später in Bonn gekannt haben, in wohlthuender Erinnerung steht. Es wurde ihm in Rom das lang entbehrte Glück zu Theil, dass ihm vier Kinder geboren wurden: sein Herz ist von Dank gegen Gott dafür erfüllt, und seine innige Freude besonders an der glücklichen Entwickelung des einzigen Sohnes spricht sich oft aufs lebendigste aus. Aber im Ganzen überwiegt doch eine trübe Stimmung in der Auffassung seiner Umgebungen und Verhältnisse. Wohl waren äussere Gründe dazu vorhanden: seine eigene Gesundheit war vielfach ernsten Störungen ausgesetzt; mehr noch beunruhigten ihn der häufig leidende Zustand seiner Frau, der das Klima durchaus unzuträglich war, und auch bei seinen Kindern und befreundeten Hausgenossen hatte er wiederholt schwere Krankheitsfälle zu bestehen. Die Entwickelung der politischen Lage in Deutschland entsprach nicht seinen Hoffnungen. Er konnte weder an den Ausschreitungen jugendlicher Unbesonnenheit, noch an den Gegenmassregeln einer kleinlich ängstlichen Staatskunst seine Freude haben. Dazu kam der Ausbruch der Revolution in Neapel (1820), welcher eine Zeit lang auch die Ruhe in Rom aufs ernstlichste bedrohte. Dass unter solchen Umständen die ausserordentliche Verzögerung seiner Instructionen, wodurch sein redlicher Eifer lahm gelegt und sein Vertrauen auf den guten Erfolg der zuführenden Verhandlungen niedergedrückt wurde, doppelt schwer auf ihm lastete, ist sehr natürlich 1). Aber freilich lag eine 1) Noch ehe Niebuhr von seiner eignen Regierung in Stand gesetzt war, die Verhandlungen mit der Curie erfolgreich ins Werk zu setzen, hatte er die Freude, für die Republik Genf eine schwierige Negociation zu erwünschtem Ende zu führen, durch welche er gegen den leidenschaftlichen Widerspruch des Turiner Hofes erlangt hatte, dass ihre katholischen Gemeinden von der Diöcese Chambery getrennt und unter das Bisthum Freiburg gelegt wurden. Die Genfer Regierung beschloss darauf den 17. November 1819 (nach der mir vorliegenden Abschrift der Original-Urkunde): „, pour témoigner à Monsieur de Niebuhr notre reconnaissance du zèle, avec lequel il a conduit nos interêts à Rome, et le récompenser des soins qu'il a donnés à notre affaire, de lui offrir la schwere Auffassung der Verhältnisse, eine Hinneigung zu trüben Besorgnissen für die Zukunft von Jugend auf in seiner Natur. Es hing dies, wie ich glaube, mit zweien seiner ausgezeichnetsten Geisteseigenschaften zusammen: seinem ausserordentlich sicheren und treuen Gedächtnisse und seiner lebhaften Einbildungskraft; aus beiden ergab sich, insbesondere unter der Einwirkung körperlicher Verstimmung, leicht die Folge, dass sowohl die genaue Kunde vergangener Ereignisse, wie die bis zur Wirkung des Gegenwärtigen gesteigerte Vorstellung von der Zukunft über verwandte oder ihm ähnlich erscheinende Vorgänge zuweilen die Unbefangenheit seines Urtheils nach der ungünstigen Seite hin trübte. Dass aber eine trübe Auffassung der Gegenwart und ein sorgenvoller Ausblick in die Zukunft grade während des grössten Theiles seines römischen Aufenthaltes in seinem Gemüthe vorherrschte (ich weise auf Stellen seiner Briefe wie Bd. II, S. 322. 351. 364 hin), hatte ausser den angeführten auch noch den besondern Grund, dass er die Entfernung vom Vaterlande bei einer im Ganzen sehr ungünstigen Beurtheilung des italienischen Nationalcharakters und die Entbehrung eines ihm völlig zusagenden und sympathischen Umgangs nach Brandis' Abgang im Sommer 1818 sehr schwer empfand. Selbst zu Bunsen, der an Brandis' Stelle als Sekretär bei ihm eintrat, so hoch er ihn schätzte und so verehrungsvoll dieser sich ihm anschloss, hat er ein so vertrautes Verhältniss nicht wieder gewonnen.,, Bunsen's Werth", schreibt er den 15. August Bourgeoisie de Genève, dont la lettre serait renfermée dans une boîte d'or, qui contiendrait en outre une lettre de change de huit mille francs de France". Mir macht dieses Bürgerrecht eine ganz andere Freude, als irgend eine Ehre der Eitelkeit", schreibt er an die Hensler (Lebensnachrichten II, 422),,, wenngleich wir Alle jetzt wohl anders über den denken, der dem Namen citoyen de Genève Celebrität gegeben hat, als man es vor dreissig Jahren that. Man hat mir zugleich ein Geschenk von achttausend Franken gemacht, welches ich augenblicklich abgelehnt habe." Classen, B. G. Niebuhr. 7 1818,,, erkenne ich ganz; aber wir sind einander zu fremd, und ich habe vielleicht die Fähigkeit des Entgegenkommens verloren." Ueber den Geist, in welchem Niebuhr in Rom für Wissenschaft und Kunst gewirkt und bleibende Früchte hinterlassen hat, lasse ich zum Schluss dieses Abschnittes ein treffendes Wort von E. Curtius folgen 1). Nachdem er das Zusammenwirken von W. von Humboldt und Welcker für die mit Vorliebe betriebene Erforschung der griechischen Kunst geschildert hat, fährt er fort:,, Um so wichtiger war, dass ihm ein Niebuhr folgte. Seiner Natur war jede Schwelgerei, auch die geistigste, zuwider; er konnte den epikureischen Zug bei Humboldt so wenig wie bei Goethe billigen; er besass nicht die Kunst, sich selbst zu vergessen, ohne welche Rom nicht Rom ist. Immer wachsam und gespannten Geistes sah er in Rom nur Stoff zur Arbeit, unbenutzte Schätze der Erkenntniss, ungelöste Aufgaben. Er war sittlich zu zartfühlend, um sich über das entartete Rom beruhigen zu können; er war zu deutsch, um sein Vaterland leicht zu entbehren, zu ernst und wahr, um sich in anmuthige Traumbilder einwiegen zu lassen. Er aber hat das unvergessliche Verdienst, dass er der deutschen Wissenschaft in Rom einen festen Sitz gegründet und nach der einseitigen Bevorzugung des Griechischen die Studien über römische Geschichte und Ortskunde unter den deutschen Römern ins Leben gerufen hat." c. Aus den beiden Perioden seiner Lehrthätigkeit in Berlin 1810-1814 und in Bonn 1825-1830. Beide Male, 1810 und 1823, ist der Entschluss, sich von den Staatsgeschäften zu seinen Lieblingsstudien zurückzuziehen, für Niebuhr selbst eine Quelle wohlthuenden Aus 1) Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. (1875.) In dem Vortrag:,, Rom und die Deutschen", S. 54. ruhens, für die Wissenschaft der Ausgangspunkt zu seinen unvergänglichen Arbeiten für dieselbe geworden. Auch diese Zeiten der literarischen Musse sind nicht frei von störenden Einflüssen geblieben; aber im Ganzen spricht aus den Briefen dieser Zeit eine grössere innere Befriedigung und eine hoffnungsvollere Stimmung, als aus anderen Perioden seines bewegten Lebens. Vielleicht dürfen wir diese Erscheinung auf den Grund zurückführen, dass auch bei der grössten Begabung für die wichtigsten Geschäfte doch sein innerster Beruf auf der Seite gelehrter Forschung und ihrer lebendigen Mittheilung lag.,,Als bleibender Beruf", schreibt er den 29. Januar 1813, in dem Beginn der Kriegsunruhen, an die Hensler,,, wird der gelehrte mir doch immer der erfreulichste sein. Ich freue mich schon, wie lebendig ich wieder zu den Studien zurückkommen werde, wenn einmal rechte Ruhe sein wird." Als ihm im Juni 1810 die Entlassung aus seiner amtlichen Stellung im Finanzministerium auf sein Gesuch vom Könige in der gnädigsten Weise bewilligt war, lag ihm der Gedanke, durch öffentliche Vorträge seine reichen Kenntnisse in weiteren Kreisen nutzbar zu machen, noch fern. Er gedachte ungestört der Wissenschaft leben zu können, und unmittelbar nachdem er noch auf des Staatskanzlers Verlangen das umfassende Gutachten über die Finanzpläne ausgearbeitet und den 23. Juni eingereicht hatte 1), vollendete er schon im Juli 1810 eine der Akademie der Wissenschaften übergebene Beurtheilung einer Preisschrift über den Amphiktyonenbund, deren Hauptinhalt 1843 im zweiten Theil der ,, Kleinen Schriften" 2) abgedruckt ist, und bald darauf die Abhandlung über das Alter des Küstenbeschreibers Skylax von Karyanda 3). Als um diese Zeit mehrere Freunde, insbesondere Spalding 1) Siehe oben S. 62. 2) S. 158 ff. 3) Kleine Schriften I, 105 ff. 100 und Nicolovius, in ihn drangen, seine Kräfte der neu errich teten Universität in freiem Anschluss zu widmen, entschloss er sich dazu erst nach ernstem Bedenken und in dem Gefühl, eine grosse Verpflichtung zu übernehmen. Dass er sich nach längerer Erwägung für die römische Geschichte als Gegenstand seiner ersten Vorlesung entschied, theilte er seiner Freundin Hensler in den denkwürdigen Worten mit 1): .. Die römische Geschichte zu schreiben hätte ich wohl nie unternommen; über sie zu lesen ist schon ein weniger verwegenes Unternehmen. Ich werde von den ältesten Zeiter Italiens anfangen, und so weit es möglich ist, die alten Völker nicht allein aus dem engen Gesichtspunkt ihrer Unterjochung. sondern auch an sich und was sie früher waren, darstellen: dann in der römischen Geschichte die Verfassung und die Administration, wovon ich ein sehr lebhaftes Bild vor Auger habe. Gerne brächte ich diese Geschichte bis auf den letzten Zeitpunkt herab, wo die aus alten Keimen entwickelter Formen ganz abstarben und die des Mittelalters ihren Platz einnahmen." So stand ihm die grosse wissenschaftliche Aufgabe seines Lebens von Anfang in klaren Zügen vor der Seele: sie ist die Grundlage nicht nur seiner Vorlesungen. sondern auch der sich sehr bald daran schliessenden Ausführung in dem grossen Werke seiner Römischen Geschichte. in ihrer ersten Bearbeitung wie in der Umgestaltung in der späteren Auflagen, bis an das Ende seines Lebens geblieben. Dass er das Ziel, welches er sich bei dem Beginn seines Unternehmens gesteckt hatte, nicht erreicht hat, das hat die deutsche Wissenschaft, selbst nach Allem, was in der Erforschung und Darstellung der römischen Geschichte in Folge der von ihm gegebenen Anregung und auf der von ihm gelegten Grunde auch von den gelehrtesten uni geistvollsten Männern geleistet worden ist, für immer zu be klagen. 1) Lebensnachrichten I, 454. |