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Nürnberger Polizeiverordnungen.

Siebentes Kapitel.
Die Prosa.

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sehungen: Die sieben weisen Meister. Gesta Romanorum.

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über. Eichentals Chronik. Die Limburger Chronik. Nicolaus von Wyles Translationen. Heinrich Stainhoevel. - Der Prosaroman Tristrant und Isalde. — Thomas a Kempis. —Tauler, Seuse und Geiler von Kaisersberg.

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Rulmann Merswin.

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Jedenkt man, daß bis zu Luthers Auftreten die Prosa nur in den seltensten Fällen als eine literarische Form für große Gegenstände angesehen wurde, daß der Vers bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts mit erdrückender Allgewalt in der deutschen Literatur herrschte, so steht man den schriftlichen Zeugnissen einer guten, ja vielfach künstlerischen Prosa aus jenem Zeitraum mit berechtigtem Erstaunen gegenüber. Für Literaturwerke hohen Stils kam die Prosa mit Ausnahme der Predigten kaum ernstlich in Betracht. Wenn wir trotzdem sowohl in Privaturkunden wie in amtlichen Schriftstücken, von literarischen Werken nicht zu reden, einer edlen Prosaform begegnen, so sollte uns auch diese Tatsache das Gerede vom Verfall deutscher Literatur in den Jahrhunderten nach der mittelhochdeutschen Zeit als unbegründet erkennen lassen. Man muß sich nur über die allerdings arg verschnörkelte Rechtschreibung mancher Kanzleien, besonders der kaiserlichen unter Marimilian, hinweglesen, um zu einem wahrhaft reinen deutschen Prosastil schon vor dem Auftreten Luthers zu gelangen.

Als eines der besten Beispiele für den verheißungsvollen Zustand der deutschen Prosa zu jener Zeit kann die Sammlung der städtischen Polizeiverordnungen von Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert dienen, die der verdienstvolle Literarische Verein zu Stuttgart herausgegeben. Hierin herrscht auch eine klare, vernünftige Rechtschreibung, abgesehen von einigen Untugenden, wie der Verdopplung des n, die aber vielleicht aus dem Bestreben hervorgegangen ist, der Aussprache durch die Schrift möglichst nahe zu kommen. Daß jene Sammlung zugleich eine reiche Fundgrube für die Kenntnis des wirklichen Lebens einer deutschen Stadt im Mittelalter darstellt, kann man sich wohl denken. Hier nur zwei kurze Stellen aus Nürnberger Ratsverordnungen des 14. Jahrhunderts, deren erste zugleich ein prächtiges Gegenstück ist zu dem englischen Kernspruch „Mein Haus ist meine Burg":

Swer den andern haimsucht frevelich, daz er im verwundet sein haus, der gibt ze puoze dreizic pfunt hallere (Heller).

Swer aber den wirt oder sein wirtein oder ain ir kint haimsucht, daz er die übele handelte in ir hause mit raufenne oder mit schlahenne oder mit verwunden, der gibt fünfzic pfunt haller ze puoze.

Eine lesbare Prosa findet sich auch in den zahlreichen Chroniken des 15. Jahrhunderts, so z. B. in der über das Konstanzer Konzil (1 41 4— 1 418) von Ulrich von Richental. Die Darstellung der Begebenheiten ist etwas trocken, die Sprache aber von merkwürdiger Reinheit.

Inhaltlich noch viel reizvoller, auch sprachlich reiner ist die berühmte Limburger Chronik, deren Verfasser eine besondere Vorliebe für die Volkslieder seiner Zeit gehegt hat; denn er streut, wo er nur kann, allerlei Liedlein ein, die auf die erzählten Begebenheiten im Schwange waren. Sie erstreckt sich über einen großen Teil des 14. Jahrhunderts und schildert uns namentlich Ereignisse, die für das Leben des Volkes von Wichtigkeit waren, so z. B. das Eindringen der Pest in Deutschland:

Anno 1349 da kam ein großes Sterben in Teutschland. Das ist genannt das große Sterben und das erste. Und sturben an den Drüsen. Und wen das anging, der starb an dem dritten Tag. Und in der Maßen sturben die Leut in den großen Städten zu Cölln, zu Mayntz usw. und also meistlich hundert Menschen, oder in der Maße in den kleinen Städten sturben täglich zwanzig, vierundzwanzig oder dreißig. Das währete in jeglicher Stadt und Land mehr dann ein viertel Jar. Und ssturben zu Limpurg mehr dann 2400 Menschen, ausgenommen Kinder.

Als Unterhaltungsliteratur dienten vornehmlich Übersehungen aus allen irgendwie zugänglichen Sprachen, alten wie neuen. Nicht mehr bloß zur dichterischen Umarbeitung, wie in der mittelhochdeutschen Literaturzeit, bemächtigten sich die deutschen Schriftsteller der fremden Dichtungen; sondern entsprechend dem nüchternen Hange zur Vernüßlichung der Literatur übersetzte man, wie man auch heute überseht: ohne höheres Ziel als das, der wachsenden Lesermenge vergnügliches Lesefutter darzubieten. Man stürzte sich auch nicht mehr so wie im 13. Jahrhundert in die Unkosten der Versübersehung, sondern man versuchte, die fremden Werke einfach in die deutsche Alltagsrede zu übertragen. Jeßt erst drang auch in weitere Leserkreise eine uralte, aus dem Morgenlande stammende Geschichtensammlung: Die sieben weisen Meister, wahrscheinlich indischen, vielleicht auch arabischen Ursprungs, und seit dem 11. Jahrhundert in das byzantinische Griechisch übersekt, aus dem es in mittelalterliches Latein übertragen worden war. Nach der lateinischen Übersetzung wurde jene Rahmensammlung im 15. Jahrhundert in deutsche Prosa übersetzt und zu einem deutschen Lieblingsbuch der höheren wie der mittleren Stände. Die nicht sehr umfangreiche Sammlung enthält, ähnlich der so wesentlich größeren „Tausend und einer Nacht“, allerlei Erzählungen der weisen Meister (Prinzenlehrer), durch deren Eindruck ein unschuldiger Königsohn vom Tode errettet oder, nach dem Willen der einen feindlichen Geschichtenerzählerin: der verleumderischen Stiefmutter, dem Tode ausgeliefert werden soll. Natürlich wird zum Schlusse der tugendhafte Prinz gerettet, die böse Stiefmutter verdientermaßen bestraft.

Eine Geschichtensammlung von gleicher Beliebtheit waren die verdeutschten Gesta Romanorum, ein aus England stammendes Sammelwerk des 14. Jahrhunderts. Unter dem Titel „Gesta Romanorum, das ist der Roemer Tât", wurde es in Deutschland seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts mit wahrer Leidenschaft gelesen und von sehr vielen Umdichtern benutzt. Das zu einem echten Volksbuch des späten Mittelalters gewordene Sammelwerk enthält u. a. eine Geschichte Von dreien suenen und von einem edeln stain: eine der ältesten Quellen der Erzählung von den drei Ringen, die wir heute nur noch aus Lessings Nathan dem Weisen kennen.

Ein Übersetzer von Beruf war Nicolaus von Wyle, Stadtschreiber der Stadt Eßlingen, der um 1479 gestorben ist. Er hat namentlich aus dem Lateinischen der gelehrten Italiener des 15. Jahrhunderts übersetzt, darunter allerlei von Petrarca, von dem Humanisten Enea Silvio, dem Geheimschreiber Marimilians, und von Poggio, auch einiges von dem berüchtigten Aretino; ferner eine Novelle von Boccaccio und die tolle Geschichte des Lukian vom „Goldenen Esel". Wyle war ein Übersetzer, wie wir deren heute noch in Menge haben: seine Translationen oder Tütschungen beweisen eine bessere Kenntnis des Lateinischen als des Deutschen: er überseht ungefähr so, wie noch heut auf manchen Gymnasien aus dem Lateinischen übersetzt wird.

Ein viel gewandterer Übersetzer war Heinrich Stainhoevel (1412—1482), ein Schwabe, der als Arzt zu Eßlingen und zu Um gewirkt hat. Er hat eine Menge berühmter italienischer Dichtungen übersekt, ohne Italienisch zu verstehen: nach lateinischen Bearbeitungen; so Boccaccios berühmte Erzählung von Griseldis nach der lateinischen Umdichtung Petrarcas; ferner die Fabeln des Üsop. Eine früher Stainhoevel zugeschriebene Übersetzung von Boccaccios Dekameron wird ihm in neuerer Zeit abgesprochen und dem Arigo zugeschrieben. Die Einleitung zu diesem ersten deutschen Dekameron lautet:

Hie hebt sich an das puch von seinem meister in greckisch genant Decameron, daz ist cento novelle in welsch und hundert histori oder neue fabel in teutsche, die der hochgelerte poete Johannes Boccaccio ze liebe und fruntschafft schreibet dem fürsten und principe Galeotto. Die in zechen tagen von syben edeln frawen und dreyen jungen mannen zuo einer tötlichen pestilenczischen zeiten gesaget worden.

Auch einige mittelhochdeutsche Versromane wurden um jene Zeit in Prosa umgeschrieben, so z. B. Tristrant und Isalde, eine Prosabearbeitung des Versromans von Eilhart von Oberge, eine gar nicht so üble Erneuerung des damals über 200 Jahre

alten Gedichtes (vgl. S. 121). Die Stelle von der Wirkung des Zaubertrankes lautet in der Prosa des 15. Jahrhunderts:

Als Tristrant des (der plötzlichen Liebe nach dem Zaubertranke) in ym selbs warnam und empfande, schyde er traurig und hart kranck von der frawen, die auch nit minder not het dann er; legten sich beide zu beth ungeessen und ungeredet.

Jedem Leser der Unterhaltungsprosa des 15. Jahrhunderts wird die große Verschiedenheit der sprachlichen Form auffallen. Neben unsagbar steifer Ausdrucksweise, der man sogleich die Papiersprache anhört, begegnen uns recht gewandte und fließende Übersehungen, ähnlich den musterhaften städtischen Verordnungen und andern Urkunden, deren vorhin eine Probe aus Nürnberg mitgeteilt wurde. Es gab eben für die mittelalterliche Prosa kein Muster von so klassischer Geltung, wie die zwei oder drei großen Versromane für die mittelhochdeutsche Zeit. Seine Prosa mußte sich jeder Schriftsteller vom 13. Jahrhundert bis in den Anfang des 16., bis zu dem ersten Klassiker neudeutscher Prosa: Luther, selber schaffen. Bedenkt man, wie man bei jeder Gelegenheit sollte, daß es in Deutschland keine an einem Mittelpunkt beisammen wohnende höhere Gesellschaft gab, die durch gegenseitige Übung und Beurteilung sprachbegründend wirkte: eine für alle andern Kulturstaaten des damaligen Europas selbstverständliche Bildungsstufe, so wird man nicht mitleidig lächeln über die oft mißglückten Versuche deutscher Prosa am Ende des Mittelalters, sondern sich erstaunt freuen der vielen, ganz aus dem eigenen sprachkünstlerischen Gefühl der Schriftsteller geflossenen Leistungen auch auf dem Gebiet einer edlen Prosa.

Zu den Meistern ungebundener Rede gehören fast alle Prediger und Religionsphilosophen der beiden letzten Jahrhunderte des Mittelalters. Von ihrer Aller Meister, Echart, wurde bei der mittelhochdeutschen Literaturzeit gesprochen, weil der größte Teil seiner Schriften schon im 13. Jahrhundert entstanden war. Man mag sie Mystiker, Gottesfreunde oder wie immer nennen, sicher ist, daß sie, außer ihrer hervorragenden Bedeutung für das religiöse Leben der Zeit, zu den Zierden ältester deutscher Prosaliteratur gehören. Man braucht nur hinter einander die Schriften von Eckhart, Tauler, Geiler von Kaisersberg und dann Luther zu lesen, um zu wissen, an welchen Meistern sich der Schöpfer neuhochdeutscher Prosa vornehmlich gebildet hat. Luther übertrifft alle seine geistlichen Vorgänger in der Prosa an Urgewalt des Wortes, an fortreißender Kraft des Gedankens und des Ausdrucks; an Süßigkeit aber der Rede, an innerer Glut bei äußerer maßvoller Ruhe kommt er den Mystikern des 15. Jahrhunderts nicht gleich.

Nicht als Schriftsteller deutscher Sprache, aber wahrscheinlich doch als einer von deutschem Stamm ist der Verfasser des nach der Bibel bis heut in allen christlichen Ländern meistgelesenen Erbauungsbuches zu nennen: der Verfasser der lateinisch geschriebenen Nachfolge Christi, Thomas a Kempis, d. h. Thomas aus Kampen bei Utrecht, oder, wie andere sagen, aus der Gegend bei Köln. Auch weniger erbauungsbedürftige Gemüter werden Thomas' Imitatio Christi mit wahrem Genuß an der edlen form für edle Gedanken lesen. Leibniz schrieb von dem Büchlein: „Selig, wer nach seinem Inhalt lebt und sich nicht damit begnügt, das Buch bloß zu bewundern", und der Franzose Fontenelle meinte in seiner Begeisterung: „Die Nachfolge Christi ist das schönste Buch, das je aus einer Menschenhand kam, denn das Evangelium stammt nicht aus Menschenhänden." Gelebt hat Thomas a Kempis fast das ganze 14. Jahrhundert hindurch.

Ein Zeitgenosse von Thomas war der Begründer der stillen Gemeinde der sogenannten Gottesfreunde: Rulmann Merswin, ein Straßburger Kaufmann, dessen Lebenszeit zwischen die Jahre 1308 und 1382 fällt. Ähnlich wie Meister Eckhart predigte und übte er vollkommene Weltentäußerung, aber ohne Eckharts philosophische Vertiefung. In seine Gottesfreundschaft mischte sich eine gewisse Geheimniskrämerei, von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob sie frommer Glaube oder frommer Betrug war. Er sah Gottes unmittelbare Einmischung überall, und wenn er uns von den überirdischen

Verzückungen des Koches seiner kleinen Sekte erzählt, so rührt er uns mehr, als er uns lächeln macht:

Nuo fil lieban bruedar, nuo sullant ir wissan das es beschach in dieseme nehesten addeventen, eins morgens do die bruder in der kapellan warent und ir terzige mittenander bettethent, do beschach es das der Koch obbe eime hafene mit muose in der küchin bi dem fure sas, und hatte den leffel in der hant, und fas also und was van imme selber kuomen und was virzücket, also das er in diese zit nut (nicht) woste, und do er lange also sas und nut rette und sich ouch nut reggete, so habbe wir ein kleines armes knebelin bi imme in der küchin, und das nam des koches war und rette zuo imme.

Der Koch ist zum Glück nicht tot, sondern nur durch göttliche Einwirkung verzückt, und die Gottesfreunde essen nachher mit besonderer Befriedigung, was ihnen der also begnadete Koch an Speisen bereitet.

Die beiden Klassiker der mystischen Prosa, die bedeutendsten Vorläufer Luthers, auch in der künstlerischen Beherrschung der Sprache, waren Tauler und Geiler von Kaisersberg. Johann Tauler, um 1290 in Straßburg geboren, gehörte dem Dominikanerorden an und war ein Schüler Eckharts, wie Merswin zu Taulers Füßen gesessen hat. Seiner Prosa merkt man den Einfluß Eckharts an: sie zeigt eine ähnliche Innigkeit der Empfindung, freilich nicht denselben Hochflug der Gedanken. Luther, der fleißig Taulers Schriften gelesen, sagte von ihnen, sie enthielten mehr der reinen göttlichen Lehre denn alle Bücher der Schullehrer auf den Universitäten“.

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Aus der ersten Druckausgabe von Taulers Predigten (1498) stehe hier ein Stückchen in buchstäblicher Wiedergabe:

Und wyssset, wenn der arme mensch alsso yn diesem geiagt steet und yn diesem gruntlossen gedrenge und leiden aufwendig und inwendig und dan mit einem unaußsprechlichen seufftzen zu gott dem herren rufft mit einer lauteren stymme, das ist mit eyner sulchenn begerunge das es recht durch die hymel auff dringet und das dan got der herre gegen dem menschen gebaret gleycher weysse.

Neben Tauler ist noch ein anderer Schüler Eckharts zu erwähnen: Heinrich Seuse, mit seinem verlateinerten Namen: Suso, gestorben um 1366, gleichfalls dem Dominikanerorden angehörig. Sein Prosastil ist dem Taulerschen im Sahbau wie im Tonfall so ähnlich, daß man beide kaum unterscheiden kann. Es ist eine musikalische Prosa von einschmeichelnder Gewalt, wie das folgende Stück aus einer seiner Predigten bezeuge:

Owe mich hatte der himmelsch vatter über alle lieplich creatur gezieret, und im selben ze einer zarten minneclichen gemahel userwellet. Nu bin ich im entrunnen. Owe ich han in verlorn. Ich han min eineges userweltez liep verlorn. Owe und owe und minem ellenden herzen iemer we, was han ich getan, was han ich verlorn. Allez daz wunne und froed moht geben, daz ist mir entrunnen. Owe ere. Owe froede. Owe alle trost, wie bin ich din so gar berobet: wan ach und wo sol min trost iemer sin. War sol ich mich keren. Mich hat doch elliu disiu welt gelassen: wan ich min einiges liep han gelassen. Owe und owe daz ich daz ie getet.

Der am meisten Genannte unter den sogenannten Mystikern war Johann Geiler von Kaisersberg, ein Schweizer, zu Schaffhausen 1445 geboren, später als Lehrer der Theologie in Freiburg und in Straßburg, hier auch als Prediger wirksam und daselbst vor Luthers Auftreten verstorben (1510). Er hat eine große Anzahl Predigten hinterlassen, darunter solche, zu deren Tert er Brants Narrenschiff nahm. Mit Luther würde er sich schwerlich verständigt haben, denn noch kurz vor seinem Tode erklärte er es für gefährlich, „die Bibel zu teutsch zu drucken“. Seine Predigten wurden während des 16. Jahrhunderts immer wieder herausgegeben, und sie gehören in der Tat, abgesehen von ihrem Wert als Erbauungsschriften, zu den besten Leistungen der vorlutherischen Prosa.

Aus einer Predigt von Geiler von Kaisersberg:

Wa für war es, das man predig horte, wan man es nit behielte. Dar umb sollen wir sein wie ein fenster, das lafst den sonnenschyn und das liecht durch sich gon; aber schne, regen und hagel lasst es nit hin yn. Aber leider vil seint gleich eim sibi (Sieb), oder eim büttel (Mahlbeutel) und eim sey. thuoch (Seihetuch): da bleiben fliegen und wuost darin, aber das guot laufft als da durch; also das guot an der predig ist von inen verloren, aber was lecherlich ist und spöttig und böß, das behalten

fie, und seint 'gleich ein hündle der edlen, wan man ym etwas guotz beut zeessen, so laufft es etwan einer mucken nach. Von denen seit der weiß (Weise) (Prediger 21): „Eins narren hertz ist wie

ein zerbrochen faß, es behalt kein weyßheit, und ein zerbrochen faß kein wein."

Schlußbetrachtung.

Was war in diesem langen Zeitabschnitt, mit dessen Ausgang wir in das Zeitalter der Reformation hineinkommen, von der deutschen Literatur Neues und Lebenskräftiges geschaffen worden? Ansehnlich mehr, als sich mit dem Begriff eines „Zeitalters des Verfalles" verträgt. Durch den mächtigen Aufschwung aller Gattungen des Volksliedes, das gleich nach dem Aufkommen der Buchdruckerkunst auch als fliegendes Blatt der Literatur einverleibt wurde, waren die Lebensbedingungen für eine edle Kunstlyrik gegeben. — Die Krönung der Tierdichtung durch den meisterlichen niederländischen und niederdeutschen Reineke Vos wurde vorbildlich für die im 16. Jahrhundert immer reicher erblühende meist satirische Tierfabel und für das komische Tierheldengedicht. Dazu das üppige Aufschießen der Schwankerzählung, das im nächsten Jahrhundert zu einem auch später nicht mehr überbotenen Reichtum gelangte. Rechnen wir hierzu den Anfang des komischen Romans, dessen erster bedeutender Versuch: Wittenweilers Ring, nachmals bis in die Einzelheiten, z. B. die drollige Namenschöpfung, nachgebildet wurde, so sehen wir in dieser Zeit nicht des Verfalls, sondern des überganges - die Keime zu einem so reichen Literaturleben, wie nur in irgend einem andern Kulturlande Europas.

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Ja selbst die höhere Prosa, deren Ausbildung am meisten von dem Vorhandensein eines politischen und damit auch eines literarischen Mittelpunktes abhängt, entfaltete sich ohne jede Unterstützung anderer Mächte zur Höhe der Kunstform, die wir an den Meistern unserer spätmittelalterlichen philosophischen und religiösen Prosa bewundern.

So hat es denn jenem vielgeschmähten Zeitalter durchaus nicht an triebfähigen Keimen gefehlt, sondern einzig an dem, dessen Mangel bis tief in das 18. Jahrhundert hinein das Schicksal aller deutscher Literatur bestimmte: an einem geistigen Mittelpunkt, wo Kraft an Kraft erstarken, form an form sich ausbilden konnte.

Eine Betrachtung wie diese werden wir noch mehr als einmal anzustellen haben: das fehlen einer deutschen Hauptstadt, für das 15. Jahrhundert ein Gebrechen, wurde im nächsten Jahrhundert zu einem schweren Unglück.

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