Obrazy na stronie
PDF
ePub

Ein Mitglied des Reichstages darf als Mitglied einer andern politischen Körperschaft, wenn beide Körperschaften gleichzeitig versammelt sind, nur für diejenigen Tage Entschädigung beziehen, für die ihm auf Grund dieses Gesezes ein Abzug von der Entschädigung gemacht wird. Während des Kalenderjahres 1906 wird bei Vertagung oder Schließung des Reichstages eine Entschädigung bon 2500 Mark gewährt.

"

[ocr errors]

Singer bezeichnet es als einen Schlag ins Gesicht des Reichstags, daß man solche Vorlagen mache. Er bemängelt namentlich die Verquickung der Diätenbewilligung mit der neuen Bestimmung über die Beschlußfähigkeit und die Schuljungenkontrolle". v. Richthofen: Die schwersten Bedenken errege die Bestimmung über die Doppelmandatare, weil sie einen Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten bedeute. Die Konservativen würden einhellig gegen die Vorlagen stimmen, wenn sie in diesem Punkte nicht geändert würden. Der Staatssekretär des Innern Graf Posadowsky: Von einer Nichtachtung des Reichstags tönne keine Rede sein, da ja die Vorlagen nur die Erfüllung eines Wunsches des Reichstags brächten. Die Regierung habe sich entschlossen, um den anormalen Zuständen im Parlament ein Ende zu machen, die Entschädigung zu bewilligen. Aber sie müsse darauf bestehen, daß nun auch die Gewähr für die Beschlußfähigkeit des Hauses gegeben werde. Spahn ist für die Vorlagen, ebenso Hieber. Arendt meint, die zweite Vorlage mache einen etwas geflügelten Eindruck, im ganzen aber erhofft er von ihr sogar den Anbruch einer neuen Aera für den Reichstag. — Kulerski wittert in der Vorlage Absolutismus und die preußische Knute.

[ocr errors]

12. Mai. In zweiter Beratung wird, was den erstern Gesezentwurf betrifft, die Aenderung des Paragraphen 28 abgelehnt, die des Paragraphen 32 angenommen. — Hinsichtlich des zweiten Gesetz= entwurfs, die Entschädigungsgewährung betreffend, beantragt Spahn, daß den Reichstagsabgeordneten die freie Fahrt auch gewährt werden soll während der Vertagung des Hauses, nicht aber während der Vertagung, die auf Grund Kaiserlicher Verordnung geschieht. Staatssekretär Graf Posadowsky: Die Regierungen sind der Ansicht, daß es genügt, wenn die Abgeordneten freie Fahrt von ihrem Wohnort nach Berlin haben. Freie Fahrt auf allen Linien zu fordern, bedeutet eine Aenderung der Vorlage, der die verbündeten Regierungen nicht zustimmen können. Angenommen wird jedoch der Antrag der Kommission, Freifahrt für alle Eisenbahnlinien innerhalb des Reichs einzuführen. Das Pauschale von 3000 Mk. wird angenommen. Paragraph 2 wird also gefaßt, daß für jeden Tag, an dem ein Mitglied der Plenarsizung fernbleibt, nicht 30, sondern nur 20 Mt. abgezogen werden. Die Bestimmungen über die Doppelmandate werden angenommen mit dem Zusaße: „Der Reichstag gilt im Sinne dieses Gesezes nicht als versammelt, wenn er gemäß Artikel 12 der Reichsverfassung vertagt ist."

15. Mai. In dritter Beratung wird die Vorlage über die Aenderung der Reichsverfassung mit 224 gegen 41 Stimmen, die

Vorlage über die Gewährung von Tagegeldern mit 210 gegen 52 Stimmen angenommen, leßtere jedoch unter einer neuen, monatlich um 100 Mark steigenden Ratenzahlung und unter Festsetzung des wegen Abwesenheit abzuziehenden Betrages auf 25 Mark. (Gesetz vom 21. Mai 1906.)

Verfassungsfragen.

I.

Frage eines allgemeinen gleichen Wahlrechts zu allen deutschen Landesvertretungen.

7. Februar. Beratung eines von den sozialdemokratischen Abgeordneten in der Form eines Gesezentwurfs eingebrachten selbständigen Antrags, wonach der Artikel 3 der Reichsverfaffung folgenden Zusaß erhalten soll: „In jedem Bundesstaat und in ElsaßLothringen muß eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts gewählte Vertretung bestehen. Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, haben alle über zwanzig Jahre alten Reichsangehörigen, ohne Unterschied des Geschlechts, in dem Bundesstaate, in dem sie ihren Wohnsiz haben."

Bernstein: In Sachsen ist die Mehrheit des Volkes für die Wahl zum Landtage politisch entrechtet. Das sieht man am deutlichsten, wenn man die Vertretung Sachsens im Reichstage mit der im sächsischen Landtage vergleicht. Ebenso hat man in Lübeck und in Hamburg mit brutaler Macht die Wahlentrechtung des arbeitenden Volkes, das dreiviertel der gesamten Bevölkerung ausmacht, durchgeführt. In Preußen hat man nichts dergleichen vorgenommen, weil dort eine Rückwärtsrevidierung nicht mehr möglich war; das preußische Wahlrecht ist so schlecht, daß es gar nicht mehr verschlechtert werden kann. Das preußische Landtagswahlrecht sollte dem Volke das Wählen verekeln und hat diese Absicht im vollsten Maße erreicht. Nie haben mehr als 35 vom Hundert der Wahlberechtigten an den preußischen Landtagswahlen teilge= nommen. Es kennzeichnet die preußischen Konservativen, daß ihnen jedes Gefühl für Recht und Unrecht abgeht. Im dritten Berliner Landtagswahlkreise waren es ausschließlich die Stimmen der rein plutokratischen ersten Klaffe, die die Wahl sozialdemokratischer Vertreter hinderten. Die Sozialdemokratie hat es an undgebungen gegen das preußische Landtagswahlrecht nicht fehlen laffen. Die Straße gehört nicht einer Klasse, sondern der Gesamtheit. In Deutschland ist die Kundgebung auf den Straßen sehr wichtig, weil den Sozialdemokraten systematisch die Säle abgetrieben werden. Wir werden nicht erlahmen in unserm Kampf für das allgemeine, gleiche Wahlrecht, er ist für unser Volk ein Kampf ums Recht. Durch teine wirtschaftlichen Zugeständnisse wird sich der deutsche Arbeiter sein Wahlrecht abhandeln laffen. Der hanseatische Bundesratsbevollmächtigte Klügmann bemerkt: Der Reichstag hat nicht die Kompetenz, an den Beschlüssen der einzelstaatlichen Regierungen und Volksvertretungen Kritik zu üben. Wir dürfen in den Handelsstädten die Sozialdemokraten nicht zur Herrschaft ge= langen lassen, denn der Zukunftsstaat kennt keine Handelsbetriebe. Graf

Hompesch verliest namens der Zentrumsfraktion folgende Erklärung: „Die Gestaltung der Wahlrechte in den Einzelstaaten unterliegt mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen der Landesgesetzgebung. Andrerseits bricht sich im Einflang mit der allgemeinen Wehr, Schul- und Steuerpflicht die Ueberzeugung von der Notwendigkeit einer harmonischen Ausgestaltung des einzelstaatlichen Verfassungslebens immer mehr Bahn. Wenn die verbündeten Regierungen unter Erweiterung der Reichskompetenz die allgemeine Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in den Einzelstaaten vorschlagen werden, so sind wir bereit, zuzustimmen. Für Elsaß - Lothringen ist jezt schon die Reichskompetenz unzweifelhaft, aber die Einzelheiten des vorliegenden Antrags sind unannehmbar. Auf eine weitere Diskussion laffen wir uns nicht ein“. — v. Normann (kons.): Der Reichstag hat nicht das Recht, in die Verfassung der Einzelstaaten einzugreifen. Wir lehnen daher den Antrag mit aller Entschiedenheit ab. Baffermann (natl.): Wir lehnen den Antrag zunächst aus staatsrechtlichen Gründen ab. Träger (freis. Vp.): Der Forderung des allgemeinen Wahlrechts für alle Bundesstaaten, wenn auch nicht dem Frauenstimmrecht und der Herabseßung des Wahlalters auf zwanzig Jahre, stimmen wir durchaus zu. Alle liberalen und modernen Kreise müffen dieser Forderung zustimmen. Die Straßendemonstrationen halte ich für ein unleugbares Recht des Volkes und für die ultima ratio plebis. Die russische Revolution ist eine heilsame Mahnung zur Aufmerksamkeit. Auf alle Fälle ist der Antrag eine wertvolle Anregung.

Staatssekretär Graf Posadowsky: Fürst Bismard glaubte, durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts die bürgerliche Demokratie überwinden zu können, gegen die er aus der Konfliktszeit her eine starke Abneigung hatte. Auf Grund der Erfahrungen in Frankreich rechnete er darauf, daß der aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangne Reichstag unter allen Umständen die notwendigen Mittel zur Landesverteidigung bewilligen würde. In dieser Beziehung sind die Hoffnungen des Fürsten Bismarck nicht immer eingetroffen. Es liegt keine glaubhafte Aeußerung desselben vor, die erkennen ließe, daß er die Absicht gehabt hätte, das allgemeine Wahlrecht für den Reichstag zu ändern. Aber er hat auch keinen Versuch gemacht, das preußische Landtagswahlrecht zu ändern. Unfraglich liegt eine gewisse Dissonanz darin, daß im Reiche und in dem Präsidialmachtsstaate völlig verschiedenartige Wahlrechte bestehen. Ich gebe zu, daß solche Dissonanzen nicht unbedenklich sind und unter Umständen zu gefährlichen Lösungen drängen können, wobei ich aber die Herren der Rechten warnen möchte, so leicht, wie sie zu tun pflegen, mit dem Gedanken des Staatsstreichs zu spielen. Das verschiedne Wahlrecht im Reiche führt auch dazu, daß dieselben Parteien in Preußen und im Reiche eine andre Haltung annehmen. Die Furcht vor einer sozialdemokratischen Reichstagsmehrheit teile ich nicht; wohl aber fürchte ich, daß die bürgerlichen Parteien durch das allgemeine Wahlrecht zu sehr genötigt werden, den Wünschen der Masse Rechnung zu tragen. Gewiß hat das preußische Landtagswahlrecht schwere Mängel, aber wenn man ihm vorwirft, daß es der Intelligenz keine Rechnung trägt, so muß ich doch fragen, ob etwa das Reichstagswahlrecht der Intelligenz mehr Rechnung trägt.

14. Februar. Bebel: Ein Zweck dieses Antrags sei der, Agitation damit zu treiben. Die Zuständigkeit des Reichstags könne nicht bestritten werden. Dem Zentrum sei es nicht ernst mit der Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für die Einzellandtage. Die Ausschreitungen in Hamburg seien der sozialdemokratischen Partei nicht schuld zu geben. Man wirft uns dann unsre Sympathie mit der russischen Revolution vor. Die dortigen Sozialdemokraten wollen nicht etwa dort einen Deutscher Geschichtskalender 1906. I.

7

sozialistischen Staat gründen, sie verlangen nur die Einführung einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen Wahlrechts. Nirgends ist der Despotismus grausamer als in Rußland. Was waren denn die französische Revolution und die von 1848 andres als bürgerliche Revolutionen zur Herbeiführung konstitutioneller Zustände! Im Jahre 1848 hat die bürgerliche Gesellschaft doch auch in Deutschland Revolution gemacht, und doch waren damals die Zustände bei weitem nicht so schlimm wie jezt in Rußland. Man braucht nur Menschenfreund zu sein, um mit der dortigen revolutionären Bewegung zu sympathisieren. Hat doch Kaiser Wilhelm selbst in einer Rede anerkannt, daß die große französische Revolution der Ausgangspunkt der ganzen modernen Entwicklung gewesen ist. Und war nicht das erste deutsche Parlament die Frucht einer Revolution? Allerdings, wenn man die heutigen Epigonen jener Revolutionäre mit ihren Vätern und Großvätern vergleicht, dann fällt einem das Herz in die Hosen. Was heute in der sozialdemokratischen Preffe zu lesen ist, steht zu dem, was früher die bürgerlichen Blätter schrieben, wie ein leises Säufeln zum tobenden Sturm. Und gar die deutschen Dichter aus der Revolutionszeit, spätere Nationalliberale, würden heute aus dem Zuchthaus gar nicht mehr herauskommen. Aber das Bürgertum geht immer mehr zurück in den Sumpf und darum glaubt es, wir würden immer revolutionärer. Am 21. Januar zitterte der starke preußische Staat wie Espenlaub vor ein paar waffenlosen Sozialdemokraten, zittert noch jezt vor dem sozialdemokratischen Stimmzettel. Am 21. Januar hat sich der ganze preußische Staat bis auf die Knochen blamiert. Am 21. Januar haben die herrschenden Klassen und Männer ihre ganze Gewalttätigkeit verraten, haben fich dem Hohngelächter der ganzen Welt preisgegeben. Mein Gerechtigkeitsgefühl aber zwingt mich von dieser Stelle aus dem Berliner Polizeipräsidenten meine allerhöchste Anerkennung auszusprechen. Mit seiner Besonnenheit verdanken wir es der freiwilligen Disziplin des Proletariats, daß der 21. Januar so ganz ruhig verlief. Das Proletariat läßt sich nicht in die Bajonette treiben, denn es weiß: die Gesezlichkeit tötet Sie. Graf Posadowsky lehnt das allgemeine Wahlrecht ab; aber der ungarische General an der Spize der ungarischen Regierung fordert es. Auch Prinz Ludwig von Bayern hat dem preußischen Wahlrecht eine tüchtige moralische Ohrfeige gegeben. Pachnide_tritt für Einführung einer Verfassung in Medlenburg ein. Blumenthal: Im Reichslande erstreben alle Parteien die Erhebung zum Bundesstaate und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, nur daß die Klerikalen es nicht ernst damit meinen.

21. Februar. Zweite Beratung. Herzfeld (Soz.): Der Antrag richtet fich hauptsächlich gegen Preußen, Sachsen und Mecklenburg. Troßdem die Verfassung die Versammlungsfreiheit garantiert, wollte Fürst Bülow die friedlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie am 21. Januar im Blute ersticken. Stöder: Wir halten die sozialdemokratischen Bestrebungen nicht für geseßlich und werden sie daher nicht unterstüßen. In den Reihen der Sozialdemokratie lebt ein wilder Fanatismus, der sich beständig an der Ehre der betreffenden Personen reibt. Wir können einen Antrag nicht annehmen, in dessen Hintergrunde die russische Revolution steht.

Bei der Abstimmung sind für den ersten Saß des Antrags nur die Sozialdemokraten, Freifinnigen, Polen und Elsässer; damit ist der Saz abgelehnt. Für das Wahlalter von zwanzig Jahren und das Frauenstimmrecht stimmen nur die Sozialdemokraten. Damit ist der sozialdemokratische Wahlrechtsantrag gefallen.

II.

Frage der Aufhebung der Beschränkungen des Vereinsrechts für Frauen.

14. März. Erste Beratung eines von der Freisinnigen Vereinigung und den beiden Volksparteien am 29. November 1905 eingebrachten Antrages: „Den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die landesgeseßlichen Beschränkungen des Vereinsrechts für Frauen durch Reichsgesetz beseitigt werden."

Der Antrag unterscheidet sich von ähnlichen in frühern Sessionen dadurch, daß er im allgemeinen die landesgeseßlichen Beschränkungen des Vereinsrechts für Frauen beseitigen will, während die frühern Anträge den Frauen die Zugehörigkeit zu Vereinen zu sozialpolitischen Zwecken gestatten wollten. Das Reichsgericht und das Kammergericht begrenzen die Teilnahme der Frauen an politischen Versammlungen und ihre Zugehörigkeit zu politischen Vereinen sehr eng. In Sachsen und Mecklenburg ist es noch ungünstiger, deshalb wünschen die Antragsteller, daß der Reichstag in dieser Frage vorgehe. Warum solle der Norden des Reiches in dieser Beziehung anders gestellt sein als der Süden? Immer mehr Frauen würden selbständig, das Geseß aber verbiete den Zusammenschluß zu Berufsvereinen. Auf sozialpolitischem Gebiet könne man die Frau nicht mehr entbehren. Heute, wo viele Frauenbildungsvereine ihre segensreiche Tätigkeit ausüben, müsse der Frau eine beffere Rechtsstellung eingeräumt werden. Bassermann: Angesichts der Tatsache, daß bereits mehrere füddeutsche Staaten die Frauen mit den Männern gleichstellen, ohne daß politische Nachteile entstanden sind, solle man nicht zögern, dieser Forderung des sozialen Fortschritts gerecht zu werden. Müller (Meiningen): Unser Vereinsund Versammlungsrecht sei ein Ueberbleibsel des alten Polizeistaats in Preußen. Von den 30 Millionen deutscher Frauen stehen schon 7 Millionen im Erwerbsleben. Das „Ehret die Frauen" sei eine Verhöhnung, solange sie auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts den Unmündigen, Narren und Verbrechern gleichgestellt werden.

Der Antrag wird angenommen.

III.

Schutz der Versammlungsfreiheit.

21. März. Beratung eines Antrags von Liebermann von Sonnenberg und Genossen, „die Regierungen zu ersuchen, durch Ver= mittlung des Reichsamts des Innern Maßnahmen der Bundesregierungen herbeizuführen, wodurch die allen Reichsangehörigen durch Landesgeseße und den Paragraphen 17 des Reichswahlgesezes gewährleistete Versammlungsfreiheit wirksam vor gewaltsamen Störungen geschüßt wird.“

Liebermann: Die landesgeseßlichen Vereinsrechte sind so verschiedendaß es oft schwierig ist, zu wissen, nach welchem Rechte man sich in irgend, einer Versammlung im Lande zu richten hat. Dennoch würde ein Reichsvereinsgesetz für alle Gegenden einen Rückschritt bedeuten, weil es sich doch

« PoprzedniaDalej »