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Sechstes Kapitel.

Die althochdeutsche Literatur unter den ersten Karolingern.

Seit ältester Zeit hat hier es getönt, und so oft im erneuenden Umschwung,

In verjüngter Gestalt aufstrebte die Welt, klang auch ein germanisches Lied nach.
Zwar lange verhallt ist jener Gesang, den einst des Arminius Heerschar
Unstimmend gejauchzt in des Siegs Festschritt, auf den römischen Gräbern getanzt ihn;
Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch. (Platen.
2. Die ältesten dichterischen Denkmäler.

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fum Glück sind wenigstens so viele wahrhaft dichterische Urkunden aus dem 8. und 9. Jahrhundert gerettet worden, um uns einen Begriff zu geben von der bewundernswerten Ausdrucksfähigkeit des Althochdeutschen auch für den höchsten Flug der Phantasie. Wir besißen zwei weltliche und zwei geistliche Gedichte, alle vier von geringem Umfang, aber ausreichend zum Beweise, daß unsere Literatur seit nunmehr tausend Jahren und darüber auf den Höhen der Menschheit wandelt. Vier kleine Meisterwerke, jedes in seiner Art: ein Heldenlied, ein Weltuntergangsgedicht, ein Gebet und ein Lobgesang auf einen deutschen König. Und in allen, wenn auch im Grade verschieden, Schwung und Kraft in der Erfindung, Schönheit im Ausdruck, Sicherheit in den Versformen.

Am höchsten steht das älteste deutsche Heldenlied durch seinen dichterischen Wert, mehr aber noch durch seine unvergleichliche Wichtigkeit für unsere so mangelhafte Kenntnis vom Wesen der frühesten form deutscher Heldensage. Es ist das einzige dichterische Werk etwas größeren Umfanges aus dem Zeitalter vor Karl dem Großen: das Hildebrandlied. Zwei Mönche des fuldaer Klosters haben es etwa im Anfang des 9. Jahrhunderts auf die inneren Deckelseiten eines lateinischen Undachtbuches niedergeschrieben; ob nach einer schriftlichen Vorlage oder aus dem Gedächtnis, ist nicht zu ermitteln. Sicherlich sind sie nicht die Verfasser des Gedichtes gewesen. Zuerst veröffentlicht wurde es 1729 durch Echart; als Gedicht erkannten es aber erst die Brüder Grimm, die es 1812 wissenschaftlich herausgaben.

Vielleicht haben wir es beim Hildebrandliede mit der im wesentlichen unveränderten form eines der „barbarischen (d. h. deutschsprachlichen) und uralten Lieder“ zu tun, deren Sammlung durch Karl den Großen sein Lebensbeschreiber Einhart berichtet (vgl. S. 32.) Träfe dies zu, so könnten wir daraus auf den ungefähren Umfang der ältesten Heldengefänge schließen: das uns gerettete Bruchstück besteht aus 68 stabreimenden Langversen; das Pergament hat den Mönchen leider nicht zur Vollendung ihrer Niederschrift ausgereicht. Nach dem Gange der Erzählung ist der volle Umfang des Liedes auf etwa hundert Langverse zu schätzen.

Die sprachliche Fassung gibt fast unlösbare Rätsel auf. Neben den überwiegend echten althochdeutschen Wortformen stehen auch verderbte, außerdem altniederdeutsche, wie z. B. gleich im ersten Verse: sodaß bestimmt anzunehmen ist, die Abschreiber oder Aufzeichner haben eine schlechte Vorlage benut oder ein sprachunsicheres Gedächtnis gehabt. Vielleicht war die Vorlage niederdeutsch, und die Mönche gehörten dem hochdeutschen Sprachgebiet an, haben aber dies und jenes aus der Vorlage unverändert stehen lassen. Was die Fuldaer Mönche überhaupt bewogen haben mag, jenes alte, wohl gar noch in die heidnische Zeit zurückreichende Lied aufzuschreiben, entzieht sich völlig unserer Vermutung.

Die Handschrift befindet sich jetzt in der Kasseler Landesbibliothek als ihr kostbarster Schatz, zugleich als eines der wichtigsten Denkmäler deutscher Dichtung. Denn einzig nach diesen 68 stabreimenden Verszeilen können wir uns die erzählende Dichtung in dem Zeitraum zwischen der Erwähnung uralter germanischer Heldenlieder bei Tacitus und dem 8. Jahrhundert vergegenwärtigen. Das Hildebrandlied ist gewiß nicht das älteste jener Lieder,

vielleicht auch nicht das schönste; aber so, wie wir es auf den zufällig bewahrt gebliebenen ehrwürdigen Pergamentblättern vor uns sehen, kündet es von einer erhabenen Dichtungzeit in Deutschland, die vor jeder irgendeines andern Volkes der nachchristlichen Welt liegt und es an dichterischem Wert mit jedem Erzeugnis aus den ältesten Zeiten anderer neueuropäischer Literaturen aufnimmt. Waren die von Karl dem Großen gesammelten Heldenlieder alle dem Hildebrandliede ähnlich oder gleich an dichterischer Kraft, so müssen wir um ihren Verlust immer tief trauern.

Um wieviel Menschengeschlechter, ja vielleicht Jahrhunderte später die Aufzeichnung in Fulda erfolgte, als die Dichtung selbst entstanden war, das läßt sich nicht mehr feststellen. Die Sprachform der Niederschrift braucht ja nicht die der ursprünglichen Abfassung gewesen zu sein.

Die im Hildebrandliede erzählte Begebenheit, ob frei erfunden oder aus irgendeinem wahren geschichtlichen Kern herausgebildet, vielleicht aus einer vielen Völkern des Mittelalters gemeinsamen Sage entsprossen, gehört dem 5. Jahrhundert an. Das Lied erzählt uns: Hildebrand, der tapferste Degen des Königs Theoderichs des Großen, begegnet nach dreißigjähriger Abwesenheit von der Heimat auf der Flucht vor Odoaker zum König Ehel seinem als Kind zurückgelassenen, mittlerweile zu einem kühnen Recken erwachsenen Sohne Hadubrand. Der Vater gibt sich dem Sohne liebevoll zu erkennen, dieser aber glaubt in seinem jungen Heldentrok dem ihm fremden Manne nicht; es entspinnt sich ein wütender Zweikampf und hier bricht leider das gewaltige Lied ab. Wahrscheinlich, aber nicht sicher, hat es mit dem Tode des Sohnes von der Hand des Vaters geendet. In späteren Umformungen desselben Stoffes, so z. B. in der nordischen Thidrek-Saga, in der Wiltina-Saga und Asmundar-Saga, wird der Sohn vom Vater besiegt, aber nicht getötet, und das Lied schließt versöhnlich ab.

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Das Hildebrandlied ist geradezu vorbildlich für die dichterische Ausgestaltung der Heldensage überhaupt, namentlich für die Unbekümmertheit, womit die Heldenliederdichter die durch Geschlechter oder ganze Jahrhunderte von einander getrennten Menschen und Begebenheiten verschmolzen. Dietrich von Bern (Theoderich von Verona), Attila und Odoaker werden zeitlich zusammengebracht, ähnlich wie im Libelungenliede geschichtliche Zwischenräume von Jahrhunderten übersprungen werden. Alle geschichtliche Vergangenheit war den altdeutschen Heldensängern dichterische Gegenwart. Bemerkenswert ist, daß dieses um fast fünfhundert Jahre vor der Abfassung des Nibelungenliedes entstandene Heldengedicht keinerlei mythische Bestandteile zeigt, wie man sie ohne zureichende wissenschaftliche Gründe, allein auf die Kunstgedichte der Edda gestüßt, durchaus in allen altdeutschen Heldenliedern, vornehmlich im Nibelungenliede, früher vermuten wollte. Ist das Hildebrandlied als Muster seiner Gattung anzusehen, so hat die deutsche Heldendichtung nur von Menschen, nicht von Göttern oder Halbgöttern gesungen.

Mit seinem heldischen Inhalt, seiner feierlichen Sprache, mit seinen ebenso feinen wie reckenhaften Empfindungen gehört das Hildebrandlied zu den hohen Ruhmestiteln unserer ältesten Dichtung. Ungeschlacht erscheint, was darin vorgeht; kunstlos jedoch ist die Darstellung nicht, sie seht vielmehr eine lange dichterische Entwicklungzeit voraus. Mit unübertrefflicher Anschaulichkeit bei wirkungsvoller Knappheit schildert es eine echttragische Begebenheit in der ihrer würdigen künstlerischen form. Die einleitenden Worte erinnern an die „alten Mären“, auf die sich auch das Nibelungenlied als auf seine Quelle beruft.

Der Stoff des Hildebrandliedes, also des Zweikampfes zwischen Vater und Sohn, die einander nicht kennen, findet sich schon bei den Griechen und Persern. Odysseus kämpft mit seinem Sohne Telegonos, und Firdusi schildert den Zweikampf zwischen Rustem und Sohrab. Wer vermag heute noch zu ergründen, welche sagenspinnenden Fäden zwischen den Völkern des Abend- und des morgenlandes in den ersten christlichen Jahrhunderten herüber und hinüber liefen.

Das Hildebrandlied, sei es das alte oder irgendeine Umformung, muß einen tiefen Eindruck auf alle Hörer hervorgerufen haben: Jahrhunderte später begegnen wir in dem sogenannten Heldenbuch einer Erneuerung des alten Gedichtes, mit versöhnlichem Ausgang. Ja noch im 15. Jahrhundert gab es ein erzählendes Volkslied (in Uhlands Deutschen Volksliedern, Nr. 132), das beginnt:

Ich will zu Land ausreiten, Sprach sich Maister Hildebrant,
Der mich die Weg tät weisen Gen Bern wol in die Land.
folgenden Wortlaut:

Das alte Hildebrandlied selbst aber hat
Ik gehorta dat seggen,

dat sih urhettun aenon muotin
Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuem.
Sunufatarungo iro saro rihtun,
garutun se iro gudhamun, gurtun sih iro suert

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Das hört' ich sagen

Daß sich zwei Kämpfer allein begegneten,
Hildebrand und Hadubrand, zwischen Heeren zwei.
Sohn und Vater ihre Rüftung besorgten,
Bereiteten ihr Schlachtkleid, gürteten die Schwerter

an,

Die Recken, über die Panzerringe; dann ritten sie
zum Kampfe.

Hildebrand erhob das Wort, Heribrands Sohn; er
war der hehrere Mann,
In der Welt erfahrener. Zu fragen begann er
Mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre
Von den Helden im Volke: „Oder welcher Her-
kunft bist du?

So du mir einen nennst, die andern weiß ich mir,
Kind, im Königreiche: all Kriegsvolk ist kund mir."

Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Sohn:
„Das sagten längst mir unsere Leute,
Alte und Weise, die früher waren,
Daß Hildebrand hieß mein Vater, ich heiße Hadu.
brand.
Vor längst zog er oftwärts, floh vor Otakers
Zorn

Hin mit Dietrich und seiner Degen vielen.

Er ließ elend im Lande sitzen

Das Weib in der Wohnung, Knaben unerwachsenen,
Des Erbes ledig, da ostwärts er hinritt.
Dem Otaker war er erzürnt ohn' Maßen,
Der beste der Degen war er bei Dietrich;
Seitdem mußte Dietrich missen

Meinen Vater. Der war so ganz freundlos,
Dem Volke voran stets; fechten war immer ihm lieb.

Kund war er manchen kühnen Mannen.
Nicht wähne ich mehr, daß er wandelt auf Erden.“
Hildebrand erhob das Wort, Heribrands Sohn:
„Hör es, Allvater, vom Himmel oben,
Mögest du nimmer zum Kampfe mich leiten
Mit so gesipptem Mann."

Da wand er vom Arme gewundene Ringe,
Aus Kaisermünzen gemacht, wie der König sie
ihm gab,
Der Herrscher der Hunnen: „Daß ich mit Huld
dir's gebel"
Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Sohn:
„Mit dem Ger soll man Gabe empfahen,
Spitze wider Spitze. Ein Späher bist du,
Alter Hunne, lockest mich heimlich

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