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werten Denkmalsausgabe der Werke Herders von Suphan kann man jetzt auch die vielen kostbaren bei Seite geworfenen Bausteine zu den Ideen bewundern; dort steht 3. B. der von Herder vorsichtig ausgeschiedene Sak zum Kapitel über Regierungen:

Meine demütige Stimme ist viel zu schwach, einen Beherrscher der Welt anzureden, deren die meisten auch, selbst auf den Fürstenstühlen Deutschlands, Franzosen sind und die barbarische Sprache, in der ich schreibe, weder verstehen noch lesen.

Als leider nur zu kurze Probe der völkerpsychologischen Ausführungen in den Ideen stehe hier eine Stelle über den Charakter der Römer:

Wenn Unparteilichkeit und fester Entschluß, die unermüdete Tätigkeit in Worten und Werken und ein gesetzter, rascher Gang zum Ziel des Sieges oder der Ehre, wenn jener kalte, kühne Mut, der durch Gefahren nicht geschreckt, durch Unglück nicht gebeugt, durchs Glück nicht übermütig wird, einen Namen haben soll, so müßte er den Namen eines römischen Mutes haben. Mehrere Glieder dieses Staats, selbst aus niederm Stande, haben ihn so glänzend erwiesen, daß wir, zumal in der Jugend, da uns die Römer meistens nur von ihrer edlen Seite erscheinen, dergleichen Gestalten der alten Welt als hingewichne, große Schatten verehren. Wie Riesen schreiten ihre Feldherren von einem Weltteil zum andern und tragen das Schicksal der Völker in ihrer festen, leichten Hand. Ihr Fuß stößt Thronen vorübergehend um; eins ihrer Worte bestimmt das Leben oder den Tod von Myriaden. Und auf dieser Höhe gehen sie einfach wie Römer einher, verachtend den Pomp königlicher Barbaren; der Helm ihre Krone, ihre Zierde der Brustharnisch.

Herders Briefe zur Beförderung der Humanität, eine von 1793--1796 erschienene zwanglose Sammlung von Aufsätzen über alles Mögliche, was in nähere oder fernere Beziehung zum Titel gebracht werden konnte, enthalten noch viel Schönes und Tiefes, zeigen aber doch schon ein geistiges Sinken, eine Verengung des einst schrankenlosen Weitblickes bei dem gealterten Apostel der Humanität. Aus persönlichen Mißstimmungen gegen Goethe und Schiller, ja geradezu aus einem Gefühl des Neides gegen die beiden großen, immer enger verbundenen Dichter flossen in manche der Humanitätsbriefe Urteile über die deutsche Dichtung der Gegenwart ein, die von beklagenswerter Rückständigkeit zeugen, ganz ähnlich wie bei dem gealterten Klopstock. Gegen Goethes Wilhelm Meister und dessen Römische Elegien wird darin ohne Namensnennung der platte Vorwurf erhoben: „Sehr undeutsch wäre es, wenn bei uns die Moralität ein verspotteter Name würde.“ Als Gegengewicht diene eine der gleichfalls erst durch Suphan veröffentlichten, damals unterdrückten Stellen:

Als der dreißigjährige Krieg sich mit dem Westfälischen Frieden endigte und darauf das glänzende Jahrhundert Ludwigs XIV. eintrat, da schuf sich allmählich ein deutsches Frankreich oder ein franzöfifches Deutschland, die Souverains errichteten kleine Versailles der Höfe, Dianentempelchen zum Nachbilde des Tempels der großen Göttin Diana; und hier wurde die französische Sprache, hier wurden französische Sitten das Etiquette des Heiligtums. Aus Fürstlichen Gnaden waren Altesses Sérénissimes geworden, aus fürstlichen Junkers und Fräuleins wurden Princes et Princesses usw. usw. Deutschland bekam eine Noblesse! eine noblesse, deren Blüte dahin ging, daß sie ihrer Geburt wegen ein von der deutschen Nation geschiedenes Corps französischer Undeutschen sein müßte.

Von den Dutzenden kleinerer Schriften Herders sei auch an dieser Stelle sein wunderschöner Nachruf auf Lessing (1781) erwähnt und aus ihm zu der früher erwähnten Stelle (S. 404) noch eine zweite gefügt über Lessings Wolfenbüttler fragmente:

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Ich bin auch ein Theolog, und die Sache der Religion liegt mir so sehr am Herzen als irgend jemandem: manche Stellen und Stiche des Fragmentisten haben mir weh getan. Keinen Augenblick indessen ist mir ein Gedanke eingefallen, mich deshalb an Lessing zu halten oder über ihn Rache und Verdammung auszugießen, weil ich Stellen eines Buches, das er herausgibt, nicht sogleich aufhellen und berichtigen kann.

Sodann muß seiner ausgezeichneten Schulreden in Weimar gedacht werden, die er als höchster Beaufsichtiger des Weimarischen Gymnasiums gehalten hat. Die Rede „Vom Begriff der schönen Wissenschaften“, oder die „Von der Ausbildung der Rede und Sprache in Kindern und Jünglingen“ und noch manche andere verdienen ans Tageslicht gezogen

zu werden.

Nach Winckelmanns Ermordung hatte die Akademie zu Kassel einen Preis gesetzt auf die beste Schrift über den großen Toten. Herder bewarb sich um den Preis (1777),

errang ihn aber nicht: eine nüchterne Arbeit des Philologieprofessors Heyne in Göttingen wurde der seinigen vorgezogen. Herders Denkmal Johann Winckelmanns konnte schon darum bei den Kasseler Preisrichtern keinen Beifall finden, weil sie deutsch geschrieben war; nach den Satzungen jener possierlichen „deutschen“ Akademie des Hessenkasseler Landgrafen mußten alle ihre Arbeiten in französischer Sprache abgefaßt sein. Herders erst vor einiger Zeit aufgefundene Schrift begann:

Zuvörderft erbitte ich mir die Freiheit, als Deutscher über Winckelmann deutsch schreiben zu dürfen. Winckelmann war ein Deutscher und blieb's selbst in Rom: er schrieb seine Schriften auch in Italien deutsch und für Deutschland, nährte die Liebe zu seinen Landsleuten und zu seinem Vaterlande auch in jener ferne; schien endlich nicht sterben zu können oder zu sollen, bis er die Nation wieder. gesehen, die sich im Grunde so wenig um ihn bekümmert hatte. Ich schreibe deutschl

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In seiner von der Berliner Akademie, gegen den Widerspruch der französischen Mitglieder, preisgekrönten Schrift über die „Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei den verschiedenen Völkern, die geblühet“ (1775) verwarf Herder das ganze literarische Zeitalter Ludwigs XIV. Schade, daß wir nicht wissen, was Friedrich der Große als höchster Beschüßer seiner Akademie zu jener Preiserteilung gesagt hat.

Herder hat nahezu vierzig Jahre vor den Augen der deutschen Schriftstellerwelt gewirkt, so daß eine Betrachtung seiner Beziehungen zu den größten unter ihnen angezeigt ist. Über Herder und Hamann wurde schon das Lötigste gesagt (S. 507 und 508). Nach Hamann

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Goethe, erst als Empfangender, dann noch lange als Gleichstrebender, zulett Herdern weit voraus nicht nur als Dichter, sondern auch als der wahre „Humanus“, die Verkörperung „reiner Menschlichkeit". Ja, lange Jahre nach seiner ersten Begegnung mit Herder in Straßburg hat Goethe von ihm bekannt, er sei der bedeutendste Mensch gewesen, der ihm begegnet war. Wie tief Herder auf den jungen Goethe in Straßburg gewirkt, das zeigt sich bis in einzelne mit Herders Auffah über Shakespeare (vgl. S. 362) fast gleichlautende Sähe der Rede Goethes am „Shakespearestag"; so z. B. wenn es bei Herder heißt, Shakespeares Dramen seien lauter einzelne im Sturm der Zeiten wehende Blätter aus dem Buch der Begebenheiten“ und bei Goethe: „Es sind keine Gedichte! Man glaubt vor den aufgeschlagenen, ungeheuern Büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust und sie mit Gewalt rasch hin- und wiederblättert." — Allmählich trübte sich die brüderliche Freundschaft, wie schon berichtet, durch Herders und Karolinens Schuld, und wenn auch bei besonderen Gelegenheiten, so bei der Einsegnung des Sohnes Goethes durch Herder (1802), das alte Band neu zu schlingen versucht wurde, ein geistiges Zusammenwirken trat nicht mehr ein. Im Mai 1803 haben sich Herder und Goethe zum letzten Mal gesehen. Die Kluft zwischen beiden hatte sich vertieft, seitdem Goethe in Schiller den verständnisvolleren und fördernden Freund gewonnen hatte. Ihrem dichterischen Wetteifer stand Herder und sein Haus kalt, ja feindselig gegenüber. Goethes Balladen: Der Gott und die Bajadere, die Braut von Korinth, sodann, die Römischen Elegien, die Venezianischen Epigramme, die Xenien und Wilhelm Meister waren ihm tief zuwider. Wie hätte eine literarische Gemeinschaft zwischen Goethe und Herder dauern können, wenn dieser über Wilhelm Meister nichts Besseres zu sagen fand, als: „Wahrheit der Szenen ist ihm (Goethen) alles; ohne daß er sich eben um das Pünktchen der Wage, das aufs Gute, Edle, auf die moralische Grazie weiset, ängstlich bekümmert."

Auch zu Schiller konnte Herder nach einer kurzen Zeit literarischer Zusammenarbeit in den Horen kein dauerndes Verhältnis bewahren. Lur in dem einen Jahr 1795, dem Höhepunkt unserer klassischen Weimarzeit, hatten sich Goethe, Schiller und Herder zu einem köstlichen Geisterbunde vereint. Dann aber wandte sich Herder von dem immer höher steigenden Dramatiker Schiller gleichgiltig, ja spöttisch ab, sprach nach Wallenstein und Maria Stuart vom Schillerschen „Irrlicht“, von dessen „Klingklang und Bombast" nicht viel anders als einige der frühromantiker, die sich z. B. über Schillers Lied von der Glocke „totzulachen“ erdreisteten.

Mit den kleineren Geistern, so mit Gleim, hielt Herder bis zuletzt gute Freundschaft. Ein Lichtblick in seinen leßten trüben Jahren war ihm die Bekanntschaft mit Jean Paul, den er, wie so viele andere, maßlos überschäßte. August Wilhelm Schlegel hat Herdern in Weimar besucht und ist von ihm entzückt gewesen. Auch Wilhelm von Humboldt ist ihm freundschaftlich nahegetreten. Den fast sechzigjährigen Klopstock hatte Herder 1783 begrüßt, doch nicht mehr viel an ihm gefunden. Von der Beziehung zwischen Herder und Lessing war schon die Rede; tief erschüttert hat Herder bei der Kunde von Lessings Tode geschrieben: „Ich kann nicht sagen, wie mich sein Tod verödet hat; es ist, als ob dem Wanderer alle Sterne untergehen, und der dunkle wolkichte Himmel bliebe." — Wieland ist Herdern immer nur als ein angenehmer, wenig bedeutsamer Geschichtchendichter erschienen, und so ist eine gewisse oberflächliche Freundschaft zwischen ihnen bestehen geblieben.

Unzweifelhaft ist Herder eine der schöpferischen Triebkräfte für die deutsche Prosa gewesen. Er vertritt die Gattung des glutvollen Dithyrambus. Als Winckelmann Herders Jünglingschriften gelesen, die einzigen, die er ja nur erlebt hat, sprach er von ihm als von einem „neuen Pindar“ in Deutschland. Lessing war der ums Recht kämpfende Anwalt, Herder der seherische Prediger; strömen Lessings Gedanken aus seinem Hirn, dann Herders weit mehr aus seinem Herzen. Sein Stil ist bewundernswert, aber ihn nachzuahmen darf sich keiner unterfangen. Mit Ausnahme seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, worin er seiner Darstellung Zügel aufzwingt, erzittert Herders Stil wie von Feuerflammen innerer fülle und Erregung. Man fühlt, der Mann, der so geschrieben, hat der Kraft entbehrt, die wild durcheinander flutenden, ins Grenzenlose ausschweifenden Gedanken in den engen Raum eines Kunstwerkes zu bannen. Daher auch bei Herder eine gewisse formlosigkeit, eine Ungebundenheit, die den Leser anfangs aufregt, dann aber mehr und mehr ermüdet. Herders Meisterschaft hat wahrlich nicht in der Beschränkung gelegen; das hat er selbst gefühlt, als er von seinem Stile schrieb: „Hier kommt eine Metapher zu Hilfe, warum soll ich sie abweisen? dort ein Zug aus einer Geschichte, ich will ihn behalten.“

Und doch, gerade zu der Zeit, als Herder, der junge Verfasser der Fragmente der deutschen Literatur und der Kritischen Wälder, auftrat, war eine Erscheinung wie die seine für die Entwicklung der deutschen Literatur notwendig. Sie bedurfte nach dem seraphischen Messias Sänger und neben dem kritischen Aufräumer Lessing eines Gedankenaufwühlers, wie es Herder gewesen. Seine geschichtliche Bedeutung liegt vor allem darin, daß er der zur nüchternsten Plattheit ausartenden Aufklärung das glühende Gefühl, die Begeisterung auch in Fragen der Wissenschaft und der Dichtung entgegensetzte. Von der vertieften Innigkeit der deutschen Dichtung in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts, bei den Sängern des Göttinger Haines und den Dramatikern des Sturms und Dranges, kommt ein gut Teil auf Herders Predigt von dem Einen, was in der Poesie nottut: der glutvollen Ursprünglichkeit des Gefühls. Alle, die über seine persönliche Art berichten, sind einig in der Bewunderung seiner Feuerseele. Er muß etwas Hinreißendes gehabt haben, etwas von der Überzeugungskraft der Heidenbekehrer; den dreizehnten Apostel hat ihn Jean Paul nach vertrautestem Umgange genannt.

Für die Weltliteratur bedeutet Herder den Grundsteinleger und ersten sinnvollen Baumeister. Wenn Deutschland seit mehr als hundert Jahren an der Spihe einer weltliterarischen Bewegung steht, so verdankt es dies Herdern, dessen Schriften mit mehr als der Hälfte zum Unterbau der Weltliteratur gehören. Es ist schwer, sich heute nach vier Menschengeschlechtern klar zu machen, um wieviel durch Herders Prosaschriften und Übersetzungen der Gesichtskreis der gebildeten Deutschen erweitert wurde.

Über die Vergessenheit, in die gerade die meistbewunderten Prosawerke Herders heute versunken sind, müssen wir uns mit dem Bewußtsein trösten, daß alles Wertvolle in ihnen von der Bildung seines Volkes, ja der Kulturmenschheit aufgenommen und verarbeitet ist.

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