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saturae den Freunden und dem großen Publikum, das ihm mit Entzücken lauschte, seine Wahrnehmungen und Gedanken kundgetan. Seine Dichtungen wirkten durch die Persönlichkeit, die hinter ihnen stand: noch zu uns spricht aus den Resten ein freier, stolzer, froher Sinn, der alles Gute,das dies Dasein bietet, in vollen Zügen genießt, über alles Schlechte und Niedrige zornig aufbraust, und der sich getrieben fühlt, weniger durch den Drang nach künstlerischer Gestaltung als nach wirkungsvoller Mitteilung des Empfundenen, Freude und Bewunderung sowohl wie Haß und Verachtung in Versen auszuströmen und so Partei zu ergreifen in den mannigfachsten Fragen des politischen, religiösen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens. Lucilius disputiert oder doziert, schilt oder scherzt, alles mit der gleichen rückhaltlosen Offenheit und dem gleichen sprühenden Temperament; vor allem erzählt er auch gern, von seinen Kriegsfahrten und Reisen, von Liebesabenteuern und Gelagen, von erbitterten Wortgefechten vor Gericht und Gladiatorenkämpfen in der Arena: aus dem Schatz seiner Anekdoten haben Spätere wie Cicero mit vollen Händen geschöpft. Den spezifisch polemischen Gehalt betrachtete also Lucilius durch die Benennung satura noch keineswegs als gegeben; aber in der bunten Mannigfaltigkeit seine Stimmungen trat allerdings die Angriffsfreude stark in den Vordergrund: stand er doch als Freund und Gesinnungsgenosse des Scipio in scharfem Gegensatze nicht nur zu zahlreichen hervorragenden Persönlichkeiten der römischen Aristokratie, sondern auch weitgehend zum Geiste der Zeit überhaupt. Er hat dem Scipio bei dessen Lebzeiten wie nach seinem Tode mit schonungsloser Schärfe der persönlichen Polemik sekundiert; er ist aber auch mit den sittlichen Schäden seines Volkes, vor allem mit dem maßlos sich steigernden und alle Vornehmheit ertötenden Erwerbssinn der höheren Stände hart ins Gericht gegangen, und hat ebenso wenig ein Hehl gemacht aus seinen scharf ausgeprägten literarischen Antipathien. Spätere haben das, was für die Persönlichkeit des Dichters charakteristisch war, auf die poetische Gattung übertragen: so ist Lucilius, ohne es selbst zu wollen, der Schöpfer der Satire als besonderer literarischer Kunstform geworden.

Sein Beispiel hat zunächst nur spärliche Nachfolger gefunden: aus den Kreisen der zünftigen Grammatiker hören wir von einer satura des Saevius Nikanor (Suet. de gramm. 5), vielleicht noch eines Zeitgenossen des Lucilius, sowie des Lenaeus, der gegen Sallusts Verunglimpfungen das Andenken

seines Patrons, des großen Pompejus, dadurch in Schutz nahm ut Sallustium acerbissima satura laceraverit, lastaurum et lurchonem et nebulonem popinonemque appellans, et vita scriptisque monstrosum, praeterea priscorum Catonis verborum ineruditissimum furem (ebd. 15). Welchen Inhalts die Satiren des L. Abuccius (cuius Luciliano charactere sunt libelli Varro R. R. III 2) und des formvollendeten Übersetzers der Argonautika, des P. Varro Atacinus gewesen, dessen nur Horaz (I 10, 46) gedenkt, wissen wir nicht. Ganz andere Wege schlug aber der große Reatiner Varro ein, wenn er in der Manier des Kynikers Menippos von Gadara in bizarrer Mischung von Prosa und kunstvollsten Versmaßen den Gebrechen seiner Zeit im Gewande eines kynischen Predigers den Spiegel vorhielt. Indem Varro diese Dichtungen saturae Menippeae betitelte, griff er zu der von Ennius gewählten Bezeichnung in dem Sinne zurück, daß sie die mannigfaltige Mischung der sprachlichen Ausdrucksformen andeuten sollte: ob die daneben in dem Verzeichnis der varronischen Schriften von Hieronymus aufgeführten saturarum libri IV sich der lucilischen Weise angeschlossen hatten, läßt sich nicht wissen. Erst Horaz war es, der mit vollem Bewußtsein an Lucilius anknüpfte und Form wie Gehalt seiner Dichtung der Welt zu dauerndem Besitz gerettet hat.

Wohl durfte der im Anfang der zwanziger Lebensjahre Stehende nach seinen athenischen Studienjahren und dem kurzen Rausch der Revolutionszeit und des Lagerlebens zunächst froh sein, sich in der Heimat in den Bureaus des Ärars und der bescheidenen Stellung eines Kanzleibeamten einen stillen Unterschlupf erkaufen zu können: aber in der peinlichen Enge der jede freie Bewegung einschnürenden äußeren Verhältnisse nagte an seinem Innern das herbe Gefühl der Enttäuschung, mit welchem der Gegensatz zwischen der Gegenwart und der vor kurzem noch erträumten großen Zukunft sein vom Geschick so unsanft zusammengerütteltes Gemüt verbittern mußte. Solche Verstimmungen abzuschütteln gab es nur einen Weg: sich durch Aussprechen von dem Druck, der auf seinem Gemüt lastete, zu befreien ihn wies ihm zunächst Archilochos, dessen Jamben er in Athen kennen gelernt haben mag, und den der Makel seiner Abstammung und der Druck seiner Armut aus der Heimat fort in die Arme der Poesie getrieben hatte: paupertas inpulit audax ut versus facerem. Aus solcher Stimmung ist die, formell auf das höchste vollendete, von Grimm über die Gegenwart und unbestimmtem Sehnen nach einem fernen Glück in der Zukunft

eingegebene, sechzehnte Epode hervorgegangen. Aber freilich war das eine Stimmung, nicht wie bei Archilochos die Grundrichtung seines Wesens; um sich fortdauernd in solchen bitteren Ergüssen Luft zu machen, war doch H. eine zu reflektierende und zu sehr an Selbstbeherrschung und Zügelung seines leicht erregbaren Temperaments gewöhnte Natur. Wenn er nach kurzer leidenschaftlicher Aufwallung sein seelisches Gleichgewicht wieder gewonnen hatte, versiegte die Produktionslust nicht, aber die geringere seelische Spannung verlangte danach, sich in anderer Form als im herben Jambus zu äußern. In der Satire lucilischer Art fand er ein Instrument, das seiner Neigung zu ruhiger Betrachtung ebenso zu dienen vermochte wie seiner sprudelnden Laune; eine Form, in der er dem prickelnden Bedürfnis genügen konnte, sich nach Wunsch lang oder kurz, ernst oder heiter auszusprechen über die mancherlei Schwächen und Gebrechen der Gesellschaft, für die sich sein vom Vater früh geübter Blick immer mehr geschärft hatte; eine Form zugleich, die seinen ausgeprägten Sinn für Einheitlichkeit des poetischen Kunstwerks, den die menippeische Satire verletzt hätte, befriedigte, die freilich in ernster Arbeit durchgebildet sein wollte, um als Kunstwerk, wie es Horaz verstand, gelten zu können. Er beugt sich vor dem 'Erfinder' Lucilius und erkennt seinen Geist und Charakter, Freimut und Witz mit rückhaltloser Bewunderung an; aber ebenso rückhaltlos tadelt er die Form seiner Poesien, den schlotternden Versbau, die jeder Selbstkritik bare Ungleichheit der Darstellung, die ungesichtete Breite der hastigen Improvisation, kurz das mangelnde künstlerische Gewissen. Sein gutes Recht zu solchem Tadel bewies Horaz durch seine eignen unvergleichlich vollkommeneren Leistungen, die mehrfach durch die Behandlung gleicher Stoffe den Vergleich mit Lucilius keck herausforderten; aber ein sicherer Kunstverstand bewahrte ihn zugleich davon, sich zu hoch zu versteigen und mit der dem Inhalt einzig angemessenen Vortragsart des Lucilius gänzlich zu brechen. Die Aussprache über Fragen und Ereignisse des täglichen Lebens verzichtet darauf, mit der hohen Poesie zu wetteifern, ja überhaupt zur Poesie im eigentlichen Sinne sich zu stellen; gleich der neueren Komödie, der reali- · stischen Darstellung des bürgerlichen Lebens, bedient sie sich als sprachlicher Grundform des gebildeten Unterhaltungstones, des sermo, und vermeidet es auch dem entsprechend, in der Erörterung eine feste Disposition, wie in Rede oder Lehrschrift, aufzustellen und durchzuführen, läßt sich vielmehr bei aller Plan

mäßigkeit der Anlage scheinbar in der zwanglosen Weise mündlicher improvisierter Mitteilung durch die zuströmenden Gedanken bald hierhin, bald dorthin tragen, bald länger bei einem Punkte verweilend, bald rasch und in Sprüngen vorwärtseilend, abbrechend weniger, weil der Gegenstand, als weil das Interesse daran erschöpft ist.

Als sermones hatte bereits Lucilius gelegentlich seine Dichtungen bezeichnet (1039 Marx); unter eben diesem Titel hat Horaz wahrscheinlich seine Satiren veröffentlicht (vgl. epp. I 9, 1; II 1, 250; 2, 60). Wenn er sie daneben, gleichfalls nach Lucilius' Vorgange, als saturae bezeichnet (II 6, 17), so nennt er damit die Gattung, zu der sie gehören wie Ovids Amores zu den elegi, und deren Eigenart so fest steht, daß H. von einer anerkannten lex der satura sprechen kann' (II 1, 1 fg.). Über den Stoff, das argumentum, sagt dieser Name nichts aus, in der Wahl seines Objekts ist der satirische Dichter an keine Schranke gebunden; wohl aber verlangt die Theorie jener Zeit, daß die satura ein polemisches Gedicht sei, dies Wort im weitesten Sinne verstanden. Grad und Ziel der Polemik läßt die größte Mannigfaltigkeit zu, und H. geht hierbei, unbekümmert um Lucilius' Vorbild, ganz den Weg, den ihn seine eigene Art und Stellung wie der Geist seiner Zeit wies. Seine Satiren sind nicht Invektiven; der Kern dieser Erzählungen und Betrachtungen ist nicht die Verspottung von Personen, sondern die Ereignisse und Erfahrungen, die den Dichter belustigt oder verdrossen haben, und die Lebensweisheit, die er seinen Erfahrungen verdankt. Nur ausnahmsweise, soweit wir nachzukommen vermögen, führt ihm Haß oder Rachsucht den Griffel; abgesehen von der 'Hexe' Canidia, die in dem Priapeum der Sammlung, vielleicht als persönliche Feindin, aufs boshafteste verhöhnt wird, richtet sich der verächtliche Zorn des Dichters vornehmlich gegen die Mitglieder einer literarischen Clique, zu der er in sachlichem Gegensatze stand; im übrigen hat Horaz ohne jede sichtliche Gereiztheit stadtkundige Beispiele für alle möglichen Verkehrtheiten und Laster, Zeitgenossen wie Verstorbene, in seine Galerie satirischer Porträts eingereiht, wie sie ihm grade im Leben oder in den Gedanken begegneten; fast ausschließlich untergeordnete Persönlichkeiten, von denen schon die nächste Generation häufig nichts mehr wußte, ganz anders als Lucilius, der primores populi arripuit populumque tributim. Das hängt damit zusammen, daß für Horaz von vornherein ein Gebiet der Satire gänzlich ausscheidet, auf dem Lucilius die größte Wir

kung erzielt hatte: das öffentliche Leben und die Politik. Zugleich verschiebt sich damit der Zweck der Polemik: wenn Luculius seine Gegner mit der Waffe verletzenden Spottes oder beißenden Witzes moralisch zu vernichten trachtet, so ist Horaz an der Bestrafung oder Zerknirschung der Objekte seiner Satire nichts gelegen: schaden sie doch durch ihre Torheiten nicht ihm, sondern sich selbst. So ist Horaz kein strafender Richter, der einen Delinquenten vor sein Tribunal zieht und unbarmherzig züchtigt, kein Prediger, der einem Sünder zu Herzen und in das Gewissen redet: er ist vielmehr der menschenkundige philosophische Beobachter, der von der sicheren Warte einer gegen fremde Scheelsucht wie gegen eigene törichte Wünsche befestigten Lebensanschauung Dinge und Menschen überschaut und sich selbst zur Erheiterung, seinen der Belehrung zugänglichen Mitmenschen zu Nutz und Frommen die Irrtümer und Schwächen der Welt analysiert. Den eigenen festen Halt aber gibt ihm die Philosophie Epikurs, welche ihm die Lektüre des Lucrez und die Bekanntschaft mit Philodemos, bald auch wohl der Verkehr mit Virgil, dem Schüler Sirons, und dem gleichgesinnten Varius vermittelt hatte. Nicht als ob ihn die physischen und metaphysischen Spekulationen des Meisters zu tieferem Eindringen in die Geheimnisse der natura rerum gereizt hätten: was ihn anzog, war die ruhige, verständige und vornehme Sicherheit des epikureischen Bios, die, auf wenige leichtfaßliche und eindringlich verkündete Sätze aufgebaut, von den falschen Meinungen über göttliches und menschliches befreit und Klarheit über Ziele und Hindernisse des menschlichen Begehrens, über den Wert des Reichtums und der bürgerlichen Ehren wie über die Bedingungen des wahren, jedem so leicht erreichbaren Lebensgenusses schafft. Fast alle Satiren des ersten Buches weisen deutliche, vielfach tief gehende Spuren dieser Weltanschauung auf; niemals aber spricht in ihnen der Philosoph von Fach und Anhänger einer philosophischen Autorität, der für ein System Propaganda macht, sondern lediglich der Lebenskünstler, der sich aus jenem System zu eigen gemacht hat was ihm taugt, und nun nicht fremde Lehre, sondern eigenste Erfahrung und inneres Erlebnis anderen mitteilt.

Daß die Satiren des Horaz einen viel stärkeren philosophischen Einschlag aufweisen als die des Lucilius, ist begründet keineswegs nur in der verschiedenen Geistesrichtung der beiden Männer, sondern ebensosehr in der Verschiedenheit der Zeiten. Wenn zu Lucilius' Zeit Kenntnis der wichtigsten philosophischen

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