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liegen und auch dem Geist der deutschen Politik zuwider sind. Man hat dieser Reise einmal eine Spiße gegen Italien geben wollen, dann sie als gegen England gerichtet geschildert. Die Verkennung des Zwecks und des Ziels dieser Reise ist in dem einen Fall so falsch und willkürlich wie in dem andern. Die Zeichen dafür, daß die Zeit der Mißstimmung und des Preßärgers zwischen England und uns im Schwinden sind, heißen wir aufrichtig willkommen. Der warme Ton, der bei der jüngsten Anwesenheit der Vertreter deutscher Städte in England aus den Aeußerungen englischer Staatsmänner hier herüber geklungen ist, ist jedenfalls von der Kaiserlichen Regierung und in weiten Kreisen des deutschen Volkes ebenso warm aufgenommen worden.

Bebel: Im Gegensatz zur deutschen Politik ist die englische Politik in den lezten Jahren geradezu mustergilig vorgegangen. England hat die splendid isolation längst aufgegeben und ein System von Bündnissen und Freundschaftsbeziehungen zu europäischen und außcreuropäischen Staaten ist an ihre Stelle getreten. Durch den Verzicht auf Weihaiwei hat es die Freundschaft Chinas erworben, während Deutschland auf Kiautschou nicht verzichten will. Gegenüber dieser geschickten Leitung der englischen Politik erscheint die vollständige Isolierung Deutschlands geradezu in elektrischer Beleuchtung. Wenn der Staatssekretär über das Goluchowskitelegramm sehr leicht hinwegging, so war das wohl das klügste, was er tun konnte. In Desterreich aber hat das Telegramm arg verschnupft. Die frühere Begeisterung in Ungarn für den deutschen Kaiser hat sich in das Gegenteil verwandelt. Die Kaiserreise nach Wien unterbliebe besser. Bisher haben die Kaiserreisen Deutschland kein Glück gebracht. Ich erinnere an die Zusammenkunft des Kaisers mit dem Zaren in Börkö, deren Erfolg war, daß in den weitesten Kreisen des russischen Volkes der deutsche Kaiser für die reaktionäre Haltung des Zarismus verantwortlich gemacht wird. Preußen ist der Hort der Reaktion und genießt diesen Ruf auch in der ganzen Welt.

Damit endet diese Besprechung.

Finanzielle Angelegenheiten.

I.

Reichshaushaltsetat.

Zweite Beratung.*)

1. Februar. Zum Reichsamt des Innern, und zwar zum Gehalte des Staatssekretärs fragt Trimborn, wo die Vorlage über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine bleibe. Dringend notwendig sei ferner eine Heimarbeiterversicherung, die Ausdehnung der Krankenversicherung auf die landwirtschaftlichen Arbeiter

*) Die erste Beratung siehe in Band 2 von 1905, S. 127–141.

und das Gesinde. Wie steht es mit den Vorarbeiten zur Witwen= und Waisenversicherung? Große Bedeutung messen wir der Frage des zehnstündigen Arbeitstags für Arbeiterinnen, der reichsgeseßlichen Regelung des Bauarbeiterschußes, der Einführung der Sonntagsruhe im Binnenschiffahrts gewerbe und der Errichtung von Arbeitskammern bei. Fischer verlangt mehr Gewerbeinspektoren. Pauli weist auf die Unmöglichkeit einer Witwen- und Waisenversicherung hin, zu der mindestens 175 Millionen nötig sein würden; die Belastung des Gewerbes und des Mittelstandes würde durch diese Versicherungslasten zu groß, sodaß die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie gefährdet werde. Die obligatorische Gesellenprüfung müsse verlangt werden.

3. Februar. Staatssekretär Graf Posadowsky: Er habe eine Abordnung englischer Arbeiter empfangen, die ihm gesagt hätten, sie seien erstaunt, was für die Arbeiter in Deutschland geleistet werde. Was die geäußerten Wünsche betreffe, so werde ein Gesez betreffend die Krankenversicherung der Heimarbeiter soeben ausgearbeitet. Die gegenwärtige Heimarbeiterausstellung in Berlin bietet ein wahrhaft ergreifendes Bild von dem Elend dieser großen Bevölkerungsschicht; kein fühlender Mensch wird diese Arbeiten ohne tiefes Mitgefühl gesehen haben. Der Heimarbeiterschuß selber bietet außer= ordentliche Schwierigkeiten. Er stößt aber auf vielfachen Widerstand. Es heißt immer, man dürfe nicht in das Familienleben eingreifen. Je strenger die Fabriken beaufsichtigt werden, desto mehr wird die Arbeit gewisser Industriezweige aus der Fabrik in die Wohnstätten der Arbeiter verlegt. Wenn aber die Heimarbeit nichts weiter ist als eine Arbeitsstätte für die Fabrik, so hat sie mit dem alten Begriff der Heimarbeit nichts mehr zu tun und muß deshalb ganz anders behandelt werden, um so mehr, als in ihr zweifellos Produkte erzeugt werden, deren Herstellung schwere gesundheitliche Gefahren mit sich bringt. Ohne einen solchen Heimarbeiterschuß würde die ganze Gesetzgebung zum Schuße der Kinderarbeit zum Teil nur auf dem Papiere stehen. Eine Vorlage über die Krankenkassenversicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter und des Gefindes ist bereits fertiggestellt. Die geseßliche Vorbereitung der Zusammenlegung der drei Versicherungen erfordert eine Riesenarbeit. Es handelt sich um ein Werk, das schon rein äußerlich umfangreicher wird als das Bürgerliche Gesetzbuch. Durch die Zusammenlegung würden die Verwaltungskosten wesentlich vermindert werden. Ueber die Witwen- und Waisenversicherung habe ich einen allgemeinen Plan den Regierungen vorgelegt. Die meisten Antworten sind eingegangen, und der Plan wird jezt einer versicherungstechnischen Prüfung unterworfen. Die Kosten dieser Ver

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ficherung werden sehr groß sein. Der Zehnstundentag für die Arbeiterinnen ist grundsäßlich bereits entschieden; nur um den Zeitpunkt und die Art der Einführung kann es sich handeln, die wieder abhängen von der internationalen Durchführung der Beschlüsse der internationalen Schußkonferenz in Bern. Das unbedingte Verbot der Sonntagsarbeit im Handelsgewerbe mit Ausnahme des auf drei Stunden zu beschränkenden Verkaufs von Nahrungs- und Genußmitteln ist an der Zeit. Eine scharfe gesetzliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik ist unmöglich. Gegen die Mißstände im Ausverkaufswesen ist eine Verschärfung der Gesetzgebung notwendig. Daß bei Ausver= käufen noch Nachschübe zugelassen werden, halte ich nicht für richtig. Sehr zweifelhaft ist dagegen, ob dem Schmiergelderwesen geseßlich begegnet werden kann. Das einzige Mittel dagegen scheint mir die Ehrenhaftigkeit des Kaufmannstandes selbst zu sein. Ueber die Verhältnisse der Privatbeamten wird hoffentlich dem nächsten Reichstag eine eingehende Denkschrift vorgelegt werden können. Zur Regelung der Arbeitszeit der Anwaltsgehilfen wären die Anwaltskammern am besten in der Lage. Das Reichsamt des Innern ist eifrigst bes müht, die Forderungen der Mehrheit dieses Hauses in den möglichen Grenzen zu verwirklichen.

Mugdan (Freis. Vp.): Die Sozialdemokratie ist bestrebt, die Krankenkassen unter ihre Herrschaft zu bringen. Sozialdemokra= tische und gewerkschaftliche Agitatoren werden in den Kaffenverwal= tungen untergebracht, auf die Lieferanten der Kasse wird ein Druck ausgeübt, daß sie nicht öffentlich gegen die Sozialdemokratie zu stimmen wagen dürfen. Einen großen Teil ihrer politischen Macht zieht die Sozialdemoktratie aus der Herrschaft über die Krankenkassen. Deshalb ist eine Reform der Krankenversicherung dringend notwendig. Das Spiel mit dem Massenstreik, zumal unter Hinweis auf die russische Revolution, wirkt äußerst arbeiterfeindlich. Der Zusammenhang zwischen der deutschen Sozialdemokratie und der russischen Revolution ist nicht zu leugnen. Die Sozialdemokratie diskreditiert alle freiheitlichen Bestrebungen, daher sollte die Regierung die auf nichtsozialdemokratischem Boden stehenden Gewerkschaften fördern und ihre Forderungen, wie die Anerkennung der Berufsvereine, schleunigst erfüllen. Nicht durch Ausnahmegeseße, sondern nur durch den deutschen Arbeiter kann die furchtbare Gefahr überwunden werden, mit der die Sozialdemokratie unsre nationale Existenz bedroht.

5. Februar. v. Kardorff ist der Ansicht, daß man, anstatt die soziale Gesetzgebung auszudehnen, sich erst einmal mit einer Revision der bestehenden sozialen Geseze beschäftigen solle, um die Mängel

zu untersuchen, die offenbar hervorgetreten seien. Besonders die Gewährung von Invalidenrenten werde schon vielfach bemängelt. Ferner habe er die schwersten Bedenken gegen die Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine, die schon fast ausschließlich sozialdemokratischen Parteizwecken nugbar gemacht würden. Selbst die christlichen Gewerkschaften bewegen sich ja bei Streiks nur noch im Fahrwasser der Sozialdemokratie. Er fürchte, daß die Berufs= vereine von den Sozialdemokraten ausgeschlachtet werden. - Erzberger ist im Gegenteil für die Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine und wünscht ein rascheres Tempo bei der Durchführung der Witwen- und Waisenversorgung; dies müsse betont werden gegen= über den modernen Raubrittern, die schon bereit seien, die dafür bestimmten Beträge für ihre Zwecke zu verwenden. Dazu rechne er vor allem den Deutschen Flottenverein, der ein Flugblatt verbreitet habe, das an Verheßung gegen die Aermsten der Armen und gegen den Bundesrat das Unmöglichste leiste. - Stücklen (Soz.): Das Elend der Heimarbeiter, insbesondre in den fränkischen Weberdörfern, ist furchtbar. Nur von der Fleischnot werden diese Leute nicht betroffen, weil sie auch sonst kein Fleisch zu essen bekommen. Bassermann sagt über die zum 21. Januar geplant ge= wesenen sozialdemokratischen Kundgebungen: Je fefter die Regierung auftrat, desto weicher wurde die Sozialdemokratie. Die ursprünglich geplanten Straßenumzüge find troß aller schwärmerischen Artikel der sozialdemokratischen Presse unterblieben. Angesichts der Vorgänge in Hamburg und Dresden hat die Regierung mit ihren Vorsichtsmaßregeln nur ihre Schuldigkeit getan.

6. Februar. Graf Kanik: Der weitere Ausbau der sozialpolitischen Geseßgebung erfordert große Mittel. Da wir gerade vor der Einführung neuer Steuern stehen, müssen wir uns doppelt überlegen, ob wir die Mehrkosten tragen können. Die Landwirtschaft ist jest schon schwer belastet, nicht minder die Industrie. Fragen müssen wir uns, wie es kommt, daß in einem Staate, der so große sozialpolitische Opfer bringt, wie wir es tun, drei Millionen sozialdemokratischer Stimmen abgegeben werden können, daß drei Millionen Männer vorhanden sind, die mit dem bestehenden Staate unzufrieden find. An den versöhnenden Charakter der sozialpolitischen Gesezgebung habe ich nie geglaubt, eher sind im Gegenteil die Ansprüche der Arbeiter dadurch gesteigert worden. Die Ver= sicherungsgeseße haben einen demoralisierenden Einfluß ausgeübt. Der Arbeiter sucht heutzutage die Heilung hinauszuschieben und die Krankheitsdauer zu verlängern: das muß Moral und Charakter verderben. Beigetragen zu diesem Anwachsen der sozialdemokratischen Bewegung hat unsre Handels- und Wirt

fchaftspolitik des lezten Jahrzehnts mit ihrer außerordentlichen Bevorzugung von Großhandel und Großindustrie auf Kosten der kleinen und mittlern Existenzen sowie der Landwirtschaft. Die Be= lastung mit Geseßesmaterial ist schon heute so kolossal, daß man kaum den Leuten zumuten kann, in ein umfangreiches Gesetz sich einzuarbeiten. Die Sozialdemokratie ist schuld daran, daß im Lande die Neigung, sozialpolitisch tätig zu sein, sich in abnehmender Linie bewegt. Das beruht darauf, daß sie mit der Revolution spielt, und daß sie nicht objektiv genug ist, um das anzuerkennen, was der Staat und die bürgerliche Gesellschaft getan haben. Staatssekretär Graf Posadowsky geht auf eine Reihe gestellter Fragen ein und sagt:

Wenn Deutschland einen so gewaltigen industriellen Aufschwung erlebt hat, wie kein andres Land der Erde in derselben Zeit, so verdankt es das in erster Linie der Tüchtigkeit seiner Arbeiter. Von den christlichen Gewerkschaften ist erklärt worden, sie seien noch schlimmer als die sozialdemokratischen. Es gibt also Kreise, die da hoffen, daß troß unsrer industriellen Entwicklung das Streben der Arbeiter, ihre Lebenslage zu verbessern und sich in höherm Maße als bisher an den öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen, ganz beseitigt werden könnte oder sollte. Wer das glaubt, befindet sich in einem starken Irrtum und steht auf einem ziemlich eng begrenzten Interessenstandpunkt. Der Unterschied zwischen der berechtigten und der unberechtigten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung besteht gerade darin, daß die Sozialdemokratie Forderungen aufstellt, die tein Staat und kein Zukunftsstaat erfüllen können, weil damit der Zusammenbruch des ganzen wirtschaftlichen und staatlichen Lebens verbunden wäre. Und weil kein Staat die Forderungen der Sozialdemokratie erfüllen kann, verlangt sie die Beseitigung des bestehenden Staates und die Errichtung eines Zukunftsstaates, von dem ich keinen Begriff habe, wie er aussehen wird. Da müssen wir es begrüßen, daß eine Arbeiterbewegung sich entwickelt, die auch die materielle Lage der Arbeiter entsprechend dem gestiegnen Wohlstande bessern und die Arbeiter an den öffentlichen Angelegenheiten mehr beteiligen will als bisher, aber dieses Ziel verfolgt innerhalb des monarchischen Staates und der modernen Gesellschaft. Auch in der Politik ist strengste Wahrheitsliebe und strengste Gerechtigkeit die beste Taktik. Ich begreife nicht, wie die sozialdemokratische Partei uns einen Vorwurf daraus machen kann, wenn wir der englischen Arbeiterdeputation gegenüber die Pflicht nationaler Höflichkeit erfüllt haben. Wir haben ihr alle Einrichtungen gezeigt, die sie zu sehen wünschte. Sie aber wollen nicht anerkennen, was wir sozialpolitisch geleistet haben, und weil Sie sich dazu nicht entschlicßen können, verstimmen Sie die Regierung, verbittern Sie die bürgerlichen Parteien und täuschen Sie Ihre Anhänger.

8. Februar. Zu demselben Titel werden umfangreiche Verhandlungen über Fragen der Sozialpolitik und der Arbeiter fortgeseßt.

12. Februar. In Fortführung der Besprechung sozialpolitischer Fragen werden von Stadthagen und Beumer längere sozialpolitische Reden gehalten, worauf Stöcker u. a. ausführt:

Das nach den Gründerjahren eingetretne Elend in Arbeiterkreisen war ein Grund zur Einführung der sozialpolitischen Geseße, der zweite Grund

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