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geschlagen. Darin wurde zugleich die französische Deutung der Stellen bei Aristoteles über das Drama als irrig nachgewiesen und so eine der unleidlichsten Fesseln dichterischer Freiheit zerbrochen. Die Wirkung der Hamburgischen Dramaturgie machte sich bis nach Frankreich fühlbar; 1785 war unter Mitarbeit des kühnen Empörers gegen die klassische Dichtung der Franzosen, Mercier (1740—1814), eine französische Übersetzung erschienen, und Frau von Stael konnte später unter Berufung auf Lessings Dramaturgie schreiben: „Nach Lessings Schriften wagte man in Deutschland, sich einen Deutschen zu nennen.“ Lessing selbst hat sich über die Wirkung seiner bekanntesten kritischen Sammlung sehr bescheiden, ja fast verzweifelt geäußert. Als das Hamburgische Theaterunternehmen trotz seiner Dramaturgie und dem guten Willen der Darsteller an der Unbildung der Zuschauer zusammengebrochen war, schrieb er:

Wir sind noch immer die geschworenen Nachahmer alles Ausländischen, besonders noch immer die untertänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen. Lieber wollen wir Plumpheit für Ungezwungenheit, Frechheit für Grazie, Grimasse für Ausdruck, ein Geklingle von Reimen für Poesie uns einreden laffen, als im geringsten an der Superiorität zweifeln, welche dieses liebenswürdige Volk, dieses erste Volk in der Welt, wie es sich selbst sehr bescheiden zu nenneu pflegt, in allem, was gut und schön und erhaben und anständig ist, von dem gerechten Schicksale zu seinem Anteile erhalten hat.

Im Jahre 1766 erschien Lessings Hauptwerk über die Grundfragen der Kunst: der Laokoon. Es war auf zwei oder gar drei Teile berechnet, doch hat Lessing nur den ersten vollendet, zu den andern abgerissene Säße hinterlassen. Ausgehend von der Betrachtung der seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts bekannten Marmorgruppe des Priesters Laokoon mit seinen zwei Söhnen, die alle drei von Schlangen getötet werden, gibt Lessing in seinem Werk eine bis heute klassisch gebliebene Darstellung der Grenzen zwischen redender und bildender Kunst. Virgil, der die grausige Begebenheit in seiner Üneis erzählt, läßt Laokoon laut aufschreien, wogegen er in dem Bildwerk nur schmerzlich stöhnt. Dieser Gegensatz wird für Lessing zum Wegweiser für die Grenzgebiete zwischen Dichtung und Bildhauerei oder Malerei. Seitdem es eine Kunstlehre in Deutschland gab, hatte es sich von selbst verstanden, daß Poesie und Malerei im Grunde ein und dasselbe wären, nur daß sie mit verschiedenen Mitteln arbeiteten. „Ut pictura poesis“ (einem Gemälde gleicht die Dichtung) war wie ein mathematischer Lehrsak das A und das O der gesamten europäischen Kunstlehre seit zwei Jahrhunderten gewesen. Opitz hatte in einem Versbrief an einen Maler geschrieben : Es weiß fast auch ein Kind,

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Daß dein und meine Kunst Geschwisterkinder sind:

Wir schreiben auf Papier, ihr auf Papier und Leder.

Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, so lautet der vollständige Titel der die ganze bisherige Kunstlehre über den Haufen werfenden Lessingschen Schrift. Erwägt man, daß 15 Jahre zuvor Gottscheds Kritische Dichtkunst in vierter Auflage mit ihrer triumphierenden Vorrede (vgl. S. 369) erschienen war, so wird man sich so recht der Gigantenschritte bewußt, mit denen sich im 18. Jahrhundert die Entwicklung deutschen Geistes vollzogen hat. Durch Lessings Laokoon wurde mit einem Schlage die bis dahin fruchtbarste Gattung der deutschen Dichtung, die beschreibende, aus der Reihe der berechtigten Dichtungsarten ausgeschieden. Natürlich fuhren die Dichterlinge fort, zu be= schreiben; aus der echten Poesie aber verschwand fortan die Abschilderei, und Haller wurde nicht mehr für einen großen Dichter gehalten. „Man muß Jüngling sein, heißt es in Goethes Dichtung und Wahrheit, um sich zu vergegenwärtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte. Das so lange mißverstandene Ut pictura 'poesis war auf einmal beseitigt, der Unterschied der bildenden und Rede-Künste klar." Und dann folgt der schon früher einmal erwähnte Sat: „Alle bisherige anleitende und urteilende Kritik ward, wie ein abgetragener Rock, weggeworfen.“ Auch Herder widmete sein erstes Kritisches Wäldchen „Herrn Lessings Laokoon“ und rühmte ihn „als ein Werk, an welchem die drei Huldgöttinnen unter den menschlichen Wissenschaften, die Muse der

Philosophie, der Poesie, der Kunst des Schönen geschäftig gewesen“. Von den Neueren hat Vischer die Hauptwirkung des Laokoon treffend gekennzeichnet: „Seit wir Lessings Laokoon besitzen, gehört der Sah, daß der Dichter nicht malen soll, in das Abc der Poesie." Uns sind solche und ähnliche Sätze heute ganz geläufig, so z. B. auch der, daß der Dichter statt der Beschreibung Handlung bieten muß; für das 18. Jahrhundert war das alles so neu wie der heutige Tag. Die besten unter den Zeitgenossen Lessings erkannten sogleich die entscheidende Bedeutung des Laokoon, und bis in ihre Dichtungen hinein spürt man die unmittelbare Wirkung der Lessingschen Lehren. Mit liebenswürdiger Schelmerei schreibt z. B. Wieland in seiner Verserzählung Idris (1767):

Er tritt in einen Hain,

Den ich, weil Lessing mich am Ohr zupft, nicht beschreibe.

In manchen wesentlichen Punkten ist die Kunstbildung heut über Lessings Laokoon hinausgeschritten, so z. B. in der Schäßung der Landschaftmalerei, die im Laokoon nicht als zur hohen Kunst gehörig angesehen wird. Ebenso beurteilen wir einen Künstler wie Rembrandt heut anders und gewiß gerechter, als es Lessing getan hat. Auch von der alten Auffassung, daß die Kunst nur das sinnlich Schöne darstellen dürfe, haben wir uns befreit, wenngleich wir noch in unsern Tagen oft genug erleben, daß die durch Kunst geadelte Wiedergabe des Häßlichen als Unkunst gescholten wird. Im Laokoon heißt es im (Abschnitt 24): „Die Malerei als schöne Kunst schließt sich nur auf diejenigen sichtbaren Gegenstände ein, welche angenehme Empfindungen erwecken." In den abgerissenen Säßen zum zweiten Teil des Laokoon findet sich ein Ausspruch, der beweist, daß Lessing sich von der Fessel der Nebenzwecke der Kunst späterhin befreit hat: „Ich behaupte, daß nur das die Bestimmung einer Kunst sein kann, wozu sie einzig und allein geschickt ist, und nicht das, was andere Künste ebenso gut, wo nicht besser, leisten können als sie.“

Die Nichtvollendung des Laokoon ist vornehmlich auf die innere Unsicherheit zu schreiben, in die Lessing durch das Erscheinen der Winckelmannschen Geschichte der Kunst des Altertums geraten war. Höher als von ihm war Winckelmann von keinem seiner Zeit- und Altersgenossen geschätzt worden. Auf die Kunde von Winckelmanns Ermordung (1768) schrieb Lessing: „Das ist seit kurzem der zweite Schriftsteller, dem ich mit Vergnügen ein paar Jahre von meinem Leben geschenkt hätte." Der erste war Sterne gewesen, der Verfasser des Tristram Shandy und der Empfindsamen Reise.

fünftes Kapitel.

Gelehrte und religiöse Schriften.

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effings gelehrte Schriften zur Philologie, Archäologie und Theologie müssen sich mit einer kürzeren Erörterung begnügen. So sehr auch Lessing selbst gegen die Bezeichnung eines Gelehrten Einspruch erhoben hat („Ich bin nicht gelehrt, ich habe nie die Absicht gehabt, gelehrt zu werden; ich möchte nicht gelehrt sein, und wenn ich es im Traum werden könnte"), wir haben in ihm einen der tiefgründigsten Gelehrten seiner Zeit zu erblicken. Aus den Büchern mehr als aus dem Leben flossen ihm seine Freuden. Eine der schmackhaftesten Früchte seiner gelehrten Schriftstellerei ist die kleine Arbeit: „Wie die Alten den Tod gebildet", hervorgerufen durch die Streitigkeiten mit Klotz. Mit dem Wahlspruch aus dem römischen Schriftsteller Statius: „Keinem naht er sich in trauriger Gestalt" beweist Lessing, „daß die alten Artisten den Tod unter einem ganz andern Bilde vorstellten als unter dem Bilde des Skeletts, vielmehr als einen jungen Genius mit umgestürzter Fackel". Auf Lessing zurückzuführen ist die seit jener Zeit tatsächlich eingetretene Ersehung des Totengerippes durch schönere Sinnbilder auf unsern Grabdenkmälern zur Darstellung des Todes. In seinen „Göttern Griechenlands" sang, durch Lessings Schrift angeregt, Schiller:

Damals trat kein gräßliches Gerippe

Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuß
Nahm das letzte Leben von der Lippe,

Still und traurig senkt ein Genius
Seine Fackel.

Sodann sind Lessings „Rettungen“ zu erwähnen: Verteidigung ungerecht beschuldigter Männer vergangener Zeiten. So schrieb er seine „Rettung des Horaz gegen die Anklage der Sittenlosigkeit", die des Cochläus, eines Zeitgenossen Luthers, die des Hieronymus Cardanus, eines italienischen Philosophen und Mathematikers des 16. Jahrhunderts gegen den Vorwurf der Unchristlichkeit, — bei all diesen Rettungen nicht so sehr von philologischem Ehrgeiz als von dem Durste nach Wahrheit getrieben, den er in dem Sahe ausspricht:

Ich selbst kann mir keine angenehmere Beschäftigung machen, als die Namen berühmter Männer zu mustern, ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen, unverdiente Flecken ihnen abzuwischen, die falschen Verkleisterungen ihrer Schwächen aufzulösen, kurz alles das im moralischen Verstande zu tun, was derjenige, dem die Aufsicht über einen Bildersaal auvertraut ist, physisch verrichtet.

In Wolfenbüttel hat sich Lessing auch vielfach mit der Erforschung der älteren deutschen Literatur beschäftigt; nicht ohne Verständnis für die Heldengröße im Nibelungenliede nahm er Kenntnis von Bodmers erster Veröffentlichung (vgl. S. 373) und trug selbst ein Steinchen zum gewaltigen Bau der Wissenschaft von deutscher Vergangenheit bei durch seine Untersuchungen über die Fabelsammlung Boners, deren wahren Verfasser er zuerst festgestellt hat.

Die wichtigsten seiner Streitschriften aus der Zeit seiner Vollreife sind die theologischen: Über den Beweis des Geistes und der Kraft, Eine Duplik, Eine Parabel, — der Anti-Goeze, Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger, Nötige Antwort auf eine sehr unnötige Frage des Herrn Hauptpastor Goeze in Hamburg, usw. Sie sind alle in der Zeit von 1777 bis 1779 entstanden. Angefacht wurde dieser für die deutsche Geistesgeschichte so überaus wichtige Kampf, der letzte in Lessings Kämpferdasein, durch seine Veröffentlichung der sogenannten Wolfenbütteler Fragmente. Unter der Verkleidung „Aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel" ließ Lessing Abschnitte aus einem handschriftlichen Werke des 1768 verstorbenen Hamburgischen Gelehrten Hermann Samuel Reimarus: „Apologie oder Schuhschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes" erscheinen, worin die stärksten Angriffe gegen die christliche Offenbarung enthalten waren. Das Aufsehen, das diese Wolfenbütteler Fragmente nicht nur in der Gelehrtenwelt, sondern bei allen Christgläubigen erregten, war ungeheuer und etwa zu vergleichen mit dem geistigen Aufruhr durch David Friedrich Straußens Leben Jesu (1835) oder durch Renans Vie de Jésus (1863). Lessing lehnte ausdrücklich seine persönliche Übereinstimmung mit den Anzweiflungen der Grundlagen des Christentums in den Fragmenten ab: „Ich habe nirgend gesagt, daß ich die ganze Sache meines Ungenannten, völlig so wie sie liegt, für gut und wahr halte. Ich habe das nie gesagt, vielmehr habe ich das Gegenteil gesagt.“ Das half ihm nichts, die rechtgläubige Geistlichkeit, an ihrer Spitze der Hauptpastor Goeze in Hamburg, machte Lessing nicht nur für die Veröffentlichung, sondern auch für den Inhalt der Fragmente verantwortlich. Hierdurch erweiterte und erhöhte sich der Streit zu einem Entscheidungskampfe zwischen der freiesten Forschung auch in religiösen Grundfragen und der Fesselung des freien Wortes durch die Kirche. Gegen Lessing wurden von Goeze und seinen Mitstreitern die gehässigsten Unschuldigungen erhoben; man ging bis zu dem niederträchtigen Vorwurf, Lessing habe sich von den reichen Amsterdamer Juden durch tausend Dukaten zur Herausgabe der Fragmente erkaufen lassen. Merkwürdige Übereinstimmung: gegen Renan wurde eine ganz ähnliche Beschuldigung erhoben. Der gleichmütige Franzose folgte seiner Lebensregel, niemals auf einen persönlichen Angriff zu erwidern; Lessing blieb nicht so ruhig, sondern schrieb im Dezember 1779 eine „Nähere Berichtigung des Märchens von 1000 Dukaten, oder Judas Ischarioth dem Zweiten".

Nie zuvor hatte Lessing in seinen literarischen Kämpfen eine so würdevolle Höhe erreicht

wie in denen gegen Goeze. Was waren dagegen die fast um dieselbe Zeit Frankreich aufregenden Streitschriften Beaumarchais' gegen den bestechlichen Richter Goezman! Nur etwa mit den englischen Junius-Briefen (1769 bis 1772) lassen sich Lessings flammende Episteln gegen Goeze vergleichen. Da zeigte sich so recht, wie tief in Lessings Wesen die Freude am Kampf um große Dinge begründet war. An Elise Reimarus, die Tochter des Fragmentenschreibers, meldet Lessing: „Goeze, hat man mir geschrieben, wäre krank und müßte alle Tage zwei Stunden reiten, welches gerade die zwei Stunden wären, die er sonst zu meiner Widerlegung bestimmt gehabt hätte. Wenn das ist, so will ich noch heut anfangen, um seine Genesung herzlich zu beten.“ Gegen Goeze selbst aber richtet er sein „Absagungsschreiben“: „Schreiben Sie, Herr Pastor, und lassen Sie schreiben, soviel das Zeug halten will: ich schreibe auch. Wenn ich Ihnen in dem geringsten Dinge, was mich oder meinen Ungenannten angeht, Recht lasse, wo Sie nicht Recht haben: dann kann ich die Feder nicht mehr rühren." Lessing hatte an eine andere Behinderung des eignen Federrührens nicht gedacht: an die fürstliche Gewalt. Was ihm noch nie zuvor widerfahren war, geschah nun zum ersten Mal: das braunschweigische Ministerium untersagte ihm im Juli 1778 weitere Veröffentlichungen im Streite gegen Goeze; der Kabinettsbefehl des Herzogs Karl in schauderhaftem Deutsch besteht aus einem einzigen Sah von 29 Druckzeilen. Lessings Erbitterung war grenzenlos und brach selbst in seinem schriftlichen Widerspruch an den „Durchlauchtigsten Herzog und gnädigsten Herrn“ durch: „Ich selbst würde auch eher mein ganzes Unternehmen mit den Beiträgen gänzlich aufgegeben, als mich einer so unchristlichen Einschränkung, die Ew. Durchlaucht so wenig ähnlich sieht, haben unterwerfen wollen." An seinen Freund Eschenburg aber schrieb er am nächsten Tage: „Wider die Konfiskation des fragments habe ich nichts. Aber wenn das Ministerium darauf besteht, auch meine antigoezischen Schriften konfiszieren zu lassen, so kann ich dabei so gleichgiltig nicht sein, und ich bitte um meinen Abschied." Die herzoglichen Behörden drückten ein Auge zu, als er trok dem Verbot noch eine letzte Erwiderung gegen Goeze erscheinen ließ. Dann aber bestieg Lessing seine alte Kanzel, das Theater, und schrieb das Beste, was wir jenem Streit gegen einen eifernden Priester verdanken: den Nathan. Von den Streitschriften selbst ist die „Parabel" die beste, zugleich eines der klassischen Prosawerke Lessings.

Durchaus falsch wäre es, aus Lessings Veröffentlichung der Wolfenbütteler fragmente und aus seinen Streitschriften gegen Goeze zu folgern, er sei religionsfeindlich oder ein Gegner des Christentums gewesen. Das Gegenteil ist wahr: es gibt in sämtlichen Werken Lessings nicht die kleinste Stelle, die einen Spott über wirklich religiöse Dinge, wohl gar nach Franzosenart, enthält. In einer Zeit oberflächlicher Aufklärerei und wißelnder Spötterei gegen alle Offenbarungsreligion, wie sie gerade unter Friedrich dem Großen in Berlin damals allherrschende Mode geworden war, blieb Lessing religiös und im besten Sinne gläubig, wenn auch kein Bewunderer des kirchlichen Wesens. Seit den Jünglingstagen war ihm die christliche Religion kein Werk, das man von seinen Eltern auf Treue und Glauben annehmen soll". Aber auch kein Werk, gegen das man die Waffe des Spottes kehren dürfe: „Sagen Sie mir von Ihrer berlinischen Freiheit, zu denken und zu schreiben, ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion soviel Sottisen zu Markte zu bringen, als man will", so schreibt er im August 1769 an den berlinischen Aufklärer Nicolai. Was er an Goeze und seinem mächtigen Anhange bekämpfte, war nicht das Christentum, sondern die Gefahr für die Grundlage des Protestantismus, für die freie Forschung:

Herr Pastor (an Goeze), wenn Sie es dahin bringen, daß unsere lutherischen Pastores unsere Päpste werden, daß diese uns vorschreiben können, wo wir aufhören sollen, in der Schrift zu forschen, daß diese unserem Forschen und der Mitteilung des Erforschten Schranken setzen dürfen, so bin ich der Erste, der die Päpstchen wieder mit dem Papste vertauscht.

Und wandte man ihm ein, er habe durch die fragmente und den daran geknüpften Streit Ärgernis gegeben, so setzte er einem seiner Antigoeze-Sendschreiben den Lutherschen Ausspruch voran:

Ürgernis hin, Ärgernis her! Not bricht Eisen und hat kein Ärgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seelen geschehen mag. Wo nicht, so soll ich meiner Seelen raten, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt!

Aus Lessings lettem Lebensjahr rühren seine abgeklärtesten und erhabensten beiden Prosaschriften her: das Freimaurergespräch Ernst und Falk und Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780). Sie gehören zu dem bleibend Wertvollsten, was wir von Lessing dem Philosophen besitzen. Den Kern beider Schriften bildet der vor Lessing noch niemals mit solcher Kraft und Wärme ausgesprochene ideale Glauben an die unbegrenzte Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Hierin besitzen wir eine der frühesten und dauerhaftesten Grundlagen dessen, was mit Recht deutscher Idealismus heißt. Nie zuvor hatte Lessing mit solchem Schwunge der Gedanken wie des Stils irgendetwas geschrieben, nicht einmal den Nathan.

Sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch – das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind. Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen, ewigen Evangeliums. Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur laß mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. Laß mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten zurückzugehen! Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die gerade ist.

Und nun folgen Andeutungen der Möglichkeit eines mehrmaligen Erscheinens desselben Menschen in einem immer mehr geläuterten Erdenleben, also geradezu der Glaube an die Seelenwanderung. Nicht als ein geistreicher Einfall, sondern als tiefe Sehnsucht des Herzens nach endloser Vervollkommnung. Auch Goethe hat ähnliche Unwandlungen verspürt, so in den ergreifenden Versen an Charlotte von Stein: „Ach, du warst in abgelebten Zeiten Meine Schwester oder meine Frau!" Lessings Erziehung des Menschengeschlechts in hundert einzelnen, aber in unlöslichem Zusammenhange stehenden Säßen geschrieben — schließt mit dem Einwand gegen die Seelenwanderung und mit dessen Widerlegung:

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Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf einmal soviel weg, daß es der Mühe wiederzukommen etwa nicht lohnet? Oder, weil ich es vergesse, daß ich schon dagewesen? Wohl mir, daß ich das vergesse. Und was ich auf itzt vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen? Oder, weil so zuviel Zeit für mich verloren gehen würde? Verloren? Und was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht

die ganze Ewigkeit mein?

Die uns erhaltenen Briefe Lessings füllen einen Band von über achthundert Seiten, bieten uns aber nicht einen gleichen Lebensreichtum in Briefen, wie Goethes oder Schillers Briefwechsel. Zum genaueren Verständnis des Menschen Lessing sind sie unentbehrlich, und es ist tief zu bedauern, daß gerade über die für seine dichterische Entwicklung bedeutssamste Zeit, die in Breslau, die Quelle der Briefe am spärlichsten fließt. -Don Lessings Briefwechsel mit Eva König gibt es eine besondere Ausgabe. Man suche darin nicht die glühenden Gefühlsergüsse Goethes an Charlotte von Stein, auch nicht den empfindsamen Gedankenaustausch der Briefe zwischen Schiller und Charlotte von Lengefeld. Zwei durch das Leben gehärtete, reife Menschen, deren edle Freundschaft sich allmählich in Liebe wandelt, sprechen darin von den Geschäften des Tages, von ihren Lebenshoffnungen, Lessing auch von seinen schriftstellerischen Plänen; aber beide fast durchweg mit einer gewissen Nüchternheit, die nur zuweilen durch den einfachen Ausdruck starker Empfindung unterbrochen wird. Gegenüber der tränenseligen Empfindelei in so vielen berühmten Briefwechseln des 18. Jahrhunderts tut es ordentlich wohl, Gotthold Lessing und Eva König die gesunde Sprache tüchtiger Menschen reden zu hören. Bis zur Verheiratung nennen sich die beiden Freunde und Liebenden „Sie“, und die wärmste Wendung, nachdem sie zum Bewußtsein gekommen, daß sie sich fürs Leben verbinden wollen, lautet bei Lessing: „Ich umarme Sie

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