griffenen Plan aus, durch einen längern Aufenthalt in England und Schottland seine wissenschaftliche Ausbildung zu erweitern und eine tiefere Einsicht in Staats- und Geschäftsverhältnisse zu gewinnen. Er verweilte etwa drei Monate in London und fast ein Jahr in Edinburg, wo er namentlich den Vorträgen der angesehensten Lehrer der Mathematik und Naturwissenschaften beiwohnte. Durch einflussreiche Empfehlungen und das grosse Ansehen, in welchem sein Vater in beiden Ländern stand, machte er die Bekanntschaft einer grossen Zahl bedeutender Männer, und durch den Umgang mit diesen, sowie durch seine eignen eifrigen Studien legte er den Grund zu der tiefen und umfassenden Kenntniss des Landes, seiner Geschichte und Institutionen, deren Genauigkeit in spätern Jahren oft die gelehrtesten Eingebornen in Erstaunen setzte. ,, Nach seiner Rückkehr in die Heimath im November 1799 verweilte er den Winter in Holstein, bis die Verhandlungen über seine Wiederanstellung in dänischen Diensten im Mai 1800 zu der Entscheidung führten, dass er zum Assessor im Commerzcollegium für das Ostindische Bureau und zum Sekretär und Comptoirchef bei der permanenten Commission für die Barbaresken - Angelegenheiten (der Afrikanischen Consulat-Direction) ernannt wurde. Nachdem er sich im Juni 1800 verheirathet hatte, trat er den 1. Juli seine Aemter an. Der Eifer und Erfolg, mit welchem er sich seinen Geschäften widmete, gewannen ihm in hohem Grade die Anerkennung der Regierung und das Vertrauen des Publikums. Wirkungskreis erweiterte sich sehr, als ihm im Januar 1804 auch die Direction der Bank übertragen und sein Rath in allen wichtigen Finanzangelegenheiten eingeholt wurde. Dessenungeachtet wurde es ihm möglich, auch im grössten Gedränge praktischer Geschäfte seine Lieblingsstudien, die Litteratur und Geschichte des Alterthums, mit so eindringender Ausdauer zu verfolgen, dass er in diesen Jahren mehrere der wichtigsten Vorarbeiten für die Römische Geschichte ausgeführt hat. Die sechs Jahre seines zweiten Kopenhagener Aufenthalts verflossen Sein ihm in einer sehr glücklichen, wiewohl kinderlosen Ehe und in stiller Zurückgezogenheit, die am meisten seiner eigenen und der Neigung seiner Frau entsprach. Den Ueberfall und das Bombardement von Kopenhagen durch die englische Flotte Nelson's und Parker's Ende März 1801 erlebte er ganz mit den Gefühlen des dänischen Patriotismus und des tiefen Unwillens über die Ungerechtigkeit des gewaltthätigen Angriffes. Im Jahr 1803 machte er im Auftrag der Regierung in Finanzgeschäften eine Reise nach Deutschland, die ihn über Hamburg nach Leipzig, Frankfurt und Cassel führte. ,,Mit schwerem Herzen sah Niebuhr schon damals über Deutschland, das er doch stets als sein eigentliches Vaterland ansah und liebte, die Gefahr der französischen Invasion. heranziehn. Die im Herbst 1805 nach dem Unglück von Ulm erschienene, dem Kaiser Alexander von Russland mit dem Zuruf: ,Hic rem Romanam, magno turbante tumultu, Sistet eques, Poenum sternet Gallumque rebellem!" gewidmete Uebersetzung der ersten Philippika des Demosthenes1) war der Ausfluss seiner damaligen Sorgen, Wünsche und Hoffnungen. Nachdem im Winter 1805 vorläufige Anfragen an ihn gerichtet waren, wurde Niebuhr im Sommer 1806 zu einer Zeit, wo er Ursache zur Unzufriedenheit mit seinen amtlichen Verhältnissen hatte, von dem Freiherrn vom Stein, der damals das preussische Finanzministerium verwaltete, als Mitdirector der Seehandlungs-Societät in ehrenvollster Weise in den preussischen Staatsdienst berufen. , Am 5. October 1806 traf er mit seiner Frau in Berlin 1) Vgl. darüber in den Lebensnachrichten II, 52 den Brief an Moltke. Sie ist auf seines Freundes Perthes Wunsch unter den schweren Befürchtungen des Herbstes 1830 wieder abgedruckt worden. Die Worte, die Niebuhr ihr damals vorausschickte, die letzten, die er in den Druck gegeben hat (am 17. Dezember 1830 geschrieben), sind den 1842 erschienenen,, Nachgelassenen Schriften" S. 525 hinzugefügt. ein; allein das unmittelbar darauf hereingebrochene Unglück von Jena machte die Ausführung jeder regelmässigen Geschäftsthätigkeit unmöglich. In Königsberg und Memel, wohin er dem Hofe gefolgt war, wurde er mit grossem Vertrauen beehrt und in ausserordentlichen Geschäften, insbesondere des Verpflegungswesens, verwandt. Nach der ungnädigen Entlassung Stein's, dem er mit grosser Verehrung ergeben war, im Januar 1807 wurde er nur mit Mühe abgehalten auch die seinige zu nehmen. Da er sich zum Ausharren entschlossen hatte, wurde er von dem Staatsminister von Hardenberg denjenigen Räthen zugesellt, welche unter desselben oberer Leitung die Staatsverwaltung bis zum Frieden von Tilsit führten unter ihnen waren Nicolovius und von Schön, mit welchen ihn bald eine auf gegenseitige Hochachtung gegründete Freundschaft eng und auf die Dauer verband. Als aber im October desselben Jahres Stein aufs Neue dem Rufe des Königs folgte und das grosse Werk der Reorganisation des Staates mit ganzer Kraft wieder aufnahm, wurde auch Niebuhr dabei mit wichtigen Arbeiten in der Finanzverwaltung betheiligt. Um diese Zeit wurde er von zwei Ereignissen aufs schmerzlichste betroffen: im October vernahm er die Kunde von dem zweiten Bombardement von Kopenhagen und der Wegführung der dänischen Flotte durch die Engländer; im December verlor er seine Mutter, welche nach längern asthmatischen Leiden den Ihrigen entrissen wurde. : ,,Inzwischen hatte Stein die Nothwendigkeit erkannt, für die dringendsten Bedürfnisse des Staats ausserordentliche Geldmittel anzuschaffen, und Niebuhr mit der Negociirung einer Anleihe in Holland beauftragt. Dieser trat im Februar 1808 die Reise dorthin an und verweilte länger als ein Jahr, meistens in Amsterdam. Während er dem unter den damaligen Zeitumständen äusserst schwierigen Geschäfte seine eifrigste und gewissenhafteste Sorgfalt widmete, wusste er doch sowohl für wissenschaftliche Studien wie für die Erforschung des Landes und Volkes, das ihn sehr anzog, Musse zu gewinnen: über beides hat er in den an seine Familie, insbesondere an seinen greisen, fast erblindeten Vater gerichteten Circularbriefen, die in den Nachgel. Schriften S. 1-312 mitgetheilt sind, sehr eingehende und noch jetzt lehrreiche Berichte erstattet. Das Resultat der mühsam geführten Verhandlungen wurde durch die lange verweigerte Genehmigung des Königs von Holland und endlich durch die Einverleibung des Königreichs in Frankreich zum grossen Theil vereitelt. ,, Noch während seines Aufenthaltes in Amsterdam hatte er die erschütternde Nachricht von dem erzwungenen Rücktritt des Ministers Stein und seiner Aechtung durch Napoleon erhalten. In der Unsicherheit, in welche durch dieses unglückliche Ereigniss die gesammte preussische Staatsverwaltung und auch seine eigne Stellung gerathen war, brachte er die ersten Monate nach seiner Rückkehr aus Holland vom April bis August 1809 bei Verwandten und Freunden in Holstein zu. Zwar erhielt er nach seiner Rückkehr nach Berlin durch seine Ernennung zum Geheimen Staatsrath und Chef der Section für das Staatsschuldenwesen und die Geldinstitute, (im Dezember 1809) einen Beweis des Vertrauens des Königs, und die Männer, welche in der nächsten Zeit mit der schwierigen Aufgabe der Verwaltung der preussischen Finanzen beauftragt wurden, erst Altenstein, dann Hardenberg, bemühten sich, seine Mitwirkung zur Ausführung der von ihnen aufgestellten Pläne zu gewinnen. Aber es ist ihm nach gewissenhafter Prüfung derselben unmöglich gewesen, diesen seine Zustimmung zu geben, und um so weniger, sich an ihrer Ausführung zu betheiligen. Nach langen peinlichen Verhandlungen, welche die Zeit vom Herbste 1809 bis zum Sommer 1810 zu einer der traurigsten seines Lebens gemacht haben, kam er im Mai zu dem Entschlusse, seine bisherige amtliche Stellung niederzulegen und um Uebertragung der Professur der Geschichte an der neuerrichteten Universität zu Berlin zu bitten. Niebuhr's Erfahrung und Einsicht der Verwaltung der preussischen Finanzen zu erhalten: da sie fehlschlugen, trug er selbst bei dem König auf seine Ernennung zum Historiographen an Johannes von Müller's Stelle an: sie erfolgte bald, mit dem Zusatze,, dass er dem Minister Hardenberg und dem Finanzministerium mit Rath und Gutachten auf Erfordern zur Hand gehen werde'. Mit dem Rücktritt von den Staatsgeschäften trat für Niebuhr eine der erfreulichsten Perioden seines Lebens ein: mit der reinsten Freude wandte er sich den längere Zeit zurückgedrängten philologischen und historischen Studien wieder zu. Er war vor kurzem zu seiner Freude zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften erwählt worden 1), und auf dringendes Bitten seiner Freunde trat er bei Eröffnung der Berliner Universität Michaelis 1810 mit seinen ersten Vorlesungen über römische Geschichte auf. Die lebendige Theilnahme, welche diese nicht nur bei den Studirenden, sondern bei den Gebildeten aller Stände fanden, welche sie in grosser Zahl besuchten, der tägliche Umgang mit vertrauten Freunden, Spalding, Buttmann, Heindorf, Schleiermacher, von Savigny, wirkte ermuthigend und begeisternd auf sein empfängliches Gemüth. Mit jugendlicher Kraft und Freudigkeit lebte er damals in einer steten, durch die dankbarste Anerkennung unmittelbar belohnten Production, und oft hat er später geäussert, dass diese Zeit unter die reichsten und glücklichsten seines Lebens gehöre. So wurde der Grund gelegt zu den in den Jahren 1811 und 1812 erschienenen beiden Bänden seiner Römischen Geschichte, einem Werke, welches auch in der späteren Umarbeitung als eine der grossartigsten Leistungen der Gelehrsamkeit, des Scharfsinns und des Strebens nach Wahrheit fortleben und fortwirken wird. Der litterarischen Musse, durch welche edle Männer zu dieser Zeit sich den Schmerz über die drückende Fremd 1) Lebensnachrichten I, 490. |