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Zweites Kapitel.

Die Literatur der Aufklärung, der Satire und der Unterhaltung.

Die englischen Deisten und Freidenker. — Christian Wolf. — Spalding. – Mosheim. — Mascow.

Liscow und Rabener.

Die Robinsonaden.

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as geistige Leben auch des dichterischesten Volkes gipfelt zwar in den Meisterwerken seiner Poesie, aber es lebt sich nicht völlig darin aus. Zumal die deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts ist noch sehr lange, sogar überwiegend, Gedankendichtung gewesen, und schon dies würde zu einer Betrachtung der allgemeinen Geistesunterlagen zwingen, über denen sich die schöpferische Literatur des 18. Jahrhunderts aufgebaut hat. Das Zeitalter der Philosophie beginnt nunmehr für die Gelehrten, das Zeitalter des Philosophierens für die Gebildeten in Deutschland. Zum ersten Mal gewahren wir das so folgenreiche Eindringen der englischen Gedankenwelt, der an späterer Stelle eine eingehende Betrachtung gewidmet werden muß (vgl. S. 356). Hier haben wir es noch nicht mit dem Eindringen englischer Dichtung zu tun, sondern vorerst mit dem der philosophischen Prosa. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert waren in England die beiden Hauptbegründer des freidenkertums aufgetreten; als der frühere: John Toland (1670—1722), der mit 26 Jahren sein Hauptwerk „Das nichtgeheimnisvolle Christentum“ veröffentlichte. Den Kern dieses tiefwirkenden Buches bildet der Ausspruch: „Die Vernunft ist die einzige Grundlage aller Gewißheit“, also der schroffste Gegensak zum Offenbarungsglauben. Und im Jahre 1713 erschien von dem geistesverwandten Anthony Collins (1676-1729) die „Abhandlung vom Freidenken" mit dem Nebentitel: „veranlaßt durch das Entstehen und Wachsen einer Sekte genannt Freidenker“. Die jezt sehr selten gewordene Schrift enthält auf kaum 150 kleinen Seiten die Betonung der Rechte der Vernunft gegen den Kirchenglauben, daher die Verwerfung aller Offenbarung, deren der Mensch gar nicht bedürfe. Ein Jahr vor dem Erscheinen von Tolands Werk hatte der englische Philosoph John Locke (1632—1704) eine kleine Schrift: „Über die Vernünftigkeit des Christentums“ drucken lassen, wodurch Toland wie Collins nachweislich die stärksten Anregungen empfangen haben.

Dies sind die drei bahnbrechenden Vorkämpfer gewesen für die das ganze 18. Jahrhundert beherrschende Aufklärungs-Philosophie. Ohne die englischen Philosophen und Freidenker wäre die französische Aufklärerschule, wären Montesquieu, Voltaire, Diderot und die Encyklopädisten nicht begreiflich. Eines Vorläufers der englischen Freidenker im 17. Jahrhundert, des Lord Herbert von Cherbury (1581—1648), wurde schon gedacht (vgl. S. 310). Aus diesen englischen Bestrebungen, an die Stelle des Kirchenglaubens die voraussetzungslose Denktätigkeit des gebildeten Menschen zu sehen, ist die alsbald alle Kulturländer Europas ergreifende Bewegung geflossen, die den Namen „Deismus“ trägt und in dem Glauben an einen nichtpersönlichen, nichtgeoffenbarten Gott gipfelt. Der englische Schriftsteller Matthews Tindal (1676—1733) hat durch sein einflußreiches Buch „Das Christentum so alt wie die Schöpfung" mit dem bezeichnenden Lebentitel: „oder die Bibel eine Erneuerung der Naturreligion“ (1730) das Grundwerk dieser neuen Weltanschauung der geistig führenden Klassen in England, Frankreich und Deutschland geschaffen. Durch Toland, Collins, Tindal hatte das Jahrhundert der Aufklärung" seine religiöse Grundlage erhalten. Ergänzend kamen hinzu die englischen Moralschriftsteller, voran der Graf Anthony Shaftesbury (1671—1713), der Prediger der Dreieinheit vom Guten, Wahren, Schönen. Als sein bedeutendster deutscher Verehrer und Nachfolger muß Herder genannt werden; doch findet sich auch schon bei Lessing vieles von Shaftesburys idealer Auffassung menschlicher und göttlicher Dinge.

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Auf den Schultern der englischen Aufklärungsphilosophen steht der Begründer der deutschen Philosophie des 18. Jahrhunderts: Christian Wolf. Durch ihn wurde für Deutschland jene Zeit heraufgeführt, die ihr größter Sohn, Goethe, im siebenten Buch von Dichtung und Wahrheit unübertrefflich aus der eigenen Erfahrung geschildert hat als die, wo jeder berechtigt war, nicht allein zu philosophieren, sondern sich auch nach und nach für einen Philosophen zu halten. Die Philosophie war also ein mehr oder weniger gesunder oder geübter Menschenverstand.“ Hinzu kam zu dieser Aufklärungsphilosophie die um 1720 erfolgte, gleichfalls von England ausgegangene Begründung der Freimaurerei, die schon 1733 zur Stiftung der ersten deutschen Freimaurerloge in Hamburg geführt hat. Christian Wolf, in Breslau am 9. februar 1679 geboren, ist als Freiherr von Wolf in Halle am 5. April 1754 gestorben. Er ist der eigentliche Philosoph dieses ganzen Zeitalters deutscher Literatur. Sein Hauptwerk „Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes“ (Halle 1712) wurde nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze europäische Philosophenwelt das grundlegende Buch. Wolf wollte gläubig bleiben, und doch verwarf er Wunder und Offenbarung, nicht kühn und geradezu, sondern mit allerlei nichtigen Verbrämungen. Von den Wundern heißt es z. B. in seinem Hauptwerk: Diejenigen Lehrer der Kirche haben nicht unrichtige Gedanken gehabt, welche behaupten, die Wunder in der Natur, die sich darinnen täglich ereignen, das ist, die natürlichen Begebenheiten, wären viel größer als die Wunderwerke, das ist die übernatürlichen Begebenheiten." Der außerordentliche Erfolg dieses Werkes — bis 1740 waren 10 starke Auflagen erschienen reizte die gesamte Welt der rechtgläubigen Professoren der Gottesgelahrtheit und der Weltweisheit zum Kampfe gegen den in der Sache verhältnismäßig kühnen, im Ausdruck sehr maßvollen Neuerer. Es war eine Kleinigkeit, dem preußischen Könige Friedrich Wilhelm I., der Wolfs Werk nie gelesen, allerlei gehässige Verleumdungen einzuflüstern. Als man ihm schließlich vorlog, Wolf, ein Professor an seiner königlichen Universität zu Halle, habe gelehrt, daß, wenn einige seiner langen Kerle fahnenflüchtig würden, sie 11 einem unabwendbaren Schicksal folgten, also straflos bleiben müßten, erließ der König einen Befehl vom 8. November 1723, daß Wolf binnen 48 Stunden nach Empfang dieser Order die Stadt Halle und alle Unsere übrigen Königlichen Lande bei Strafe des Stranges räumen solle“. Wolf ging nach Marburg, wurde die größte Zierde dieser Universität und hat es noch erlebt, daß der Soldatenkönig, der schon das feilhalten der Wolfischen Schriften mit lebenslänglicher Karrenstrafe bedroht hatte, kurz vor seinem Tod anderen Sinnes wurde. Jedoch erst unter Friedrich dem Großen, schon am sechsten Tage seiner Regierung, wurde Wolf nach Halle zurückberufen und zog am 12. August 1740 wie ein siegreicher Feldherr in die Stadt ein, die er einst wie ein Verbrecher hatte fliehen müssen. Durch Wolf, weit mehr als durch Thomasius und selbst Leibniz, wurde die Philosophie als Wissenschaft in Deutschland selbständig und warf auch die letzten Eierschalen der Theologie ab. für die deutsche Gedankenprosa wurde Wolfs Hauptwerk ein leider nur von Wenigen in der Klarheit des Ausdrucks erreichtes Muster philosophischer Schriftstellerei. Und welch ein fortschritt im Ausdruck wie Sahbau über Thomasius und Leibniz hinaus! Am deutlichsten aber wird die Umwandlung der deutschen Prosa in einem einzigen Menschenalter, wenn man die „Vernünftigen Gedanken" Wolfs vergleicht mit Morhofs unbeholfenem „Unterricht von der deutschen Sprache und Poesie". Auch das zeichnet Wolfs Hauptwerk vor der damaligen Gelehrtenprosa so vorteilhaft aus, daß er auf das pedantische Unhängsel der Proben seiner Belesenheit in Anmerkungen verzichtet und den guten Geschmack vornehmer Einfachheit zur Richtschnur nimmt. Allerdings ist eine gewisse Breite der Darstellung nicht zu leugnen: Wolf traute seinen Lesern gar zu wenig Eigendenken zu.

Mit Wolfs philosophischen Schriften begann der Eintritt Deutschlands in die Weltliteratur der Prosa: seine deutsch geschriebenen Bücher wurden ins Französische und Englische

übersetzt und erwarben sich eine Leser-, ja eine Glaubensgemeinde in der philosophierenden Welt von ganz Europa. Wie der maßvolle deutsche Philosoph in den Verdacht des Atheismus, nicht nur bei Friedrich Wilhelm I., hat kommen können, das wird verständlich, wenn man in seinen Vernünftigen Gedanken Stellen liest wie die, wo er dem Verdammungsurteil gegen die Atheisten, das heißt die nicht an einen persönlichen Gott Glaubenden, entgegentritt:

Das Gesetz der Natur ist durch die Natur festgestellet worden und würde stattfinden, wenn auch gleich der Mensch keinen Oberen hätte, der ihn dazu verbinden könnte; ja es würde stattfinden, wenn auch gleich kein Gott wäre. Und also irren diejenigen, welche ihnen einbilden, ein Atheist möge leben wie er wolle, und werde auch alle Schandtaten und Laster in der Tat begehen, wenn er nur von bürgerlichen Strafen frei ist; denn dieses trifft nur ein, wenn ein Atheist unverständig ist, und die Beschaffenheit der freien Handlungen nicht recht einsiehet. Daher bringet ihn eigentlich nicht die Atheisterei zum bösen Leben, sondern seine Unwissenheit und sein Irrtum von dem Guten und Bösen, aus welcher Quelle auch bei andern, die keine Atheisten sind, ein unordentliches Leben und unrichtiger Wandel entspringet. Wolfs Einfluß wirkte fast das ganze 18. Jahrhundert hindurch und beschränkte sich nicht auf die philosophische Anschauung, sondern färbte einen großen Teil der Theologen, besonders der preußischen, mit der Farbe der Aufklärung und Duldung. Als von Wolfischem Geist erfüllt muß vornehmlich der bedeutendste preußische Kanzelredner des 18. Jahrhunderts angesehen werden: Johann Joachim Spalding (1714—1804), aus dem damals noch schwedischen Vorpommern gebürtig, ein Pastorsohn, der als Prediger an der Marienkirche zu Berlin bis in die Zeiten Friedrich Wilhelms II. gewirkt hat. Sein Hauptwerk ist das kleine Schriftchen Die Bestimmung des Menschen (1748), ein durch die Reinheit des Stils hervorragendes Büchlein. Es verdient Erwähnung, daß es sich zu einer Zeit, als von den meisten Prosaschriftstellern immer noch aufs ärgste gefremdwörtelt wurde, eines so gut wie ganz fremdwörterreinen Deutsch befleißigt. Auch in seinen Predigten, die er von Zeit zu Zeit gesammelt herausgab, erweist er sich als einen der besseren Prosaschriftsteller seiner Zeit; sie sind Muster wahrhaft erbauender, nicht dogmatisch-salbungsvoller Betrachtung. Seine bedeutendste Predigt ist die von der „Hauptsache in der Religion", als die er bezeichnet: wahre Rechtschaffenheit des Herzens und des Lebens. Unter Friedrich dem Großen konnte ein Mann wie Spalding ruhig Oberkonsistorialrat in Berlin bleiben; als unter Friedrich Wilhelm II. der Minister Wöllner das Religionsedikt von 1788 erließ, wodurch das freie Wort unterdrückt werden sollte, legte der mannhafte Berliner Prediger sein Amt nieder. Als einen der besten deutschen Prosaiker haben ihn schon seine Zeitgenossen gefeiert; Herder rühmte von Spaldings Stil: Seine Schreibart schließt sich der Denkart so an, wie die nassen Gewänder der Alten (in der Bildhauerei) den Körper durchschimmern ließen.“

Don vielen noch höher geschätzt und geradezu für einen Klassiker der Prosa gehalten wurde damals der heute so gut wie vergessene Johann Lorenz von Mosheim (1694 in Lübeck geboren, als Kanzler der neuen Universität Göttingen 1755 gestorben). Seine Prosa erscheint uns heute glätter, aber auch kälter als Spaldings.

Auch auf den andern Gebieten der nichtdichterischen Literatur hat das 18. Jahrhundert schon in seiner ersten Hälfte die Früchte der Bestrebungen des 17. Jahrhunderts geerntet. Sogar ein für seine Zeit beachtenswerter Geschichtschreiber ist damals möglich gewesen: Johann Jakob Mascov, zu Danzig am 26. November 1689 geboren, in Leipzig am 22. Mai 1761 gestorben. Seine „Geschichte der Teutschen“ in zwei großen Bänden (1726 und 1737) reicht allerdings nur bis zum Anfang der fränkischen Monarchie; sie ist das erste deutsche Geschichtewerk, in dem sich neuzeitliche Auffassung von den geschichtlichen Lebensbedingungen der Völker mit einer kunstvollen Darstellung wirksam vereinigt. Seine Prosa mit ihren mäßig langen Sätzen und ihrer Verbannung prunkender Gelehrsamkeit aus dem Tert in die Belege sichert Mascov in der Entwicklung der deutschen Geschichtschreibung die Stelle eines Bahnbrechers.

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Hatte gegen das Ende des 17. Jahrhunderts die Besprechung gesellschaftlicher und literarischer Zustände sich überwiegend der Versform bedient; war also das, was sich damals Satire nannte, ein Bestandteil der deutschen Dichtung gewesen, so sondert sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Satire als ein besonderer Zweig der Prosa aus und erzeugt eine selbständige Literatur. Die beiden namhaftesten Vertreter der Satire um jene Zeit waren Lis cow und Rabener. Über die Bedeutung dieser beiden ältesten unter den neuzeitlichen Satirenschreibern haben sich schon die Zeitgenossen nicht einigen können. Durch Goethes verwerfendes Urteil: „Wir konnten in seinen (Ciscows) Schriften weiter nichts erkennen, als daß er das Alberne albern gefunden habe, welches uns eine ganz natürliche Sache schien“, hat sich die Wage schon früh zu ungunsten des Ülteren der beiden Satiriker geneigt. Christian Ludwig Liscow, in Mecklenburg am 26. April 1701 geboren, nach einer bewegten Laufbahn, längere Zeit bei verschiedenen Gesandtschaften, am 30. Oktober 1760 gestorben, nimmt für unser geschichtliches Urteil als der älteste deutsche Prosaiker der Satire eine höhere Rangstufe ein als zu Goethes Zeit. Das Alberne albern zu finden, hatte er mit Rabener gemein; vor diesem aber zeichnete er sich gerade durch die Eigenschaften aus, die wir an einem Satiriker auch dann schäßen, wenn uns die Gegenstände der Satire nicht mehr behagen: Beweglichkeit des Stils und treffsichere Schärfe des Ausdrucks. Beide sind in Liscows Satiren unverkennbar. Gegenüber einer gewissen Breitspurigkeit der damaligen Prosa nimmt sich Liscows beflügelte Rede nicht selten wie ein Stilvorbote Lessings aus. Viele seiner Abhandlungen, so die von der „Vortrefflichkeit und Notwendigkeit der elenden Skribenten", oder das „Schreiben eines gelehrten Samojeden über eine gefrorene Fensterscheibe“, liest man noch heute mit wahrem Vergnügen; denn abgesehen von dem gesalzenen und gepfefferten Stil nicht unfeiner Ironie sind auch seine Gegenstände: literarische Sudelei, gelehrte Pedanterei und dergleichen, leider von unsterblicher Gegenwärtigkeit. Man mag Liscow in seinem Verhältnis zu Lessing vergleichen mit dem Schwinger der bebänderten Lanzen im Stiergefecht, der den Gegner nur reizt, während wir in Lessing den kühnen Degenführer erblicken, der den Stier tödlich zwischen die Hörner trifft. Aus Liscows „Beweis der Notwendigkeit der elenden Scribenten“ möge wenigstens ein Pröbchen hier stehen:

Gesetzt es wäre möglich, daß sie (die guten Schreiber) uns (die elenden Skribenten) überlebten, so würde doch die gelehrte Welt wenig Gutes mehr von ihnen haben. Denn wir sind eben diejenigen, welche die finnreichsten und artigsten Schriften, an welchen sich die Welt so sehr belustiget, von ihnen herauslocken. Wo wollten aber so viele stattliche Satiren herkommen, wenn unsere Feinde niemand hätten, über den sie spotten könnten? Und was würde also die kluge Welt nicht an uns verlieren? Es ist wahr, wir können ihr mit guten Schriften nicht aufwarten; aber die Alten haben schon angemerket, daß, obgleich der Esel eben nicht die beste Stimme habe und zur Musik ganz ungeschickt sei, man doch aus seinen Knochen die schönsten Flöten machen könne. Und unsere Schriften, wie elend sie auch find, geben doch Anlaß zu vielen gründlichen Widerlegungen und finnreichen Spottschriften, deren die gelehrte Welt not. wendig entbehren müßte, wenn niemand wäre, der elend und lächerlich schriebe.

Gottlieb Wilhelm Rabener (geboren in Wachau bei Leipzig am 14. September 1714, als höherer Steuerbeamter am 22. März 1771 in Dresden gestorben) wurde von vielen Zeitgenossen für einen mit dem Engländer Swift gleichwertigen Satiriker gehalten. Wer so urteilte, konnte Swift nicht gelesen haben. Der irische Engländer war der Vertreter der giftig-galligen Satire; in der von ihm selbst verfaßten Grabschrift bekennt er, daß die „saeva indignatio, der wütende Unwille, sein Herz zerfleischt habe“. Von irgend welchem wütenden Unwillen über öffentliche Zustände findet sich bei dem wackeren sächsischen Steuerrat keine Spur. Seine Satire schließt absichtlich alle Personen und Stände aus, deren Leben von jeher der Stoff des strafenden Schriftstellers gewesen ist. Seine Auffassung von den Aufgaben des Satirenschreibers hat er in der Abhandlung „Vom Mißbrauche der Satire“ (1751) ausgesprochen:

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Wer den Namen eines Satirenschreibers verdienen will, dessen Herz muß redlich sein. Das Ehrwürdige der Religion muß seine ganze Seele erfüllen. Nach der Religion muß ihm der Chron

des fürsten und das Unsehen der Obern das Heiligste sein. Die Religion und den Fürsten zu beleidigen, ist ihm der schrecklichste Gedanke. Er muß liebreich sein, wenn er bitter ist. Er muß mit einer ernsthaften Vorsicht dasjenige wohl überlegen, was er in einen scherzhaften Vortrag einkleiden will. Weiter kann ein Satiriker die sächsische Gemütlichkeit nicht treiben. Rabeners Ausschließung aller auf Religion, Fürsten und Obern abzielenden Satire bannt ihn in den engen Kreis der sanften Verspottung möglichst farblos und allgemein bezeichneter Übelstände und erinnert an die Stelle in Beaumarchais' figaro, wo die Freiheit der Satire gegen jedermann verkündet wird mit Ausnahme der Obrigkeit, der Kirche, der Politik, der Moral, der Beamten, der Oper und sonstiger Kunstanstalten. Gerade an Rabeners Satire kann man die Erbärmlichkeit des damaligen öffentlichen Lebens beurteilen: wie krähwinklig, wie stumpf war diese ganze angebliche Satire, die sich auf gestaltenlose AUgemeinheiten oder auf kleinstädtischen Klatsch beschränkte! Im wirklichen Leben hat Rabener weit mehr Humor besessen als in seiner satirischen Schriftstellerei. In seinen Briefen z. B. kann er so launig und wißig schreiben wie nur irgend ein Engländer; schon Goethe hatte seine Freude an Rabeners scherzhaftem Brief (vom 12. August 1760) über die Beschießung Dresdens durch die Preußen und die Verbrennung seines eigenen Hauses:

In einem Winkel saßen einige politische Kannengießer und machten für Daunen (Feldmarschall Daun) einen Operationsplan, wurden aber sehr uneinig, weil sie sich über den kleinen Nebenumstand nicht vergleichen konnten, ob sie den König von Preußen mit seiner Armee wollten zu Kriegsgefangenen machen, oder nicht lieber alles über die Klinge springen lassen. Ich war fürs Letztere, aber ich ward überstimmt. Eine Priesterwitwe kriegte mich immer auf die Seite und zischelte mir ins Ohr: Wir sollten Gott danken! nur der lieben Religion wegen schöffe uns der König von Preußen tot und unsere Häuser in Grund. Aber zum Henker, Madame, was haben meine Perucken mit der Religion zu tun? (denn kurz vorher hatte ich erfahren, daß eine dreißigpfündige Granate meinen ganzen Apparatum von Perucken zerschmettert habe). Lassen Sie es gut sein, antwortete sie mir, es wird sich schon geben, danken Sie Gott dafür! Die witzigen Manuskripte, welche sollten nach meinem Tode gedruckt werden, sind zum kräftigen Trofte der Narren künftiger Zeit alle, alle mit verbrannt. Nun verlohnt es beinahe die Mühe nicht, daß ich sterbe, weil nach meinem Tode weiter nichts gedruckt werden kann. Dieser Gedanke hatte mich bisher noch beruhigt, wenn ich, als Autor, an den Tod dachte; aber nun will ich immer leben bleiben und mich in die Welt schicken so gut ich kann.

-

also über

In einem seiner Briefe macht sich Rabener lustig über einen italienischen Maler, „welcher grüne Himmel und blaue Wiesen nach dem neuesten Gusto malet", die ältesten Regungen malerischer „Sezession“.

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Im 17. Jahrhundert hatte die breite Lesermasse Unterhaltung und Belehrung hauptsächlich im Roman gefunden. Wie heißen die belehrenden Unterhaltungsbücher, die man in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland las? Die literarischen Kämpfe zwischen den Mittelpunkten deutscher Literatur über das Wesen der Dichtung, womit ausschließlich die Versdichtung gemeint war, drängten die dichterische Prosa, also den Roman, in den Hintergrund. Wer keinen Geschmack mehr an den Romanen Zieglers, Zesens, Bucholzens und Hofmannswaldaus fand, der war gar übel dran, denn mit Ausnahme eines für vortrefflich gehaltenen Romans von Gellert (vgl. S. 345) gab es kaum ein schmackhaftes Lesefutter für die nichtliterarische Menge. Da kam aus England ein Werk nach Deutschland herüber, das sich die Herzen aller Leser im Sturm eroberte und eine besondere üppig wuchernde Literatur erzeugte: Defoes Robinson. Daniel Defoe (1661 bis 1731), der eigentliche Begründer des englischen Zeitschriftenwesens durch die am 19. februar 1704 erschienene erste Nummer seiner Review, der Verfasser von mehr als zweihundert größeren und kleineren Schriften der allerverschiedensten Art, darunter auch vieler Romane, hatte mit seinem 1719 zum ersten Mal veröffentlichten Robinson Crusoe einen jener Glücksgriffe getan, die nur dem Genius in langen Zeiträumen einmal gelingen. Noch im Jahre des Erscheinens wurden in England vier Auflagen des Robinson nötig. Mit echtdeutscher Nachahmungswut stürzte sich das Heer der „clenden Skribenten“ bei uns sogleich über das wunderbare Werk, schon 1721 erschien eine deutsche Übersetzung, und

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