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Einleitung.

1. Vom Wesen der deutschen Literatur.

O heilig Herz der Völker, o Vaterland!

(Hölderlin.)

Die deutsche Literatur ist die erste unter den Literaturen der Völker. Diesen Sah an die Spitze eines Buches zu sehen, treibt nicht blinder oder einseitiger Stolz auf die deutsche Literatur als die vaterländische, sondern er ist das abgewogene Ergebnis vergleichender Betrachtung der Literaturen in der Menschheitgeschichte. Noch ist die Überzeugung von dem überragenden Werte der deutschen Literatur nicht einmal in ihrem Vaterlande fest begründet; und von den drei oder vier neben ihr blühenden großen Literaturen, der englischen, französischen, italienischen, auch der spanischen, wird jede der deutschen den Rang streitig machen wollen. Indessen Säße wie der erste auf dieser Seite entziehen sich dem strengen Beweise; sie werden als frucht einer tiefen Empfindung ausgesprochen und erwarten ihre Bestätigung von der geläuterten Kunstanschauung der Zukunft.

Die Überzeugung vom Vorrange deutscher Dichtung schließt kein ungerechtes Übersehen der unvergänglichen Schäße fremder Literaturen ein. Gerade in Deutschland, dessen Schriftentum von Jahrhundert zu Jahrhundert die stärksten und folgenreichsten Anstöße vom Ausland empfangen hat, weiß man nach ihrem vollen Werte zu schätzen die Formensicherheit und Klarheit der französischen, die Freiheit und Herzenstiefe der englischen Literatur, die schwungvolle Begeisterung und Heiterkeit der italienischen, die Glut und Würde der spanischen Dichtung. Ja selbst kleineren eigenwüchsigen Literaturen wie der norwegischen oder einer so jungen wie der aufstrebenden russischen bringt die an geistige Verarbeitung jedes fremden Stoffes von jeher gewöhnte deutsche Literaturseele Verständnis und Liebe, oft bis zur Überschätzung, willig entgegen. Dennoch sei es wiederholt: die deutsche Literatur ist die erste unter den Völkern. Sie ist es nicht allein durch ihre Vorzüge, auch scheinbare Mängel müssen dazu beitragen. Der größte dieser Mängel war von jeher die Lauheit des vaterländischen Gefühls. Die deutsche Literatur ist unter den führenden die einzige, für die man sorgsame Forschungen - anstellen muß, um für die älteren Zeiten Spuren von bewußt nationalem Dichtergeiste zu entdecken. In dem ältesten französischen Heldensange von Roland denkt der sterbende Leffe des Kaisers Karl an das „füße Frankreich"; wir müssen beinah zwei Jahrhunderte weiter schreiten, ehe wir auf Walters von der Vogelweide Lied zur Verherrlichung Deutschlands treffen. Und wie lange hat es gedauert, bis es deutschen Kaisern und Fürsten als eine selbstverständliche Ehrenpflicht erschien, deutsche Dichtung zu fördern, ja nur sich an ihr zu erfreuen, wie die Machthaber Frankreichs, Englands, Italiens und Spaniens zu allen Zeiten getan. Sind doch die deutschen Fürsten erst seit wenigen Menschenaltern auf die Höhe des deutschen Gedankens gekommen, auf der sie auch die deutsche Literatur zu den idealen Reichskleinodien zählen.

Von jeher hat die deutsche Literatur sich frei gemacht von den nationalen Schranken, die selbst für die räumlich weltumspannende englische Literatur gezogen sind. Auf die entscheidende Frage, die an jede große Literatur zu richten ist: wieviel allgemein Menschliches birgst du? wird die deutsche vor allen mit dem sichern Selbstbewußtsein antworten können, das aus ihrer inneren Schrankenlosigkeit erwächst. Es gibt Rangstufen in dieser allgemeinen Menschlichkeit der Literaturen: vielleicht wird ein hochgebildeter Engländer zugeben, daß der Faust ein größeres Stück Menschheitseele enthalte als selbst der Hamlet, und ein seinen Dante noch so sehr bewundernder Italiener sollte die Göttliche Komödie nicht über Goethes Menschheitdrama zu stellen wagen.

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Die englische Literatur rühmt sich mit vollem Rechte des mächtigen Freiheithauches, der sie durchweht, wie er des englischen Volkes bürgerliche Lebensluft ist. Die deutsche politische Prosa besitzt weder eine „Magna Charta“ noch eine „forderung der Volksrechte“, wie die englische; an innerer Freiheit jedoch überbietet sie jede Literatur der Erde. Sie waltet schrankenlos in den ungemessenen Reichen des Empfindens und des Denkens; keinem deutschen Dichter wurde es je als unsühnbares Verbrechen angerechnet, daß er der glühenden Liebesleidenschaft den glühendsten Ausdruck lieh; in England gilt Lord Byron wegen seines Don Juan bis heute für verfehmt, -an Goethes Römischen Elegien nimmt nur eine unliterarische Minderheit in Deutschland schweren Anstoß. Und in welcher andern Literatur ist die germanische Freiheit zu finden, die das grenzenlose Forschen nach den letzten, geheimnisvollsten Welträtseln gestattet, geriete es dabei in noch so schneidenden Gegensatz zu frommen Überlieferungen. Nur ein deutscher Dichter, Storm, konnte schreiben: „Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust Der sprengt die Pforten der Hölle.“ In England schließt der religiöse Zweifel die Zugehörigkeit zur besten Gesellschaft aus; bei den Franzosen nimmt er sogleich die form des Hohnes an; man braucht nur an Lessings Demut in Zweifeln gegenüber Voltaires frechem Spott zu denken, um sich der tiefen Kluft zwischen deutscher Freiheit und französischer Zügellosigkeit in der Gedankenliteratur bewußt zu werden.

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Hierzu gehört die geschichtliche Tatsache, daß es in Deutschland zu keiner Zeit eine nennenswerte Höfdichtung gegeben hat, auch nicht die sogenannte höfische der mittelhochdeutschen Zeit. Zum Bediententum fehlt der deutschen Dichtung durchaus das Zeug. Wo sich einmal, ganz vereinzelt, so etwas wie eine Hofpoesie auftat, am Hof einiger fächsischer Kurfürsten im 18. Jahrhundert, da wurde sie mit dem Fluch der Erbärmlichkeit und Lächerlichkeit geschlagen. Kein einziger deutscher Fürst hat je einen tiefergehenden höfischen Einfluß auf das innere Leben deutscher Dichtung zu üben vermocht; nicht Friedrich der Große, der es nicht gewollt, aber auch nicht Karl August von Weimar, der seinen Dichtern nur die bequeme Stätte ihrer unabhängigen Schöpfungstaten darbot.

was

Und mit welchem Ungestüm vollziehen sich in Deutschland alle großen Umwälzungen der Literatur! Man erzählt uns allerhand spaßige Geschichtchen von der Art, wie sich in Frankreich vor achtzig Jahren die romantische Bewegung durchzusehen unternahm; war jener Froschmäusekrieg, auf den schon Goethe von der Höhe der längst vollzogenen „literarischen Revolution“ in Deutschland gleichmütig hinabschaute, gegen unfern Sturm und Drang ein halbes Jahrhundert zuvor! Wobei immer zu bedenken ist, daß alle Umwälzungen der französischen, aber auch der englischen Literatur nur Pariser und Londoner Vorgänge sind, während in Deutschland zu allen Zeiten jede große literarische Bewegung die ganze schreibende Welt ergriffen hat, sei's zur Nachahmung oder zum Widerspruch.

Bis in die Dichtungsformen bricht sich die deutsche Literaturfreiheit ihre schrankenlosen Bahnen. Wir sind das einzige Volk, dem jede form zu Gebote steht, beinah bis zum Mißbrauch. Wie armselig ist gegen die deutsche Überfülle der den französischen Dichtern offen stehende formenschah. Schon daß die französische Poesie keine andern als gereimte Verse zuläßt, ist eine Fesselung der dichterischen Freiheit, die von deutschen Dichtern nie geduldet worden wäre. Nicht einmal zur Zeit der ärgsten Literaturknechtschaft französischen Ursprungs, in dem Jahrhundert von Opitz bis zu Gottsched, hat sich die deutsche Versdichtung durchweg unter das Joch gebogen, das verblendete Nichtdichter dem freien deutschen Lied auflegen wollten. In Frankreich dagegen wagt bis zum heutigen Tage kein namhafter Dichter sich auch nur gegen das sinnlose, dreihundert Jahre alte Verbot des Hiatus aufzulehnen, kraft dessen in keinem französischen Gedichte Tu es, tu as oder tu aimes gesagt werden darf. - Aber auch die englische Dichtung erscheint mit ihren Formen kümmerlich gegen den verschwenderischen Reichtum der deutschen, wenn wir uns erinnern, daß bei uns nicht nur möglich sind, sondern in bleibend wertvollen Gedichten vorkommen: die Nibelungenstrophe, der Hildebrandston, der Herameter und das klassische Distichon, neudeutsche Stabreime, sämtliche antike Odenmaße,

alle italienischen Strophenformen bis zu der schwierigen der Terzine, die Gaselen und die Makamen der Morgenländer, die Anapäste der aristophanischen Parabasen, die Assonanzen der Spanier, die jambischen Streckverse des neugriechischen Volksliedes, die Slokas der alten Inder, dazu das einzige absonderlich englische Versmaß der Spenserstanze, womit die Reihe der möglichen und fast unmöglichen deutschen Dichtungsformen noch lange nicht zu Ende ist. Und innerhalb der einzelnen form, die für die anderen Literaturen unverbrüchlich ist, wieviel anmutvolle Freiheit, aber immer noch in den Schranken der Kunst, nimmt sich der deutsche Dichter. Man denke nur an das freie Spiel zwischen Hebung und Senkung im Nibelungenverse, oder an die Umgestaltung der italienischen Stanze in Wielands Oberon mit ihrer Freiheit der Silbenzahl und Reimstellung.

Eine ganz so große Zahl deutschsprechender Menschen steht nicht hinter der deutschen Literatur wie englischredender hinter der englischen; außer dieser gibt es unter den führenden keine zweite, die von einer größeren Lesergemeinschaft als der deutschen verstanden wird. Zu hundert Millionen Menschen sprechen Leffing, Goethe, Schiller, wenn wir als deutsches Vaterland der Literatur ansehen, soweit die deutsche Zunge klingt, also auch die schweizerischen, ungarischen, baltischen und amerikanischen Deutschen zu denen im Reich und in Österreich hinzurechnen.

Schon Lessing hatte einen der Grundzüge deutscher Dichtung bei ihrer Vergleichung mit der französischen und englischen richtig erkannt; in seinem 17. Literaturbrief steht die berühmte Stelle: Gottsched hätte aus unsern alten dramatischen Stücken hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte." Heldische Größe bezeichnet das Wesen der ältesten erhaltenen deutschen Dichtungen, des Hildebrandliedes, des Nibelungenliedes und der Gudrun. Dieser Größe haben weder die Italiener, trotz ihrem erhabenen Dante, noch die Franzosen trotz ihrer sehr germanischen Chanson de Roland etwas an die Seite zu sehen, und die Engländer nur den einen Shakespeare. Das deutsche Drama aber hat seit dem 18. Jahrhundert wieder angeknüpft an die alte Heldendichtung, und im 19. Jahrhundert hat Friedrich Hebbel sich als einen würdigen Nachfahren des Dichters der Nibelungen erwiesen.

Etwas so Gewaltiges wie ein großes Volk und seine Dichtung läßt sich nicht mit einem oder mit einigen Schlagworten in seinem Wesenskern umschreiben, am wenigsten das deutsche Volk, dieser nach innen gekehrte, sich selbst rätselhafte Riese. Nur einige durch die Jahrhunderte erprobte Haupteigenschaften deutscher Literatur können hier angedeutet werden. „Nicht Hermann und Wodan sind die Nationalgötter der Deutschen, sondern die Kunst und die Wissenschaft", so heißt einer der besten Aussprüche von Friedrich Schlegel. Ein unverkennbarer Zug geht durch die jezt mehr als tausend Jahre deutscher Dichtung: der zum Jdealen. Im politischen Leben wird er zur Heldenverehrung seit den Tagen, als nach des Tacitus Bericht die Heldenlieder von Arminius gesungen wurden, bis zu der Sage von Barbarossa im Kyffhäuser und zu der, ihnen nicht ganz leicht gemachten, Verehrung der deutschen Schriftsteller für den Gönner der französischen Literatur Friedrich den Großen und über diesen hinaus bis zum Zeitalter Wilhelms I., Bismarcks und Moltkes. In der Literatur äußert sich diese Grundeigenschaft der Deutschen als das Streben hoch hinaus über die gemeine Deutlichkeit der Dinge, in jene Welt die sich nie und nirgends hat begeben, als die Befreiung von dem uns alle bändigenden Gemeinen, immer aber als der Zug nach oben, und müßte er in die blaue Unwirklichkeit führen. Diese Leidenschaft zum Idealen, sie vor allem andern hat die deutsche Dichtung über die Völker erhöht; erlösche sie jemals, so hörte Deutschland auf, eine Führerin der Menschheit zu ihren höchsten Zielen zu sein, auch wenn es an äußerer Macht und Reichtumsfülle sich mit den größten Gewaltstaaten der Weltgeschichte messen könnte.

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Aus der nachfolgenden Darstellung wird der Leser wenigstens eines erfahren: die beinah

verwirrende Vielseitigkeit der deutschen Literatur. Wie heißt das der künstlerischen Rede in gebundener oder ungebundener Form überhaupt zugängliche Gebiet menschlichen Fühlens und Denkens, auf dem nicht ein hervorragendes deutsches Werk den Wettstreit mit dem irgendeines andern Literaturvolkes wagen darf? Auf der französischen, auf der englischen Harfe fehlt so manche Saite, auf der deutsche Meister seit Jahrhunderten gespielt haben. Schon für die Dichtung des Mittelalters hat Uhland den Sak aufgestellt: „Sie ist, in Vergleichung mit dem poetischen Vorrat der übrigen europäischen Völker, dem Umfange nach unstreitig die reichste.“ Um wieviel reicher ist die deutsche Literatur seit dem 12. und 13. Jahrhundert geworden, von denen Uhland spricht! Kaum darf man für die deutsche Dichtung das Übergewicht irgendeines einzelnen Stoffgebietes behaupten. Damit vergleiche man das Vorwalten der sinnlich-geschlechtlichen Literatur in Frankreich vor jeder andern, den Vorrang der schwunglosen Gottseligkeit in England. Wir bescheiden uns gern, auf diesen beiden für die größte Dichtung nicht mitzählenden Gebieten zurückzustehen, und trösten uns mit Schillers Versen: Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit: Beides gelang dir, doch nie glückte der gallische Sprung.

Weniger als irgendeine andere ist die deutsche Literatur in ihrer Entwicklung abhängig gewesen von der politischen Gestaltung des Vaterlandes. Man denke nur an den Gipfel, den sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstiegen hat, wahrlich mit geringer Beflügelung durch die deutsche Politik. „Tatenarm und gedankenvoll“ nannte Hölderlin um jene Zeit das deutsche Volk, und auch eine tatenreichere Zeit hat das innerste Wesen deutscher Dichtung nicht gewandelt. Sie ist in all ihren bleibenden Schöpfungen eine Poesie des innern Menschen. Bei den größten deutschen Dichtern hat man das Gefühl, daß sie sich mit ihren Werken gar nicht an Leser oder Hörer wenden, sondern daß ihre Dichterseele Selbstgespräche führt. Daher der Mangel an Beredsamkeit in der deutschen Dichtung, im schärfsten Gegensah gegen alle romanischen Literaturen, aber selbst gegen die englische. Wo immer in der deutschen Dichtung deklamiert wird, bloß deklamiert, da gibt es sicherlich keine echte Poesie, wogegen kaum ein einziges großes französisches Werk genannt werden kann, in dem nicht die Beredsamkeit vortönt.

Die Verinnerlichung als einen der Hauptzüge deutscher Dichtung gewahren wir schon im Jahrhundert der ersten Nachahmung französischer Literatur. Man denke nur an Gotfrids von Straßburg Tristan und Isolde, an Wolframs von Eschenbach Parzival: aus französischen Abenteuerromanen zubloßer Unterhaltung haben sie zwei der seelenvollsten deutschen Schöpfungen gemacht. Wer die französischen Vorbilder und die deutschen Umdichtungen nacheinander liest, der hört die beiden deutschen Sänger des 12. Jahrhunderts fich fragen: Was haben denn all diese bunten Abenteuer, diese wilden Mären innerlich zu bedeuten?

Ein hervorragender französischer Völkerpsychologe der Gegenwart, fouillée, hat in einem Werk über den Charakter seiner Volksgenossen einen der Grundunterschiede zwischen der Art der Menschenbildnerei in der französischen und der germanischen Dichtung darin gefunden, daß bei den französischen Dichtern die Menschen fertig sind und stillstehen, bei den germanischen sich immerfort entwickeln. Man braucht nur an Hamlet zu erinnern, und nun gar an Kriemhild und Faust, der ja nichts ist als die sich grenzenlos entwickelnde Menschheit. Dazu nehme man die deutschen Dichter selbst, deren 'größte durch die Ausgestaltung ihres Lebens uns ebenso fesseln, wie manches ihrer berühmtesten Werke. Man denke an die inneren Wandlungen Goethes, die ihn von Götz zur Iphigenie und bis zum zweiten Teil des Faust geleitet haben, oder an Schillers Emporringen von den Räubern über Kabale und Liebe zum Wallenstein, zur Braut von Messina und zum Tell. Ja selbst in einem Dichter zweiter Ordnung, in Wieland, welcher Wandel von dem serafischen Nachahmer Klopstocks bis zum Sänger des Oberon!

Zu den Prüfsteinen jeder Literatur gehört obenan ihre Behandlung des Weibes und der Liebe. Von Kriemhildens und Sigfrids Liebe bis zu Hermann und Dorothea welch ein herrlicher Bildersaal dichterisch verklärter Liebespaare. „Durchfüßet und geblümet sind

die reinen Frauen“ sang Walter von der Vogelweide;

„Ehret die Frauen!" heißt es

bei Schiller; "Frauen sind genannt vom freuen, Weil sich freuen kann kein Mann Ohn ein Weib, das stets von neuem Seel und Leib erfreuen kann“ bei Rückert in seinem „Kleinen Frauenlob". Und Goethe wählte nicht nur für Charlotte von Stein als Lieblingsbezeichnung „Engel", sondern auch für manche seiner dichterischen Frauengestalten.

Literaturgeschichte ist nicht Sittengeschichte, am wenigsten Sittenpredigt; dennoch darf in einem Buche, das von deutscher Kunst handelt, hervorgehoben werden, daß es kein wahrhaft großes deutsches Dichtungswerk gibt, das nicht zugleich sittlich wäre, Sittlichkeit verstanden als das Pflichtgesetz für reife Menschen, nicht für Kinder. In dieser Hinsicht steht die deutsche Literatur auch hinter der englischen nicht zurück, während ohne Pharisäertum von der französischen geurteilt werden muß, daß sie eine Menge hervorragender Werke enthält, die selbst bei größter Weitherzigkeit das Empfinden sauberer reifer Menschen verleßen.

Daß die Deutschen das Volk der Lyrik sind, gestehen ihnen auch die andern Literaturvölker zu. Das Lied kommt vom Weibe und der Liebe zum Weibe: so ist die deutsche Lyrik nur Wiederklang des inneren Gesanges der deutschen Seele. Es gibt keine Höhe, in die das deutsche Lied nicht emporzufliegen wagt; keine Tiefen, in die es nicht niedertaucht. Welch eine stolze Schar fangesmächtiger Liederdichter von den Tagen Walters über Paul Flemming und Paul Gerhard, über Hölty und Hölderlin, Goethe, Eichendorff, Mörike und Storm bis zu unsern jüngsten, nicht geringsten Lyrikern! Welches zweite Volk besikt Lieder gleich den unsterblichen unseres Liederfürsten: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“, „Füllest wieder Busch und Tal“, — „Der du von dem Himmel bist“, „Über allen Gipfeln ist Ruh“? Und wo in der Welt der Lieder hat es ein Kirchenlied wie das deutsche im 16. und 17. Jahrhundert gegeben? Endlich, bei welchem Volke blühte ein Volkslied von dem Reichtum und der dichterischen Höhe des deutschen, dieses Stolzes unserer lyrischen Dichtung?

Daß wir so liedesmächtig wie schwertgewaltig sind, weiß die Welt; dagegen muß man es den Deutschen nachdrücklich sagen, daß ihre Dichtung sich im letzten halben Jahrhundert den Ehrenplak auf einem der wichtigsten Literaturgebiete errungen hat: in der Erzählung. Die Deutschen sind das Volk der Novelle geworden, und Heyses Bezeichnung Gottfried Kellers als des Shakespeares der Novelle ist schlichte Wahrheit, keine vaterländische Übertreibung. Im Auslande weiß man dies nicht, weil die Deutschen selbst es noch nicht recht wissen; von wem aber sonst als von uns können die Fremden diese Tatsache erfahren? Im Drama sind wir zuletzt von den großen Literaturvölkern auf den Plan getreten. Die überragende Größe des einen Shakespeare erkennen wir Deutsche mit Bewunderung und neidlos an, weil wir ihn durch unsere ganze literarische Entwicklung seit Lessing uns so zu eigen gemacht haben, daß wir in ihm kaum noch einen fremden Dichter erblicken. Auch wenn wir den einen Jbsen samt Björnson ohne Verkleinerung ihrer Wirkung auf das Drama der Gegenwart, allerdings auch ohne Überschätzung gelten lassen, so dürfen wir nur die Namen Lessing, Goethe, Schiller, Kleist, Grillparzer, Hebbel, Otto Ludwig und Anzengruber, ja vielleicht auch Gerhart Hauptmann nennen, um uns bewußt zu werden, daß das deutsche Drama hinter keinem andern zurücksteht.

In der französischen Literatur wiegt die künstlerische Prosa vor, in der englischen besteht zwischen Prosa und Poesie eine fast gleichschwebende Verteilung der Kunst; bei den Deutschen ist die Kunst der Prosa eine der seltensten Gaben. Nietzsche, vielleicht der einzige neudeutsche Prosaklassiker, ruft einmal ergrimmt aus: Keins der jetzigen Kulturvölker hat eine so schlechte Prosa wie die Deutschen. Der Grund davon ist, daß der Deutsche nur die improvisierte Prosa kennt. An einer Seite Prosa wie an einer Bildssäule arbeiten, kommt ihm vor, als ob man ihm aus dem Fabellande vorerzählte.“ Von welchem deutschen Prosawerk, und wäre es das dichterisch oder sonst hervorragendste, kann man sagen, es sei klassisch durch Stil wie Sprache, das heißt ein tadelloses Muster für die Jugendbildner und selbst für die Schriftsteller? Dagegen besiken frankreich wie England Dukende klassischer Prosawerke,

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