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1.

Als Jesus einst zu der Stadt Jerusalem so nahe herzukam, daß er diese schöne prächtige Stadt recht überschauen konnte, weinte er über sie und sprach: „O Jerusalem! Jerusalem! hättest du mich doch als den Messias, als deinen Erlöser anerkannt! Wie glücklich wärest du dann! Auch den heutigen Tag könntest du noch zu deinem Heile benügen, du dürftest nur jezt noch, wo ich das lezte Mal zu dir komme, an mich glauben, deine vorige Bosheit bereuen und dich nach meiner Lehre richten, so wäre dein Heil in Sicherheit. Aber ich sehe es schon zum Voraus, du bist und bleibst verblendet und verstockt."

Wir, meine Christen! erstaunen über die Halsstarrigkeit und Verstocktheit der Juden. Trifft man aber nicht auch die nämliche Verstocktheit unter den Christen an? Wie oft werden die Menschen bald auf diese, bald auf eine andere Weise zur Buße und Besserung ihres Lebens ermahnt! Aber sie bleiben taub und gehörlos gegen alle Ermahnungen Gottes. Was sind Kreuz, Leiden und Widerwärtigkeiten, unter denen die Menschen seufzen, was sind Krankheiten und andere Trübsale, womit sie heimgesucht werden, was sind sie anders als ein deutlicher Fingerzeig Gottes, daß sich die Menschen bekehren und bessern sollen?!

Aber viele Menschen geben gar nicht Acht auf diesen Fingerzeig Gottes; anstatt von ihrem Sündenweg abzuweichen, murren sie vielmehr wider Gott, daß er sie in eine so betrübte und traurige Lage versezt hat. Was sind auch die guten glücklichen Lage, die so oft auch den größten Sündern zu Theil werden, was sind sie anders, als ebenfalls ein deutlicher Fingerzeig Gottes, daß sich die Sünder bekehren und bessern sollen? Aber sehr Viele nehmen auch diesen Fingerzeig Gottes nicht zu Herzen, leben in ihren Sünden und Lastern fort wie bisher und denken sich, Gott müsse es ihnen deßwegen doch gut gehen lassen.

Was sind auch die Predigten von der Kanzel, die Lehren und Ermahnungen im Beichtstuhle, was find sie anders als Ermahnungen Gottes zur Buße? Aber so viele Sünder sind gegen alle diese Ermahnungen so hölzern, wie der Predigt- und Beichtstuhl, und so kalt wie das Kirchenpflaster. „Wer das Wort Gottes nicht gern anhört, sagt das h. Evangelium, der erkennet den Heiland für seinen Hirten nicht." Wer das liebe Brod nicht mehr essen mag, der muß sehr frank sein; und eben so gefährlich muß es auch um das Seelenheil eines Menschen aussehen, welcher das Wort Gottes nicht hören mag.

Und doch gibt es viele Christen, bei denen alle Predigten, alle Lehren und Ermahnungen im

Beichtstuhl vergebens find, weil sie glauben, was fie gern glauben, und thun, was sie gern thun; weil fie Alles für erlaubt halten, was sie gern thun, weil sie ihr Gewissen damit zu beruhigen suchen: Andere thun es auch." Sie sollten vielmehr denken: „Andere werden verdammt; soll ich es auch werden?" „Der weite und breite Weg führt zum Verderben, und Viele gehen auf diesem Wege,“ sagt Jesus.

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Ich weiß es wohl, Einige murren und klagen nur, wenn man ihr Gewissen rührt, wenn man fie in ihrer gefährlichen Sicherheit stören will. Kinder werden feindselig, sie weinen, schreien und klagen, wenn man sie vom Schlafe aufweckt. So werden. auch viele Christen feindselig; sie murren und kla= gen, wenn man sie von ihrem Sündenschlaf aufwecken will.

Ich weiß es, Einige spotten und lachen darüber, wenn man ihnen sagt, dieß und jenes sei eine große Sünde, was sie nur für eine Kleinigfeit oder für Kurzweil halten. Ich weiß es, Einige denken sich der Prediger hat wohl recht, aber sie kehren sich doch nicht daran, obwohl sie es als recht erkennen.

Man trifft also auch unter den Christen die nämliche Verstocktheit an, wie unter den Einwohnern der Stadt Jerusalem, über welche Jesus nicht

nur geweint, sondern ihr auch den Untergang prophezeit hat.

2.

Jesus prophezeite der Stadt Jerusalem ihren Untergang und sprach: „Es werden Tage über dich kommen, wo dich deine Feinde mit einem Wall umgeben, ringsherum einschließen und auf allen Seiten ängstigen werden. Sie werden dich sammt deinen Einwohnern zu Boden werfen und keinen Stein auf dem andern lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast."

Jesus prophezeite also hier den Juden die große Strafe Gottes, die wegen ihrer Halsstarrigkeit und Verstocktheit über sie kommen werde. Und diese Prophezeiung ging vierzig Jahre nach der Himmelfahrt Christi auch wirklich in Erfüllung. Schrecklich war das Unglück und Elend, das sich die Einwohner der Stadt Jerusalem durch ihre Unbußfertigkeit zugezogen haben.

Und nun, meine Christen! was sollen denn wir aus dieser schrecklichen Strafe, mit welcher Gott die Stadt Jerusalem heimgesucht hat, Anders lernen, als daß Gott endlich doch einmal die halsstarrigen und unbußfertigen Sünder straft, wenn sie sich nicht bessern wollen. Die Stadt Jerusalem ist das Bild eines unbußfertigen Sünders, der sich dem Willen

Gottes widersett, seine Gnaden zurückweist, seine Einsprechungen erstickt, seine Gebote verachtet, seiner Drohungen spottet, um seine Verheißungen sich nichts bekümmert; der an seine Sünden nicht denkt, um fie zu bereuen; an seine jeßigen Sünden nicht denkt, um davon abzustehn; an seine fünftigen Sünden nicht denkt, um sie zu vermeiden; an die Barmherzigkeit Gottes nicht denkt, die ihre Arme nach ihm ausstreckt; an die Gerechtigkeit Gottes nicht denkt, die ihm seine Strafe bereitet; an dieses kurze Leben nicht denkt, das bald ein Ende nimmt; an den Tod nicht denkt, der bald und oft ganz unvermuthet daher kommt; an das Gericht nicht denkt, vor welchem er bald erscheinen muß. O wüßtest du, was über dich kommen wird! Aber es ist dir verborgen. Du verachtest die Heimsuchungen Gottes und auch seine Strafen.

Jesus geht zwar nicht mehr sichtbar auf dieser Welt herum, wir sehen seine Wunder nicht mehr, wir hören seine Predigten nicht mehr: wir glauben es aber doch, daß er auf der Welt gewesen ist, daß er gepredigt und Wunder gewirkt hat. Wir beten ihn an als unsern Herrn und Gott, wir haben das Evangelium in unsern Händen, wir hören die Auslegung desselben an, wir wohnen dem öffentlichen Gottesdienst bei. Wir wissen Alles, was wir thun sollen, wenn wir gut und selig werden

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