Wesens: gewissenhafter Religiosität, unbestechlicher Rechtlichkeit und brennender Vaterlandsliebe." Er weist es eingehend nach, wie diese Gesinnungen stets sein Verfahren durchdrungen, alle seine Schritte geleitet haben: „wie er Alles, was er als wirkliche Bedürfnisse und wesentliche Freiheiten seiner Mitunterthanen und Mitbürger in der katholischen Kirche erkannte, in einem treuen, sorgenden, mitleidenden Herzen landsmännischer und christlicher Liebe trug, von der Armuth der Pfarrer am Rhein bis zu den Wahlrechten deutscher Domkapitel". ,, Die Regierung war nach Niebuhr's Ueberzeugung verpflichtet, für die Anstalten zu sorgen, welche zum Bestehen und Gedeihen jener Kirche im Lande nothwendig waren. Hinsichtlich des Erziehungswesens hielt er die Nationalität desselben, mit geziemender Berücksichtigung der religiösen und kirchlichen Bedürfnisse, für unerlässlich und jede Einmischung eines fremden, absondernden und trennenden Elementes in das grossartigste Bildungs- und Erziehungssystem der neueren Zeit für eben so verderblich, als er die Kirchlichkeit der bischöflichen Seminarien zum Schlusse der klerikalischen Bildung für wesentlich gerecht und heilsam erachtete. - Ein Concordat abzuschliessen, war ihm von Anfang an ein in jeder Beziehung unzulässiger Gedanke, weil er wusste, dass ein solches überhaupt, bei der Stellung des ausgebildeten europäischen Staates zur römischen Kirchengewalt mit Redlichkeit nicht abgeschlossen werden kann, selbst abgesehen von der besonderen Stellung einer protestantischen Regierung. Hätte er diese Ueberzeugung nicht nach Rom mitgebracht, so würde sie sich ihm, nach seinen Grundsätzen als römischem Geschichtschreiber und deutschem Staatsmann, aufgedrängt haben durch die Verhandlungen und Abschlüsse, deren Zeuge und Richter er dort war. Seine Urtheile darüber werden einst als Schatzgrube für denkende Staatsmänner und des öffentlichen Lebens kundige Historiker erscheinen. ,, Nach Niebuhrs Ansicht sollte die Unterhandlung mit Rom keinen andern Zweck haben, als den nach reiflichen Berathungen gefassten Beschlüssen, in Folge einer offenen und geraden Verständigung über die einzelnen praktischen Punkte, die kanonische Form und der neuen katholischen Kirche im Lande eine feierliche Grundlage zu geben. Beide Theile, meinte er, müssten in dem gemeinsamen Gegenstande ihrer Fürsorge und in der Wichtigkeit der praktischen Punkte der Verständigung, ja in der noch grösseren Wichtigkeit der Thatsache einer solchen endlichen Verständigung allein den Grund und Boden für freundschaftliche Verhältnisse gewinnen, den die streitenden Principien nicht gewähren können. Ein solches Verständniss werde Kirche wie Staat förderlich und dem Frieden der Welt und unter dessen Flügeln der freien Entwicklung des europäischen Lebens eine feste Schutzmauer sein. In allen diesen in ihm persönlich lebenden Ansichten hatte Niebuhr sich während seiner Unterhandlungen der vollsten Zustimmung seiner Regierung zu erfreuen 1). Wenn er sich in dieser Ansicht täuschte, wenn es ein Irrthum war, dass eine grundsätzlich für das Beste ihrer Unterthanen handelnde evangelische Regierung ihre erleuchteten landesväterlichen Absichten mit der römisch-katholischen Kirche in ihrem Lande durch Verständigung mit Rom verwirklichen könne: wenn trotz jener Gesinnungen gehässige Aufreizung und hierarchische Anmassung den Frieden Deutschlands 1) L. Ranke urtheilt, offenbar nach Einsicht der Akten, über den Geist, in welchem die damaligen Unterhandlungen mit Rom geführt worden sind, in seinem Aufsatz:,, Staatsverwaltung des Cardinals Consalvi", in der Histor.-polit. Zeitschrift 1832. III, S. 664 ähnlich:,, Der römische Hof verstand sich dazu, die Diöcesen auf die Weise, wie man es ihm vorgeschlagen, zu beschränken und einige alte bischöfliche Sitze fallen zu lassen. Dafür finden wir auch in der preussischen Unterhandlung nicht jene peinlichen und den wechselseitigen Verdacht rege haltenden Bestimmungen. Es ist ein grossartiges Verfahren, wie es der Bedeutung und der Würde dieses Staates zukam." - und die Ruhe der Welt, die durch jene Verständnisse gesichert werden sollten, mit neuen Stürmen bedrohen, so mag Niebuhr's Asche auch hierüber in Frieden ruhen. Niebuhr theilt alsdann jenen Irrthum mit den edelsten Geistern seines Volkes, und er und sie werden der Nachwelt vielleicht um so theurer sein dieses Irrthums willen." Uebrigens täuschte sich Niebuhr nicht über die Tendenzen, die von einer fanatischen Partei in Rom schon zu seiner Zeit angeregt und verfolgt wurden. Manche Aeusserungen in seinen Briefen deuten darauf hin, und sehr bestimmt spricht er seine Sorge in dieser Hinsicht schon gegen die Hensler am 4. Mai 1822 ) aus:,, Der Papst ist sehr schwach; sein Tod ist ein Unglück, denn Alles lässt erwarten, dass man einen bigotten starrsinnigen Nachfolger erwählen wird." Aber viel stärker äussert er seine Besorgniss vor dem inzwischen in Rom immer mehr zur Herrschaft gelangenden Jesuitismus in dem schönen Briefe nach dem Tode des,, alten Voss", den 24. April 1826 2):,, Die Ereignisse werden ihm in vielen Dingen Recht geben, wo er eigentlich nicht Recht hatte, noch auch Prophet war. Ein Bund, wie er ihn glaubte, war ein Fiebertraum; aber es geschehen jetzt Dinge, und andere bereiten sich vor, welche nichts Anderes sind als das, was er für Werke dieses angeblichen Bundes ausgab. Es gehört sehr viele historische Erfahrung und Resignation dazu, gleichmüthig bei dem zu bleiben, was vor unsern Augen geschieht: der Einfluss erzpfäffischer, geradehin jesuitischer Katholiken in Sachen des öffentlichen Unterrichtes ist betrübend. Ich könnte vielleicht eine Krisis hervorbringen, wenn ich schriebe; allein der Erfolg ist zu ungewiss. Diese Sache ist gefährlicher als die etwaigen Begünstigungen der adligen Aristokratie, welche für eine Generation Missverhältnisse hervorbringen, aber nichts Dauerndes aufstellen können. In Frankreich, wo der politische Vulkan ausgebrannt zu sein scheint, schaffen die Priester 1) Lebensnachrichten II, 489. 2) Ebendas. III, 166. neue Brennstoffe." Es ist mir daher auch unzweifelhaft, dass Niebuhr in den schweren Conflicten unserer Tage entschieden auf Seiten der unbedingten Aufrechterhaltung der staatlichen Autorität gegen die Anmassungen der Curie gestanden haben würde. Ich schliesse diese Betrachtung über Niebuhr's amtliche Wirksamkeit in Rom, welche ich weiter ausgeführt habe, weil es auch hier galt, manchen verbreiteten Missdeutungen entgegenzutreten, mit dem schönen Zeugnisse Bunsen's über die äussere Form seiner Geschäftsführung 1):,, Wenige Männer von so genialer Natur betrieben wohl je Geschäfte mit solcher Ordnung. Seine politischen Denkschriften sind unübertreffliche Muster staatsmännischer Darstellung, selbst von ihrem reichen und schweren Gehalt abgesehen. Die Geradheit und Offenheit derselben geben ein treues Abbild der Art und Weise, wie Niebuhr den reichen Schatz von Wissen, Erfahrung und Nachdenken unablässig auf die Bedürfnisse der Gegenwart anwandte, das Allgemeine immer im Auge hatte und auf das Wohl des Vaterlandes Alles bezog, was ihm im Gange seiner Entwicklung aufstiess. Es wird eine Zeit kommen, wo die Verhältnisse, welche jene Berichte und Denkschriften behandeln, der Geschichte anheimzustellen sind, und die meisten gleichzeitigen Berichte der Diplomaten der Vergessenheit und dem Staube. Dann erst wird recht erkannt werden, was Niebuhr war." Noch zwei Seiten von Niebuhr's Leben und Wirken in Rom, die mit seiner amtlichen Thätigkeit in entfernterer Beziehung stehen, berühre ich, weil von ihnen aus ein dauernder Einfluss für die Folgezeit ausgegangen ist: seine lebendige und erfolgreiche Theilnahme für die evangelische Kirche in Rom und seine eifrige und einsichtsvolle Förderung der 1) Lebensnachrichten III, 319. Kunst und künstlerischen Interessen, namentlich im Hinblick auf eine auf Deutschland zu übende Einwirkung. In ersterer Beziehung gereichte es ihm zu grosser Freude, dass der König schon zwei Jahre nach seinem Eintritt in Rom (im September 1818) auf seinen Vorschlag die Ernennung eines Gesandtschaftspredigers beschlossen hatte, und dass die Wahl auf einen würdigen jüngeren Geistlichen, den Dr. Schmieder, fiel, der, so lange Niebuhr in Rom blieb, ihm zur Seite stand und mit grosser Sorge in der kleinen Gemeinde wirkte. Später hat er als Seminardirector in Wittenberg einen einflussreichen Wirkungskreis gewonnen. Mit seinem Beirath und seiner thätigen Hülfe war Niebuhr auch eifrig bemüht, der unter den deutschen Handwerkern in Rom vielfach herrschenden Noth abzuhelfen, wofür er aus eignen Mitteln alljährlich bedeutende Opfer brachte. Die talentvolle und allgemein geschätzte Malerin Louise Seidler, welche damals in Rom zur Ausbildung ihrer Kunst lebte und im Niebuhr'schen Hause grosse Freundschaft genoss, gibt uns von der Eröffnung des protestantischen Gottesdienstes, für welchen Niebuhr einen Saal seiner geräumigen Wohnung im Palazzo Savelli (Theater des Marcellus) hatte einrichten lassen, einen anziehenden Bericht 1):,,Am 27. Juni des Jahres 1819 konnte der erste protestantische Gottesdienst in der ewigen Roma gefeiert werden. Die Gemeinde, wohl 1),, Erinnerungen aus dem Leben der Malerin Louise Seidler", bearbeitet von H. Uhde (Berlin 1874), S. 261. Das Buch enthält S. 218 eine ansprechende Schilderung der Niebuhr'schen Wohnung und seiner Familie, und S. 369 ff. mehrere rührende Züge von seiner grossen Güte gegen die Künstlerin. Im Sommer 1829 war sie einer Einladung Niebuhr's nach Bonn für mehrere Monate gefolgt, wo sie mehrere Familiengemälde ausführte. Es war mir erfreulich, damals ihre Bekanntschaft zu machen. S. 374 ist der Brief Goethe's mitgetheilt, in welchem er nach Niebuhr's Tode die Künstlerin um eine Copie der von ihr in Rom gezeichneten Skizze von dem Antlitz des edlen Mannes" bittet. Die Copie befindet sich in der Goethe'schen Sammlung von Handzeichnungen deutscher Künstler, das Original im Museum zu Weimar. |