zur Ehre der deutschen Schriftsteller jener Zeit muß festgestellt werden, daß sich nicht einer von ihnen unmännlich vor dem ungnädigen Herrscher gedemütigt hat. Würdig und männerstolz auch vor einem Königsthron sind sie allesamt geblieben. Von keinem hervorragenden Schriftsteller erfahren wir, daß er sich durch Bittgesuche oder Schmeicheleien dem König aufgedrängt hat. Wohl ruhte es auf allen während seiner Regierungzeit wie ein lähmender Druck, daß seine großen blauen Augen achtlos über sie hinwegsahen; aber selbst ein so stolzer und widerwilliger Eigener wie Winckelmann, der sich mehr als einmal von seinem Unmut gegen den König hatte hinreißen lassen, schrieb doch zuletzt: „Ich kann nicht umhin, den großen Mann, der nach der Geburt das größte Recht an mich hätte, zu verehren.“

Zum Ruhme der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts gehört auch, daß ihre Vertreter trotz der Demütigung durch den König seine weltgeschichtliche Größe voll ge= würdigt haben, kaum weniger als wir mit unserm durch die Jahrhunderte geweiteten Blick über Deutschlands Entwicklung. Friedrichs Bedeutung für die Geltung des deutschen Namens im 18. Jahrhundert läßt sich nur vergleichen mit der Wirkung des Jahres 1870/71 auf die Machtstellung Deutschlands im Rate der Völker des Erdballs.

Das preußische und mit ihm das deutsche Volk fühlte Friedrich gegenüber: hier war endlich ein deutscher König erschienen, der die Fürstenmacht nicht um seiner selbst, sondern um des Volkes willen so herrschgewaltig und weithin Achtung heischend wie nur möglich gestalten wollte. Ein Mann so groß oder größer als Cäsar; ein Kämpfer, der sich behauptet hatte gegen die Heere von ganz Europa, er, der Beherrscher eines Landes von kaum 4 Millionen Menschen, gegen Bündnisse von Ländern mit je sechsfacher, zehnfacher Überzahl. Aus Norddeutschland, dem ohnmächtigsten Gliede der europäischen Völkergemeinschaft, war plötzlich durch einen deutschen Fürsten und preußischen Heerführer eines der angesehensten geworden. Man versetze sich nur in die Stimmung der Deutschen vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, als sie die Kunde vernahmen, der preußische Gesandte habe den kaiserlichen Bevollmächtigten, der ihm die Reichsachterklärung Friedrichs einhändigen wollte, die Treppe hinuntergeworfen. Und nun gar die nur mit der Wirkung des Tages von Sedan zu vergleichende Kunde der Schlacht bei Roßbach, eines zerschmetternden Sieges deutscher Krieger über die gefürchtetste Heeresmacht der damaligen Welt! Es war ein ungeheures Ereignis, für die deutsche Kultur- und Literaturgeschichte fast noch umwälzender als für die politische: die Franzosen waren nicht nur geschlagen, sie waren auch lächerlich geworden.

Dazu die tiefe Wandlung des Begriffes vom Königtum und seinen Pflichten durch Friedrichs Beispiel. Schon der vom Kronprinzen im Anti-Macchiavell ausgesprochene Grundsatz: „Der Fürst ist durchaus nicht der uneingeschränkte Herr seines Volkes, er ist vielmehr dessen erster Bediensteter (domestique)"; Handlungen wie die, daß Friedrich verbot, im Kirchengebet für den König das Wort „Majestät“ zu gebrauchen, vielmehr zu sagen befahl: „Segne den König, Deinen Knecht"; sein berühmter Ausspruch, dessen wahrer Wortlaut hier nicht fehlen darf: „Die Religionen müssen alle tolerieret werden, und muß

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nur der Fiscal das Auge darauf haben, daß keine der andern Abbruch tue, denn in meinen Staaten muß jeder nach seiner façon selig werden können“, - das alles bewies den Menschen des 18. Jahrhunderts, daß der durch Ludwig XIV. ins Asiatische erniedrigte europäische Fürstenstand durch einen erleuchteten Herrscher wieder mit dem Adel höheren Menschentums umkleidet worden war. Friedrichs Beispiel wirkte beschämend auf die andern deutschen Fürsten, die sich bis dahin zumeist angeblich regierungshalber, in Wahrheit zu ihrer täglich wechselnden Vergnügung in ihren Versailles nachgeäfften Residenzchen aufgehalten hatten; das Wort vom ersten Diener des Staates" begann auf die deutschen Großund Kleinfürsten je nach ihrer Natur vorbildlich zu wirken. Den Namen „Friedrich der Große" hat allerdings erst Kant 1784 dem König öffentlich beigelegt; für den größten unter den europäischen Fürsten hatte Friedrich aber schon seit dem Hubertsburger Frieden gegolten. Zum ersten Mal in einer fast tausendjährigen Geschichte gab es in Deutschland nach Dutzenden von Schattenkaisern und Königen wieder eine „gekrönte Realität“, wie Friedrichs englischer Geschichtschreiber Carlyle ihn so glücklich benannt hat. Die deutschen Schriftsteller kümmerten sich im allgemeinen nicht um Friedrichs in der Tat meist mittelmäßige französische Verse; die aber, die er vor der Schicksalschlacht bei Roßbach gedichtet: Pour moi, menacé de naufrage,

Je veux, en affrontant l'orage,

Penser, vivre et mourir en roi!

hatten sie mit Bewunderung gelesen: hier war Friedrich, im Ausdruck des aufs Äußerste gesteigerten Gefühls des Königs und des Feldherrn, wirklich ein einziges Mal zum Dichter geworden. Sieben Jahre nach Friedrichs Tode konnte Herder von ihm ohne Furcht vor irgend einem Widerspruch schreiben: „Wir sind darüber einig, daß, wenn ein großer Name auf Europa mächtig gewirkt hat, es Friedrich gewesen ist.“

Im Angesicht der Tatsache, daß Friedrich der Große der wunderbaren Auferstehung deutscher Literatur während seiner Regierungzeit fremd und unkundig gegenüber gestanden hat, geht es nicht an, von einem Dichtungzeitalter Friedrichs zu sprechen. Schon Lessing hat vor einer solchen Verschiebung der Grundlagen des literarischen Urteils gewarnt, als er die mittelhochdeutsche Dichtung kennen lernte:

Gott weiß, ob die guten schwäbischen Kaiser um die damalige deutsche Poesie im geringsten mehr Verdienst haben als der itzige König von Preußen um die gegenwärtige. Gleichwohl will ich nicht darauf schwören, daß nicht einmal ein Schmeichler kommen sollte, welcher die gegenwärtige Epoche der deutschen Literatur die Epoche Friedrichs des Großen zu nennen für gut findet.

Lessing hatte Recht; aber Goethe, der ebenso wenig ein Schmeichler war, hatte nicht Unrecht, als er in Dichtung und Wahrheit (7. Buch) die berühmt gewordenen Säße niederschrieb: „Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Taten des Siebenjährigen Krieges in die deutsche Poesie." Man hat an diesem Goethischen Ausspruch oft gemäkelt; seine Wahrheit aber hat sich immer aufs neue durchgesetzt. Unmittelbar, durch persönliches Eingreifen, durch förderung oder Abweisung einzelner Schriftsteller, hat Friedrich nichts gewirkt; sein mittelbarer Einfluß jedoch kommt fast jedem andern des Jahrhunderts, selbst dem der englischen Dichtung und Rousseaus, mindestens gleich. Erst durch Friedrichs Taten wurde der unentbehrliche Untergrund für alle nationale Dichtung geschaffen: der Glaube der deutschen Schriftsteller an des Vaterlandes Größe in Gegenwart und Zukunft. Prahlenden Redensarten von der deutschen Heldensprache, dem tapfern deutschen Heldenvolk und dergleichen sind wir auf den das 17. Jahrhundert behandelnden Blättern mehr als einmal begegnet. Ein gebietender deutscher Held und gewaltige, die Welt in Staunen setzende deutsche Heldentaten waren aber erst durch Friedrich und seine Kriege den Deutschen beschieden worden. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hören wir in immer höher schwellenden Tönen aus dem deutschen Schriftentum den Stolz auf ein großes Vaterland erklingen. Ganz Deutschland vom norddeutschen Meer bis zu den schwäbischen Bergen war einig in der Bewunderung

des ruhmreichen deutschen Königs preußischer Nation. „Ich war frißisch gesinnt, denn was ging uns Preußen an! Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte“, so berichtet Goethe von seiner und seines Vaterhauses Stimmung während des siebenjährigen Krieges. Das Goethehaus in Frankfurt war nicht das einzige in Süddeutschland, wo man fritisch gesinnt war; der Württemberger Thomas Abbt und dessen Landsmann Friedrich Schubart verkündeten in Prosa und in Versen die Größe des preußischen Königs. Ja, so stand er sieben Jahre im Feld des Todes, Ringsum wichen vor ihm die Scharen der Haffer, Hehr und frei und groß wie ein Gott. Und so stand er in seiner Heldenhoheit

Es staunten die Völker. Der Helden Geister
Nickten ihm Beifall vom Wipfel der Eichen.

Allein da!

so rühmte ihn Schubart aus seinem Kerker auf dem Asperg.

"

Goethes Wort vom fehlen des „nationalen Gehaltes" vor den Taten Friedrichs läßt sich sogar noch dahin erweitern, daß die deutsche Poesie, einzig das Kirchenlied ausgenommen, bis zu ihm überhaupt irgend eines tieferen Gehalts entbehrt hatte. Was konnte auch unter der deutschen Misère vor ihm Großes geschehen oder gedichtet werden? Dann aber kamen die Tage von Mollwiß und Chotusik, von Hohenfriedberg, Soor und Kesselsdorf, und sogleich begann der brausende Chor der deutschen Sängerstimmen. Ewald von Kleist dichtete seine stolze Ode auf das preußische unüberwindliche Heer" und sein Heldengedicht von Cifsides und Paches; Gleim schrieb seine Lieder eines preußischen Grenadiers; Lessing dichtete das Heldenstück Philotas und sein im höchsten Sinne friedericianisches Lustspiel Minna von Barnhelm. Uber ohne Friedrichs Taten wäre ja auch die ganze mehr breite als tiefe Hermann-Dichtung, wären das Bardendrama, die Bardenoden Klopstocks, Gerstenbergs und ihrer Nachahmer undenkbar gewesen. Sogar Wielands Bruchstück gebliebenes Heldengedicht von Cyrus ist nur durch den Widerhall der Schlachten Friedrichs angeregt worden, und noch der junge Schiller hat sich mit dem Plan eines Epos von Friedrich dem Großen getragen.

Auf des Königs Einfluß ist ferner zurückzuführen die Erscheinung, daß selbst die Franzosen seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts begannen, über die himmelhohe Mauer ihres literarischen Chinesentums hinweg nach Deutschland und dessen aufblühender Literatur zu blicken. Dazu die Einwirkung seines Heldentums auf den deutschen Heldengesang: es hat während der ganzen zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine reiche Volksdichtung gegeben, deren Mittelpunkt Friedrich und seine Schlachten waren. Vom scherzhaften Soldatenliedchen: Und wenn der alte fritze kommt und klopft nur auf die Hosen, So läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen

bis zum dichterisch echten Volksliede:

Als die Preußen marschierten vor Prag,
Wohl nach der Lowositzer Schlacht,

hat der Preußenkönig die deutsche Poesie befruchtet.

Zur richtigen Schätzung der Gleichgiltigkeit, ja Abneigung Friedrichs gegen die eben erblühende neudeutsche Literatur gehört die Kenntnis seiner künstlerischen Geschmacksrichtung. Welche Gegensätze: der Held, der sich mit Dransehung von Thron, Ehre und Leben gegen eine Welt in Waffen behauptet und das Ungeheuerste gewagt hatte: mit den Geld- und Streitkräften eines Mittelstaates die drei größten Soldatenländer Europas anzugreifen; dessen höchste Gedanken sich unaufhörlich um Sein oder Nichtsein bewegt haben müssen, — in der Kunst seiner Mußestunden liebte er nicht das Große, das Kühne, das Echte, sondern das, was ausruht und erholt: die Anmut, die Zierlichkeit, ja die Niedlichkeit. Wie bezeichnend ist hierfür die wichtigste Stelle in seinem Gespräch mit Gellert! Der König fragt: „Was meint Er, welcher ist schöner in der Epopöe, Homer oder Virgil?“ Und als der Leipziger Professor Homer vorzieht, „weil er Original ist“, wendet ihm Friedrich ein: „Aber Virgil ist polierter." Und wie zwischen Homer und Virgil, so wählt Friedrich überall das Polierte, zieht den sehr polierten Racine dem rauheren Corneille vor, erklärt alle älteren Dichter und

*

Schriftsteller Frankreichs, natürlich Rabelais, den Ungeschlachten, aber auch den gewiß nicht unzierlichen Marot, und gar den liebenswürdigsten aller französischen Plauderer, Montaigne, für barbarisch, weil sie immer noch nicht poliert genug sind. Er verwirft alles wahrhaft Große und Tiefwirkende in der französischen Literatur seiner Zeit, Diderot und Rousseau, und läßt von namhaften Franzosen eigentlich nur Voltaire ganz gelten, dessen Henriade er ebenso sehr dem Virgil, wie diesen dem Homer vorzieht. Diderot, Rousseau und die andern philosophischen Schriftsteller neben ihnen nennt er „die Schande der Literatur“. Brauchen wir uns danach zu wundern, daß ihm Klopstocks Messias ungenießbar blieb, zumal da er die Auffassung hatte: „Ce sujet ne vaut rien pour la poésie"? Wie konnte ein Mann mit so unwandelbar fest geprägtem Kunstgeschmack in Shakespeares Dramen etwas anderes als die abscheulichen Stücke“ erblicken und in Goethes Götz etwas Besseres als „eine abscheuliche Nachahmung jener schlechten englischen Stücke“?

Friedrichs Schrift von der deutschen Literatur hat erklärlicher Weise unter den deutschen Schriftstellern einen wahren Aufruhrsturm des Schmerzes, dann aber auch des Widerspruchs entfacht. Klopstock dichtete seine Oden gegen Friedrich: Der Traum, Die Rache (1782), und rief das Urteil künftiger Geschlechter gegen den königlichen Verächter der deutschen Dichtung an:

Sagt's der Nachwelt nicht an, daß er nicht achtete,
Was er wert war zu sein. Aber sie hört es doch;

"

Sagt's ihr traurig und fordert
Ihre Söhne zu Richtern auf!

Eine ganze Literatur von Gegenschriften ergoß sich über Deutschland. Der Braunschweigische Abt Jerusalem schrieb auf Wunsch seiner Herzogin, einer leiblichen Schwester Friedrichs, eine Erwiderung, die einzige in deutscher Sprache, die Friedrich gelesen hat, ein flaues, mattherziges Werk, wohlgemeint, bescheiden, aufrichtig, alt, arm und kalt", wie Goethe es in seinem gerechten Unmut genannt hat. Das Wort „aufrichtig“ muß gestrichen werden: Jerusalem nimmt mit höfischer Liebedienerei in seiner Schrift Rücksicht auf des Königs offenbare Abneigung gegen Goethe und verschweigt dessen Namen, wie er auch Herder nicht nennt, während er doch Haller, Klopstock, Kleist, Wieland, Ramler, Mendelssohn, ja selbst Lessing dem König als die Zierden der deutschen Literatur unter die Augen rückt. Hätte der König mit deutlichen Worten auch Lessing verworfen, wie er es mit Goethe getan, so hätte Jerusalem auch Lessing totgeschwiegen; so aber wagte er dem König zu sagen: „Das größte Verdienst um die Ehre deutschen Theaters hat Lessing." Ein treffender Ausspruch steht in Jerusalems Schrift, der aber nicht neu war, die Klage darüber: „daß unsere Musen in Deutschland kein eigentliches Vaterland, keinen Hauptsih, keinen Schutzherrn haben; daß der größte Haufe unserer Genies in hundert kleinen Winkeln zerstreut leben müssen."

Ausgezeichnet, die weitaus beste von allen ist die Gegenschrift von Justus Möser: ,,Schreiben an einen Freund über die deutsche Sprache und Literatur." Darin wird mannhaft sogar Goethes Gök verteidigt: „Der Zungen, welche an Ananas gewöhnt sind, wird hoffentlich in unserm Vaterlande eine geringe Zahl sein, und wenn von einem Volkstücke die Rede ist, so muß man den Geschmack der Hofleute bei Seite setzen." Ohne Umschweife sagte Möser dem König, was dieser ihm doch nie geglaubt hätte: „Schön und groß können unsere Produkte werden, wenn wir auf den Gründen fortbauen, welche Klopstock, Goethe, Bürger und andre Neuere gelegt haben."

Erwähnung verdient noch eine merkwürdige Entgegnungschrift, die der König sicher gelesen oder doch angesehen hat: Die französisch geschriebenen „Lettres sur la langue et la littérature allemande" (Danzig 1781) von einem geborenen Metzer, also Franzosen, Gomperz, der als Gelehrter und Schriftsteller in Königsberg und Danzig gewirkt hat. Seine kleine Schrift verschweigt zwar auch den Namen Goethes, hebt aber um so kräftiger Lessing hervor. Schlau genug beginnt der französische gute Kenner und Bewunderer der

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