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dadurch um die deutsche Literatur ebenso groß wie das der Väter italienischer und englischer Sprache und Literatur.

Vergegenwärtigen wir uns den Zustand deutscher Sprache selbst bei den Gebildetsten vor Luther. Niemand hätte zu sagen gewußt, wie man eigentlich schreiben müsse, um gutes Deutsch zu schreiben. Wohl gab es kaiserliche und fürstliche Kanzleien, die sich wenigstens bemühten, sorgfältig zu schreiben, wenn es nicht künstlerisch sein konnte; dagegen mangelte es, im Gegensak zu den andern großen Kulturländern, an einer anerkannten literarischen Musterleistung, die zugleich als sprachliches Vorbild hätte dienen können. Ein trot seinem Lateinernamen sehr deutsch gesinnter Humanist, Agricola, bezeichnete den Sprachzustand seiner Zeit (des 15. Jahrhunderts) treffend mit den Worten: „Unsere Sprache achten wir Deutschen so gar für nichts, daß sie auch fast gefallen ist, und niemand oder gar wenig Leute sind, die deutsch reden können.“ Gegen alle Bücher in deutscher Sprache über die Heilige Schrift, folglich auch gegen deutsche Bibelübersetzungen, also gerade gegen die zur allgemeinen Verbreitung einer edlen Mustersprache geeignetsten Bücher, bestand das Verbot des Kaisers Karls IV. vom Jahre 1369. Dieses Verbot war wiederholt von weltlichen wie geistlichen Behörden eingeschärft worden; so hatte z. B. der Erzbischof Berthold von Mainz 1486 den Druck deutscher Bibelübersetzungen bei Strafe des Kirchenbannes verboten. Wie es mit solchen Verboten zu allen Zeiten gegangen ist, sie wurden nicht beachtet: deutsche Bibelübersetzungen hat es schon vor Luther gegeben, alle aber in so x holprigem, so abschreckendem Deutsch, daß keine zu einem Volksbuch und dadurch zu einem klassischen Sprachmuster werden konnte.

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Um die Bedeutung der Lutherschen Bibelübersehung richtig zu würdigen, müssen wir sie mit den älteren Übersetzungsversuchen vergleichen. Hier eine Stelle aus der zwischen. 1473 und 1475 in Augsburg gedruckten deutschen Bibel eines unbekannten Überseters: Erster Korintherbrief, Kap. 13.

Ob ich red in der czungen der aengel und der menschen, aber ich hab der lieb nit, ich bin gemachet als eyn glockspeis lautent oder als ein schell klingend. Und ob ich hab die weissagung und erkennen alle heymlikat unnd alle kunst, uund ob ich hab allen den gelauben, also das ich uebertrag die baerg, hab ich aber der liebe nit; ich bin nichts. Und ob ich ausztayl alles mein guot in die speys der armen, und ob ich antwurt meinen leyb, also das ich brinne, hab ich aber der liebe nit, es ist mir nichts nutz.

Damit vergleiche man Luthers Übersetzung in ihrer ältesten Form von 1522: Wenn ich mit menschen und mit engel zungen redet, und hette die liebe nicht, so were ich eyn dohnend ertz, odder eyn klingende schelle. Und wenn ich weyssagen kundt, und wußte alle geheymnis, und alle erkenntnis, und hette allen glawben, also, das ich berge versetzete, und hette der liebe nicht, so were ich nichts. Und wenn ich alle meyn habe den armen gebe, und liesz meynen leyb brennen, und hette der liebe nicht, so were myrs nichts nutze.

Worin besteht Luthers große Tat für die deutsche Sprache? Niemals in aller Geschichte hat irgend ein einzelner Mensch eine Sprache geschaffen oder geformt; das hat auch Luther nicht getan. Wohl aber hat er in die echtdeutsche Sprachunordnung der Jahrhunderte nach der mittelhochdeutschen Zeit durch die glückliche Wahl einer schon vor ihm zur Herrschaft berufenen Mund- und Schreibart für das wichtigste Bildungsbuch seines Zeitalters: die deutsche Bibel, endlich Ordnung, Schönheit und sprachlichen Adel gebracht. Nicht durch seine Sendschreiben im Anfange seiner die Kirche umgestaltenden Tätigkeit, sondern erst durch das deutsche Neue Testament von 1522 hat er allen deutschen Zeitgenossen, den Gebildetsten wie dem gemeinen Mann, ein nachahmenswürdiges Musterbuch gegeben.

Die von Luther für seine Bibelübersehung, wie schon vorher für seine Sendbriefe, gewählte Mundart war die mitteldeutsche, genauer: die meißnische oder obersächsische, die schon seit mindestens einem halben Jahrhundert die Kanzleisprache des Kaisers und vieler deutscher Fürsten, in Sonderheit des kursächsischen, geworden war. Daß eine steife, überdies nach deutscher Beamtenart verschnörkelte Kanzlei- und Papiersprache trok mancher guter Eigenschaften sich niemals die Alleinherrschaft als Schriftsprache erobert

hätte ohne ein volkstümliches Buch von so unvergleichlicher Geltung wie die Bibel, das leuchtet ein. Es war nicht nur Luthers Sprachkunst, die seine deutsche Bibel zu dem klassischen Werke der frühzeit neuhochdeutscher Literatur gemacht hat, es war mindestens ebenso sehr die Bedeutung des Buches selbst. Erst hierdurch hat Luther nach Ernst Morik Arndts Wort „die deutsche Sprache für alle Zeit mit dem Stempel der Majestät gestempelt“.

Von jeher hatte Luther das Lateinische, das durch die Humanisten geradezu die Schriftsprache der Gelehrten geworden war, als das größte Hindernis deutscher Sprachveredlung empfunden. Nichts ist so bezeichnend für seine Stellung zu den beiden Sprachen, als daß er auf dem Reichstage zu Worms (1521) auf die zuerst lateinisch, dann deutsch an ihn gestellte Frage des Vertreters des Kaisers zuerst deutsch und dann lateinisch antwortete. Und in seinem Sendbrief vom Dolmetschen sagt er schlicht, aber überzeugend: „Die lateinischen Buchstaben (gemeint ist: Sprache) hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden.“

Über die Einzelheiten der meißnischen Mundart und ihre Umgestaltung durch Luther geben Sonderforschungen Aufschluß. Hier können nur einige der wichtigsten sprachlichen Änderungen des früheren Kanzleisprachgebrauchs angeführt werden, die durch Luther vorgenommen wurden. Durch ihn zuerst und zumeist kam die allgemeine Umwandelung des mittelhochdeutschen langen i in ei, des langen u und iu in au und eu als Regel auf: statt spîse und wise hieß es fortan: speise und weise, statt hûs und liute: haus und leute. Daß in vielen Dingen unsere heutige Sprache von der Lutherschen abweicht, zeigen ja die voraufgegangenen Sprachproben. Trokdem ist der Zusammenhang unserer Sprache mit Luthers durchweg erkennbar; namentlich ist sein Sahbau trok aller Stilwandlungen immer noch für unser Sprachempfinden neudeutsch, und zu feierlicher Rede kann Luther noch heute als Stilmuster gelten. Für die Entwicklung der neuhochdeutschen Literatursprache ist Luthers deutsche Bibel nachweislich das bestimmende Buch gewesen. „Luthers Sprache muß ihrer edlen, fast wunderbaren Reinheit, auch ihres gewaltigen Einflusses halber, für Kern und Grundlage der neuhochdeutschen Sprachniedersehung gehalten werden. Was ihren Geist und Leib genährt, verjüngt, was endlich Blüten neuer Poesie getrieben hat, verdanken wir keinem mehr als Luther“ (Jakob Grimm in der Einleitung zu seiner Grammatik der deutschen Sprache).

Über die von ihm geschriebene Sprache hat Luther, nach der Aufzeichnung seiner Freunde in den „Tischreden“ sich so geäußert:

Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern gebrauche der gemeinen. deutschen Sprache, daß mich beide, Ober- und Niederländer (Ober- und Niederdeutsche) verstehen mögen; ich rede nach der fächsischen Kanzlei, welcher nachfolgen alle fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe schreiben nach der sächsischen und unseres Fürsten (Friedrichs von Kursachsen) Kanzlei; darum ift's auch die gemeinste deutsche Sprache.

Luthers unsterbliches Verdienst ist es, die deutsche Welt gelehrt zu haben, daß die tiefsten und letzten Fragen der Menschheit in dieser gemeinsten, d. h. allgemeinsten, deutschen Sprache behandelt werden können. Durch seine Bibelübersetzung hat Luther selbst die ein Menschenleben hindurch an das Latein als die einzige Schriftsprache gewöhnten Humanisten, wenigstens die bedeutendsten unter ihnen, dazu gezwungen, ihre allerwichtigsten Angelegenheiten in ihrer angeborenen Sprache zu erörtern.

Worin besteht das Geheimnis der Lutherschen Sprache? Vor allem darin, daß sie die Sprache überzeugter Herzensberedsamkeit ist. Langweiliges hat Luther überhaupt nicht geschrieben, so fern uns auch gar viele der von ihm durchgefochtenen Streitfragen liegen. Sein Stil hämmert wie erregter Pulsschlag, heiß geht der Atem seiner Rede. Jean Paul nannte Luthers Prosa „eine halbe Schlacht; wenige Taten gleichen seinen Worten“. Dabei eine kaum je übertroffene Sinnfälligkeit seines Ausdrucks. So wie er hat Bismarck in vielen Reden gesprochen, mit der gleichen Vorliebe für das sichtige Wort gegenüber dem unsichtigen. Man prüfe zum Beispiel darauf Luthers Stelle vom Dolmetschen (S. 205), wo er

Engel, Deutsche Literaturgeschichte. I.

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von der Mutter im Hause, den Kindern auf der Gasse usw. spricht, und stelle sich vor, wie ein heutiger sprachwissenschaftlicher Schriftsteller das ausdrücken würde. Ohne den „Geist der Sprache" und ähnliche philosophische Begriffswörter käme er sicher nicht aus. Mit vollem Bewußtsein hat Luther sich wo nur möglich der saftigen Volksprache bedient; in einem Brief an seinen Freund Spalatin bittet er diesen, doch ja auf die Wörter der Volksprache zu achten, nicht auf die des Heeres und des Hofes. In demselben Geiste geht er in seinen Kirchenliedern gern vom Volksliede aus. Sein frühestes Lied, auf den Märtyrertod zweier kezerischer Augustinermönche zu Brüssel, beginnt ganz wie die alten Volkslieder: „Ein neues Lied wir heben an."

Nicht erst an der Bibelübersetzung hat Luther seine sprachschöpferische Meisterschaft erwiesen. Man lese nur einen Sah in seiner frühen Schrift: „Auslegung des heiligen Vaterunsers" (1518), oder gewisse Stellen in seinen älteren Briefen, um überall auf die trefflichsten Neuschöpfungen zu stoßen. So heißt es in einem Brief an Hartmut von Kronberg (1522): „Es ist ein spottliches, schimpfliches Dräuen, daß man Christum und seine Christen mit dem Tode schreckt, so sie doch Herren und Siegmänner des Todes sind, gleich als wenn ich wollte einen Mann damit schrecken, daß ich ihm sein Roß aufzäume und ihn drauf reiten ließe." So liebliche Wörter wie holdselig, Gottseligkeit, und wie viele andere rühren von Luther her, sind im Neuhochdeutschen vor ihm nicht nachzuweisen. Und dann die Fülle von geflügelten Worten, die bis auf den heutigen Tag aus Luthers Bibelübersehung lebendig geblieben sind. Es ist Luthers Sprache, die wir reden, wenn wir sagen: „Dornen und Disteln, himmelschreiend, Sündflut, Dichten und Trachten, wie Sand am Meer, Linsengericht, Zeichen und Wunder, von Angesicht zu Angesicht, der Mensch lebt nicht vom Brot allein", und so durch alle Bücher seiner Bibel hindurch. An dem letzten Beispiel läßt sich zugleich zeigen, wie unermüdlich Luther an dem besten und knappsten Ausdruck gearbeitet hat. Ihm war die Prosa nicht, wie den meisten Schriftstellern, ein müheloses Naturerzeugnis, etwa wie Atemholen, sondern eine Kunst gleich der Dichtung. Jener Sah lautet in den drei Ausgaben des Neuen Testaments von 1524, 1526, 1545: „Der Mensch wird nicht von dem Brot alleine leben", „Der Mensch wird nicht ernährt vom Brot alleine", „Der Mensch lebet nicht vom Brot alleine." Auch in der Auswahl der Worte ist Luther von Schrift zu Schrift strenger geworden, und immer reiner und deutscher. In den älteren Ausgaben seiner Bibel stehen noch benedeien und firmament; diese werden später durch segnen und Himmel erseßt.

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Eine besondere Vorliebe zeigt Luther für den Anlautreim, dessen dichterische Wirkung ihm wohlbewußt ist: „Lasset Euer Licht leuchten vor den Leuten“ oder: „Sie sind Wolken ohne Wasser, von dem Winde umgetrieben, wilde Wellen des Meeres."

Viele Stellen seiner Bibelübersetzung hat er von Ausgabe zu Ausgabe völlig umgearbeitet und in jedem Falle zum Besseren. Der 73. Psalm lautet in der ersten Ausgabe von 1524 wörtlich nach dem Hebräischen:

Wen hab ich im Himmel, und auf Erden gefällt mir nichts, wenn ich bei dir bin. Mein Fleisch und mein Herz ist verschmacht, Gott ist meines Herzens Hort und mein Teil ewiglich.

Dies wurde in einer späteren Ausgabe geändert in:

Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Wer mit solcher Pflichttreue seine Arbeit tut, der ist nicht ruhmredig, wenn er von sich schreibt (in seinem Sendbrief vom Dolmetschen):

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Ich hab mich dessen geflissen im Dolmetschen, daß ich rein und klar deutsch geben möcht. Und ist uns wohl oft begegnet, daß wir 14 Tage, 3, 4 Wochen haben ein einiges (einziges) Wort gesucht und gefragt, haben's dennoch zuweilen nicht funden. Im Hiob arbeiteten wir also, M. Philipps, Auro. gallus und ich, daß wir in 4 Tagen zuweilen kaum 3 Zeilen konnten fertigen. Lieber, nu es verdeutscht und bereit ist, kann's ein jeder lesen und meistern, läuft einer itzt mit den Augen durch 3 oder 4 Blätter

und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, da er itzt überhin geht wie über ein gehöfelt Brett.

In deutscher Sprache ward nie ein sprachlich folgenreicheres Buch geschrieben als Luthers Bibelübersetzung. Sie hat ganz Deutschland, auch die Gegner der Lutherschen Lehren, gezwungen, seine Sprache zu schreiben. Gutmütig stellt Luther dies selber fest: Sie stehlen mir meine Sprache, davon sie zuvor wenig gewußt; danken mir aber nicht dafür, sondern brauchen sie viel lieber wider mich. Aber ich gönne es ihnen wohl: denn es tut mir doch sanft, daß ich auch meine undankbaren Jünger, dazu meine feinde, hab reden gelehrt.

Und in dem Sendschreiben an die Ratsherren aller Städte deutsches Landes sagt er stolz: „Der Teufel achtet meinen Geist nicht so fast, als meine Sprache und Feder in der Schrift.“ Auch die gebildete deutsche Welt hatte sehr früh die Bedeutung Luthers als Sprachmeisters deutscher Nation vollkommen erkannt. Sein Freund Doktor Justus Jonas rühmte in seiner Leichenrede auf Luther: „Es haben auch die Kanzleien zum Teil von ihm gelernt, recht deutsch schreiben und reden." Und in der Tabulatur der Meistersinger heißt der oberste Sah, wie auf S. 167 zu lesen steht.

Ja noch mehr: erst Luthers Schriftstellerei hat die erste neudeutsche Grammatik möglich gemacht, die von Clajus (1578), deren Titel ausdrücklich besagt: „Grammatica Germanica ex bibliis Lutheri Germanicis et aliis ejus libris collecta" (Deutsche Grammatik nach Luthers deutscher Bibel und seinen andern Büchern zusammengestellt). Diese Grammatik gewann in kurzem solch Ansehen, daß man sie trok dem Titel und vielen kezerischen Beispielen beim Unterricht im Jesuitenkollegium in München zugrunde legte.

Durch Luthers Bibel und andere deutsche Schriften wurde nicht nur Deutschland sprachlich zum ersten Mal wahrhaft geeinigt; es wurde auch verhindert, daß wichtige Ländergebiete mit deutscher Bildung und Gesinnung sich sprachlich ganz von der deutschen Gemeinschaft lösten. Luthers Bibel hat Niederdeutschland die hochdeutsche Schriftsprache aufgezwungen, so daß z. B. in Mecklenburg schon vom Jahre 1548 ab die herzoglichen Erlasse hochdeutsch abgefaßt wurden; die letzte Auflage einer niederdeutschen Bibel stammt aus dem Jahre 1621. Auch Österreich und die Schweiz sind vor dem sprachlichen Abfall von Deutschland nur durch Luthers Bibelübersetzung bewahrt worden. Selbst Zwingli und der Chronikenschreiber Tschudi waren gezwungen, sehr wider Willen und beinahe wider Können in Luthers hochdeutscher Sprache zu schreiben. Ja auch die katholischen Bibelüberseßer, die Luthers Beispiel folgten, haben reichliche Entlehnungen an ihm begangen, so namentlich ein gewisser Hieronymus Emser (1527).

Schon aus dem 16. Jahrhundert liegt eine Reihe begeisterter Lobpreisungen der sprachschöpferischen Bedeutung Luthers vor. In der Vorrede zu seiner - beiläufig lateinisch geschriebenen Grammatik des Deutschen rühmte der erwähnte Johannes Clajus:

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Diese deutsche Sprache brachte ich in diesem Buche in grammatische Regeln, geschöpft aus der Bibel und andern Büchern Luthers, die mir nicht als Schriften eines Menschen, sondern vielmehr als des Heiligen Geistes, der durch einen Menschen geredet hat, erscheinen. Es wäre sonst nicht möglich ge. wesen, daß ein Mensch so rein, so eigentümlich und fein hätte reden können ohne irgendjemands Unleitung und Hilfe, da unsere deutsche Sprache für so schwer und allen grammatischen Regeln widerstrebend gehalten wird.

Und nimmermehr hätte ohne Luthers machtvolles Vorbild Fischart die bei einem Schriftsteller des 16. Jahrhunderts erstaunlichen Säte schreiben können (in der Vorrede zum Ehezuchtbüchlein“):

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Keyn größer zierd mag dem Vatterland widerfaren, dann so man seine Sprach übet und schmucket. Deshalben so laßt uns nit mehr inn zirung des Vatterlands so unachtsam sein, das wir mehr fremde als unsere eygene äcker baueten, und es mit liederlichen Stroen Hüttlin entstellten: sondern lasset unser jeden forthin nach vermögen seiner im verlihenen gaben, neben den Griechischen und Latinischen Pallästen, auch unsere die Zeit her ungeachtete Häuser stattlich aufbauen, ja so viel möglich denselbigen zubauen: so werden wir erfahren, das Gott, der inn allen Sprachen will gelobt sein, auch inn unserer Sprach wird wunder wirken: wie er dann allbereyt mit der Theology hat erwisen, das man dieselbige so deutlich, hell und reyn als inn andern Sprachen mag lesen: kann er das inn eynem, so kann ers auch inn mehrem.

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fine vollständige Sammlung aller durch die Reformation hervorgerufenen Streitschriften, auch nur der bis zum Jahre 1550, gibt es nirgend, nicht einmal in dem gerade auf diesem Gebiet verwirrend reichen Britischen Museum. Man bedenke, daß von Luther allein weit über hundert einzelne gedruckte Streitschriften vorhanden sind, und daß fast jede eine flut von Gegenschriften hervorgerufen hat. Auch abgesehen von den schon im Anfang des 16. Jahrhunderts auftretenden Flugblättern, die sich geradezu als „Zeitungen“ bezeichnen und in der Tat die Anfänge der deutschen Presse darstellen (vgl. S. 248), haben wir in der Unzahl von religiösen und politischen Flugblättern des 16. Jahrhunderts etwas der heutigen Zeitungsliteratur, am meisten dem sogenannten Leitartikel, ganz Ähnliches zu erblicken. Sehr viel davon ist vernichtet, denn man hat sich in beiden Lagern eifrig bemüht, die feindlichen Flugblätter zu verbrennen; doch ist so viel gerettet, um ein Gesamturteil über jene Flugblattliteratur abzugeben. Gerade die Flugschriften des 16. Jahrhunderts offenbaren uns das tägliche Ringen der Geister miteinander, zugleich einen der Hauptgründe für den Sieg der Reformation in so großen Teilen Deutschlands: das Eindringen der Reformationsgedanken in die Volksmasse durch eine massenhafte volkstümliche Literatur.

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Gemeinsam ist jener ganzen flugblätterpresse die ungeheure Grobheit, ja Rohheit der Sprache. Gleichviel, ob in Prosa oder in Versen denn zur größeren Wirkung bediente man sich vielfach der Reimdichtung, oft sogar der knappen dramatischen Form gemäßigte Flugblätter gibt es so gut wie gar nicht. Unbeschränkter Freimut der Rede, meist sehr scharfer und verletzender Wik, völlige Schonungslosigkeit gegenüber dem Feind und keine Spur von Achtung vor irgend welchen Gewalten dieser Erde: das ist der gemeinsame Stempel all jener „fliegenden Blätter", die für wenig Heller in erstaunlichen Mengen über ganz Deutschland verbreitet wurden. Die sich förmlich überbietende Sackgrobheit und Unfläterei im Ausdruck schlägt uns heute auf die Nerven. Es ist die Sprache einer untergegangenen Kulturwelt, der Mammutzeit des deutschen Prosastils. Luthers Sprache, wahrlich auch nicht sehr sanft, erscheint uns im Vergleich mit dem grauenvollen Unflat der übrigen Streitschriften wie ein sanftes Säuseln und eine wahre Erholung.

Zur deutschen Presse gehört ihre Verfolgung durch die Staatsgewalt. Karl V. kann als der erste Gesetzgeber über, d. h. gegen die deutsche Presse, angesehen werden. Auf dem Reichstage zu Augsburg (1530) erließ er, ungefähr in der Art der dreihundert Jahre später gefaßten Karlsbader Beschlüsse“, folgende Verordnung: „Nachdem durch die unordentliche Druckerei bis anher viel Übels entstanden, setzen, ordnen und wollen Wir, daß ein jeder Kurfürst, Fürst und Stand des Reichs, geistlich und weltlich, in allen Druckereien, auch bei allen Buchführern, mit ernstem Fleiß fürsehung thuen, daß hinfürter nichts Neues und sonderlich Schmähschriften, Gemälde oder dergleichen weder öffentlich oder heimlich gedichtet, gedruckt oder feil gehabt werden." Jedenfalls sollten fortan des Druckers Name und Zuname, auch die Stadt des Erscheinens genannt werden, also ganz wie im heutigen deutschen Preßgesetz. Die Erwähnung von „Gemälden“ bezieht sich auf die vielfach mit Holzschnitten ausgestatteten Flugblätter, auf denen natürlich in den allermeisten Fällen jede Spur des Ursprungs fehlte.

Karl V. hatte allen Grund zu seiner Unzufriedenheit mit der Presse, denn gerade gegen ihn richteten sich unzählige flugblätter, meist in einer uns heute ganz ungeheuerlich erscheinenden Sprache. In einer dieser Flugschriften wird er gerade heraus angeredet: „Du grausamer Spaniart oder Fläming!“ Auch mit den andern der Reformation feind

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