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Endlich ist noch ein Lied auf die Schlacht bei Murten (1476) von Veit Weber aus dem Breisgau zu nennen, der in fünf Gedichten die Kriege der Schweiz mit dem Herzog von Burgund in echtem Volkston besungen hat.

Mehr aber als die freie Kunstlyrik und das volkstümliche Schlachtenlied hat der sogenannte Meistersang die Dichtung vom 14. Jahrhundert bis tief in das 16. hinein beherrscht. Über die Entstehung des Meistersanges herrscht trotz der fast überreichen Sammlungen von Meisterliedern ein gewisses Dunkel. Die Meistersänger selbst haben über den Ursprung ihrer absonderlichen Kunstübung nichts Sicheres gewußt, sondern haben sich mit hübschen, dem Meistersange zu hohen Ehren gereichenden Legenden abgefunden, deren eine zugleich als Probe hier stehe:

In der stumpfen Schoßweiß Hanß Müllers, Schlossers in Straßburg:

Nach solcher Zeit bekant,
fanden sich in Teutschland

Zwölff Meister klug,

Mit fug,

Saßen im Reich

Zu Nürnberg hört eben.

Von welchen Hans Sachs schon,

Gedicht im neuen Chon,

Darin bewehrt,

Erklärt,

Ihr Namen gleich

Und ihren Stand darneben.
Darin sie damals waren fein.
Sie übten sich der Kunst rein
Gemein,

Chäten löblich Thön machen,
Dichten vil schöne Bar,

Ihnen angelegen war

Meister-Gesang,

Mit Klang,

Gantz inniglich

In allen feinen Sachen.

Das Wort Meistersang rührt nicht her von den handwerklichen Meistersingern, kommt vielmehr schon bei den höfischen Minnesängern vor und bedeutete bei ihnen einfach: meisterlichen Gesang. Walter von der Vogelweide spricht von sanges meistern, aber in durchaus anderm Sinne als dem von Meistersingern. Als nach dem Verstummen des ritterlichen Minnesanges die Liederkunst, die ja auch zur Zeit der höfischen Lyrik mehr als einen bürgerlichen Vertreter gefunden, sich nahezu ausschließlich in die Städte und zu den Bürgersleuten flüchtete, blieben die bürgerlichen Dichter und Sänger bei dem alten vornehmen Worte Meister, und ihre zünftige Bezeichnung als Handwerksmeister mochte sie in der Wahl des Wortes für ihre Kunst bestärken. Zwar hatten auch die hösischen Minnesänger ihre Kunst als etwas Erlernbares betrachtet, und Walter von der Vogelweide hat wohl an einen Dichtungslehrer und Sangesmeister gedacht, als er berichtete, daß er „in Österreich singen und sagen gelernt". Immerhin aber hatten die hösischen Dichter des 13. Jahrhunderts die Auffassung, daß man wohl die äußeren Formen der Dichtung sich durch Lehre aneignen könne, daß aber das Wesen der Kunst so drückt es z. B. Konrat von Würzburg aus „nicht erlernt, sondern durch göttliche Gnade verliehen werden müsse." Als die städtischen Handwerksmeister sich der Dichtungskunst bemächtigten, gaben sie ihr auch den Stempel handwerksmäßig zu erlernender und auszuübender Fertigkeit. Das Freieste auf Erden, das Lied, wurde zünftig und mußte sich zünftigem Regelzwange fügen, einer wahren Polizeiordnung der Lyrik, wie sie uns in den „Tabulaturen“ der verschiedenen Meistersingerschulen noch erhalten ist.

Die anfangs freie, in das Belieben der sich berufen glaubenden Handwerksmeister gestellte Dichtung nahm bald auch nach außen den Charakter zünftiger Abgeschlossenheit und wichtigtuender Geheimniskrämerei an, die uns in manchen Förmlichkeiten an die Freimaurerei erinnert. In keiner Aufzeichnung der besonderen Gesetze für den Meistergesang begegnet uns jemals ein Wort über dessen dichterischen Gehalt, vielmehr immer nur Anweisungen für die Innehaltung einer starren, durch ihre Unveränderlichkeit langwetligen form. Zwei alte Hauptquellen sind uns aus dem 16. und 17. Jahrhundert über den Meistersang erhalten: das Büchlein eines Breslauer Meistersingers Puschman aus dem Jahre 1571: „Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesanges“, und eines von Christoph Wagenseil:

„Von der Meistersinger holdseligen Kunst Anfang, fortübung, Nukbarkeiten und Lehrsäßen" (1697). Darin werden die von den Meistersingern hochgehaltenen Märchen über die Entstehung ihrer Kunstgemeinschaft schon unter einem der Ottonen getreulich nacherzählt und die Regeln des Meistersangs zusammengestellt, diese nach echten alten Quellen.

Auf Grund der Berichte Puschmans und Wagenseils, zu denen in neuerer Zeit die Veröffentlichungen von alten Urkunden der Meistersingerschulen selbst gekommen sind, gestaltet sich das Bild des Meistersanges etwa so. Die Meistersinger haben nicht Dichter für alle Welt, sondern nur für ihren geschlossenen Kreis sein wollen. Es galt geradezu als unerlaubt, die Meisterlieder zu drucken, und von Hans Sachs, der sonst alle seine zahllosen Dichtungen zum Druck beförderte, lag bis in das 19. Jahrhundert kein einziger Meistersang gedruckt vor. Zur Begründung fester Singeschulen scheint es erst im 15. Jahrhundert gekommen zu sein, z. B. in Augsburg um 1450, in Straßburg um 1490. Das älteste Regelwerk von Nürnberg, die sogenannte Tabulatur oder der Schulzettel, ist aus dem Jahre 1540. Andere Meistersingerschulen kommen vor in Mainz, Kolmar, Freiburg in Baden, Breslau und weiter hinauf in den Norden bis nach Danzig. Die Bewegung des Meistersanges hat sich vom Süden nach dem Norden vollzogen. In Straßburg hat die Singeschule bis 1781 bestanden, in Ulm gar bis 1839, wo sie sich in den „Liederkranz“ der Stadt auflöste, und als die letzte aller Meistersingerschulen wird die zu Memmingen genannt, die ein allerdings kümmerliches Dasein bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortgefristet hat.

Als Würdenträger der Singeschulen sind uns überliefert: der Büchsenmeister als Schatzverwalter, der Schlüsselmeister, der Merkmeister mit den ihm zur Seite stehenden Merkern, und der Kronmeister, der Hüter des Kranzes, der den preiswürdigen Bewerber krönte. Da Richard Wagner in seinen Meistersingern sich zum Teil wörtlich an Wagenseils Buch hält, so mag über die inneren Einrichtungen der Singeschulen sein Bericht statt des Wagenseilschen hier stehen. Der Lehrbube David erzählt dem Ritter Stolzing von den Stufen, auf denen man zur Würde eines Meisters emporsteigt. Er fragt ihn, ob er ein Schüler, dann ob er ein Schulfreund war, ob ein Singer und ein Dichter; erst dann dürfe er auf die Meisterwürde rechnen. Singer wurde man nach Erlernung von vier Meistertönen, Meister aber erst als Erfinder eines neuen Tones, denn insofern gleicht der Meistersang dem Minnesang, als Gedicht und Weise desselben Künstlers Werk sein mußten.

Was in Richard Wagners Meistersingern der Meister Kothner im ersten Akt dem Ritter Walter aus der Tabulatur vorliest, stimmt genau mit dem Wagenseilschen Bericht und den echten Tabulaturen überein:

Ein jedes Meistergesanges Bar
Stell' ordentlich ein Gemäße dar
Aus unterschiedlichen Gesetzen,
Die Keiner soll verletzen.

Ein Gesetz besteht aus zweenen Stollen,
Die gleiche Melodei haben sollen;
Der Stoll' aus etlicher Vers' Gebänd',
Der Vers hat seinen Reim am End'.
Darauf so folgt der Abgesang,

Der sei auch etlich' Verse lang,
Und hab' sein' besondere Melodei,
Als nicht im Stollen zu finden sei.
Derlei Gemäßes mehre Baren
Soll ein jed' Meisterlied bewahren;
Und wer ein neues Lied gericht',
Das über vier der Sylben nicht
Eingreift in andrer Meister Weis',
Des Lied erwerb' sich Meister-Preis.

Auch wie das Singen vor sich geht, zeigen uns Wagners Meistersinger, der sich wieder treulich nach Wagenseil gerichtet hat. Dem Merker allerdings hat Wagner aus Groll gegen seine kritischen Feinde eine etwas zu gehässige Rolle zugeschrieben, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Vielmehr hat der Merker in den Singeschulen offenbar eine sehr geachtete Stellung eingenommen, denn für Nürnberg berichtet Wagenfeil: „Wann ein Meistersinger mit Tod abgegangen, sind alle Gesellschafter schuldig, ihn zu Grab zu begleiten. Ist aber ein Merker gestorben, so verfügen sich, nachdem der Sarg in das Grab versenket, und ehe er noch mit Erde beschüttet worden, die gesamten Gesellschafter dahin und singen ein Gesellschaft-Lied zu lezten Ehren.“

Von dem Regelwerk über die form der Meistergedichte sei nur herausgehoben, daß kein Vers mehr als 13 Silben haben durfte, - eine Bestimmung, gegen die sich bei allen bekannteren Meistersingern, so auch bei Hans Sachs, zahlreiche Verstöße finden.

Besonders hoch gehalten wurden die vier gekrönten Meistertöne“: von Heinrich Mügling, Heinrich Frauenlob, Regenbogen und Heinrich Marner. Wagenseil nennt 222. Meistertöne mit Namen, jedoch hat es ihrer noch viel mehr gegeben. Welche drolligen. Namen viele geführt, das hat abermals Richard Wagner ohne Übertreibung aus Wagenseils in diesem Punkte zuverlässigen Buche entnommen. Dem entsetzten Ritter von Stolzing, sagt der Lehrbub David eine ganze Reihe von Meistertönen her:

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Der kurzen Liebe, der vergess'ne Ton;
Die Rosmarin, Gelbveiglein-Weis';
Die Regenbogen, die Nachtigall-Weis',
Die englische Zinn-, die Zimtröhren-Weis',
Frisch' Pomeranzen, grün Lindenblüh-Weis”,
Die Frösch', die Kälber, die Stieglitz-Weis',
Die abgeschiedene Vielfraßz-Weis',

Der Lerchen, der Schnecken-, der Beller-Ton,
Die Melissenblümlein-, die Meiran-Weis',
Gelblöwenhaut, treu Pelikan-Weis',
Die buttglänzende Draht-Weis' . . . .

In der Auswahl der von den Meistersingern besungenen Stoffe herrschte eine ziemliche Freiheit. Hatte man sich in den ersten Zeiten zunftmäßiger Kunstübung auf Marienlieder und biblische Stoffe beschränkt, so durfte man späterhin auch von „wahren und ehrbaren weltlichen Begebnissen“ fingen. Selbst balladenartige Meisterlieder kommen vor, auch Schwankstoffe; sogar Tagesbegebenheiten werden behandelt, immer aber unter Innehaltung von Gesäß, Gebänd, Stollen und Abgesang des Bars.

Berüchtigt, besonders durch Wagners Meistersinger und den Merker Beckmesser darin, ist die schon erwähnte Tabulatur: das Lehrgebäude der Strafgesetze der Singeschulen. Es sind uns deren einige urkundlich überkommen, so die von Nürnberg, von Kolmar und Breslau. Ein vollständiges Verzeichnis der im Strafgesetzbuch des Meistersanges verzeichneten 32 Fehler findet sich bei Wagenseil auf Grund der Nürnberger Tabulatur von 1540. Wörtlich sei daraus als Muster angeführt der Straffak 13 von der „Unredbarkeit“: XIII. Unredbar ist ein Fehler und wird begangen, wann man anderst bindet, als man zu reden pflegt. 3. B.:

Der Vatter mein

Ist fromm und fein;

Die Mutter gut
Mir gütlich thut.

Man sagt nit: der Vatter mein; sondern: mein Vater; auch nit: die Mutter gut; sondern die gute Mutter.— Ein Unredbar-Wort wird für eine Sylbe gestrafft.

Hierin haben wir ein Beispiel für die handwerksmäßige Auffassung von dichterischer Sprache, denn „Vater mein“ und „Mutter gut" waren auch damals, wie die besten Volkslieder beweisen, lebendige Dichtersprache. Im übrigen aber verdient die Tabulatur keineswegs die Lächerlichkeit, die ihr durch Beckmessers zornige Rede gegen den Schluß des ersten Aktes der Meistersinger von Wagner anhaftet. Mit Ausnahme jenes Beispiels der „Unredbarkeit“ find fast alle fehler der Nürnberger Tabulatur wirkliche Verstöße gegen dichterischen Sprachgebrauch: das falsche Gebände, das Laster, die Klebsilben, die Schrollen, der falsche Utem usw. Nur mit Genugtuung liest man bei Wagenseil als obersten Fehler: „Ein Fehler ist, wann etwas nicht nach der hochdeutschen Sprache gedichtet und gesungen wird, wie solche in Doktor Martin Luthers deutscher Übersetzung der Bibel befindlich und in der Fürsten und Herren Kanzleien üblich und gebräuchlich ist." Hier haben wir einen Beweis für den redlichen Willen der Meistersinger zu einer deutschen allgemeingültigen Schriftsprache.

Der gute Wille der Meistersinger muß uns allerdings durchweg entschädigen für ihr sehr geringes Können. Sie sind überhaupt niemals zur Erkenntnis des Wesens wahrer

Dichtung durchgedrungen, sondern sind im Zunftmäßigen und Regelrechten verdumpft und erstarrt. Merkwürdig wird es immer bleiben, daß von all den wackeren Handwerksmeistern, die doch inmitten des tätigen Lebens blühender Gemeinwesen standen, nicht ein einziger einen volkstümlichen, aus dem Herzen kommenden Dichterton angeschlagen hat unter all den Hunderten von besonderen Meistertönen. Gerade jene Männer des Volkes haben sich vom Volksliede noch viel weiter entfernt, als die ritterlichen Minnesänger. Aus der ganzen Meistersingerei ist uns nicht ein einziges sangbares Lied erhalten. Nahezu alles, was jene biedern Gevatter Tischler, Schuster und Schneider gedichtet haben, ist bis zur Unerträglichkeit hölzern, ledern und steifleinen, und man gerät in die ärgste Verlegenheit um eine des Abschreibens und Abdruckens werte Probe.

„Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!" so läßt Richard Wagner seinen Hans Sachs zu dem preisgekrönten, sich gegen den Titel Meister wehrenden Ritter Stolzing sprechen. Verachten auch wir sie nicht trok der Unfruchtbarkeit ihrer dichterischen Bemühungen, sondern halten wir uns vor Augen, daß die Meistersinger es X gewesen find, die, zwar mit engem zünftlerischen Blick, doch Jahrhunderte hindurch in dem ehrenfesten deutschen Bürgerstande die Hochachtung vor der Dicht- und Sangeskunst gepflegt haben. Der Meistersang war der Idealismus des sonst so nahe der Erde bleibenden, ganz auf das Nützliche gerichteten Bürgerstandes. Und wenn sie auch selbst nichts Bleibendes hervorgebracht haben, so wird ihr Name nicht verwehen, denn sie haben durch ihr künstlerisch beflissenes Treiben einem der großen echten Meister des Gesanges, Richard Wagner, Anregung, Stoff und Titel zu einem der schönsten und deutschesten Kunstwerke gegeben.

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Diertes Kapitel.
Reineke Fuchs.

aum durchdringbares Dunkel hüllt wie die meisten andern Gattungen mittelalterlicher Dichtung auch den Ursprung des über ganz Mitteleuropa verbreiteten Tierepos ein. Man hat ihn bis in die urgermanischen Zeiten zurückverlegt, oder wohl gar bis in eine angeblich indogermanische Völkergemeinschaft, und in den Anfängen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit altdeutscher Literatur nahm man an, Tiersage und Tierepos seien auf deutschem Boden zuerst entstanden. Jakob Grimm hat diese Unsicht lange verteidigt, doch hat sie heute keine wissenschaftliche Geltung mehr. Überall, wo uns die Tierfabel, später das Tierepos entgegentritt, sehen wir Kunstdichtung, ja Gelehrtenwerk. Erwägt man, daß fast alle sich mit den Tieren beschäftigende Literatur als sittliche Zweckdichtung erscheint, daß die Verfasser der ältesten Tierfabeln, in Indien wie in Griechenland, ihre Tiergeschichten immer mit einem belehrenden Seitenblick auf die eigentlich gemeinten Menschen erzählen, so hält es schwer, an eine in den Ursprüngen volkstümliche Tiersage zu glauben. In allen neueuropäischen Ländern sehen wir Geistliche als Verfasser der ältesten Tiergeschichten; schwerlich aber war die Erfindung ihr Werk, denn schon im indischen Tierfabelwerk Pantschatantra kommen manche der zweitausend Jahre später in Europa von Buch zu Buch nachgeschriebenen Lehrgedichte von Tieren vor, nur daß an der Stelle des Fuchses in dem indischen Sammelwerk der Schakal steht.

Die älteste Tiergeschichte aus christlicher Zeit, eine vom Fuchs, der ein Hirschenherz gefressen hat und den Tierkönig frech anlügt, der Hirsch habe gar kein Herz besessen, findet sich schon im 7. Jahrhundert bei dem Geschichtschreiber Fredegar. Üsops fabeln hatten ebenfalls sehr früh Aufnahme in Deutschland gefunden: Paulus Diaconus hatte sie im 8. Jahrhundert lateinisch bearbeitet und erweitert. Eine Geschichte von der Errettung des Löwen aus schwerer Krankheit durch den listigen Fuchs, der als Heilmittel das dem Wolf über die Ohren gezogene fell empfiehlt, wurde in Deutschland schon im 9. Jahrhundert von mönchischen Schriftstellern lateinisch erzählt.

Das älteste größere Tiergedicht ist eine unter dem Titel Ecbasis cujusdam captivi in zwei Brüsseler Handschriften bewahrte Geschichte in 1229 Herametern mit Binnenreim aus dem 10. Jahrhundert, wahrscheinlich aus dem Jahre 940. Jakob Grimm hat die Handschriften entdeckt und 1838 zuerst herausgegeben. Der Titel besagt auf deutsch: „Entweichung eines Gefangenen“, und das Gedicht enthält die Geschichte eines wegen allzu strenger Klosterzucht aus Sankt Aper bei Toul in Lothringen entflohenen jungen Mönchleins, das durch seine Dichtung den Abt versöhnen wollte. Der Mönch muß eine ziemliche Lateinbelesenheit besessen haben, denn er benutzt bedenkenlos Horazische, Ovidische, Virgilische Verse, um sein Gedicht zu verzieren. Das Werkchen besteht zunächst aus einem Rahmen: der Schilderung der Flucht eines Kälbchens aus dem Stall in den Wald, wo es vom Wolf empfangen und zum Tode bestimmt wird. Otter und Igel, des Wolfes Diener, bringen ihrem Herrn die Abendmahlzeit; der Hirt erscheint, um das Kalb zu retten; der Fuchs kommt und lockt mit arger List den Wolf aus seiner Burg; der Stier tötet den Wolf, und das gerettete Kälbchen kehrt reumütig in den Stall zurück, wie das Mönchlein in seine Klosterzelle. In jenem Rahmen werden nun vier Tiergeschichten erzählt: vom Löwen, vom Fuchs, von dessen Gegner dem Wolf, von der Rache des fuchses an seinen Feinden, besonders am Wolf, offenbar nach älteren, dem mönchischen Verfasser wohlbekannten lateinischen Quellen.

Um 1150 hat ein flandrischer Magister Nivardus eine Tierdichtung, gleichfalls in lateinischer Sprache, verfaßt, die später nach einem der Haupthelden Ysengrinus genannt wurde, eine trok dem Spätlatein sehr muntere, geistreiche Geschichte. Darin kommt schon der Name Reinardus vor, der aus dem deutschen Worte Reginhart (ratskundig, listenreich) umgebildet war. Das Werkchen besteht aus 344 lateinischen Distichen und erzählt zwei Tiergeschichten.

Zumteil nach Üsopischen Fabeln, zumteil nach jenem flandrischen, also deutschfranzösischen Ysengrinus, wohl auch nach unbekannten andern Quellen, entstand dann der in verschiedene Dichtungsäste (die sogenannten Branches) sich verzweigende französische Tierroman: Li Romans de Renart. Daß es sich aber nicht um eine ursprünglich französische Dichtung handelt, lehren uns die meist deutschen Tiernamen darin.

Nach einer der französischen Branches von Renart hat ein deutscher Umdichter gegen Ende des 12. Jahrhunderts ein fuchsgedicht verfaßt: der mit dem Namen Heinrich der Glichezaere genannte, sonst aber ganz unbekannte Verfasser des Gedichtes ? Isengrines not. Das Gedicht war nur ein Bruchstück und wurde von einem späteren Bearbeiter ergänzt. Nicht unmöglich, daß der Glichezaere den Titel mit einer Anspielung auf der Nibelungen Not gewählt hat. Der deutsche Umdichter, dessen Beiname vielleicht „Gleisner“, das heißt einen sich verstellenden Menschen bedeutet, hat sich so treu an seine französische Vorlage gehalten, daß er selbst offenbar deutsche Namen in der französischen form übernahm, z. B. Bernart statt des deutschen Bernhart. Die Handschrift seiner Dichtung befindet sich in der Landesbibliothek zu Kassel.

Das Gedicht fand in der hösischen Leserwelt wenig Beifall: es war zu volkstümlich, also zu niedrig. Unwillkürlich denkt man an Ludwig XIV. und seinen Hof, die Lafontaines Tierfabeln aus einem ähnlichen Grunde verachteten. Des Glichezaeres Dichtung besteht aus einzelnen Tiergeschichten ohne rechten Zusammenhang; dieser wurde erst viel später von einem geschickteren Dichter geschaffen.

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Als Probe stehe hier die Stelle, wo Reinhart dem König sein Heilmittel kundtut:

Ob ir ein alten wolf mügt vinden,

Den sült ir heizen schinden;

Ouch müezet ir eins bern hut han.“

Der künec sprach: „Daz si der kapelan (der

,,Damit geneset ir, herre guot.

Kater)!"

Uz einer katzen einen huot
Müezet ir han ze aller not,
Oder ez waere, weizgot, iuwer tot."

Der künec hiez do her für gan

Isengrünen unt sin kapelan;

Er sprach:,,Ir sult mir iuwer hiute geben.."

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