selbst", schreibt dieser gleich nach Empfang der Nachricht von Niebuhr's Tode im Januar 1831 1),,,bei täglicher Berührung mit dem leidenschaftlichen, geistreichen, zartbesaiteten und auch wohl ein wenig verzogenen Freunde ein stets ungetrübtes Verhältniss zu ihm hätte behaupten können, weiss ich nicht; das aber weiss ich, dass ich von keinem lang entbehrten Freunde so überraschend angenehm angesprochen worden bin, als von ihm, als ich vor anderthalb Jahren (bei N.'s Besuch in Holstein im Sommer 1828) nach vieljähriger Trennung seine liebenswürdige kindliche Art, seine unbefangene Heiterkeit, das alte ungeschwächte Vertrauen, die volle Elasticität des Geistes der früheren Jahre wiederfand. Seine unermessliche Ueberlegenheit habe ich schon vor 32 Jahren 2), als wir beide in der ersten Jünglingsblüthe standen, bewundernd anerkannt; höher aber noch stand mir bei unserem letzten Zusammentreffen die bewahrte Reinheit und Unschuld, der kräftige sich vor Aeusserem nicht beugende Sinn, durch die wir als Jünglinge zu einer Zeit, in welcher ich ihm in nichts anderem Bescheid thun konnte, unsere Berührung fanden." Ich habe die ganze Stelle ausgehoben, weil aus ihr auf Niebuhr's Persönlichkeit, auch wie sie in späteren Lebensjahren sich zeigte, ein wohlthuendes Licht fällt. Wohl dürfen wir, ohne Widerspruch zu befürchten, aussprechen, dass Niebuhr in seinem vierundzwanzigsten Jahre seine sechsjährigen Lehr- und Wanderjahre mit einer Reife des Geistes, einem Ernste des sittlichen Strebens, einer Vielseitigkeit des Wissens, einer auf Anschauung und Erfahrung gegründeten Einsicht in Staats- und Lebensverhältnisse abschloss, wie sie auch bei den begabtesten jungen Männern selten zu finden sein wird. Er hatte an Heiterkeit, Männ 99 1) Friedr. Perthes' Leben III, 354. 2) Rist war 1797 an Niebuhr's Stelle als Sekretär bei dem Grafen Schimmelmann eingetreten, und auf diesen Zeitpunkt bezieht sich ohne Zweifel die obige Angabe. lichkeit und Vertrauen auf seine Kräfte sehr gewonnen; er hatte gelernt, nicht durch Ueberspannung seiner geistigen Thätigkeit eine Erschlaffung herbeizuführen, welche ihn oft gelähmt und muthlos gemacht hatte: seine Stimmung und seine Thätigkeit waren gleichförmiger geworden", so versichert uns aus dieser Zeit die treue Freundin, welche ihn damals am nächsten zu beobachten Gelegenheit hatte 1). Denn nach seiner Rückkehr aus Schottland im November 1799 musste er des äusserst strengen Winters wegen, der die Communication mit Dänemark erschwerte und unterbrach, länger als es seine Absicht war, in seiner Familie verweilen. Wenn er auch wegen Mangels an Büchern und bei dem wechselnden Aufenthalt bei seinen Eltern, bei seiner Braut und bei Freunden grössere Arbeiten nicht unternehmen konnte,,,so las er doch viel, verarbeitete seine in Grossbritannien eingesammelten Kenntnisse und studirte Manches, was er als Vorbereitung zu seiner künftigen Amtsführung ansah." Mit freudigem Muthe kehrte er im April 1800, gerade zwei Jahre, nachdem er es verlassen, nach Kopenhagen zurück, von Graf Schimmelmann und einigen näheren Freunden auf das herzlichste empfangen und von dem Kronprinzen, der seit 1784 an Stelle seines schwachsinnigen Vaters Christian VII. die Regierung führte, mit Wohlwollen aufgenommen, wurde er schon nach einigen Wochen in die verschiedenen Aemter berufen, die ihn in den dänischen Staatsdienst eingeführt haben 2). Unmittelbar nach erfolgter Ernennung eilte er nach Holstein zurück und vollzog im Mai 1800 seine Verheirathung. Im Juni reiste er mit seiner jungen Frau nach Kopenhagen, das bis zum Herbst 1806 sein Wohnort bleiben sollte, und trat den 1. Juli seine amtlichen Geschäfte an. 1) Lebensnachrichten I, 264. 2) Vgl. oben S. 5. Aus der Zeit seiner amtlichen Thätigkeit in Kopenhagen. Juli 1800 bis September 1806. Es ist nicht die Absicht dieser Erinnerungsblätter, Niebuhr's amtliche Wirksamkeit, weder in seiner angesehenen Stellung in Kopenhagen, noch in den wichtigen Aemtern, die er später im preussischen Staatsdienste bekleidet hat, eingehend zu schildern und zu beurtheilen. Mir selbst liegen die dazu in Betracht kommenden Verhältnisse zu fern, als dass ich mir ein selbständiges Urtheil über Geschäfte und Leistungen erlauben dürfte, zu deren Würdigung eben so viel theoretische Kenntniss, wie praktische Erfahrung erforderlich ist. Ueber die zweite Kopenhagener Periode enthalten die,, Lebensnachrichten“ sowohl in den vortrefflichen Aufzeichnungen der Hensler, wie in den eignen Briefen Niebuhr's so viel Erläuterndes und Belehrendes, dass wir uns durch sie von der Bedeutung und dem Umfang seiner Thätigkeit eine genügende Vorstellung machen können. Ich habe daher den kurzen Angaben der obigen Lebensskizze, welche die in seinen amtlichen Verhältnissen eingetretenen Veränderungen und die wichtigsten Ereignisse, welche sein damaliges Leben berührten, verzeichnet haben, nichts. Wesentliches hinzuzufügen 1). Einen wie schmerzlichen Antheil er an dem Schicksale Kopenhagens während des englischen Bombardements im März 1801 nahm, davon geben seine anschaulichen Berichte an die Hensler 2) und an den Grafen Moltke 3) einen sprechenden Beweis. Was uns bei dem näheren Einblick in diese zweite Kopenhagener Zeit am meisten mit Bewunderung erfüllt, das ist die ausserordentliche Arbeitskraft, welche Niebuhr auch bei seiner eigenen nicht un 1) Vgl. S. 6f. 2) Lebensnachrichten I, 288 ff. 3) Ebendas. II, 38. 39. gestörten Gesundheit und bei manchen Sorgen, welche wiederholte Kränklichkeit seiner Frau ihm verursachte, damals bewiesen hat. Denn während der Umfang seiner Geschäfte in beständigem Zunehmen war und er sich ihnen mit der strengsten Gewissenhaftigkeit hingab '), fand er Zeit zu den umfassendsten und gründlichsten wissenschaftlichen Arbeiten. Wir vernehmen über diese die genauesten Mittheilungen in den Briefen an Moltke, dem er in dem Gefühl, dass er eine Arbeit von bleibendem Werthe unternommen habe, näheren Bericht erstattet 2).,, Ich erforsche mit der gespanntesten Anstrengung", schreibt er im Mai 1804, ,,die Römische Geschichte von ihrem ersten Anbeginn bis zu den Zeiten der Tyrannei, in allen Denkmälern der alten Schriftsteller, deren ich habhaft werden konnte." Es waren vor Allem die Untersuchungen über die Ackergesetze, die Landanweisungen und den Landbesitz im römischen Staate, welche ihn damals beschäftigten und welche den Ausgangspunkt des grossen Werkes seiner Römischen Geschichte gebildet haben. Zugleich ist es höchst anziehend, zu sehen, mit wie herzlicher Theilnahme er den Freund, der um diese Zeit mit seiner zweiten Gattin eine längere Reise nach Rom und Italien machte, begleitete, wie er mit der sicheren Kunde, die er durch die aufmerksamste Lectüre sich auch von den Ländern, die er nicht selbst gesehen, gewonnen hatte, ihm Rath für den Besuch von weniger bekannten Orten und Gegenden ertheilt 3), und wiederum wie er ihn um die Ausführung einiger Wünsche für seine Studien bittet, um mehrere bestimmte Münzen und um einen Abdruck der vor kurzem aufgerollten herkulanensischen Papyrusrollen. Nach einer ganz andern Seite hin wandte er im Winter 1802-3 seine gelehrte Thätigkeit. Um seinen hochbejahrten 1) Vgl. darüber Lebensnachrichten I, 279. 2) Lebensnachrichten II, 44 ff.; vgl. auch I, 278. 3) S. 45, insbesondere über Ravenna und den klassischen Boden von Samnium. Vater zu erfreuen, nahm er das lange vernachlässigte Studium des Arabischen wieder auf und überraschte ihn zu seinem siebzigsten Geburtstage, 17. März 1803, mit der Uebersetzung eines Theils von El Wakedi's Geschichte der Eroberung von Asien unter den ersten Kalifen, aus einem Manuskript der Kopenhagener Bibliothek 1). Eben so liess er es sich angelegen sein, jede Gelegenheit, welche ihm seine Stelle in der Afrikanischen Consulats - Direction darbot, zu benutzen, um von Eingebornen aus Marokko und den Barbareskenstaaten Nachrichten über den Orient einzuziehen und durch ihre Mittheilung dem greisen Vater Freude zu machen 2). Sowohl aus den Mittheilungen seiner Freunde, wie aus den eignen Aeusserungen seiner Briefe dürfen wir uns die Vorstellung bilden, dass Niebuhr namentlich in den ersten Jahren seiner Ehe in Kopenhagen ein zwar gesellig zurückgezogenes, aber heiteres und innerlich sehr befriedigtes Leben führte. So eifrig er auch seine Geschäfte und seine Studien betrieb, so widmete er sich doch namentlich in den Abendstunden regelmässig der Unterhaltung mit seiner Frau, die alle seine Interessen theilte, und suchte ihr, da sie an Augenschwäche litt, durch Gespräch und Vorlesen ihren Zustand zu 1) Lebensnachrichten I, 277; II, 347. Den Freunden Niebuhr's wird es von Interesse sein, zu erfahren, dass diese Uebersetzung 1846 im Verlag des Rauhen Hauses zu Hamburg mit einigen Bemerkungen und der Widmung an seinen Vater durch Dr. Mordtmann veröffentlicht ist. Ich lasse den Eingang der letztern hier folgen: Das Gefallen an meinem Unternehmen, die Arabische Sprache zu erlernen, welches Sie, liebster Vater mir zu erkennen gegeben, hat meinen Fleiss angetrieben, so wie der Wunsch, den Sie schon seit meinem Knabenalter hegten, dass ich morgenländische Sprachen erlernen möchte, zunächst nach dem Interesse, welches für die Nationen des Orients durch Ihre Reisen entstanden war, den erst jetzt ausgeführten Vorsatz immer als eine einmal zu erfüllende Pflicht vor meinen Augen erhielt." Von weiteren Plänen ähnlicher Art wurde er durch die Vermehrung seiner Geschäftsarbeiten abgehalten: vgl. die Biographie des Vaters S. 67 in den Kleinen Schriften, Bd. I. 2) Ebendas. I, 308 ff. |