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Zerbrich den Kopf dir nicht zu sehr,
Zerbrich den Willen, das ist mehr!

Greif nicht leicht in ein Wespennest,
Doch wenn du greifst, so stehe fest!

In seinen Prosaaufsäßen, sämtlich im Wandsbecker Boten erschienen und später mit den Gedichten unter dem Wahlspruch „Asmus omnia sua secum portans" in sechs Bänden von 1775 bis 1812 gesammelt, zeigt sich Matthias Claudius als ein Volkschriftsteller mit nicht geringem Geschick. Uns Leser von heute stört wohl zuweilen der Ton einer gewissen gezwungenen Einfalt und Lustigkeit; den damaligen Lesern aber hat der Wandsbeker Bote vortrefflich gefallen; er ist die erste volkstümliche Zeitschrift gewesen, durch die lyrischen Beiträge wertvoller als die gleichzeitig erscheinende Deutsche Chronik von Schubart und der spätere Rheinische Hausfreund von Peter Hebel.

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(mmer reicher entfaltet sich vom letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ab das deutsche Lied, und der Geschichtschreiber, der die bändereichen Sammlungen der berühmten wie unberühmten Liederdichter jener Zeit durchblättert, stößt überall auf bekannte Stücke, die im Volksmund, in Liederbüchern, an fröhlicher Tafelrunde bis zum heutigen Tag erklingen, deren Verfasser aber in den meisten Fällen verschollen sind. Welch eine fülle nicht wertloser Dichtung aus dem 18. Jahrhundert ist für die Nachwelt ganz verloren gegangen! Nicht bloß einzelne Lieder, sondern die Lebenswerke hervorragender Liederdichter, wie z. B. Georg Jacobis, versunken, oder nur durch die Aufnahme einzelner Stücke in Schulbücher wenigstens für die Jugend gerettet. Gerade am Eingang zu diesem Abschnitt, in dem außer dem einen bekannten, ja berühmten Dichter eine Reihe von fast unbekannten behandelt werden soll, drängt sich die Frage nach den Gründen solcher Verluste auf. Sie wird in einem späteren Abschnitt: über die Erzählungsliteratur des 18. Jahrhunderts, zu wiederholen sein. Zwei Hauptgründe haben zerstörend gewirkt: die alles nicht Gleichwertige erdrückende Übermacht unserer klassischen Dichtung, also des Zeitalters Goethes und Schillers; dann aber mit nicht minderer Zerstörungsgewalt die Napoleonischen Kriege, die furchtbaren Jahre von 1806 bis 1813 mit ihrer Verarmung, ihrer Sorge um das menschliche wie politische Dasein, Wirkungen von vergleichweis ähnlichen folgen wie denen des Dreißigjährigen Krieges. Kein anderes Volk Europas hat so viel Wertvolles aus dem 18. Jahrhundert beim Übergang in das 19. eingebüßt.

Am wenigsten hat unter diesem Bruche mit der literarischen Vergangenheit ein Dichter gelitten, der meist zu den Hainbündlern gezählt wird, aber doch nur in losen Beziehungen zu ihrem Treiben gestanden hat: Gottfried August Bürger. Er wurde in der Silvesternacht des Jahres 1747 in Molmerswende im Halberstädtischen als Sohn eines Predigers geboren. Seine leidenschaftliche, ja bösartige Mutter hatte ihm ein furchtbares seelisches Erbteil auf seinen schweren Lebensweg mitgegeben. In Halle hat er die Schule besucht, dort auch studiert, Theologie und Philologie, beides ohne starken Trieb; später hat er es mit der Rechtswissenschaft versucht und sich studierenshalber 1768 in Göttingen aufgehalten, wo er mit Boie bekannt wurde, ohne dem Hainbund beizutreten. Er verehrte Klopstock, bewunderte aber zugleich Wieland und wahrte seine dichterische Selbständigkeit. Er ist kein Deutschtümler gewesen, hat Klopstock niemals nachgeahmt, hat vielmehr schon früh seinen Beruf für den volkstümlichen Kunstgesang erkannt, damit aber auch die Unentbehrlichkeit des von Klopstock und seinen unbedingten Anhängern verpönten Reims. Im Jahre 1772

wurde Bürger Umtmann im Hannöverschen, 1774 verheiratete er sich mit Dorette Leonhardt, der Tochter eines Beamten, und nun brach über ihn das entsetzlichste Geschick herein, das wohl je einem deutschen Dichter in seinem häuslichen Leben beschieden ward: ihn ergriff eine wahnsinnige, von ihm selbst als Krankheit bezeichnete Leidenschaft für Auguste, die jüngere Schwester seiner Frau, die er als Molly in so vielen Liedern besungen hat. Nach einer Art von Doppelehe mit Auguste und Dorette, die ihn innerlich zerstörte, ihn für die Welt zu einem Ausgeworfenen machte, starb seine Frau 1784, er durfte die heißgeliebte Molly heiraten; aber schon nach einem Jahr starb auch diese und hinterließ ihn als einen gebrochenen Menschen. Eine dritte Ehe mit einer Unwürdigen brachte noch größere Schmach über ihn und zerrüttete ihm Leben und Dichterkraft. Aus dieser Leidenzeit rühren seine ergreifenden Verse her:

3war ich hätt' in Jünglingstagen

Mit beglückter Liebe Kraft

Lenkend meinen Götterwagen

Hundert mit Gesang geschlagen,

Tausende mit Wissenschaft.

Doch des Herzens Los, zu darben,
Und der Gram, der mich verzehrt,
Hatten Trieb und Kraft zerstört;
Meiner Palmen Keime starben,
Eines bessern Lenzes wert.

In immerwährender Not hat er die letzten zehn Jahre seines Lebens hingebracht; als unbezahlter Privatdozent und außerordentlicher Professor hat der Dichter der Lenore in Göttingen bis zu seinem Tode am 8. Juni 1794 hingelebt; er ist halbverhungert und schwindsüchtig gestorben und hat so seinen stolzen Rat selbst befolgt:

Solang ein edler Biedermann

Mannstrot.

Mit einem Glied sein Brot verdienen kann,
Solange schäm' er sich, nach Gnadenbrot zu lungern!

Doch tut ihm endlich keins mehr gut:
So hab' er Stolz genug und Mut,
Sich aus der Welt hinaus zu hungern.

Seine Ruhestätte wurde, als man ihm ein Denkmal sehen wollte, mit Mühe aufge= funden. Seit 1895 schmückt seine Büste von Eberlein den Grabhügel auf dem Friedhof zu Göttingen.

Den toten Dichter sittlich zu verdammen, kommt der Literaturgeschichte nicht zu. Er hat im Leben gebüßt, was er gefehlt hat, und es steht der Nachwelt besser an, Bürger zu bewundern um seine unvergänglichen, unter namenlosen Seelenqualen vollbrachten Schöpfungen, als an dem Dichter der Lenore und des Wilden Jägers ein Splittergericht zu vollziehen. Goethe hat Bürger gegenüber den angemessenen Con getroffen in seinem Xenion: Zu den Toten immer das Beste! So sei dir auch Minos,

Lieber Bürger, gelind, wie du es selber dir warst.

Wenn Bürger noch heute zum lebendigen Schatz des deutschen Liedes gehört, dann nur durch seine Balladen, und von diesen überwiegend durch seine Lenore. Er hat die volkstümliche Ballade edlen Stiles aus ihrer tiefen Erniedrigung emporgehoben; und ist er auch nicht bis zu ihrer vollendeten, erst in Goethes und Schillers Balladen erreichten Höhe gelangt: sein Verdienst um die Neubelebung dieses Zweiges am Baume deutscher Dichtung ist unbestreitbar. Vor ihm verstand man in Deutschland unter einer Ballade ein mehr oder minder niedrig komisches Bänkelsängerlied, und Bürger selbst hat eine Reihe solcher Bänkelballaden gedichtet. Durch den mächtigen Einfluß aber der schon mehrfach erwähnten Sammlung echter altenglischer Balladen in der Percyschen Sammlung wurde er belehrt, daß Volkstümlichkeit keineswegs gleichbedeutend sei mit Rohheit oder niedrigem Spaß, und aus dieser Überzeugung heraus ist seine Lenore entstanden. Die Quelle dieser bekanntesten aller deutschen Balladen soll für Bürger das von einem Dienstmädchen seines Hauses gesungene alte Volkslied von einem Besuch des toten Geliebten bei der verzweifelten Braut gewesen sein. Ein uralter, durch ganz Europa verbreiteter Sagenstoff liegt ihr zugrunde. Aus dem Liede des Dienstmädchens hat Bürger die Verse „Der Mond, der scheint so helle Die Toten reiten schnelle“ und die ständige Frage: „Graut Liebchen auch?“ übernommen; dazu kamen Entlehnungen aus einer Ballade „Des füßen Wilhelms Geist“

bei Percy. Der Dichter hat vom April bis zum August 1773 an seiner Lenore gearbeitet ; wie wir aus einem Briefe Bürgers an Boie sehen, hat ihn Goethes Gök „wieder zu drei neuen Strophen zur Lenore begeistert".

Im September 1773 wurde das Gedicht in seiner jetzigen form abgeschlossen, und Bürger las es zuerst dem Göttinger Dichterkreise vor, der in stürmische Begeisterung ausbrach. Das hierauf im Göttinger Musenalmanach für 1774 abgedruckte Gedicht wurde von der gesamten Leserwelt Deutschlands als eine außerordentliche Dichtung begrüßt; selbst Österreich trug zu ihrer Berühmtheit bei: die Wiener Zensur verbot den Musenalmanach wegen der „Religionsfeindlichkeit“ der Lenore. Wie mächtig sie nicht nur auf die gewöhnlichen Leser, sondern auch auf die Literaturwelt gewirkt hat, sehen wir aus der Tatsache, daß der junge Goethe das Gedicht gern in seinen Kreisen vortrug; er hat in Dichtung und Wahrheit den überwältigenden Eindruck der Lenore aus treuer Erinnerung verzeichnet.

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A. W. Schlegel hat von der Lenore geurteilt, sie würde Bürger, wenn er sonst nichts gedichtet hätte, allein die Unsterblichkeit sichern“. Bürger selbst hatte das Gefühl eines großen dichterischen Glückes und schrieb an Boie: „Ich staune mich selber an und glaube kaum, daß ich's gemacht habe. Ich zwicke mich in die Waden, um mich zu überzeugen, daß ich nicht träume.“ Seinen Freunden vom Göttinger Hain gegenüber nannte er sich in übermütiger Laune den „Dschengischan der Ballade" und beförderte sich selbst zum „Condor über die Eulen, Rohrdommeln, Wiedehopfe und Rohrsperlinge“ des Hains. Mit glücklichem Griff hatte Bürger der gespenstischen Sage einen Hintergrund aus der deutschen Gegenwart: der Beendigung des Siebenjährigen Krieges, geschaffen und durch dieses Hineinragen der Geisterwelt in das wirkliche Leben die Wirkung bedeutsam gesteigert. Welche künstlerische Mühe er sich um die Lenore gegeben, sieht man z. B. aus der ursprünglichen matten Fassung des Anfangs:

Lenore weinte bitterlich,

Ihr Leid war unermeßlich,

Denn Wilhelms Bildnis prägte sich
Ins Herz ihr unvergeßlich.

Um wieviel dramatisch bewegter und dichterisch wirkungsvoller sind die Verse der letzten Fassung:

Lenore fuhr ums Morgenrot

Empor aus schweren Träumen:

„Bist untreu, Wilhelm, oder tot? Wie lange willst du säumen?“ Die einzige Ausstellung, die an der Lenore zu erheben, ist die überflüssige und darum störende Wiederholung solcher Einschiebsel wie: Huhu! (ein gräßlich Wunder); indessen Flecken dieser Art finden sich in der Lenore weniger als in irgend einer andern Bürgerschen Ballade.

Die Lenore hat auch über Deutschlands Grenzen hinaus bald nach dem Erscheinen lebhafte Bewunderung erweckt; sie ist in viele Sprachen übersetzt worden, unter andern von Walter Scott ins Englische. Begreiflich, daß sie Klopstocks Beifall nicht fand; sie war ihm wahrscheinlich allzu volkstümlich, nicht erhaben genug und obendrein prächtig gereimt.

Unter den übrigen Balladen Bürgers sind die wertvollsten: Der wilde Jäger, dessen Strophe: „Drauf wird es düster um ihn her Und immer düstrer, wie ein Grab —" wohl den Höhepunkt der Bürgerschen Balladendichtung bezeichnet; ferner Die Kuh, Der Kaiser und der Abt, Das Lied vom braven Mann (1776). Diese lette Ballade, die Bearbeitung einer wahren Begebenheit, steht durch ihre Klangmalerei noch über der Lenore und würde den Preis unter den Bürgerschen Balladen verdienen, hätte er nicht durch die wiederholte Betonung des Edelmuts des Grafen und der Bravheit des Retters die reinkünstlerische Wirkung gestört. Wie ein Dichter ohne die Zutaten der Moralpredigt ein edles Rettungswerk auf den Höhen der Kunst halten kann, das zeigt uns Goethes Lied von Johanna Sebus. Auf der Etschbrücke in Verona gedenkt eine Erztafel der edlen Rettung und ihres deutschen Sängers.

Unter Bürgers lyrischen Gedichten sind manche sehr schöne, doch hat sich keines

annähernd so lebendig erhalten wie manche seiner Balladen. Die Gedichte „Liebeszauber" (Mädel, schau mir ins Gesicht! Schelmenauge, blinzle nicht!) die „Elegie, als Molly fich losreißen wollte", - auch ein flottes Trinklied: „Ich will einst bei Ja und Nein Vor dem Zapfen sterben" erheben sich über den Durchschnitt der damaligen Lyrik, werden aber von den besten Stücken der Dichter des Haines und nun gar von den Liedern des jungen Goethe an Gefühlsinnigkeit und Singbarkeit weit übertroffen. Lebendig geblieben ist das eine und andere der kurzen Gedichte, besonders der Sinnsprüche Bürgers, so z. B. dieses: Wann dich die Lästerzunge sticht, Die schlechtsten Früchte sind es nicht, Woran die Wespen nagen.

So laß dir dies zum Troste sagen:

Bürger, dessen Meisterschaft in der Versbehandlung aufs höchste zu schätzen ist, hat das seit dem 17. Jahrhundert fast vergessene Sonett zu neuem Leben erweckt. Seine Sonette gehören nach Inhalt wie form zu den schönsten der Gattung. Ein kleines Meisterwerk ist z. B. sein Sonett An das Herz (1792):

Lange schon in manchem Sturm und Drange
Wandeln meine Füße durch die Welt.
Bald den Lebensmüden beigefellt,

Ruh' ich aus von meinem Pilgergange.

Leise sinkend faltet sich die Wange;
Jede meiner Blüten welkt und fällt.
Herz, ich muß dich fragen: Was erhält
Dich in Kraft und fülle noch so lange?

Trotz der Zeit Despoten Allgewalt,

Fährst du fort, wie in des Lenzes Tagen,
Liebend wie die Nachtigall zu schlagen.

Aber ach! Aurora hört es kalt,

Was ihr Tithons Lippen Holdes sagen.

Herz, ich wollte, du auch würdest alt!

Sodann das Sonett an seinen jungen Schüler in Göttingen, August Wilhelm Schlegel, worin er ihm den zukünftigen Dichterruhm weissagt:

Kraft der Laute, die ich rühmlich schlug,
Kraft der Zweige, die mein Haupt umwinden,
Darf ich dir ein hohes Wort verkünden,
Das ich längst in meinem Busen trug.

Dich zum Dienst des Sonnengotts zu krönen,
Hielt' ich nicht den eignen Kranz zu wert;
Doch Idir ist ein besserer beschert.

Bürger hat sich in Übersetzungen aller Art erprobt: aus dem Griechischen, dem Lateinischen, dem Englischen. In Herametern hat er einen Gesang aus Virgils Üneis übersetzt, an dem sich später Schiller in Reimversen versucht hat. Bürgers Übersetzungen der Ilias, zuerst in fünffüßigen Jamben, später, nach dem Erfolge der Vossischen Odyssee, in Herametern, stehen hinter dem deutschen Homer von Voß weit zurück. Auch seine Übersetzung des Macbeth (1783) ist keine hervorragende Leistung. Seine zahlreichen Auslassungen entschuldigte er damit: „sie werden hoffentlich kein Kirchenraub sein“; dabei hatte er u. a. die Rolle des Königs Duncan ganz gestrichen! Den Sommernachtstraum hat er in schleppenden Alexandrinern übersetzt. Dagegen ist seine Umdichtung des einst hochberühmten Briefes der Heloise an Ubälard von Pope ausgezeichnet, Bürgers Meisterwerk der Übersehungskunst.

Am berühmtesten aber ist eine Bürgersche Übersetzung geblieben, als deren Verfasser er nur wenigen bekannt ist: die zum deutschen Volksbuch gewordene Sammlung der Jagdgeschichten des Freiherrn von Münchhausen (1786). Ein aus Cassel entflohener diebischer Museumsverwalter Rudolf Raspe hatte aus einer älteren Schwanksammlung und aus den einem Freiherrn von Münchhausen (1720-1797) zugeschriebenen jägerlateinischen Abenteuern eine kleine lustige Auslese in englischer Sprache 1785 in London veröffentlicht. Dieses Buch hat Bürger übersetzt, aber durch eigene prächtig erfundene Jagdgeschichten fast auf das Doppelte vermehrt. Von Bürger sind z. B. die Schnurren vom Entenfang, vom Herausziehen des Pferdes samt dem Reiter an dessen Zopf, das Reiten auf der abgeschossenen Kanonenkugel, und viele andere.

Der schwerste Schlag für Bürger beim Niedergang seines Lebens war Schillers herbe Besprechung seiner Gedichtsammlung in der Allgemeinen Literaturzeitung vom Januar 1791. Sie war nicht ganz ungerecht, aber sie verkannte doch gar zu sehr die neuschöpferische

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Tätigkeit des Balladendichters. Auf Bürger hat sie zerschmetternd gewirkt, besonders die harten Stellen, durch die er sich als sittlichen Menschen wie als Volksdichter angegriffen fand: „Kein noch so großes Talent kann dem einzelnen Kunstwerk verleihen, was dem Schöpfer desselben gebricht, und Mängel, die aus dieser Quelle entspringen, kann selbst die feile nicht wegnehmen.“ „Herr Bürger vermischt sich nicht selten mit dem Volk, zu dem er sich nur herablassen sollte, und anstatt es scherzend und spielend zu sich hinaufzuziehen, gefällt es ihm oft, sich ihm gleich zu machen.“ Hiermit hat Schiller in der Tat die sterbliche Stelle der Balladendichtung Bürgers getroffen: die Unsicherheit seines Geschmackes, den Hang zur Augenblickswirkung auf Kosten der hohen Kunst. Hieraus fließen alle Mängel, die uns im reinen Genuß der Bürgerschen Gedichte, auch seiner besten, unleidlich stören. Neben Stellen von höchstem lyrischen Adel und bezauberndem Wohllaut wie z. B. in den stabreimenden Versen:

Wonne weht von Tal und Hügel,

Weht von flur und Wiesenplan,

Weht vom glatten Wasserspiegel
Des Piloten Wange an

kommen bei ihm Wendungen ins Plumpe, ja ins Gemeine nicht selten vor. Schillers Urteil: „Er war wert, sich selbst zu vollenden, um etwas Vollendetes zu leisten“ wurde leider erst nach Bürgers Code ausgesprochen.

An die volkstümliche Liederdichtung der Haindichter und Bürgers schließt sich zwanglos die Aufzählung einer bunten Reihe von Sängern, deren Namen dem Andenken der Nachwelt zumeist längst entschwunden sind, während so manches ihrer Lieder noch wie ein sanfter Nachhall aus fernen Tagen zu uns herüber tönt. Die große Masse der mittleren und der noch niedrigeren Bildungschichten des Volkes besaß einen Liederschatz, zu dessen meistgesungenen Stücken durchaus nicht immer die berühmten Dichter beigetragen haben. Von unsern Großmüttern, ja noch von unsern Müttern haben wir so manches Lied aus dem 18. Jahrhundert mit tiefem Gefühl singen hören, dessen Verfasser schon die Sängerinnen nicht mehr kannten. Von mehr als einem der Lieblingslieder jener Zeit hat selbst die spürfinnige Literaturforschung den Dichter nicht ermittelt. Wer war z. B. der Sänger des Liedes vom Vetter Michel: „Gestern Abend war Vetter Michel da"? Wir wissen es nicht, so wenig wie wir den Dichter des Kanape-Liedes mit den berühmten Versen kennen: „Die Seele schwingt sich in die Höh', Der Leib liegt auf dem Kanape." Das letzte soll um 1747 zuerst gedruckt worden sein. - Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein wurde ein empfindsames Lied auf Werthers Tod gesungen, das beginnt: „Ausgelitten hast du, ausgerungen, Armer Jüngling, deinen Todesstreit“; ein Freiherr von Reihenstein, von dem wir sonst nichts wissen, hat es 1775 gedichtet. Noch heute kann man zwei einst hochberühmte Lieder singen hören: „Heinrich lag bei seiner Neuvermählten Einer reichen Erbin an dem Rhein "; unter dem Titel „Heinrich und Wilhelmine" hat Johann Kazner diese gar nicht üble Romanze gedichtet. Das poetisch noch wertvollere Lied:

An einem Fluß, der rauschend schoß,

Ein armes Mädchen saß;

Aus ihren blauen Äuglein floß
Manch Tränchen in das Gras

rührt von einem verschollenen Kaspar Lossius her und ist 1781 zuerst gesungen worden. Ungefähr im Tone mancher Singspiellieder Weißes sang ein Graf von Schlieben: „Ich liebte nur Ismenen, Ismene liebte mich“, und nicht minder gefühlvoll sang der gleich ihm vergessene Johann Schlotterbeck sein Lied: „In Mirtills zerfallner Hütte Schimmerte die Lampe noch."

Etwas bekannter sind Namen wie Langbein, Ulken, Stockmann, Neumann, Mahlmann, Overbeck und eine Reihe von Schmidts. August Langbein (1757—1835) aus Sachsen hat auch eine Anzahl Romane und Dramen geschrieben, die alle in den Orkus der völligen Vergessenheit versunken sind. Geblieben sind von ihm nur ein paar lustige Liedlein, oder doch Liederanfänge, so das nach einem älteren Volkslied umgearbeitete recht ausgelassene: „Ein niedliches Mädel, ein junges Blut Erkor sich ein Landmann

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