fast sechzig Jahre nach jener Zusammenkunft die Wirklichkeit bedeutend verschoben: er scheint u. A. das Augenleiden der Frau auf Niebuhr selbst übertragen zu haben. Dennoch spricht auch aus dem entstellten Bilde die hohe Achtung, welche die Gelehrsamkeit und vielseitige Bildung des jungen Mannes dem wissbegierigen Fremden einflösste. Auch Niebuhr erwähnt diese Begegnung mit Interesse in einem Briefe an die Eltern vom 20. September 1801 1): Neulich brachte Desaugiers (der französische Geschäftsträger, mit dem Niebuhr schon seit seinem ersten Aufenthalt in Kopenhagen auf freundschaftlichem Fusse stand 2)) den jungen Ségur zu uns, den Sohn des ehemaligen Ambassadeurs und Enkel des Marschalls und Kriegsministers: ein so liebenswürdiger Mann als nur wenige. Ich glaube, dass er sich uns anschliessen wird, und ich will ihn bei den Ministern einführen." Der eignen Befriedigung durch seine amtliche Thätigkeit gibt Niebuhr in einem Briefe vom Dezember 1803 3) lebhaften Ausdruck:,,Es gibt eine Belohnung des thätigen Geschäftsmannes, die ich jetzt einerndte, und die ist ein guter Ruf und eine Vertrauen gewinnende Stellung, auch bei den ungelehrten Mitbürgern 4). Auf diese Weise werden mir meine Geschäfte wirklich angenehm: die verwickeltsten werden mir leicht, und ich kann sie in sehr kurzer Zeit zu Ende bringen." Dieser gute Ruf aber, dessen er sich bei seinen Vorgesetzten und Mitbürgern erfreute, beschränkte sich nicht auf die Grenzen Dänemarks. Der Freiherr vom Stein, welcher im October 1804 an Struensee's Stelle zum Preussischen Finanzminister ernannt war und im September 1805 die obere Leitung der Bank und Seehandlung übernommen 1) Lebensnachrichten I, 312. 2) Ebendas. S. 111. 3) Ebendas. S. 278. 4) Noch in viel spätern Jahren stand Niebuhr's Bankverwaltung in der Kopenhager Kaufmannschaft im besten Andenken, wie mir aus bester Quelle bekannt ist. hatte, in deren Verwaltung grosse Missbräuche eingerissen waren, warf sein Auge auf Niebuhr, unter dessen Leitung die Kopenhagener Bank sich zu grossem Ansehn erhoben hatte, und berief ihn im Sommer 1806 als Mitdirector der Seehandlungs - Societät nach Berlin 1). Niebuhr knüpfte seine Annahme dieser ehrenvollen Stellung an die Bedingung,,, zu keinem Geschäfte berufen zu werden, welches Dänemark schädlich oder feindlich wäre". Sie wurde ihm bewilligt, und Anfangs October traf er in Berlin ein,,, wurde aber schon in den nächsten Tagen in die Flucht der Geldinstitute mit verwickelt". Aus den Zeiten des preussischen Staatsdienstes. 1806-1831. War Niebuhr bald nach seiner Anstellung in Dänemark schon im zweiten Jahre seiner Amtsführung in die Lage gekommen, Zeuge des schweren Schicksalsschlages zu sein, von welchem dieser Staat durch den englischen Ueberfall in seiner Hauptstadt betroffen wurde, so war es jetzt sein noch viel härteres Loos, dass, noch ehe er die Geschäfte, zu denen er berufen war, übernehmen konnte, die Katastrophe von Jena und ihre verderblichen Folgen den preussischen Staat, dem er sich entschlossen hatte seine Kräfte zu widmen, in unabsehliche Zerrüttung und hart an den Rand des Verderbens brachte. Er hatte zwar nicht ohne schwere Besorgnisse seinen Entschluss gefasst, aber einen so verhängnissvollen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse hatte auch sein zu trüben Ahnungen geneigter Geist nicht voraussehen können. Und dennoch hat das öffentliche Unglück dieser ersten Jahre 1) Pertz, Aus Stein's Leben I, 152. 153. (Ich citire hier und später nach der Ausgabe in zwei Bänden.) die Bande, durch welche Niebuhr sich dem preussischen Staate von nun an zugehörig fühlte, nur enger geknüpft. Der Zeitraum, während dessen er ihm angehört hat, umfasst nahe an fünfundzwanzig Jahre. Vierzehn dieser Jahre hat er in amtlichem Dienste gestanden in zwei getrennten Perioden: in der ersten, vom Herbst 1806 bis zum Sommer 1810, in den verschiedenen Finanzgeschäften, mit denen er beauftragt war; in der zweiten, seit dem Wiederausbruch des Krieges 1813, zunächst in verschiedenen Missionen und seit dem Sommer 1816 bis zum Sommer 1823 auf dem Gesandtschafts posten in Rom. Auf jede dieser beiden im eigentlichen Staatsdienste verbrachten Perioden von je vier und zehn Jahren folgte ein Zeitraum wissenschaftlicher und literarischer Musse, wenn eine Zeit angestrengten productiven Fleisses und eifriger Lehrthätigkeit so genannt werden kann: von 1810 bis 1813 im Anschluss an die Universität Berlin, und von 1824 bis an seinen Tod in freier Verbindung mit der Bonner Universität. Niebuhr's amtliche Wirksamkeit in den beiden angegebenen Perioden steht mit der Geschichte des preussischen Staates in beiden Zeiträumen in naher Beziehung. Die Aufgaben, die ihm beide Male vorzugsweise zu lösen gestellt waren, gehörten ihrer Natur nach und unter den jedesmaligen Zeitumständen zu den schwierigsten: das eine Mal galt es für die dringendsten Bedürfnisse des Staates zur Zeit des härtesten Druckes von aussen und der grössten Zerrüttung im Innern durch eine auswärtige Anleihe Geldmittel herbeizuschaffen und den tiefgesunkenen Staatskredit zu heben; das andere Mal in dem auf neuen Grundlagen und aus den heterogensten Elementen wieder errichteten Staatsorganismus die lange verwahrlosten Verhältnisse der katholischen Kirche, die durch die neugewonnenen Provinzen einen grossen Zuwachs erhalten hatte, durch Unterhandlungen mit dem römischen Stuhle fest zu ordnen. Niebuhr's Antheil an diesen wichtigen Arbeiten und die Resultate seiner Leistungen in ihren einzelnen Classen, B. G. Niebuhr. 4 Stadien und unter dem wechselnden Einfluss der darauf einwirkenden Factoren in das rechte Licht zu stellen und unparteiisch zu würdigen, wird eine der Hauptaufgaben seines künftigen Biographen sein. Hier sollen nur einige Punkte dieser sehr umfangreichen Verhältnisse herausgehoben und die Ergebnisse einiger verdienstlicher Arbeiten, welche zur Aufklärung derselben neuerdings unternommen worden sind, mitgetheilt werden. Es versteht sich, dass auch für diese Perioden die,, Lebensnachrichten" sowohl in ihrem erzählenden, wie in ihrem brieflichen Theile, die Hauptquelle unserer Kenntniss von Niebuhr's Lebensgange sind. Aber sehr erfreulich ist es, dass gerade hier die archivalischen Untersuchungen, welche, soweit es die bisher bestehenden gesetzlichen Anordnungen zuliessen, von den berufensten Männern mit grosser Sorgfalt über beide Zeitabschnitte geführt worden sind, über mehrere Punkte ein sehr willkommenes Licht verbreitet haben. a. Aus der Zeit der ersten amtlichen Wirksamkeit. 1806- 1810. Was es Niebuhr ungemein erschwerte, von Anfang an in seiner amtlichen Thätigkeit im preussischen Staatsdienste eine sichere Stellung zu gewinnen, war ausser der traurigen allgemeinen Lage der mehrmalige jähe Wechsel, der in den ersten Jahren nach seinem Eintritt in der obersten Leitung und Verwaltung der Staatsgeschäfte eintrat. Nachdem der Hof nach Königsberg geflüchtet und auch die meisten Regierungsbehörden dorthin verlegt waren, sah sich der Minister vom Stein in Folge der unglücklichen Zerwürfnisse, in welche er durch seinen unbeugsamen Freimuth persönlich mit dem Könige gerieth 1), genöthigt, in den ersten Tagen des Jahres 1807 sein Amt niederzulegen. Niebuhr, der von Stein berufen und mit dem ehrenvollsten Vertrauen aufgenommen worden war, wurde durch dieses Ereigniss so heftig erschüt 1) Die diese Verhältnisse betreffenden Actenstücke bei Pertz I, 176–183. |