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Unter Staatskirche ist eine Kirche zu verstehen, deren Religion die ausschließliche und vorgeschriebene Religion des Staates ist und bei allen seinen Einrichtungen, soweit es überhaupt möglich ist, als allein maßgebend zugrunde gelegt wird. In diesem strengen Sinne gibt es keine Staatskirche, weder in Preußen noch in Deutschland, abgesehen davon aber sind auch diese Forderungen vom heutigen Rechte nicht erfüllt, und zwar mit Recht, da sie, wie ein Blick auf die historisch gewordene Stellung der verschiedenen Kirchen und Religionsgesellschaften zeigt, durchaus unberechtigt sind.

Die Vorrechte, welche die mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften vor denen ohne Korporationsrechte im bürgerlichen Rechte haben, sind schon oben im § 21 erwähnt. Auch das Strafrecht macht diesen Unterschied in § 166 StGB. und schüßt in diesem Paragraphen nur die mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften gegen Beschimpfungen.1)

Die übrigen strafrechtlichen Vorschriften, die sich auf Vergehen gegen Religionsgesellschaften beziehen, machen diesen Unterschied übrigens nicht, so daß also im allgemeinen der strafrechtliche Schuß der Religionsgesellschaften ein gleicher ist.2)

Ferner sind gewisse Religionsgesellschaften, nämlich der Orden der Gesellschaft Jesu und alle ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen,) besonderen Einschränkungen_unterworfen, indem sie vom Gebiet des Deutschen Reiches ausgeschlossen sind und ihnen die Errichtung von Niederlassungen untersagt ist.*) Durch das Gesetz v. 31.5. 1875 endlich in Verbindung mit Art. 5 des Gesezes v. 29. 4. 1887 sind alle Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom Gebiet der preußischen. Monarchie ausgeschlossen, mit Ausnahme der ausschließlich der Krankenpflege gewidmeten sowie derer, die sich der Aushilfe in der Seelsorge, der übung der christlichen Nächstenliebe, dem Unterricht und der Erziehung der weiblichen Jugend widmen oder deren Mitglieder ein beschauliches Leben führen. Endlich bestimmt Art. 14 VU.:

"

Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt".

1) vgl. § 166 StGB.

2) vgl. §§ 167, 196, 304, 306 StGB.

8) Das sind die Lazaristen, die Kongregation vom heiligen Geiste und der weibliche Orden vom heiligen Herzen Jesu, aber nicht mehr die Redemptoristen und die Väter vom heiligen Geiste.

4) vgl. § 1 d. Reichsges. v. 4. 7. 1872 betr. den Orden der Gesellschaft Jesu.

Dieser Artikel bezieht sich nach Wortlaut und Entstehung nur auf die mit der Religionsübung im Zusammenhang stehenden Einrichtungen, d. h. es sollen die christlichen Feiertage und nur sie als allgemeine Landesfeiertage gelten, es soll die spezifisch christliche Form des Eides beibehalten bleiben, die Lehrstühle der Theologie sollen an den Universitäten den beiden christlichen Kirchen vorbehalten bleiben, und die öffentlichen Schulen sollen ihren christlichen Charakter behalten.1) Der Artikel will aber nicht, wie auch schon sein Wortlaut ergibt, bestimmen, daß die christliche Religion bei allen bürgerlichen Einrichtungen des Staates als allein maßgebend zu betrachten sei.) Durch diesen Artikel ist also die christliche Kirche, wenn auch nur in sehr beschränktem Umfange, als Staatskirche anerkannt.

Der lezte Absatz des § 17 der Grundrechte bestimmt: „Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bestehens durch den Staat bedarf es nicht".

Die Anerkennung dieser Forderung durch Art. 12 VU. und ihre Einschränkungen durch das Gesetz v. 11. 3. 1850 sind schon oben in § 21 erörtert.

§ 25.

Die Freiheit von jedem Zwang zu kirchlichen Handlungen oder Feierlichkeiten.

§ 18 der Grundrechte bestimmt: „Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden“.

Dieser Paragraph spricht nur eine Folgerung aus dem Prinzip der Religionsfreiheit aus und hätte also unbeschadet in dem Katalog der Grundrechte fortbleiben können. In der Verfassungsurkunde ist er logischerweise auch nicht ausdrücklich wiederholt worden, da er schon durch Art. 12 VU. anerkannt ist. Die Anerkennung dieses Grundsages hat zur Folge, daß der Staat seinen Untertanen die Möglichkeit schaffen muß, eine gültige Ehe ohne kirchliche Trauung einzugehen. Das ist, nachdem es schon früher vielfach anderwärts geschehen war, für Preußen durch das Gesetz v. 9. 3. 1874 und für das Reich durch das Reichsgesetz v. 6. 2. 1875 geschehen.3) Einschränkungen dieses Grundsages gibt es nicht.

1) vgl. die Ausführungen des Abg. Stahl bei Einführung des obigen Artikels (Stenogr. Ber. der I. Kammer 1849/50 Bd. 2 S. 978); Schwarz a. a. D. S. 79. 2) vgl. Schwa r ß a. a. D. S. 79; Rönne 4. Aufl. Bd. 2 ̊S. 165 Anm. 2. 3) Das Nähere s. unten im § 27.

§ 26.

Die Eidesformel.

§ 19 der Grundrechte bestimmt: „Die Formel des Eides soll fünftig lauten: So wahr mir Gott helfe".

Der Zweck dieses Paragraphen war wohl, wie man aus dem Beschluß der 1. Lesung der Grundrechte 1) schließen kann, aus der Eidesformel die Beziehung auf ein bestimmtes Bekenntnis zu entfernen, um nicht hierdurch einen Gewissenszwang auszuüben.

Die Forderung dieses Paragraphen ist voll erfüllt durch § 481 3P., welcher festsetzt, daß der Eid mit den Worten beginnt: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden und mit den Worten schließt: So wahr mir Gott helfe. Die Zivilprozeßordnung ist sogar noch über die Forderung der Grundrechte hinausgegangen, indem sie in § 484 bestimmt, daß es der Eidesleistung gleich geachtet wird, wenn ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, der das Gesez den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, 2) eine Erklärung unter der Beteuerungsformel dieser Religionsgesellschaft abgibt, wonach also wenigstens gewisse Personen, die aus religiösen Gründen an der Leistung des Eides Anstoß nehmen, davon entbunden werden können. Eine gewisse Einschränkung der Gewissensfreiheit kann zweifellos darin liegen, daß nach heutigem Recht z. B. ein Atheist gezwungen ist, den Eid in der Fassung des § 481 ZPO. zu leisten. Da sich indes die Grundrechte an dieser Möglichkeit nicht gestoßen haben, so habe ich keine Veranlassung, mich näher mit der Frage zu beschäftigen. Jede Beziehung auf Gott aus der Eidesformel zu entfernen, würde, da das Wesen des Eides eben in der Anrufung Gottes besteht, Abschaffung des Eides bedeuten, was praktisch unmöglich ist.

§ 27.
Die Zivilehe.

Zur vollständigen Verwirklichung der Religionsfreiheit gehört auch, wie schon oben erwähnt, daß der Staat für alle Untertanen

1) Nach dem Beschluß der 1. Lesung lautete der Paragraph: Die Form des Eides soll eine für alle gleichmäßige, an kein bestimmtes Religionsbekenntnis geknüpfte sein.

2) Das sind in der Hauptsache Mennoniten und Philipponen.

ein einheitliches, von konfessionellen Gesichtspunkten unabhängiges Eherecht schafft, d. h. also, Ehehindernisse und Form der Eheschließung und Scheidung einheitlich und ohne Beziehung auf die Kirche regelt. Infolgedessen bestimmt § 20 der Grundrechte: Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Zivilaktes abhängig, die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des Zivilaktes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehindernis". Und § 21 der Grundrechte bestimmt im Anschluß daran: „Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt“.

Diese beiden Paragraphen der Grundrechte sind durch das heutige Recht voll verwirklicht. Schon der Art. 19 VU. sah die Einführung der Zivilehe und von Zivilstandsregistern durch ein besonderes Gesetz vor. Dies Gesetz kam zunächst noch nicht zustande, da sich längere Kämpfe über die Frage entwickelten, ob die Zivilehe als obligatorische oder fakultative einzuführen sei. Nachdem diese Frage im Sinne der obligatorischen Zivilehe entschieden war, wurde lettere, sowie die Führung von Zivilstandesregistern durch vom Staate bestellte Standesbeamte für Preußen durch das Gesetz v. 9. 3. 1874 eingeführt. Dies Gesez ist jezt für das ganze Reich ersezt durch das Reichsgeseß v. 6. 2. 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung bezw. durch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.1)

Daß die Religionsverschiedenheit kein Ehehindernis sei, hatte schon das Gesez v. 4. 5. 1868 über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung in Ansehung der Ehen zwischen Juden und Christen anerkannt. 2) Es folgt jezt aus den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, in das Religionsverschiedenheit nicht als Ehehindernis aufgenommen ist. 3)

Einschränkungen dieser Forderungen der Grundrechte gibt

es nicht.

1) vgl. BGB. §§ 1297ff. und Art. 46 EG. z. BGB.; vgl. ferner auch das Gesez v. 4. 5. 1870 über die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Auslande, das Zivilehe und Standesregister auch für die Deutschen im Auslande einführte.

2) vgl. § 2 d. gen. Ges.

3) vgl. BGB. §§ 1323-1335.

Sechstes Kapitel.

Die Freiheit der geistigen Tätigkeit und Regelung des Unterrichtswesens. (Art. 6 der Grundrechte.)

§ 28.

Die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre.

§ 22 der Grundrechte bestimmt: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei".

Dieser Satz bedeutet nicht nur, 1) daß die Wissenschaft als forschende frei sei, denn das ist schon an und für sich selbst wahr und kann nicht weiter durch die Gesetzgebung garantiert werden, sondern auch, daß sie als lehrende oder vortragende frei sein solle. Es darf also keine objektive Beschränkung der Wissenschaft versucht werden, sondern jeder darf seine wissenschaftliche Überzeugung frei mitteilen und darf deshalb im voraus nicht belästigt werden; natürlich bleibt er aber dabei den allgemeinen und den Strafgeseßen unterworfen. Ferner soll vom Staate keine Richtung der Wissenschaft bevorzugt und nicht bestimmt werden dürfen, wie die Wissenschaft gelehrt werden und welchen Weg sie gehen soll.

Endlich soll dieser Paragraph auch die Lernfreiheit garantieren. Diese Bestimmung der Grundrechte ist als Art. 20 wörtlich in die Verfassungsurkunde übergegangen, an sich also sind die oben entwickelten Forderungen für Preußen voll erfüllt. 2)

Es bestand nun bisher Streit darüber, ob dieser Artikel und ebenso die folgenden fünf Artikel der Verfassungsurkunde nicht durch Art. 112 VU. suspendiert worden seien. Dieser Artikel bestimmte, daß es bis zum Erlaß des in Art. 26 VU. vorgesehenen Unterrichtsgeseßes hinsichtlich des Schulwesens bei den jezt geltenden gesetzlichen Bestimmungen bewenden solle.

1) vgl. für das Folgende Rönne a. a. D. 4. Aufl. Bd. 2 S. 452 ff. 2) Dementsprechend erklärte auch der Minister v. Ladenberg denen gegenüber, die diesen Artikel als eine Phrase bezeichneten, der Artikel spreche einen Grundsag aus, durch den der Staatsverwaltung ein leitender Maßstab gegeben werde, über den der verwaltende Minister nicht hinausgehen dürfe, indem er danach der Wissenschaft keine weiteren Schranken ziehen dürfe, als welche das Staatsinteresse dringend geböte.

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