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25. Mai. Die konstitutionell - demokratische Partei der Duma legt einen Gesezentwurf betreffend die Gewissensfreiheit vor, der auf folgenden Grundsäßen ruht:

Niemand darf in seinen Rechten wegen seiner Ueberzeugung in Glaubenssachen verfolgt oder beschränkt werden; alle Geseße, die die bürgerlichen oder politischen Rechte der Bürger einschränken, welcher Religionsrichtung sie auch immer angehören, werden abgeschafft; alle Bekenntnisse, die im russischen Reiche bestehen oder später noch zugelaffen werden sollten, genießen die gleiche Freiheit des Kultus, soweit die Strafgeseße nicht überschritten werden. Niemand darf gezwungen werden, irgend einer Religion anzugehören oder sie auszuüben, niemand darf die Erfüllung von bürgerlichen oder politischen Pflichten ablehnen unter dem Vorgeben, daß diese seiner religiösen Ueberzeugung widersprechen, mit Ausnahme der im Geseß vorgesehenen Fälle. Mit vollendetem siebzehnten Lebensjahre wird jedem das Recht gegeben, seinen Glauben zu wechseln.

Beratung eines Geseßentwurfs, betreffend die Unantastbarkeit der Person.

Er ist darauf gerichtet, die Bürger vor unberechtigter Verhaftung, Polizeiaufsicht, Beschränkung des Aufenthaltsorts, ferner vor dem Eindringen der Polizei zum Zwecke der Haussuchung und vor unbefugtem Ceffnen der Briefe zu schüßen. Der Entwurf tritt ferner für das Recht der Bürger ein, vor die allgemeinen und nicht vor die Ausnahmegerichte gestellt zu werden, und gesteht der Polizei die Befugnis zu, im Interesse der öffentlichen Ordnung und Ruhe Verhaftungen vorzunehmen, jedoch nur unter strenger Kontrolle der Gerichte.

Bahlreiche Redner sprechen sich gegen das willkürliche System aus, unter dem das gesamte Rußland leide.

28. Mai. Der Justizminister führt aus, die Unantastbarkeit der Person bilde eine wichtige Grundlage des Staatswesens, werde aber durch das Dumaprojekt nicht_erschöpfend behandelt, dazu scien noch andre Bedingungen notwendig. Das Gerichtsverfahren müsse vor allem auf der Höhe sein. Die Gerichtsbarkeit entspreche augenblicklich nicht dem Bedürfnisse; infolgedeffen sei eine Reorganisation notwendig. Ferner müßten Bestimmungen ges troffen werden über die Verantwortlichkeit der Beamten für amtliche Vergehen. Projekte seien von der Regierung bereits ausgearbeitet. Die Duma beschließt, an den Minister des Innern die Frage zu richten, ob die Regierung die Bekämpfung der Hungersnot fortseßen wolle, und ob ihr bekannt sei, daß die Hilfstätigkeit von Privatpersonen von den Lokalbehörden gehindert werde.

31. Mai. Die Duma sezt eine Kommission nieder mit dem Auftrage, innerhalb fünf Tagen einen Gesezentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe auszuarbeiten. Es folgt eine Beratung der Agrarfrage. Prof. Petrajitsty sezt die Notwendigkeit der Enteignung privaten Landbesizes vom Gesichtspunkte des öffentlichen Wohles auseinander. Prof. Herzenstein kommt zu dem Schluffe, daß an dem Grundsaße der Zwangsenteignung für ganz Rußland nicht gerüttelt werden dürfe, wenn auch die Ausführung im einzelnen eine verschiedne seine könne.

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1. Juni. Ropp, katholischer Erzbischof von Wilna, meint, der Agrargefeßentwurf könne unerfüllbare Hoffnungen im Volte erwecken und einen Bürgerkrieg in jedem Dorfe hervorrufen. Ein Bauer erklärt alle Beratungen für unnüz, die Frage werde durch die Bauern selbst gelöst werden, für die das Land denselben Wert besize wie für die Kinder der Busen der Mutter. Redner bestreitet jedes Eigentumsrecht an Land, auf Grund dessen

die Vereinigung ungeheuern Landbesiges in den Händen einer einzigen Person möglich sei. Der Ackerbauminister Stischinsky weist den Gegensaß des agrarischen Reformprojekts zu den bestehenden Gesezen nach und sagt, das europäische Rußland umfaffe 43 Millionen Deßjatinen Privatländereien. Vier Milliarden Rubel würden für die Expropriation nötig sein. Der Minister bezeichnet das Projekt als undurchführbar und verspricht, einen Entwurf des Ministeriums vorzulegen, in dem Vorschläge gemacht werden sollen, wie das Los der Bauern mit Hilfe der Bauernbank zu verbessern sei. Gurlo, Gehilfe des Ministers, sucht zu beweisen, der Entwurf der Duma würde die Bauern der Verarmung preisgeben. Es sei unmöglich, sich auf ihn einzulaffen. Man müsse entweder die Unverleßlichkeit des Eigentums anerkennen, oder anerkennen, daß das Land ein Geschenk Gottes sei, reiner Sozialist werden und das Land zu gleichen Teilen an alle verteilen. Graf Heyden sagt, er sei bereit, sich dem vorgeschlagnen Agrarprogramm anzuschließen, er habe nichts gegen eine Zwangsenteignung, halte es aber für beffer, wenn die Frage unter Berücksichtigung der örtlichen Verschiedenheiten geregelt werde.

9. Juni. Der Führer der Arbeitspartei Anikin sucht zu beweisen, daß alle Ländereien Eigentum der Bauern sein sollen. Es werde nicht möglich sein, den Willen des ganzen Volkes zu mißachten. Es sei kein Grund zu der Befürchtung, daß die Bauern zu konservativ seien; der Adel sei viel konservativer. Seit vierzehn Tagen_sage man den Ministern, sie sollten sich entfernen, aber sie gingen nicht, sie hätten kein Schamgefühl und tein Gewiffen. Ein Bauer würde in solchem Falle nicht hier bleiben. Ich wende mich an das russische Volk, das uns hierher gesandt hat, damit wir die Freigabe des Bodens fordern. Wir haben das Prinzip der Enteignung aufgestellt, aber die Minister haben sich geweigert, es anzuerkennen. Wir sagten ihnen darauf: Entfernt euch!

12. Juni. Aladin sagt: Wir dürfen nicht warten, wir müssen uns an das Volk wenden und um seine Unterstüßung bitten, bevor die Revolution ausbricht, und nachdem das russische Volk alle Ländereien mit Beschlag belegt und alle Hindernisse beseitigt haben wird und durch eine neue Volksvertretung, wie die Frankreichs im achtzehnten Jahrhundert, dieser vollendeten Tatsache eine juristische Form zu geben sucht.

15. Juni. Jesersty beantragt, daß den Bauern alle der Kirche und dem Fiskus gehörigen Güter sowie alle Domänen umsonst übergeben werden sollten, damit so gezeigt werde, daß die Duma auf der Zwangsenteignung bestehe, ohne die Ausführungen der Minister zu beachten.

18. Juni. Einseßung einer Kommission zur Beratung der Agrarfrage. 21. Juni. In Beantwortung von Anfragen führt der Minister des Innern Stolypin aus: Wenn ich auch zugcbe, daß einige ungefeßliche Akte der Polizeiverwaltung zur Last fallen, so lieben doch alle Beamte ihr Vaterland. Die Regierung muß handeln und energisch für Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen. Die Polizei erfüllt ihre Pflicht. Während der Unruhen sind allein 288 Polizeibeamte getötet und 388 verwundet worden. Die Regierung wird handeln wie eine Schildwache, die ihr altes Gewehr nicht fortwerfen darf, bevor sie ein neues erhalten hat.

Fürst Urussof erwidert, die Mcheleien wurden immer von geheimen Kräften organisiert, und es sei unmöglich, irgend jemand gegen diese ge= wissermaßen von der Regierung ausgehenden Vorgänge zu schüßen. Er führt zahlreiche Beispiele an und schließt, die Duma müsse den Herrscher verteidigen, für das Wohl Rußlands wirken und gegen Leute kämpfen, die die Erziehung eines Polizeibeamten erhalten hätten und deren politisches Glaubensbekenntnis auf Mezeleien hinausstarte. Roditschef sagt: Der Bankerott des

Staates werde eintreten, bevor das Volk beginnen werde, sein Blut zu bergießen.

Weiter wird über Anträge auf bürgerliche Gleichheit beraten. Verschiedne Redner treten für die Gleichberechtigung der Frauen und der Juden ein. Aladjin führt aus, man müsse der Frau die Freiheit geben, bevor sie selbst sich ihre Rechte mit Gewalt nehme. Er verlange die Abschaffung aller aus einer gesellschaftlichen Stellung sich ergebenden Vorrechte und aller Privilegien des Adels. Die russische Nation achte nur zwei Klassen, die Bauern und die Arbeiter.

25. Juni. In Beantwortung von Anfragen über die Hungersnot führt der Minister des Innern aus, der Kampf_werde im laufenden Jahre schwierig sein. Nach längerer Verhandlung hierüber erklärt die Duma, daß die Hinderniffe, die immer die Tätigkeit der öffentlichen Hilfeleistung in den Gegenden der Hungersnot gehemmt haben, so lange bestehn würden, als das Land von einem der Duma nicht verantwortlichen Ministerium regiert werde.

༢.

Der Reichsrat.

11. Mai. Eröffnung durch Verlesung eines Ukas seitens des Barons Uexküll. Der Präsident Graf Solski weist auf die Aufgabe jedes einzelnen hin, an der Heilung der schweren Leiden des Vaterlandes mitzuwirken. Diese Aufgabe falle auch dem reorganifierten Reichsrate zu, der ein Jahrhundert der nächste Ratgeber der russischen Monarchen und ein treuer Ausführer ihrer Absichten ge= wesen sei. Durch die Einfügung gewählter Mitglieder trete der Reichsrat in engste Fühlung mit dem Leben der Bevölkerung, was ihm neue Kraft gebe.

18. Mai. Bei Beratung einer Adresse an den Zaren spricht fich Graf Witte dahin aus, daß der Reichsrat mit der Reichsduma zusammengehn müsse. Das allein ermögliche die Durchführung der vom Volke so ersehnten Reformen. Ohne Einigkeit seien Reformen undenkbar. Witte tritt rückhaltlos der Ansicht bei, daß die Amnestie Ruhe schaffen werde. Er bezweifle aber sehr, daß die Amnestie den Haß, der die wahre Ursache der Revolution sei, beseitigen könne. Deren Ursache sei nicht in irgendwelchen Repressivmaßnahmen zu suchen, sondern in dem Bestreben, die Klassen- und Vermögensunterschiede zu beseitigen. Geschehe das, so würde die zivilisierte Welt in Entsezen geraten. Die Geschichte biete nur wenige Beispiele dafür, daß eine Amnestie den Haß beseitige, der die revolutionären Wirren hervorruft. Weit mehr Beispiele biete die Geschichte dafür, daß eine Amnestie nicht das erwartete Resultat ergab. Nur das Schwinden des Hafses könne dauernde Ruhe schaffen, was aber nur möglich sei bei Einbürgerung der Achtung vor Person und Eigentum, vor der Wissenschaft, den Geseßen und der Kultur.

Vor allem müßten mit gutem Beispiel die vorangehn, die die Amnestie fordern.

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19. Mai. Der Reichsrat beschließt eine Adresse an den Zaren, in der er Dank sagt für die Verwirklichung der Volksvertretung, durch die Rußland sich den parlamentarischen Staaten anschließt", und mit der er sich bereit erklärt, zusammen zu arbeiten. Sodann heißt es:

Durch die Jahrhunderte sind alle großen historischen Ereignisse Rußlands durch Gnadenbeweise seiner Herrscher gegen Gefangne und Verbrecher in das Gedächtnis des Volkes eingegraben worden. Obgleich den Reichsrat tiefe Entrüstung erfüllt gegen die Verbrechen, die im Sturm und Drang des politischen Kampfes begangen worden sind, erkennt er die außergewöhnliche Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicke und hat sich entschloffen, der großherzigen Entscheidung des Kaisers das Schicksal derer zu unterwerfen, die, sei es unter dem unwiderstehlichen Drange, die Freiheit frühzeitig zu erlangen, oder sei es bei der Verteidigung der Ordnung die Grenzen überschritten haben, die vom Gesetz gezogen sind, ohne daß sie jedoch Leben und Eigentum irgendeines Nebenmenschen angetastet haben.

VI.

Finnland.

4. Februar. Von der Regierung wird dem Senate ein Vorschlag zur Aenderung des Landtags übersandt. Der Gesetzentwurf ist auf dem Einkammersystem und dem allgemeinen Wahlrechte aufgebaut:

Der künftige Landtag soll aus zweihundert Mitgliedern bestehn, die für einen dreijährigen Zeitraum gewählt werden. Im Gegensaß zu dem jeßigen Ständelandtag, der in der Regel nur aller drei Jahre einberufen wird, was übrigens vom Gutbefinden des Kaisers abhängt, tritt er alle Jahre im Februar zusammen und tagt dann neunzig Tage lang, sofern nicht der Kaiser auf ein Gesuch des Landtags eine Verkürzung oder Verlängerung eintreten läßt. Der Kaiser kann den Landtag auflösen, doch soll dann nach spätestens neunzig Tagen ein neugewählter Landtag einberufen werden, und dieser kann vor Ablauf der neunzigtägigen Session nicht aufgelöst werden. Ein außerordentlicher Landtag tritt auf Anordnung des Kaisers zusammen, doch soll er sich nur mit solchen Gegenständen befaffen, die den Anlaß zur Einberufung gaben. Zur Teilnahme an den Wahlen ist jeder Mann und jede Frau über einundzwanzig Jahre berechtigt. Nicht wahlberechtigt sind nur solche, die nicht in den lezten drei Jahren im Lande Steuern bezahlt haben oder sich gewiffer Vergehn schuldig gemacht haben. Auch sämtliche Militärpersonen sind vom Wählen ausgeschloffen, während nach dem bisherigen Geset finnische Offiziere wahlberechtigt sind. Als Landtagsabgeordneter kann gewählt werden, wer wahlberechtigt und fünfundzwanzig Jahre alt ist. Die Gewählten sind verpflichtet, eine Wahl anzunehmen.

8. März. Der Senat beendet die Beratung betreffend die neue Landtagsverfassung und das allgemeine Stimmrecht. Danach wird das aktive und passive Wahlrecht allen Staatsangehörigen

beider Geschlechter erteilt, die vierundzwanzig Lebensjahre vollendet haben.

3. Mai. Die Aeußerung des finnischen Senats zu dem Gesezentwurfe über eine neue Landtagsordnung in Finnland und zu einem neuen Wahlgefeß wird in Petersburg genehmigt.

VII.

Auswärtiges.

Anfang April. Der Zar richtet ein sehr freundliches Schreiben an den tibetanischen Oberpriester, den Dalai Lama in Lhassa, mit Dank für dessen „heilsamen, geistigen Einfluß“ auf die Bewohner des an die Mongolei grenzenden Teils des russischen Reichs während der Zeit, da der Dalai Lama sich infolge Eindringens eines eng= lischen Korps in Tibet geflüchtet hatte.

Mitte April. Graf Cassini wird für sein erfolgreiches Wirken auf der Konferenz von Algeciras zum Wirklichen Geheimen Rat befördert. In dem betreffenden Erlaß heißt es bezüglich der Teilnahme Rußlands an der Konferenz: „Rußland, das keinerlei Lebensintereffen in Marokko hat, konnte es völlig unparteiisch übernehmen, verschiedne Ansprüche in Uebereinstimmung zu bringen, indem es unveränderlich das verbündete Frankreich unterstüßte und die seit alter Zeit bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland in keinem Punkte verleßte." (Siehe S. 43.)

26. April. Es gelangt eine fünfprozentige Staatsanleihe im Betrage von 21, Milliarden Franken, die hauptsächlich auf das Ausland berechnet ist, und wovon auf Frankreich 1150 Millionen fallen, zum Kurse von 88 zur Zeichnung.

Frankreich.

I.

Auswärtige Angelegenheiten.

1.

Verhältnis zum Deutschen Reiche.

Anfang Januar. Mehrere französische Blätter heßen zum Kriege und suchen die Bevölkerung an die Kriegsgefahr zu ge= wöhnen. Die „France militaire" behauptet, daß die französischen Generale den deutschen Generalen weit überlegen seien, und daß die

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